Irrwitzig, eindrücklich, abgründig. Raphaela Edelbauers Roman über Künstliche Intelligenz.
»Ein Geistesblitz von einem Roman!«
Denis Scheck, Druckfrisch (Das Erste), 24.01.2021
Was braucht es, um eine Maschine mit menschlichem Bewusstsein auszustatten? Den Programmierer Syz interessiert nichts so sehr wie die Beantwortung dieser Frage. Doch als er hinter die Kulissen des Labors blickt, gerät sein bedingungsloser Glaube an die Technik ins Wanken. Welchem Zweck dient DAVE wirklich und wer wird von ihm profitieren?
In der Welt von Syz dreht sich alles ums Programmieren. Geschlafen und gegessen wird hauptsächlich, um schnellstmöglich wieder in die Datenströme des Computers abzutauchen. Das Ziel des gesamten Labors ist nichts Geringeres als die Programmierung der ersten generellen Künstlichen Intelligenz, ausgestattet mit einer Höchstleistung an Rechenkraft und menschlichem Bewusstsein: DAVE. Dann allerdings bringen zwei Ereignisse Syz' geregeltes Leben ins Wanken. Erstens, Syz verliebt sich in eine junge Ärztin, und zweitens, DAVE droht ein Totalausfall. Der Strudel, in den Syz in der Folge gerät, katapultiert den Programmierer in unmittelbare Nähe der Machtzentrale. Während das Labor in blinder Technikgläubigkeit weiterhin auf die Verwirklichung der Künstlichen Superintelligenz hinarbeitet, taucht Syz tief in die Geschichte des Labors ein und versucht herauszufinden, wessen Interessen DAVE am Ende eigentlich dient. Nach dem großen Erfolg von »Das flüssige Land« legt Raphaela Edelbauer einen einzigartigen Roman über Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Künstlichen Intelligenz vor.
Ausgezeichnet mit dem Österreichischen Buchpreis 2021
Aus der Begründung der Jury:
Raphaela Edelbauer hat mit DAVE einen raffinierten Science-Fiction-Roman mit eingebauter Liebesgeschichte geschaffen, der nach den Gesetzen des Thrillers funktioniert. Dabei unterhält man sich nicht nur, sondern erfährt dank Edelbauers erstaunlicher Belesenheit viel über philosophische Debatten, Bewusstseins- und Gedächtnisforschung, Informatik und lernende Systeme, deren Heilsversprechen die Autorin spürbar misstraut. Denn der Weg zu einer schmerzlosen und total vernünftigen Gesellschaft nach dem Ebenbild des Computers führt durch Überwachung und Repression. Edelbauer erzählt elegant und pointiert, mit galligem Witz, Lust an der Anspielung und immer wieder verblüffenden Wendungen von der Ohnmacht des einzelnen in einer Diktatur der Weltverbesserer.
»Ein Geistesblitz von einem Roman!«
Denis Scheck, Druckfrisch (Das Erste), 24.01.2021
Was braucht es, um eine Maschine mit menschlichem Bewusstsein auszustatten? Den Programmierer Syz interessiert nichts so sehr wie die Beantwortung dieser Frage. Doch als er hinter die Kulissen des Labors blickt, gerät sein bedingungsloser Glaube an die Technik ins Wanken. Welchem Zweck dient DAVE wirklich und wer wird von ihm profitieren?
