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Jena war die Versuchsstation der deutschen Klassik. Was dort Jahre später zur Blüte gelangte, war hier schon im Keim angelegt. Fichte propagierte eine Moral der Gelehrten, Schiller konzipierte sein Programm einer ästhetischen Erziehung, Goethe steckte die Grenzen einer aufgeklärten politischen Vernunft ab, Humboldt widmete sich der Bildung als Beruf und Hölderlin schuf die Vorformen des kündenden Dichters. In diesem einen Jahr in Jena schmolzen unterschiedliche Interessen zusammen. Als das Jahr um war, alle ihrer Wege gingen und Ruhe wieder einkehrte , war der Grundstock der deutschen Klassik gelegt.…mehr

Produktbeschreibung
Jena war die Versuchsstation der deutschen Klassik. Was dort Jahre später zur Blüte gelangte, war hier schon im Keim angelegt. Fichte propagierte eine Moral der Gelehrten, Schiller konzipierte sein Programm einer ästhetischen Erziehung, Goethe steckte die Grenzen einer aufgeklärten politischen Vernunft ab, Humboldt widmete sich der Bildung als Beruf und Hölderlin schuf die Vorformen des kündenden Dichters. In diesem einen Jahr in Jena schmolzen unterschiedliche Interessen zusammen. Als das Jahr um war, alle ihrer Wege gingen und Ruhe wieder einkehrte , war der Grundstock der deutschen Klassik gelegt.
Autorenporträt
Theodore Ziolkowski, geboren 1932, lehrt deutsche und allgemeine Literaturwissenschaft an der Princeton University und ist seit 1979 Dekan der Graduiertenfakultät an dieser Universität.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1998

Jena vor uns im glücklichen Jahre
Schlechtes Essen, nahrhafte Gedanken: Theodore Ziolkowski beobachtet Fichte, Schiller, Humboldt und Goethe bei der Geistesarbeit

"Das Wunderjahr in Jena" von Theodore Ziolkowski ist ein überaus schönes Buch. Das meint die Umschlaggestaltung, den Satz, den historischen Stadtplan mit den Dichter- und Denkerwohnorten in der Deckelinnenseite. Es meint die geistreichen Überschriften und den plaudernd präzisen Stil. Vor allem aber meint es das Projekt, nicht eine Jenenser Stadtgeschichte, nicht eine Geschichte des Deutschen Idealismus oder der Weimarer Klassik, nicht eine Geschichte der Begegnung von Goethe und Schiller und erst recht keine Fichtemonographie zu schreiben, sondern an einem Punkte, dem annus mirabilis jenensis, dem Jena des Zeitraumes von Mai 1794 bis September 1795, näher an den sausenden Webstuhl des Weltgeistes heranzutreten und den Zusammenhang nachzuzeichnen, in dem unsere Klassiker sich die goldenen Eimer der Gedanken reichten. Tatsächlich sind wir alle ja entweder Goethe- oder Schiller-, Schelling- oder Hegelkenner und wachen eifersüchtig darüber, daß die Gegenseite nicht irgendein Erstgeborenenrecht durchsetzen kann. Selbst die Henrichschule betrachtet zwar Filiationen, aber eben doch die Filiationen eines Gedankens. Allenfalls die leider eingestellte Meiner-Reihe der Philosophisch-Literarischen Streitsachen ließe sich sonst nennen.

Zur Rekonstruktion geistiger Zusammenhänge gehört, daß man sich ein Bild der Lebensrealität macht. Ziolkowski belehrt darüber, daß die Salana so liberal war, weil die vier Erhalterstaaten sich selten einigen konnten (allerdings auch entsprechend schlecht und säumig zahlten), daß Sophie Mereau 1801 mit Herders Hilfe die erste Scheidung im Herzogtum Sachsen-Weimar durchsetzte, daß die Schleusen der Leutra zweimal die Woche geöffnet wurden, damit das Wasser durch die Straßen strömen und den Unrat wegwaschen konnte und daß allgemein über das Essen geklagt wurde. "Sind auch die Hauptingredienzen der Schüssel eßbar, so schwimmt gewiß das Rindfleisch in einer widerwärtigen Sauce von Zucker und Mehl und Rosinen, oder die kaltgewordene Butter stinkt aus der Suppe und dergleichen."

