Die Geschichte des Körpers im Neoliberalismus - wie Fitness zur Signatur der Moderne wurde. Wer nicht fit ist, ist irgendwie außen vor. Und wer dick ist, erst recht. Unsere Körper sind unser Kapital. Fitness ist ein Statement. Der Historiker Jürgen Martschukat erzählt, wie wir dahin gekommen sind.
Warum werden Manager zu Marathonläufern? Was hat es mit Michelle Obamas »Let's-Move«-Programm auf sich? Tatsächlich ist Fitness mehr als erfolgreich Sport zu treiben. Wer sich fit hält, übernimmt Verantwortung. Für sich und die Gesellschaft. Er zeigt sich leistungsfähig - ob in der Arbeitswelt, beim Militär oder beim Sex.
Eine spannende Bilanz zum Verhältnis von Körper und Macht im neoliberalen Zeitalter - vielleicht ist das Leben als Couchpotato die moderne Form des Widerstands.
Warum werden Manager zu Marathonläufern? Was hat es mit Michelle Obamas »Let's-Move«-Programm auf sich? Tatsächlich ist Fitness mehr als erfolgreich Sport zu treiben. Wer sich fit hält, übernimmt Verantwortung. Für sich und die Gesellschaft. Er zeigt sich leistungsfähig - ob in der Arbeitswelt, beim Militär oder beim Sex.
Eine spannende Bilanz zum Verhältnis von Körper und Macht im neoliberalen Zeitalter - vielleicht ist das Leben als Couchpotato die moderne Form des Widerstands.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.2019Was haben Schwarzenegger und Sloterdijk dazu zu sagen?
Arbeit an den Körpern: Jürgen Martschukat versammelt Materialien zum Siegeszug der Fitness-Kultur.
Von Andrea Diener
Mitunter wünscht man sich, deutsche Sachbuchautoren würden sich ein paar Tugenden von angloamerikanischen Essayisten abschauen. Dann würden keine drögen, fußnotengesättigten Abhandlungen mehr erscheinen, sondern lesbare Texte, die auch vor eigenen Beobachtungen nicht zurückschrecken und sich dem Humor nicht vollends verschließen. Das gilt besonders dann, wenn das Thema es eigentlich nahelegt. "Das Zeitalter der Fitness" von Jürgen Martschukat gräbt in so herrlichem Material wie der Aerobicwelle der achtziger Jahre und den Instagram-Fitnessmodels der Gegenwart und referiert das Ganze dermaßen buchhalterisch herunter, dass man ziemlich bald keine Lust mehr hat. Dabei wollte der Autor, selbst ein begeisterter Radfahrer, so entnimmt man der Kurzbiographie im Klappentext, "als Historiker sein eigenes Tun einmal historisch-kritisch hinterfragen".
Ja, hätte er das mal besser getan. Denn die im Buch gewahrte Distanz zum Thema ist kontraproduktiv und der Sache nicht zuträglich. Fitness geht uns schließlich alle an, als Beteiligte oder als Unbeteiligte mit schlechtem Gewissen. Das Thema hat direkt mit männlichen und weiblichen Körperbildern zu tun, die ja neben der persönlichen Ebene immer auch politisch sind; es berührt die Popkultur an allen Ecken und Enden und bestimmt auch neoliberale Vorstellungen vom gesunden Leistungsträger. Viel Stoff also, der sortiert, eingeordnet und kommentiert sein will und idealerweise, der besseren Anschauung wegen, auch mitunter illustriert und zitiert. Der interessierte Leser muss sich jedoch gedulden, bis es zur Sache geht und auch Wiederholungen geduldig wegstecken. Denn vor jeder Begriffshistorie steht eine gründliche Begriffsdefinition. Was sagt die WHO zum Thema, was sagt Peter Sloterdijk, was sagt Arnold Schwarzenegger? Wie verhalten sich Trimm-Trab, Vereinssport und Bodybuilding zueinander?
