Das Thema Überwachung ist allgegenwärtig: Wir werden in der U-Bahn gefilmt, machen Privates auf Facebook öffentlich, Minidrohnen werden bald so billig sein, dass Neugierige ihre Nachbarn ausspionieren können. All das ist nicht nur für die Politik eine Herausforderung, sondern auch für die Soziologie. In dem in diesem Band dokumentierten Gespräch unternehmen Zygmunt Bauman und David Lyon, der Begründer der "Surveillance Studies", den Versuch, Foucaults Idee des Panopticons und Deleuze' Überlegungen zur Kontrollgesellschaft auf den neuesten Stand der Technik zu bringen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.11.2013Zu zweit erleichtert es sich leichter
Flüchtiger Gedankenaustausch über ein wichtiges Thema
Noch ein Un-Buch mit panoramischer Kulturkritik. Hier geht es auf den ganz einvernehmlichen Austausch von Mitteilungen, Meinungen und Mini-Analysen zurück - dieses Mal per E-Mail zwischen Großbritannien und Kanada. Die Lektüre ist umso enttäuschender, als die beiden Autoren unbestritten Koryphäen sind. Die Studien von Zygmunt Bauman über die rationalisierte Irrationalität der Moderne, für die der Holocaust nicht ein unerklärlicher Zivilisationsbruch, sondern die konsequente Ausformulierung eines ihrer Grundzüge ist, gehört zu den eindrucksvollsten Leistungen der soziologisch-ideengeschichtlichen Makroanalyse. David Lyon ist ein renommierter und sachkundiger "Überwachungsforscher" an der kanadischen Queen's University.
Das im Untertitel verwendete Adjektiv "flüchtig" ist nicht bedeutungsgleich mit "im Vorbeigehen". Vielmehr soll es einen Aggregatzustand unserer Kultur und Gesellschaft kennzeichnen, in dem Überwachung und Kontrolle jederzeit und allüberall vorkommen, aber nicht dingfest gemacht werden können. Aus dieser pessimistischen Lagebeurteilung leiten die Autoren eine ganze Phalanx lamentabler Verfallserscheinungen unserer Kultur ab.
Der gemeinsame Text besteht aber leider mehr aus gegenseitigem Schulterklopfen - "Genau richtig, David", "Vollkommen einverstanden, Zygmunt" - und aus pauschalisierter Kritik an der westlichen "Geständnisgesellschaft" respektive Kontrollgesellschaft als aus zupackender Analyse der zahlreichen von ihnen konstatierten Fehlentwicklungen. Überwachung aller Art betrachten die Autoren im Anschluss an Michel Foucault als einen Grundzug der Moderne. In den letzten Jahren habe die Entwicklung der Überwachungsstechnologien zu einem Sicherheitswahn geführt. Biometrische Verfahren und miniaturisierte Drohnen (die "gläsernen Bienen", von denen Ernst Jünger schon vor über 50 Jahren schrieb) würden ergänzt durch den Exhibitionismus in den sozialen Medien. Beides zusammen führe zu einem Verlust des moralischen Verantwortungssinns. Bauman nennt dies Adiaphorisierung, die vor allem auch in den jüngsten Formen hochtechnisierter Kriegführung zu beobachten sei.
Durch die sieben Kapitel des Bändchens zieht sich ein teils wütendes, teils resignierendes Unbehagen an der Entwicklung einer Moderne, die als zwanghafter, obsessiver und suchtartiger Verbesserungswahn gekennzeichnet wird. Die überall entstandenen Netzwerke übernähmen einen Teil der allumfassenden Überwachung. Damit liquidieren (verflüssigen?) sie die Freiheit, die in den Gemeinschaften von früher noch gut aufgehoben war. Die Sehnsucht nach früher, obwohl in den eigenen ideengeschichtlichen Ansätzen der Autoren eigentlich kein Platz für sie sein dürfte, motiviert diese zweistimmige Philippika. In letzter Zeit ist das ein beliebtes Genre geworden.
Mit diesem Genre gibt es aber ein Problem. Darauf stößt man auch hier, im abschließenden Kapitel "Was können wir tun, worauf hoffen?". Auf wortreiche Weise bleibt die Frage ohne Antwort. Dass Menschen trotz allen Drucks und gegen die Signale eines adiaphorisierten Milieus moralisch handeln können, wenn sie es wollen, und dass die Hoffnung, nun ja, als Letztes stirbt, das kann man jedenfalls nicht als überzeugende Antworten ansehen. Kulturkritik bringt leider immer nur falsche Erleichterungen. Deshalb gilt sie nicht.