Man liest von den Schwierigkeiten der Professoren, Veranstaltungen anzubieten, in denen es auch zahlende Hörer gab, von den Umzügen quer durch die Stadt auf der Suche nach einem geeigneten Hörsaal und davon, daß Fichte alle Nas' lang die Fensterscheiben eingeworfen wurden. Und man erfährt, wer wem in die Zimmer sehen konnte und wer von wem behauptete, daß er mit dem oder jenem ein Verhältnis gehabt habe. Und das sage niemand, daß er sich nicht für Tratsch interessiere. Die abstrakte Behauptung eines theoretischen Bezuges von Schiller auf Fichte liest sich ganz anders, wenn man weiß, das Schiller gerade einen Artikel, in dem Fichte schreibt, daß Schiller nicht denken kann, mit dem Argument zurückgewiesen hatte, daß Fichte nicht schreiben kann.

Vor dem Bild, das Ziolkowski von der engen Jenenser Wirklichkeit gibt, wäre es auf einmal erstaunlich, bezögen sich die großen Werke, die sonst als Monaden fertig aus den Häuptern der Autoren in die Abstraktion des rein zeitlichen Zusammens zu entspringen scheinen, nicht auch inhaltlich aufeinander. Diesen Beziehungen nachzuspüren, gilt Ziolkowskis Hauptinteresse. Man kann sie in drei Arten teilen: Ein Autor antwortet auf einen anderen, er folgt einem anderen, beide gehen in die gleiche Richtung. Eine parallele Hinwendung zum lyrischen Roman, zur Hervorhebung des Charakters gegenüber der Handlung sieht Ziolkowski in Sophie Mereaus "Blütenalter der Empfindung" und im "Hyperion". Auch gebe es im Jena dieser Zeit eine Tendenz zum Erproben der reinen Gattungen (Märchen, Novelle, Elegie). Humboldts Besprechung von Jacobis "Woldemar" folge dem Muster einer philosophisch prinzipiellen Rezension, das Schiller in seiner Behandlung von Matthison aufgestellt hatte. Und Goethes vergleichende Anatomie nehme den Typus des Tieres, anders als früher die Urpflanze, gemäß Schillers kantianischen Einwänden als regulative Idee. Die "Briefe über die ästhetische Erziehung" werden geradezu als Kollektivarbeit betitelt, in die Goethesche, Fichtesche und, von der Forschung vielleicht unterschätzt, mit dem gräkophilen Ideal der allseitig entfalteten Persönlichkeit auch Humboldtsche Elemente eingehen.

Hölderlins Antwort auf Fichtes einseitige Subjektivität wird ausdrücklich nicht an dem kleinen Fragment über Urteil und Sein untersucht, das in der Henrichschule den Rang eines heiligen Textes erhalten hat, sondern an den verschiedenen Fassungen des "Hyperion". (Wobei einmal zu prüfen wäre, ob nicht Fichte mit dem Konzept der Anerkennung, das heute leider immer nur mit Hegel diskutiert wird, seinerseits genau auf solche Subjektivitätsvorwürfe antwortet.) Mehr als alles andere aber beschäftigt Ziolkowski, wie Goethe in der "Epistel", die die erste Nummer der "Horen" eröffnet, in der Rahmenerzählung der "Unterhaltungen" und im "Märchen" und dann durch die Gegenüberstellung der "Römischen Elegien" und der letzten Sendung der "Ästhetischen Briefe" auf Schillers Programm der ästhetischen Erziehung reagiert. Erotik, Skepsis und vor allem "die Bildung zur Freiheit durch zivilisierte Unterhaltung in einem geselligen Kontext" setze der Weltmann Goethe dem linkischen Grübler Schiller und dessen Weltverbesserungsplänen entgegen. Das wird deutlich identifikatorisch entwickelt, eine Identifikation, die sich in der formalen Lässigkeit des Buches ausdrückt, aber eben auch in seiner latenten Theoriefeindlichkeit. Und hier beginnen die Probleme.