Und dann hat die "Fitness" auch noch einen grundlegenden Bedeutungswandel hinter sich. Von Darwins "survival of the fittest", als Fitness noch einen statischen Zustand bedeutete, der einem Lebewesen zu dessen evolutionärem Vorteil gereichte oder eben nicht, wandelte sie sich zu einer Größe, die jeder mittels Selbstoptimierung regulieren können soll. Das reicht von Turnvater Jahn über gestählte Nazikörper bis zur Betriebssportgruppe: Vor allem der männliche Körper war lange eine ermattete, rauchende Problemzone mit Herzrhythmusstörungen, die zum Wohle der Gemeinschaft leistungsfähig oder kampfbereit gehalten werden musste; ein Anspruch, dem der weibliche Körper zunächst nicht unterlag.
Besonders zugespitzt ist die Zielgruppe für Viagra-Werbung, dem Mittel, das eine sexuelle Fitness unabhängig von Alter und psychischer Disposition verspricht. Hier ist vor allem der weiße, heterosexuelle Mann angesprochen, dessen physische Funktion alleinverantwortlich für sexuelles Paarglück gemacht wird. Am männlichen Funktionieren an Arbeitsplatz und im Bett hängt alles, so scheint es, aber die Frauen hat niemand gefragt, und sie sehen es auch oft anders. Wann, so fragt man sich bei der Lektüre, betrifft diese "Fitness" eigentlich einmal jemand anderes als den weißen Mittelschicht-Familienvater? Gibt es wirklich nur Jane Fonda, die mit ihren Aerobic-Videokassetten für einen ersten Bestseller dieses damals noch jungen Mediums sorgte, und ein paar vereinzelte Frauenrechtlerinnen? Oder hat es damit zu tun, dass der Autor vor allem zu Männlichkeitsbildern forscht?
Um Frauen geht es dann erst wieder, als von "Fat Activistm" die Rede ist, einer Bewegung, die sich weigert, Schlankheit und Gesundheit in einen direkten Zusammenhang zu stellen. Sie hebt sich damit vom Ideal des trainierten weiblichen Körpers ab, der als kraftvoll und emanzipiert gesehen wurde. So lässig kann man hundert Jahre Schlankheitsdiktat für weibliche Körper natürlich auch links liegen lassen und damit den ganzen Komplex dessen, wie Frauen in der Gesellschaft körperlich und physisch zu funktionieren hatten. Und man fragt sich allmählich, worauf diese Materialsammlung, immerhin mit äußerst umfangreichem Quellenverzeichnis, eigentlich hinausführen soll, die für eine Kulturgeschichte zu lückenhaft ist und für einen Essay zu wenig These und Eigenanteil bietet. Da wünschte man sich vom Autor doch noch etwas mehr Einordnung und Aufbereitung. So liest man also diese weiße Männer-Trimm-Geschichte und hat hinterher eine ganze Menge Fragen. Immerhin mehr, als man vor der Lektüre hatte, und das ist ja auch schon einmal etwas.
Jürgen Martschukat: "Das Zeitalter der Fitness." Wie der Körper zum Zeichen für Erfolg und Leistung wurde.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2019. 352 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Arbeit an den Körpern: Jürgen Martschukat versammelt Materialien zum Siegeszug der Fitness-Kultur.
Von Andrea Diener
Mitunter wünscht man sich, deutsche Sachbuchautoren würden sich ein paar Tugenden von angloamerikanischen Essayisten abschauen. Dann würden keine drögen, fußnotengesättigten Abhandlungen mehr erscheinen, sondern lesbare Texte, die auch vor eigenen Beobachtungen nicht zurückschrecken und sich dem Humor nicht vollends verschließen. Das gilt besonders dann, wenn das Thema es eigentlich nahelegt. "Das Zeitalter der Fitness" von Jürgen Martschukat gräbt in so herrlichem Material wie der Aerobicwelle der achtziger Jahre und den Instagram-Fitnessmodels der Gegenwart und referiert das Ganze dermaßen buchhalterisch herunter, dass man ziemlich bald keine Lust mehr hat. Dabei wollte der Autor, selbst ein begeisterter Radfahrer, so entnimmt man der Kurzbiographie im Klappentext, "als Historiker sein eigenes Tun einmal historisch-kritisch hinterfragen".