WILFRIED VON BREDOW
Zygmunt Bauman/David Lyon: Daten, Drohnen, Disziplin. Ein Gespräch über flüchtige Überwachung. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 204 S., 16,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Flüchtiger Gedankenaustausch über ein wichtiges Thema
Noch ein Un-Buch mit panoramischer Kulturkritik. Hier geht es auf den ganz einvernehmlichen Austausch von Mitteilungen, Meinungen und Mini-Analysen zurück - dieses Mal per E-Mail zwischen Großbritannien und Kanada. Die Lektüre ist umso enttäuschender, als die beiden Autoren unbestritten Koryphäen sind. Die Studien von Zygmunt Bauman über die rationalisierte Irrationalität der Moderne, für die der Holocaust nicht ein unerklärlicher Zivilisationsbruch, sondern die konsequente Ausformulierung eines ihrer Grundzüge ist, gehört zu den eindrucksvollsten Leistungen der soziologisch-ideengeschichtlichen Makroanalyse. David Lyon ist ein renommierter und sachkundiger "Überwachungsforscher" an der kanadischen Queen's University.
Das im Untertitel verwendete Adjektiv "flüchtig" ist nicht bedeutungsgleich mit "im Vorbeigehen". Vielmehr soll es einen Aggregatzustand unserer Kultur und Gesellschaft kennzeichnen, in dem Überwachung und Kontrolle jederzeit und allüberall vorkommen, aber nicht dingfest gemacht werden können. Aus dieser pessimistischen Lagebeurteilung leiten die Autoren eine ganze Phalanx lamentabler Verfallserscheinungen unserer Kultur ab.
Der gemeinsame Text besteht aber leider mehr aus gegenseitigem Schulterklopfen - "Genau richtig, David", "Vollkommen einverstanden, Zygmunt" - und aus pauschalisierter Kritik an der westlichen "Geständnisgesellschaft" respektive Kontrollgesellschaft als aus zupackender Analyse der zahlreichen von ihnen konstatierten Fehlentwicklungen. Überwachung aller Art betrachten die Autoren im Anschluss an Michel Foucault als einen Grundzug der Moderne. In den letzten Jahren habe die Entwicklung der Überwachungsstechnologien zu einem Sicherheitswahn geführt. Biometrische Verfahren und miniaturisierte Drohnen (die "gläsernen Bienen", von denen Ernst Jünger schon vor über 50 Jahren schrieb) würden ergänzt durch den Exhibitionismus in den sozialen Medien. Beides zusammen führe zu einem Verlust des moralischen Verantwortungssinns. Bauman nennt dies Adiaphorisierung, die vor allem auch in den jüngsten Formen hochtechnisierter Kriegführung zu beobachten sei.
Durch die sieben Kapitel des Bändchens zieht sich ein teils wütendes, teils resignierendes Unbehagen an der Entwicklung einer Moderne, die als zwanghafter, obsessiver und suchtartiger Verbesserungswahn gekennzeichnet wird. Die überall entstandenen Netzwerke übernähmen einen Teil der allumfassenden Überwachung. Damit liquidieren (verflüssigen?) sie die Freiheit, die in den Gemeinschaften von früher noch gut aufgehoben war. Die Sehnsucht nach früher, obwohl in den eigenen ideengeschichtlichen Ansätzen der Autoren eigentlich kein Platz für sie sein dürfte, motiviert diese zweistimmige Philippika. In letzter Zeit ist das ein beliebtes Genre geworden.
Mit diesem Genre gibt es aber ein Problem. Darauf stößt man auch hier, im abschließenden Kapitel "Was können wir tun, worauf hoffen?". Auf wortreiche Weise bleibt die Frage ohne Antwort. Dass Menschen trotz allen Drucks und gegen die Signale eines adiaphorisierten Milieus moralisch handeln können, wenn sie es wollen, und dass die Hoffnung, nun ja, als Letztes stirbt, das kann man jedenfalls nicht als überzeugende Antworten ansehen. Kulturkritik bringt leider immer nur falsche Erleichterungen. Deshalb gilt sie nicht.
WILFRIED VON BREDOW
Zygmunt Bauman/David Lyon: Daten, Drohnen, Disziplin. Ein Gespräch über flüchtige Überwachung. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 204 S., 16,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Uwe Justus Wenzel liest diesen Band als "rhapsodische Vergegenwärtigung einiger Themen" des britisch-polnischen Soziologen Zygmunt Bauman. Das Gespräch zwischen Bauman und seinem Kollegen David Lyon, per Email geführt, bietet in seinen Augen eine Zeitdiagnostik der Überwachung. Wenzel räsoniert über Benthams panoptische Überwachungsarchitektur und Foucaults Weiterführung von Benthams Gedanken in Richtung einer Verinnerlichung von Überwachung und Selbstdiziplinierung. Er sieht Bauman an diese Überlegungen anknüpfen, wenn dieser in der gegenwärtigen Konsumkultur Anzeichen für eine "Do-it-yourself-Sklaverei" erkennt, eine Art freiwillige Unterwerfung unter die Überwachungs- und Kontrollmechanismen. Interessant scheint ihm Baumans Idee, diese Selbstunterwerfung mit dem menschlichen Bedürfnis nach Transzendenz in Beziehung zu setzen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Baumans Gespräch über die Mächte der Überwachung, den Sicherheitswahn und die Zumutungen einer 'Kontrollgesellschaft' liefert die Analyse zu einer Gesellschaft der Ausgelieferten, einer Ausgeliefertengesellschaft, zu der der Bürger seinen Teil auch freiwillig beiträgt.« Christian Thomas Frankfurter Rundschau 20130810