Irrwitzig, eindrücklich, abgründig. Raphaela Edelbauers Roman über Künstliche Intelligenz.
»Ein Geistesblitz von einem Roman!«
Denis Scheck, Druckfrisch (Das Erste), 24.01.2021
Was braucht es, um eine Maschine mit menschlichem Bewusstsein auszustatten? Den Programmierer Syz interessiert nichts so sehr wie die Beantwortung dieser Frage. Doch als er hinter die Kulissen des Labors blickt, gerät sein bedingungsloser Glaube an die Technik ins Wanken. Welchem Zweck dient DAVE wirklich und wer wird von ihm profitieren?
In der Welt von Syz dreht sich alles ums Programmieren. Geschlafen und gegessen wird hauptsächlich, um schnellstmöglich wieder in die Datenströme des Computers abzutauchen. Das Ziel des gesamten Labors ist nichts Geringeres als die Programmierung der ersten generellen Künstlichen Intelligenz, ausgestattet mit einer Höchstleistung an Rechenkraft und menschlichem Bewusstsein: DAVE. Dann allerdings bringen zwei Ereignisse Syz' geregeltes Leben ins Wanken. Erstens, Syz verliebt sich in eine junge Ärztin, und zweitens, DAVE droht ein Totalausfall. Der Strudel, in den Syz in der Folge gerät, katapultiert den Programmierer in unmittelbare Nähe der Machtzentrale. Während das Labor in blinder Technikgläubigkeit weiterhin auf die Verwirklichung der Künstlichen Superintelligenz hinarbeitet, taucht Syz tief in die Geschichte des Labors ein und versucht herauszufinden, wessen Interessen DAVE am Ende eigentlich dient. Nach dem großen Erfolg von »Das flüssige Land« legt Raphaela Edelbauer einen einzigartigen Roman über Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Künstlichen Intelligenz vor.
Ausgezeichnet mit dem Österreichischen Buchpreis 2021
Aus der Begründung der Jury:
Raphaela Edelbauer hat mit DAVE einen raffinierten Science-Fiction-Roman mit eingebauter Liebesgeschichte geschaffen, der nach den Gesetzen des Thrillers funktioniert. Dabei unterhält man sich nicht nur, sondern erfährt dank Edelbauers erstaunlicher Belesenheit viel über philosophische Debatten, Bewusstseins- und Gedächtnisforschung, Informatik und lernende Systeme, deren Heilsversprechen die Autorin spürbar misstraut. Denn der Weg zu einer schmerzlosen und total vernünftigen Gesellschaft nach dem Ebenbild des Computers führt durch Überwachung und Repression. Edelbauer erzählt elegant und pointiert, mit galligem Witz, Lust an der Anspielung und immer wieder verblüffenden Wendungen von der Ohnmacht des einzelnen in einer Diktatur der Weltverbesserer.
»Ein Geistesblitz von einem Roman!«
Denis Scheck, Druckfrisch (Das Erste), 24.01.2021
Was braucht es, um eine Maschine mit menschlichem Bewusstsein auszustatten? Den Programmierer Syz interessiert nichts so sehr wie die Beantwortung dieser Frage. Doch als er hinter die Kulissen des Labors blickt, gerät sein bedingungsloser Glaube an die Technik ins Wanken. Welchem Zweck dient DAVE wirklich und wer wird von ihm profitieren?
In der Welt von Syz dreht sich alles ums Programmieren. Geschlafen und gegessen wird hauptsächlich, um schnellstmöglich wieder in die Datenströme des Computers abzutauchen. Das Ziel des gesamten Labors ist nichts Geringeres als die Programmierung der ersten generellen Künstlichen Intelligenz, ausgestattet mit einer Höchstleistung an Rechenkraft und menschlichem Bewusstsein: DAVE. Dann allerdings bringen zwei Ereignisse Syz' geregeltes Leben ins Wanken. Erstens, Syz verliebt sich in eine junge Ärztin, und zweitens, DAVE droht ein Totalausfall. Der Strudel, in den Syz in der Folge gerät, katapultiert den Programmierer in unmittelbare Nähe der Machtzentrale. Während das Labor in blinder Technikgläubigkeit weiterhin auf die Verwirklichung der Künstlichen Superintelligenz hinarbeitet, taucht Syz tief in die Geschichte des Labors ein und versucht herauszufinden, wessen Interessen DAVE am Ende eigentlich dient. Nach dem großen Erfolg von »Das flüssige Land« legt Raphaela Edelbauer einen einzigartigen Roman über Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Künstlichen Intelligenz vor.