Ja, hätte er das mal besser getan. Denn die im Buch gewahrte Distanz zum Thema ist kontraproduktiv und der Sache nicht zuträglich. Fitness geht uns schließlich alle an, als Beteiligte oder als Unbeteiligte mit schlechtem Gewissen. Das Thema hat direkt mit männlichen und weiblichen Körperbildern zu tun, die ja neben der persönlichen Ebene immer auch politisch sind; es berührt die Popkultur an allen Ecken und Enden und bestimmt auch neoliberale Vorstellungen vom gesunden Leistungsträger. Viel Stoff also, der sortiert, eingeordnet und kommentiert sein will und idealerweise, der besseren Anschauung wegen, auch mitunter illustriert und zitiert. Der interessierte Leser muss sich jedoch gedulden, bis es zur Sache geht und auch Wiederholungen geduldig wegstecken. Denn vor jeder Begriffshistorie steht eine gründliche Begriffsdefinition. Was sagt die WHO zum Thema, was sagt Peter Sloterdijk, was sagt Arnold Schwarzenegger? Wie verhalten sich Trimm-Trab, Vereinssport und Bodybuilding zueinander?
Und dann hat die "Fitness" auch noch einen grundlegenden Bedeutungswandel hinter sich. Von Darwins "survival of the fittest", als Fitness noch einen statischen Zustand bedeutete, der einem Lebewesen zu dessen evolutionärem Vorteil gereichte oder eben nicht, wandelte sie sich zu einer Größe, die jeder mittels Selbstoptimierung regulieren können soll. Das reicht von Turnvater Jahn über gestählte Nazikörper bis zur Betriebssportgruppe: Vor allem der männliche Körper war lange eine ermattete, rauchende Problemzone mit Herzrhythmusstörungen, die zum Wohle der Gemeinschaft leistungsfähig oder kampfbereit gehalten werden musste; ein Anspruch, dem der weibliche Körper zunächst nicht unterlag.
Besonders zugespitzt ist die Zielgruppe für Viagra-Werbung, dem Mittel, das eine sexuelle Fitness unabhängig von Alter und psychischer Disposition verspricht. Hier ist vor allem der weiße, heterosexuelle Mann angesprochen, dessen physische Funktion alleinverantwortlich für sexuelles Paarglück gemacht wird. Am männlichen Funktionieren an Arbeitsplatz und im Bett hängt alles, so scheint es, aber die Frauen hat niemand gefragt, und sie sehen es auch oft anders. Wann, so fragt man sich bei der Lektüre, betrifft diese "Fitness" eigentlich einmal jemand anderes als den weißen Mittelschicht-Familienvater? Gibt es wirklich nur Jane Fonda, die mit ihren Aerobic-Videokassetten für einen ersten Bestseller dieses damals noch jungen Mediums sorgte, und ein paar vereinzelte Frauenrechtlerinnen? Oder hat es damit zu tun, dass der Autor vor allem zu Männlichkeitsbildern forscht?
Um Frauen geht es dann erst wieder, als von "Fat Activistm" die Rede ist, einer Bewegung, die sich weigert, Schlankheit und Gesundheit in einen direkten Zusammenhang zu stellen. Sie hebt sich damit vom Ideal des trainierten weiblichen Körpers ab, der als kraftvoll und emanzipiert gesehen wurde. So lässig kann man hundert Jahre Schlankheitsdiktat für weibliche Körper natürlich auch links liegen lassen und damit den ganzen Komplex dessen, wie Frauen in der Gesellschaft körperlich und physisch zu funktionieren hatten. Und man fragt sich allmählich, worauf diese Materialsammlung, immerhin mit äußerst umfangreichem Quellenverzeichnis, eigentlich hinausführen soll, die für eine Kulturgeschichte zu lückenhaft ist und für einen Essay zu wenig These und Eigenanteil bietet. Da wünschte man sich vom Autor doch noch etwas mehr Einordnung und Aufbereitung. So liest man also diese weiße Männer-Trimm-Geschichte und hat hinterher eine ganze Menge Fragen. Immerhin mehr, als man vor der Lektüre hatte, und das ist ja auch schon einmal etwas.
Jürgen Martschukat: "Das Zeitalter der Fitness." Wie der Körper zum Zeichen für Erfolg und Leistung wurde.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2019. 352 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Das Zeitalter der Fitness" ist originell, unterhaltsam und an den drängenden Fragen unserer Gegenwart orientiert. Mehr kann kritische Geschichtswissenschaft kaum leisten. Roman Kaiser-Mühlecker SWR2 20191212