In der Welt von Syz dreht sich alles ums Programmieren. Geschlafen und gegessen wird hauptsächlich, um schnellstmöglich wieder in die Datenströme des Computers abzutauchen. Das Ziel des gesamten Labors ist nichts Geringeres als die Programmierung der ersten generellen Künstlichen Intelligenz, ausgestattet mit einer Höchstleistung an Rechenkraft und menschlichem Bewusstsein: DAVE. Dann allerdings bringen zwei Ereignisse Syz' geregeltes Leben ins Wanken. Erstens, Syz verliebt sich in eine junge Ärztin, und zweitens, DAVE droht ein Totalausfall. Der Strudel, in den Syz in der Folge gerät, katapultiert den Programmierer in unmittelbare Nähe der Machtzentrale. Während das Labor in blinder Technikgläubigkeit weiterhin auf die Verwirklichung der Künstlichen Superintelligenz hinarbeitet, taucht Syz tief in die Geschichte des Labors ein und versucht herauszufinden, wessen Interessen DAVE am Ende eigentlich dient. Nach dem großen Erfolg von »Das flüssige Land« legt Raphaela Edelbauer einen einzigartigen Roman über Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Künstlichen Intelligenz vor.
Ausgezeichnet mit dem Österreichischen Buchpreis 2021
Aus der Begründung der Jury:
Raphaela Edelbauer hat mit DAVE einen raffinierten Science-Fiction-Roman mit eingebauter Liebesgeschichte geschaffen, der nach den Gesetzen des Thrillers funktioniert. Dabei unterhält man sich nicht nur, sondern erfährt dank Edelbauers erstaunlicher Belesenheit viel über philosophische Debatten, Bewusstseins- und Gedächtnisforschung, Informatik und lernende Systeme, deren Heilsversprechen die Autorin spürbar misstraut. Denn der Weg zu einer schmerzlosen und total vernünftigen Gesellschaft nach dem Ebenbild des Computers führt durch Überwachung und Repression. Edelbauer erzählt elegant und pointiert, mit galligem Witz, Lust an der Anspielung und immer wieder verblüffenden Wendungen von der Ohnmacht des einzelnen in einer Diktatur der Weltverbesserer.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Raphaela Edelbauers Roman scheint Rezensentin Judith von Sternburg wie aus dem Lehrbuch fürs Romaneschreiben entsprungen - im allerbesten Sinne. Fesselnd und "frisch", so von Sternburg, verhandelt die Geschichte über den Programmierer Styx, dessen Gedächtnis der KI Dave eingepflanzt werden soll, die alte Frage danach, was Menschlichkeit ausmacht. Wie die österreichische Autorin ihr dystopisches Setting eines fensterlosen Labors in einer überbevölkerten und unübersichtlichen Welt aufbaut, findet die Kritikerin überzeugend beklemmend, und lobt auch, wie Edelbauer den Leser zuerst in Sicherheit wiegt, seine Position des Wissenden dann aber zunehmend unterläuft. Nicht zuletzt die kuriosen Sprachexperimente, die Edelbauer wagt, haben es der Rezensentin angetan. Ein Roman, der seine beunruhigende Wirkung durch schriftstellerisches Geschick voll entfaltet, lobt Sternburg.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.04.2021Schlechte Erfahrungen mit Intelligenz gemacht
Aber nicht im Fall dieses Buches selbst: Raphaela Edelbauers Science-Fiction-Roman "DAVE" verblüfft.
Ich mag keine Science-Fiction", sagt der Held dieses Science-Fiction-Romans und beweist damit Raphaela Edelbauers Fähigkeit zur Selbstironie. Wir befinden uns in einer nicht allzu fernen Zukunft, das System auf der Erde ist dank einer Bevölkerungszahl von achtzig Milliarden, ungebremster Klimaerwärmung und dramatischen Wassermangels kollabiert, ein knapp über der Erdoberfläche angedocktes sogenanntes Labor fungiert als Arche Noah von einiger Aufnahmekapazität: Exakt 118 998 Menschen bewohnen den Riesenbau.
Der Ich-Erzähler Syz, ein hochbegabter Mathematiker von Ende zwanzig mit ausgeprägtem Karriereknick, arbeitet als "Assistent in Arbeitsgruppe 2E, meistens Tagschicht, an Unterskriptprotokollen zur Rückkopplung von Pronomenroutinen". Damit ist er ein kleines Rädchen in einer gigantischen Maschinerie, die von einem einzigen quasireligiösen Zweck - man kann es nicht anders sagen - beseelt ist: der Hervorbringung einer der menschlichen machtvoll überlegenen Künstlichen Intelligenz.
