Anja Golobs sorgfältig durchkomponierter Gedichtband ist eine intensive Auseinandersetzung mit dem Liebesschmerz, der Leere und Ungewissheit nach einer zerbrochenen Beziehung. Vorab steht ein Zyklus über die sechs Sinnesorgane, wodurch Golob den fünf bekannten (Auge, Ohr, Nase, Zunge, Finger) noch einen sechsten Sinn hinzufügt, der die vorangehenden vereint als eine Art Sammelplatz der emotionalen Zustände und der, anders als die andern Sinne, lange nachschwellt. Nur langsam lässt sich die Einheit aus konkreter Einsamkeit und Sehnsucht nach der einstigen Zweisamkeit mit der Partnerin auftrennen. Erst ab der Mitte des Bandes beginnt langsam die endgültige Abkehr von der Beziehung, und gleichzeitig vertieft sich die Krise rund um die nun endgültig verlorene Welt.In ihren Gedichten zeichnet Anja Golob nicht nur die Liebesschmerzen und den langwierigen Befreiungsprozess präzise nach, sondern macht dank ihrer Sprach- und Gestaltungskraft den Schmerz und seine verschiedenen Stadien fast physisch erfahrbar: durch harte Schnitte, zerrissene Verse, willkürlich getrennte Worte, insistierende Wortwiederholungen und in Klang- und Rhythmusvariationen.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Nico Bleutge gefallen die Gedichte der slowenischen Dichterin Anja Zag Golob über Trauer, Schmerz und Wut nach einer zerbrochenen Beziehung. Die Sprache, die die Autorin für diese Gefühle findet, überzeugt Bleutge zwar nicht immer, mitunter verliert sie sich in leeren Metaphern, doch im wesentlichen, vor allem, wenn der eigene Körper beobachtet wird, folgt Bleutge Golob gern. Am stärksten erscheint ihm die Autorin, wenn sie die Wandlungen der Wahrnehmung in die Sprache überträgt und zum Beispiel aus "Oha" das "Ohr" macht. Hier bedauert der Rezensent, es mit einer einsprachigen Ausgabe zu tun zu haben. Die Übertragungen von Liza Linde findet er allerdings tadellos.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.01.2023Schneide mir
das Ohr ab
Körperliche Schmerzen beim
Abschied einer großen Liebe:
Gedichte von Anja Zag Golob
Vermutlich sind wenige Erfahrungen so schmerzhaft wie das Ende einer langen Beziehung. Die Trauer und das Gefühl der Verletzung sind in jeder Faser des Körpers zu spüren. Doch so konkret der Schmerz auch sein mag – er lähmt zugleich das Denken und die Fähigkeit zu unterscheiden. „Leiden ist ein einziger langer Augenblick“, schrieb Oscar Wilde, „es kennt keine Jahreszeiten.“ Wenn man es mit der Sprache fassen will, scheint man plötzlich zurückgeworfen auf die allgemeinsten Begriffe.
An diesem Paradox arbeitet sich die slowenische Lyrikerin Anja Zag Golob in ihrem neuen Gedichtband ab. Ein geliebter Mensch ist gegangen. Die zurückbleibt, hat nur ihre Enttäuschung, ihre Wut – und ihre Sprache, mit der sie sich der Monotonie des „einzigen langen Augenblicks“ zunächst anzugleichen versucht: „dass nicht mehr kommen wird / dass nicht dass mich brennt / dass sprieße sprießt aber / nicht erwächst nicht austreibt“. Der Schmerz und das Sprechen über ihn bringen eine eigene Vorstellung von Körperlichkeit mit sich. Im Magen ist ein „harter stumpfer dunkler (...) stoff“ fühlbar, von der Straße hört man ein Tosen und sieht „das gleiten der farben ins grau“. Gleichzeitig drängen sich abstrakte Begriffe für die Erfahrungen auf, „gewaltige anstrengung“ oder „unbekannte schwere“.
Die Betonung des Körpers verbindet Anja Golobs Gedichte über Schmerz und Leere mit den Versen ihres vorherigen Bandes „Anweisungen zum Atmen“ (2018). Nicht von ungefähr ist der Schlusszyklus jenes Bandes auch im neuen Buch enthalten. Es sind hart gefügte Verse zu den menschlichen Sinnen. Doch nicht mit dem Fluchtpunkt euphorischer Beobachtungsmomente oder erfüllender Töne und Gerüche. Eher gleichen die Verse einem Gemetzel, als wolle die Sprecherin ihre Wahrnehmungsorgane, an denen der Schmerz ansetzt, eines nach dem anderen zerstören. „steche mir das auge aus“ heißt es da oder „schneide mir ab das ohr“. Und die Zunge, das Organ der Sprache? „beiße mir nicht drauf reiße sie mit den fingern raus“. So ist es nur konsequent, wenn die Zerstörung bis in die Sprache hinein reicht und Lücken in den Versen sichtbar werden: „unruhe dass ich sage____bevor ich denke____dass“.