So sehr Ziolkowski auf unterhaltsame Weise ein Gesamtbild gibt und damit der Einzelinterpretation zu Augenmaß verhelfen kann, so wenig Originelles leistet er in diesen Einzeldeutungen. Daß die Figur des Empedokles Fichte zur Vorlage habe, daß im "Märchen" wie in Schillers "Spaziergang" die Jenenser Landschaft dargestellt werde, sind schöne Beobachtungen. Ob mit ihnen mehr gesagt ist, als wenn die Schererschule dem Vorbild für Lottens Augenfarbe nachspürt, die ja nicht der Charlotte Buffs entspricht, müßte sich in der Interpretation ausweisen. Umgekehrt wird Fichtes Position zwar korrekt referiert (anders als die "konfuse" Humboldtsche Auseinandersetzung mit Jacobis Philosopie, bei der Ziolkowski offenbar nicht weiß, worum es geht). Aber letztlich schimmert doch durch, daß das alles für Unfug gehalten wird.

Immer wieder wird Fichtes soziale Inkompetenz herausgestrichen - als ob sie mit der Sache etwas zu tun hätte - ohne ein wie auch immer ironisch korrigiertes Wort der Anerkennung für Fichtes aufrechte Haltung, für sein genaues Aufnehmen gegnerischer Argumente. "Schiller erkannte sehr früh die Gefahren der hypertheoretisierenden Wissenschaftslehre." Nämlich welche? Schiller habe sich gar nicht an die Wissenschaftslehre gehalten, sondern nur an die populären Vorlesungen über die Moral für Gelehrte. Vielleicht, aber macht das für die Sache einen Unterschied? Fichte habe sich später an Schillers Unterscheidung von Form- und Stofftrieb orientiert. Dabei hat er und mit guten Gründen die Existenz eines Stofftriebes überhaupt bestritten. Und geradezu unredlich ist es, den Satz, Fichte sei in Jena selten mit reiferen Männern zusammengekommen, die ihm geistig ebenbürtig waren und seine Ideen hätten kritisch prüfen können, als Tatsachenbehauptung hinzustellen und nicht als das Goethezitat, das es ist.

Im übrigen unterschätzt Ziolkowski deutlich Goethes theoretische Interessen und Kenntnisse. Als würde nicht in den zwei Faustischen Seelen die Diskussion um Form- und Stofftrieb aufgenommen und in der Figur der Natalie Schillers Bildungskonzept getestet. So ist letztlich auch die Generalthese des Buches heikel, das besprochene Jahr führe von Fichte zu Goethe, von der Philosophie zur Dichtung, vom Politisch-Sozialen zum Menschlich-Ästhetischen. Nicht nur, daß Fichte in den Romantikern bald neue Schüler findet, nicht nur, daß Schillers Dramen kaum unpolitisch zu nennen sind. Die Opposition selber stimmt nicht. Mit mehr Recht könnte als Leistung der Weimarer Klassik, und auf sie allein läßt sich die These überhaupt beziehen, herausgestellt werden, daß sie das Politische im Menschlichen und das Philosophische im Ästhetischen wiederfand. Nicht zuletzt, weil der "Wilhelm Meister" die Reflexion in die Kunst trägt, kann Friedrich Schlegel ihn paradigmatisch als modernes Kunstwerk nehmen.

Aber das klingt nun schärfer, als es gemeint ist. Gute Interpretationen gibt es viele, in der Überschau liegt Ziolkowskis Leistung. GUSTAV FALKE

Theodore Ziolkowski: "Das Wunderjahr in Jena". Verlag Klett Cotta, Stuttgart 1998. 354 S., geb., 48,- DM.

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