Das Projekt hat bereits Formen angenommen, die Formen eines Rechners, der im Allerheiligsten des Labors thront: DAVE. Nach den Gesetzen der Science-Fiction müssten die Buchstaben des Namens für irgendetwas Bedeutsames stehen, das Akronym wird in Edelbauers Roman jedoch nicht aufgeschlüsselt. DAVEs synthetisches Bewusstsein soll sozusagen klassisch über die Entwicklung von Sprachfähigkeit funktionieren. Eine halbe Million "Skripts" existieren bereits, in denen die Mikrostrukturen komplexer Sprachprozesse erfasst werden sollen, ein Ende ist nicht absehbar.
DAVE soll aber nicht allein mit Fakten gefüttert, ein Persönlichkeitskern soll angereichert werden. Dafür brauchen die Hohepriester der KI-Kaste um den angeblich blinden, jedenfalls undurchsichtigen Laborleiter Fröhlich Material in Form menschlicher Erinnerungen - und die holen sie sich just bei Syz. In nächtlichen "Kopiesitzungen" muss er prägende Szenen seines Lebens erzählen, auf dass Leerstelle um Leerstelle der künftigen Computerpersönlichkeit "mit dem Stopfei meines Charakters geflickt" werde. Als Hauptperson einer hoch geheimen Aktion steigt Syz von seiner schäbigen Programmierer-WG in ein eigenes Apartment auf und bekommt das zehnfache Gehalt. Mit einem Mal bewegt er sich im Zentrum der Macht, das heißt: des Wissens und seiner Regulierung. Und weil es sich bei "DAVE" auch um einen veritablen Thriller handelt, bekommt ihm das nicht.
Vier Verse aus T. S. Eliots "Vier Quartetten", als Menetekel an die Wand geschrieben, geben am Beginn der Erzählung die Richtung einer Kreisbewegung vor: "We shall not cease from exploration / And the end of all our exploring / Will be to arrive where we started /And know the place for the first time." Das nennt man Umwegrentabilität, und auch Syz kommt in ihren Genuss, wenn auch anders, als er und seine Vorgesetzten sich das vorgestellt haben. Eine Rolle spielt dabei jedenfalls das vom Schriftsteller Philip K. Dick entworfene Konzept der "orthogonalen Zeit", in dem die Wirklichkeit sich jenseits der Linearität darstellt und dem Menschen erlaubt, sich an Ereignisse aus der Zukunft zu erinnern. So ergeht es Syz mit der faszinierenden Perserin Khatun. Ihr Gesicht, ihr Duft vermitteln ihm ein "inverses Déjà-vu", die Vorahnung einer künftigen Erinnerung an diesen Moment.
Überhaupt wird es kompliziert in dieser Liebesgeschichte, die damit beginnt, dass die beiden im Großraumbüro eine halbe Stunde stumm hintereinander im Kreis (!) gehen. Khatun, die als Ärztin mit Menschenkontakt nur knapp über dem Reinigungspersonal rangiert, glaubt als rebellische Natur nicht an DAVE, hat sie doch "mit der Intelligenz keine so guten Erfahrungen gemacht, bisher". Nachdem Syz Einblick in den Personalakt eines auf mysteriöse Weise verschwundenen genialen Vorgängers genommen hat, wird er verstehen, was sie damit meint.