Aber das Denken, für das alles „das gleiche“ ist, wird nach und nach zum Problem. In einigen Gedichten verliert sich Golob in leeren Sprachmetaphern: „da öffnet rede klappen / des schweigens da verweht wind / lärm des geredes da herrscht / schmutz der wörter“. Oder sie sagt am Ende des Gedichts wie in einer Zusammenfassung, was sie vorher schon detailliert in den Versen ausgefaltet hat. An solchen Stellen wirkt die „anstrengung des begriffs“, von der einmal die Rede ist, eher mühsam.
Viel intensiver bleiben jene Verse in Erinnerung, in denen Golob mit den Begriffen spielt und eigene Formulierungen für abstrakte Vorstellungen findet. „Zeit“ etwa ist hier nicht einfach eine Gedankenhülse, sondern sie verwandelt sich in eine mehrfach geschichtete und synästhetische Bewegung: „langsame verdichtung der zeitflocken um die spindel / der stille die sich dreht dunkler als sie pulsiert“. Andernorts überführt Golob die Trauer in metaphorische Felder, es mag eine Affenhorde sein, eine Insel, die aus dem Wasser aufsteigt, oder ein Körper, der mit seinen Überhängen und Schrunden wie ein Berg erscheint.
Am stärksten ist Golob, wo sie die Metamorphosen der Wahrnehmung in die Sprache einsenkt. So wird aus „oha“ das „ohr“, aus dem „segel“ das „siegel“ oder die „hasen“ werden zu „hachsen“. Es ist schade, dass die Ausgabe einsprachig ist und man diese Passagen nicht mit dem slowenischen Text vergleichen kann. Aber die Übersetzungen von Liza Linde machen einen überzeugenden Eindruck. Sie fängt Golobs schroffe Zeilenbrüche und den ruppigen Rhythmus ebenso ein wie die Cluster aus Klängen oder den Einsatz von Wiederholungen und Variationen. Auch die Vervielfachung der semantischen Bezüge, die sich dem Verzicht auf Interpunktion verdankt, ist in den deutschen Versionen spürbar.
Ähnelten Golobs Gedichte im letzten Band zuweilen einer „KAMPFANSAGE“ an Politik und soziale Schieflagen, so wirken sie nun wie ein „gummitwist mit bestie körper“. Einem Körper, dessen Lebendigkeit nicht zuletzt darin besteht, dass er Gefühle, Träume und Erinnerungen hat. Das ermöglicht Euphorie und die Hoffnung auf dauerhaftes Glück, aber zugleich vernichtenden Schmerz und Trauer. Diese Dialektik schreibt Anja Zag Golob am Ende ihres Bandes einer Reihe von Versen ein, die mit Negationen spielen: „nicht sprung flug / nicht schmetterling nicht / erträglichkeit / anspannungen im / kokon nicht weinen / bitterkeit / melancholie schildkröte“. Schmetterling oder Schildkröte – in diesen Gedichten gibt es immer beides.
NICO BLEUTGE
Statt der Politik den Kampf
anzusagen, tanzt die Dichterin
den „gummitwist mit bestie körper“
Anja Zag Golob:
dass nicht. Gedichte.
Aus dem Slowenischen von Liza Linde. Edition Korrespondenzen, Wien 2022. 76 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
das Ohr ab
Körperliche Schmerzen beim
Abschied einer großen Liebe:
Gedichte von Anja Zag Golob
Vermutlich sind wenige Erfahrungen so schmerzhaft wie das Ende einer langen Beziehung. Die Trauer und das Gefühl der Verletzung sind in jeder Faser des Körpers zu spüren. Doch so konkret der Schmerz auch sein mag – er lähmt zugleich das Denken und die Fähigkeit zu unterscheiden. „Leiden ist ein einziger langer Augenblick“, schrieb Oscar Wilde, „es kennt keine Jahreszeiten.“ Wenn man es mit der Sprache fassen will, scheint man plötzlich zurückgeworfen auf die allgemeinsten Begriffe.
An diesem Paradox arbeitet sich die slowenische Lyrikerin Anja Zag Golob in ihrem neuen Gedichtband ab. Ein geliebter Mensch ist gegangen. Die zurückbleibt, hat nur ihre Enttäuschung, ihre Wut – und ihre Sprache, mit der sie sich der Monotonie des „einzigen langen Augenblicks“ zunächst anzugleichen versucht: „dass nicht mehr kommen wird / dass nicht dass mich brennt / dass sprieße sprießt aber / nicht erwächst nicht austreibt“. Der Schmerz und das Sprechen über ihn bringen eine eigene Vorstellung von Körperlichkeit mit sich. Im Magen ist ein „harter stumpfer dunkler (...) stoff“ fühlbar, von der Straße hört man ein Tosen und sieht „das gleiten der farben ins grau“. Gleichzeitig drängen sich abstrakte Begriffe für die Erfahrungen auf, „gewaltige anstrengung“ oder „unbekannte schwere“.