Ausgezeichnet mit dem Österreichischen Buchpreis 2021
Aus der Begründung der Jury:
Raphaela Edelbauer hat mit DAVE einen raffinierten Science-Fiction-Roman mit eingebauter Liebesgeschichte geschaffen, der nach den Gesetzen des Thrillers funktioniert. Dabei unterhält man sich nicht nur, sondern erfährt dank Edelbauers erstaunlicher Belesenheit viel über philosophische Debatten, Bewusstseins- und Gedächtnisforschung, Informatik und lernende Systeme, deren Heilsversprechen die Autorin spürbar misstraut. Denn der Weg zu einer schmerzlosen und total vernünftigen Gesellschaft nach dem Ebenbild des Computers führt durch Überwachung und Repression. Edelbauer erzählt elegant und pointiert, mit galligem Witz, Lust an der Anspielung und immer wieder verblüffenden Wendungen von der Ohnmacht des einzelnen in einer Diktatur der Weltverbesserer.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Raphaela Edelbauers Roman scheint Rezensentin Judith von Sternburg wie aus dem Lehrbuch fürs Romaneschreiben entsprungen - im allerbesten Sinne. Fesselnd und "frisch", so von Sternburg, verhandelt die Geschichte über den Programmierer Styx, dessen Gedächtnis der KI Dave eingepflanzt werden soll, die alte Frage danach, was Menschlichkeit ausmacht. Wie die österreichische Autorin ihr dystopisches Setting eines fensterlosen Labors in einer überbevölkerten und unübersichtlichen Welt aufbaut, findet die Kritikerin überzeugend beklemmend, und lobt auch, wie Edelbauer den Leser zuerst in Sicherheit wiegt, seine Position des Wissenden dann aber zunehmend unterläuft. Nicht zuletzt die kuriosen Sprachexperimente, die Edelbauer wagt, haben es der Rezensentin angetan. Ein Roman, der seine beunruhigende Wirkung durch schriftstellerisches Geschick voll entfaltet, lobt Sternburg.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.03.2021Erinnerungen an
die Zukunft
Eine Welt ohne Ästhetik, Seele und Erotik:
Raphaela Edelbauer erzählt in „Dave“ von KI
VON ANDRIAN KREYE
Raphaela Edelbauer hat mit „Dave“ einen Roman geschrieben, der beeindruckend vorführt, was zum Handwerk der zeitgenössischen Literatur alles dazugehört. Ein geradezu geometrisches Gespür für Handlungsebenen und –stränge zum Beispiel, die auch ein Leserhirn aus der Reserve locken können, bei dem die Reizschwelle durch jahrelangen Konsum von Filmen und Serien mit immer komplexeren Dramaturgie-Origamis für schlichte Entwicklungen viel zu hoch liegt.
Außer einem rein politischen Bewusstsein wird inzwischen auch ein Verständnis aktueller und künftiger Technologien und Erkenntnisse der Wissenschaft verlangt. Sonst knicken die Handlungsebenen und –stränge schnell ein. Das gilt besonders, wenn es wie bei „Dave“ um künstliche Intelligenz geht, ein Thema, das sich für einen Roman gerade deswegen so gut eignet, weil schon die Debatte darum mit ihren ineinandergreifenden technischen, politischen, wissenschaftlichen und philosophischen Ebenen die Drehzahl jedes noch so überreizten Hirns hochfährt.
Und dann ist da noch das Gespür für pointierte Anspielungen, die der Quellcode der zeitgenössischen Popkultur sind und der Leser, Hörer und Zuschauer auch immer wieder in die Komfortzone des eigenen Bildungsschatzes zurückholt. Da reicht die traditionelle literarische Allgemeinbildung nicht mehr aus. Man muss heute auch noch den Popkulturkanon beherrschen, der sich fast stündlich erweitert.
All das und mehr steckt also in „Dave“. Das ist auch gut so, weil der Roman wie kaum ein anderer die Tristesse der digitalen Welt erfasst, die vor und hinter den Schirmen so freud- und trostlos ist wie sonst nur die Leere des Weltraums. Es ist eine Welt ohne Ästhetik, Seele und Erotik. Nicht nur im Roman. Daran haben auch die hübsch gestalteten Büromaschinen aus dem Hause Steve Jobs nie etwas geändert. Weswegen der erste Störfaktor im kristallklaren Handlungsraum in diesem Roman die Liebe ist. Edelbauer beschreibt mit bedrückender Präzision die klaustrophobische Wirkung der blassen Welt zwischen Codes und Zweckmöbeln.