Im Jahr 1871 hatte George Eliot in ihrem Epochenrundgemälde "Middlemarch" das politische, medizinische, ökonomische und religionsgeschichtliche Wissen ihrer Zeit ausgebreitet. Hundertfünfzig Jahre später ist solches im Roman nicht mehr zu leisten und jene Nonchalance wissbegieriger Belehrung kaum zu erreichen. Für den Komplex der lernenden Systeme, der Informatik, der Bewusstseins- und Gedächtnisforschung ist dies Raphaela Edelbauer jedoch erstaunlich gut gelungen. Ob es um den Logiker Alan Turing oder den Arzt Ernst von Feuchtersleben und seine "Diätetik der Seele" geht, um Heinrich Seuses Mystik oder Ciceros Merkmethode, um Hegel oder Wittgenstein, die Autorin hat sich aus der im weitesten Sinne einschlägigen Literatur offenkundig nicht bloß bedient, sie hat sie studiert und schöpft daraus mit erzählerischer Eleganz und Ökonomie.
Dass sie selbst den Heilsversprechen der Superintelligenz misstraut und vor allem die Frage nach deren Ethik stellt, erschließt sich aus der dystopischen Evidenz: Das Bestreben, Unvernunft, Gewalt und Leiden auf Erden abzuschaffen, führt zur Diktatur der Weltverbesserer. Wer nicht einzelne Probleme eliminieren will, "sondern die Idee des Problems an und für sich", der baut nicht den Computer nach dem Bild des Menschen, sondern die menschliche Gesellschaft nach dem Bild des Computers. So gleicht das fünfstöckige Labor zugleich einem Gehirn und einem Datenspeicher, ist ein "flimmernder Bienenstock", in dem die arbeitende Masse naturgemäß ein kärgliches Leben fristet, mit "Knircks Kargbrei", einer öden Nährstoffpampe, und ohne Schokolade (was an George Orwells "1984" erinnert, gewiss eine der Hintergrundfolien für diese Erzählung). Überwachung und Repression funktionieren in dieser erinnerten Zukunft der Humanoptimierer subtiler, ihre wahren Absichten sind besser getarnt, Fröhlichs "Aula der fröhlichen Menschen und Tiere" duldet gleichwohl kein Abweichen vom Pfad der Vervollkommnung.
Durch das Spiegelkabinett multipler Identitäten, leckender Gedächtnisräume und diffundierender Doppelgänger bewegt Edelbauer sich leichtfüßig, mitunter gar akrobatisch. Das unterhält ebenso wie der gallige Witz und die aufblitzende Lust am Wortspiel zwischen "Makellosigkeit" und "Makulatur", aber man lernt eben auch allerhand. Akteure und Akteurinnen gewinnen dabei allerdings kaum menschliche Plastizität, sie bleiben als Spielfiguren einer futuristischen Versuchsanordnung erkennbar - oder als wandelnde Chatbots, ein Systemfehler sozusagen. Am Ende erzwingt der Held dank der Spannungsdramaturgie des Thrillers doch noch unsere Anteilnahme, und die Rezensentin, die ihrerseits keine Science-Fiction mag, wundert sich über ihre treue Gefolgschaft. Und denkt an Ernst von Feuchterslebens Diktum von 1841: "Die Gegenstände an und für sich sind gleichgültig. Es kommt darauf an, wie sie sich zur Natur und Geisteskraft des Künstlers verhalten."
DANIELA STRIGL
Raphaela Edelbauer: "DAVE". Roman.
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2021. 432 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Aber nicht im Fall dieses Buches selbst: Raphaela Edelbauers Science-Fiction-Roman "DAVE" verblüfft.
Ich mag keine Science-Fiction", sagt der Held dieses Science-Fiction-Romans und beweist damit Raphaela Edelbauers Fähigkeit zur Selbstironie. Wir befinden uns in einer nicht allzu fernen Zukunft, das System auf der Erde ist dank einer Bevölkerungszahl von achtzig Milliarden, ungebremster Klimaerwärmung und dramatischen Wassermangels kollabiert, ein knapp über der Erdoberfläche angedocktes sogenanntes Labor fungiert als Arche Noah von einiger Aufnahmekapazität: Exakt 118 998 Menschen bewohnen den Riesenbau.
