Der Mensch ist ein Wandernder. Ein Suchender. Ein Erforschender. Inspiriert von dieser Erkenntnis, hat der pensionierte Journalist Bernard Ollivier eine ungewöhnliche Idee: zu Fuß die Seidenstraße erleben. Das bedeutet, 12 000 km zwischen Istanbul und X ian zurückzulegen. Den ersten Teil seiner Reise beschreibt er in diesem Buch: seine Wanderung durch die Türkei, von Istanbul bis Do ubayaz t, kurz vor der iranischen Grenze, eine Strecke von gut 1700 km, für die er zwei Monate benötigt. Zu Fuß zu gehen bedeutet, hautnah mit dem Land in Berührung zu kommen. Aber auch mit sich selbst. Mit seinen Gedanken, Träumen und Zweifeln, denn nicht immer ist Ollivier vom Erfolg seines gewaltigen Unternehmens überzeugt. Mit diesem hervorragend und unprätentiös geschriebenen Reisebericht lässt er uns Tag für Tag und Schritt für Schritt teilhaben an den Gefahren und Glücksmomenten seines außergewöhnlichen Abenteuers.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.05.2012Ein Abenteurer mit Falten auf der Stirn
Spätestens in der Mitte des Buches beginnt man sich zu wundern. Bernard Ollivier war aufgebrochen, um zu Fuß die Seidenstraße abzulaufen. Eine Karte im Buch zeigt den Weg. Er begann in Istanbul, in der Mitte des Buches sind wir mit ihm in Sivas, mitten in der Türkei. Wie will der Franzose denn den Rest der Seidenstraße auf den verbleibenden Buchseiten schaffen? Bis wir merken, dass der dicke Schmöcker nur Band eins ist, der Rest soll wohl noch folgen, von Stambul nach Xi'an. Ob wir dies auch noch lesen werden, sei dahingestellt. Olliviers Aufbruch und seine Gründe sind sympathisch. Er ist Anfang sechzig, "in einer Übergangsphase", es verlangt ihn "nach Begegnungen". Er träumt von fernen Steppen, von Wind und Regen auf seinem Gesicht. Ganz richtig erkennt er, dass früher die abendländischen Reisenden junge Leute aus reichem Hause waren. Heute hätten die höhere Lebenserwartung und "Rente mit 60" (er ist Franzose) eine neue Art von Abenteurer hervorgebracht, solche wie er, mit Falten auf der Stirn. Allerdings läuft auf der Wanderung nicht alles wie geplant. Da fehlen in türkischen Dörfern die Wegweiser, er findet nicht immer gleich ein Hotel. Ollivier schreibt freundlich über seine Bekanntschaften. Aber es gibt nach den anfänglich erhellenden Gedanken nichts, was über das rein Beschreibende hinausweist. Immer wieder widmet er sich seinen Füßen, den Leser interessiert es sporadisch. Wie überhaupt das Ich dominant ist auf diesem Weg. Ollivier beschreibt selten, was er sieht, sondern beschreibt sich selbst im Dorf, auf dem Weg, mit den Menschen. Da macht der Koch nicht einfach etwas zu essen, sondern er kocht, "während ich dusche", er besucht einen Hamam und schreibt: "Endlich entspanne ich mich." Frauen lachen nicht nur, sondern er hört sie lachen. Ollivier liefert ein derart gefiltertes Bild seines Reiselandes, dass man sich allmählich fragt, ob ihn das Land interessiert oder mehr sein Ich in der Türkei. Etwas verärgert liest man das Buch zu Ende, verstimmt, dass diese Reise ins Morgenland in diesem Band nicht aus der Türkei hinausführt. Ollivier behauptet, vor ihm sei "noch niemand die ganze Seidenstraße zu Fuß gelaufen". Vermutlich ist das nur die eurozentristische Sicht aufs Morgenland. Entsprechend dem Ton, den er anschlägt, als er es mit Militärs zu tun bekommt. "Und Sie wollen in die Europäische Union?", blafft er sie an. Da brauchten sie wohl erst Nachhilfeunterricht über Menschenrechte. Eine echt französische Charmeoffensive, die sicher die Menschen in Anatolien überzeugt hat.
bär
"Dauerläufer. Auf dem Weg ins Morgenland" von Bernard Ollivier. Delius Klasing Verlag, Bielefeld 2011. 284 Seiten. Broschiert, 18 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Spätestens in der Mitte des Buches beginnt man sich zu wundern. Bernard Ollivier war aufgebrochen, um zu Fuß die Seidenstraße abzulaufen. Eine Karte im Buch zeigt den Weg. Er begann in Istanbul, in der Mitte des Buches sind wir mit ihm in Sivas, mitten in der Türkei. Wie will der Franzose denn den Rest der Seidenstraße auf den verbleibenden Buchseiten schaffen? Bis wir merken, dass der dicke Schmöcker nur Band eins ist, der Rest soll wohl noch folgen, von Stambul nach Xi'an. Ob wir dies auch noch lesen werden, sei dahingestellt. Olliviers Aufbruch und seine Gründe sind sympathisch. Er ist Anfang sechzig, "in einer Übergangsphase", es verlangt ihn "nach Begegnungen". Er träumt von fernen Steppen, von Wind und Regen auf seinem Gesicht. Ganz richtig erkennt er, dass früher die abendländischen Reisenden junge Leute aus reichem Hause waren. Heute hätten die höhere Lebenserwartung und "Rente mit 60" (er ist Franzose) eine neue Art von Abenteurer hervorgebracht, solche wie er, mit Falten auf der Stirn. Allerdings läuft auf der Wanderung nicht alles wie geplant. Da fehlen in türkischen Dörfern die Wegweiser, er findet nicht immer gleich ein Hotel. Ollivier schreibt freundlich über seine Bekanntschaften. Aber es gibt nach den anfänglich erhellenden Gedanken nichts, was über das rein Beschreibende hinausweist. Immer wieder widmet er sich seinen Füßen, den Leser interessiert es sporadisch. Wie überhaupt das Ich dominant ist auf diesem Weg. Ollivier beschreibt selten, was er sieht, sondern beschreibt sich selbst im Dorf, auf dem Weg, mit den Menschen. Da macht der Koch nicht einfach etwas zu essen, sondern er kocht, "während ich dusche", er besucht einen Hamam und schreibt: "Endlich entspanne ich mich." Frauen lachen nicht nur, sondern er hört sie lachen. Ollivier liefert ein derart gefiltertes Bild seines Reiselandes, dass man sich allmählich fragt, ob ihn das Land interessiert oder mehr sein Ich in der Türkei. Etwas verärgert liest man das Buch zu Ende, verstimmt, dass diese Reise ins Morgenland in diesem Band nicht aus der Türkei hinausführt. Ollivier behauptet, vor ihm sei "noch niemand die ganze Seidenstraße zu Fuß gelaufen". Vermutlich ist das nur die eurozentristische Sicht aufs Morgenland. Entsprechend dem Ton, den er anschlägt, als er es mit Militärs zu tun bekommt. "Und Sie wollen in die Europäische Union?", blafft er sie an. Da brauchten sie wohl erst Nachhilfeunterricht über Menschenrechte. Eine echt französische Charmeoffensive, die sicher die Menschen in Anatolien überzeugt hat.
bär
"Dauerläufer. Auf dem Weg ins Morgenland" von Bernard Ollivier. Delius Klasing Verlag, Bielefeld 2011. 284 Seiten. Broschiert, 18 Euro.
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