Die Betonung des Körpers verbindet Anja Golobs Gedichte über Schmerz und Leere mit den Versen ihres vorherigen Bandes „Anweisungen zum Atmen“ (2018). Nicht von ungefähr ist der Schlusszyklus jenes Bandes auch im neuen Buch enthalten. Es sind hart gefügte Verse zu den menschlichen Sinnen. Doch nicht mit dem Fluchtpunkt euphorischer Beobachtungsmomente oder erfüllender Töne und Gerüche. Eher gleichen die Verse einem Gemetzel, als wolle die Sprecherin ihre Wahrnehmungsorgane, an denen der Schmerz ansetzt, eines nach dem anderen zerstören. „steche mir das auge aus“ heißt es da oder „schneide mir ab das ohr“. Und die Zunge, das Organ der Sprache? „beiße mir nicht drauf reiße sie mit den fingern raus“. So ist es nur konsequent, wenn die Zerstörung bis in die Sprache hinein reicht und Lücken in den Versen sichtbar werden: „unruhe dass ich sage____bevor ich denke____dass“.
Aber das Denken, für das alles „das gleiche“ ist, wird nach und nach zum Problem. In einigen Gedichten verliert sich Golob in leeren Sprachmetaphern: „da öffnet rede klappen / des schweigens da verweht wind / lärm des geredes da herrscht / schmutz der wörter“. Oder sie sagt am Ende des Gedichts wie in einer Zusammenfassung, was sie vorher schon detailliert in den Versen ausgefaltet hat. An solchen Stellen wirkt die „anstrengung des begriffs“, von der einmal die Rede ist, eher mühsam.
Viel intensiver bleiben jene Verse in Erinnerung, in denen Golob mit den Begriffen spielt und eigene Formulierungen für abstrakte Vorstellungen findet. „Zeit“ etwa ist hier nicht einfach eine Gedankenhülse, sondern sie verwandelt sich in eine mehrfach geschichtete und synästhetische Bewegung: „langsame verdichtung der zeitflocken um die spindel / der stille die sich dreht dunkler als sie pulsiert“. Andernorts überführt Golob die Trauer in metaphorische Felder, es mag eine Affenhorde sein, eine Insel, die aus dem Wasser aufsteigt, oder ein Körper, der mit seinen Überhängen und Schrunden wie ein Berg erscheint.
Am stärksten ist Golob, wo sie die Metamorphosen der Wahrnehmung in die Sprache einsenkt. So wird aus „oha“ das „ohr“, aus dem „segel“ das „siegel“ oder die „hasen“ werden zu „hachsen“. Es ist schade, dass die Ausgabe einsprachig ist und man diese Passagen nicht mit dem slowenischen Text vergleichen kann. Aber die Übersetzungen von Liza Linde machen einen überzeugenden Eindruck. Sie fängt Golobs schroffe Zeilenbrüche und den ruppigen Rhythmus ebenso ein wie die Cluster aus Klängen oder den Einsatz von Wiederholungen und Variationen. Auch die Vervielfachung der semantischen Bezüge, die sich dem Verzicht auf Interpunktion verdankt, ist in den deutschen Versionen spürbar.
Ähnelten Golobs Gedichte im letzten Band zuweilen einer „KAMPFANSAGE“ an Politik und soziale Schieflagen, so wirken sie nun wie ein „gummitwist mit bestie körper“. Einem Körper, dessen Lebendigkeit nicht zuletzt darin besteht, dass er Gefühle, Träume und Erinnerungen hat. Das ermöglicht Euphorie und die Hoffnung auf dauerhaftes Glück, aber zugleich vernichtenden Schmerz und Trauer. Diese Dialektik schreibt Anja Zag Golob am Ende ihres Bandes einer Reihe von Versen ein, die mit Negationen spielen: „nicht sprung flug / nicht schmetterling nicht / erträglichkeit / anspannungen im / kokon nicht weinen / bitterkeit / melancholie schildkröte“. Schmetterling oder Schildkröte – in diesen Gedichten gibt es immer beides.
NICO BLEUTGE
Statt der Politik den Kampf
anzusagen, tanzt die Dichterin
den „gummitwist mit bestie körper“
Anja Zag Golob:
dass nicht. Gedichte.
Aus dem Slowenischen von Liza Linde. Edition Korrespondenzen, Wien 2022. 76 Seiten, 20 Euro.
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