Der Ich-Erzähler Syz, ein hochbegabter Mathematiker von Ende zwanzig mit ausgeprägtem Karriereknick, arbeitet als "Assistent in Arbeitsgruppe 2E, meistens Tagschicht, an Unterskriptprotokollen zur Rückkopplung von Pronomenroutinen". Damit ist er ein kleines Rädchen in einer gigantischen Maschinerie, die von einem einzigen quasireligiösen Zweck - man kann es nicht anders sagen - beseelt ist: der Hervorbringung einer der menschlichen machtvoll überlegenen Künstlichen Intelligenz.
Das Projekt hat bereits Formen angenommen, die Formen eines Rechners, der im Allerheiligsten des Labors thront: DAVE. Nach den Gesetzen der Science-Fiction müssten die Buchstaben des Namens für irgendetwas Bedeutsames stehen, das Akronym wird in Edelbauers Roman jedoch nicht aufgeschlüsselt. DAVEs synthetisches Bewusstsein soll sozusagen klassisch über die Entwicklung von Sprachfähigkeit funktionieren. Eine halbe Million "Skripts" existieren bereits, in denen die Mikrostrukturen komplexer Sprachprozesse erfasst werden sollen, ein Ende ist nicht absehbar.
DAVE soll aber nicht allein mit Fakten gefüttert, ein Persönlichkeitskern soll angereichert werden. Dafür brauchen die Hohepriester der KI-Kaste um den angeblich blinden, jedenfalls undurchsichtigen Laborleiter Fröhlich Material in Form menschlicher Erinnerungen - und die holen sie sich just bei Syz. In nächtlichen "Kopiesitzungen" muss er prägende Szenen seines Lebens erzählen, auf dass Leerstelle um Leerstelle der künftigen Computerpersönlichkeit "mit dem Stopfei meines Charakters geflickt" werde. Als Hauptperson einer hoch geheimen Aktion steigt Syz von seiner schäbigen Programmierer-WG in ein eigenes Apartment auf und bekommt das zehnfache Gehalt. Mit einem Mal bewegt er sich im Zentrum der Macht, das heißt: des Wissens und seiner Regulierung. Und weil es sich bei "DAVE" auch um einen veritablen Thriller handelt, bekommt ihm das nicht.
Vier Verse aus T. S. Eliots "Vier Quartetten", als Menetekel an die Wand geschrieben, geben am Beginn der Erzählung die Richtung einer Kreisbewegung vor: "We shall not cease from exploration / And the end of all our exploring / Will be to arrive where we started /And know the place for the first time." Das nennt man Umwegrentabilität, und auch Syz kommt in ihren Genuss, wenn auch anders, als er und seine Vorgesetzten sich das vorgestellt haben. Eine Rolle spielt dabei jedenfalls das vom Schriftsteller Philip K. Dick entworfene Konzept der "orthogonalen Zeit", in dem die Wirklichkeit sich jenseits der Linearität darstellt und dem Menschen erlaubt, sich an Ereignisse aus der Zukunft zu erinnern. So ergeht es Syz mit der faszinierenden Perserin Khatun. Ihr Gesicht, ihr Duft vermitteln ihm ein "inverses Déjà-vu", die Vorahnung einer künftigen Erinnerung an diesen Moment.
Überhaupt wird es kompliziert in dieser Liebesgeschichte, die damit beginnt, dass die beiden im Großraumbüro eine halbe Stunde stumm hintereinander im Kreis (!) gehen. Khatun, die als Ärztin mit Menschenkontakt nur knapp über dem Reinigungspersonal rangiert, glaubt als rebellische Natur nicht an DAVE, hat sie doch "mit der Intelligenz keine so guten Erfahrungen gemacht, bisher". Nachdem Syz Einblick in den Personalakt eines auf mysteriöse Weise verschwundenen genialen Vorgängers genommen hat, wird er verstehen, was sie damit meint.
Im Jahr 1871 hatte George Eliot in ihrem Epochenrundgemälde "Middlemarch" das politische, medizinische, ökonomische und religionsgeschichtliche Wissen ihrer Zeit ausgebreitet. Hundertfünfzig Jahre später ist solches im Roman nicht mehr zu leisten und jene Nonchalance wissbegieriger Belehrung kaum zu erreichen. Für den Komplex der lernenden Systeme, der Informatik, der Bewusstseins- und Gedächtnisforschung ist dies Raphaela Edelbauer jedoch erstaunlich gut gelungen. Ob es um den Logiker Alan Turing oder den Arzt Ernst von Feuchtersleben und seine "Diätetik der Seele" geht, um Heinrich Seuses Mystik oder Ciceros Merkmethode, um Hegel oder Wittgenstein, die Autorin hat sich aus der im weitesten Sinne einschlägigen Literatur offenkundig nicht bloß bedient, sie hat sie studiert und schöpft daraus mit erzählerischer Eleganz und Ökonomie.
Dass sie selbst den Heilsversprechen der Superintelligenz misstraut und vor allem die Frage nach deren Ethik stellt, erschließt sich aus der dystopischen Evidenz: Das Bestreben, Unvernunft, Gewalt und Leiden auf Erden abzuschaffen, führt zur Diktatur der Weltverbesserer. Wer nicht einzelne Probleme eliminieren will, "sondern die Idee des Problems an und für sich", der baut nicht den Computer nach dem Bild des Menschen, sondern die menschliche Gesellschaft nach dem Bild des Computers. So gleicht das fünfstöckige Labor zugleich einem Gehirn und einem Datenspeicher, ist ein "flimmernder Bienenstock", in dem die arbeitende Masse naturgemäß ein kärgliches Leben fristet, mit "Knircks Kargbrei", einer öden Nährstoffpampe, und ohne Schokolade (was an George Orwells "1984" erinnert, gewiss eine der Hintergrundfolien für diese Erzählung). Überwachung und Repression funktionieren in dieser erinnerten Zukunft der Humanoptimierer subtiler, ihre wahren Absichten sind besser getarnt, Fröhlichs "Aula der fröhlichen Menschen und Tiere" duldet gleichwohl kein Abweichen vom Pfad der Vervollkommnung.
Durch das Spiegelkabinett multipler Identitäten, leckender Gedächtnisräume und diffundierender Doppelgänger bewegt Edelbauer sich leichtfüßig, mitunter gar akrobatisch. Das unterhält ebenso wie der gallige Witz und die aufblitzende Lust am Wortspiel zwischen "Makellosigkeit" und "Makulatur", aber man lernt eben auch allerhand. Akteure und Akteurinnen gewinnen dabei allerdings kaum menschliche Plastizität, sie bleiben als Spielfiguren einer futuristischen Versuchsanordnung erkennbar - oder als wandelnde Chatbots, ein Systemfehler sozusagen. Am Ende erzwingt der Held dank der Spannungsdramaturgie des Thrillers doch noch unsere Anteilnahme, und die Rezensentin, die ihrerseits keine Science-Fiction mag, wundert sich über ihre treue Gefolgschaft. Und denkt an Ernst von Feuchterslebens Diktum von 1841: "Die Gegenstände an und für sich sind gleichgültig. Es kommt darauf an, wie sie sich zur Natur und Geisteskraft des Künstlers verhalten."
DANIELA STRIGL
Raphaela Edelbauer: "DAVE". Roman.
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2021. 432 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Raphaela Edelbauer zündet in diesem Buch ein intellektuelles Feuerwerk, das philosophische Reflexion, Ironie und politische Satire verbindet und die großen Fragen zum Gegenstand hat, was uns Menschen ausmacht und ob man es in eine Maschine bringen kann.« Catrin Misselhorn, Süddeutsche Zeitung, 29. Dezember 2021 Catrin Misselhorn Süddeutsche Zeitung 20211229