Hauptfigur ist der Programmierer Syz, 28 Jahre alt und Teil eines vieltausendköpfigen Teams, das daran arbeitet, die künstliche Intelligenz Dave über die Schwelle der Singularität zu bringen. Also ein digitales Hirn zu schaffen, das dem Menschen überlegen ist. Syz lebt wie alle anderen, die an Dave arbeiten, im hermetischen Umfeld des Programmierlabors im mentalen Dauernebel des Coding Flows. Die Welt da draußen spielt keine Rolle. Sie ist auch viel zu kaputt. Die Welt da drinnen ist eine brutale Klassengesellschaft, in der das Programmiervolk in Kojen schläft, myriadenzeilenweise Code schreibt und „Knircks Kargbrei“ in sich hineinschaufelt, während die Wissenschaftlerkaste direkt am digitalen Hirn operiert und in vergleichbarem Luxus schwelgt, in dem es so wundersame Dinge gibt wie Gemüse, Käse, Trauben und Crème Brûlée.
Syz’ einzige Flucht ist die Literatur. Und dann kommt gleich zu Beginn die Ärztin Khatun Mnajouri ins Spiel. Trotz seiner nicht vorgesehenen Verknallung rückt Syz dann schon bald im Kastensystem auf. Er soll mitsamt seiner Geschichte, seinem Denken und seiner Erlebniswelt zu einer der Vorlagen werden, nach denen Daves Strukturen gestaltet werden. Zum persönlichen kommt auch bald schon der technische Störfall. Es wäre wie immer Spielverderberei, zu viel von der Handlung zu erzählen. Die aber ist ja nur eine der Ebenen, die das Lesen dieses Romans vorantreiben. Da sind noch Raphaela Edelbauers lakonisch-schwarzer Humor und ihre federnde Sprache (die Dame ist Österreicherin, um hier mal ein positives Vorurteil bestätigt zu wissen), die schon ihren ersten Roman „Das flüssige Land“ prägten. Ihr Spiel mit Anglizismen und Debatten. Die politische Analyse. Ihr Gespür, Neologismen zu erfinden, die weder gekünstelt noch kalauerig wirken. Statt der Identitäts-Zankereien der Gegenwart verrennen sich die Figuren in Schismen zwischen Transhumanisten und „Neoterranern“, die sich wiederum innerhalb ihrer Ideologien in Untersekten spalten, die wie in der digitalen Welt der Wirklichkeit auch religiöse Untertöne pflegen. Und dann ist da eben das Feuerwerk der Bezüge. „Solaris“, „Blade Runner“ und „2001“, „Schöne neue Welt“, „Fahrenheit 451“ und „Der Circle“, Frances Yates, Ludwig Wittgenstein und David Bowie – man wird schnell fündig und freut sich. Bei alledem ist „Dave“ keine süffige Science-Fiction. Es geht Edelbauer offenbar um mehr. Sie wagt sich an die Beschreibung einer Gegenwart, die sich permanent so anfühlt, als hätte sie einen Teil ihrer Zukunft schon durchlebt. Mag sein, dass dieses Moment von der Pandemie verstärkt wird, in der die Gegenwart nur noch eine Lücke zwischen einer mit jeder Lockdownwoche immer goldeneren Vergangenheit und einer Zukunft der immer leereren Versprechungen.
Edelbauer bringt das gleich zu Beginn am Ende der ersten Begegnung von Syz und Khatun Majouri auf einen sinnlichen Punkt: „Sie aber, in einer einzigen flüssigen Bewegung, schwang sich an meinem Arm vorbei und schloss mich in eine feste Umarmung. Ein Riss: Als ich Khatun Majouri zum ersten Mal roch, geschah mir etwas, das mir nie zuvor widerfahren war. Ich erinnerte mich wohl an etwas – doch nicht an etwas Geschehenes, sondern an die Zukunft; ihr Duft war ein Versprechen auf etwas, das ich noch mühselig an die Oberfläche zu zerren versuchte. Ein inverses Déjà-vu, das sich auflöste, nachdem Khatun sich umgedreht hatte und ungeahnt schnell im Aufzug verschwunden war.“
„Dave“ passt aber auch in seiner Geografie perfekt in die pandemische und digitale Gegenwart. Ohne den Planeten Erde als Schauplatz der Geschichte und des Lebens zwingt die Klaustrophobie der entmaterialisierten Arbeitswelt rund um die noch gar nicht so intelligente Superintelligenz die Erzählung in eine digitale Innerlichkeit, die sich sehr deutlich von der Innerlichkeit der deutschen Nachkriegsliteratur unterscheidet. Der Hyperpragmatismus und die allgegenwärtige Funktionalität dieser Welt steht der bleiernen Schwere Osteuropas zwischen Weltkrieg und Mauerfall in nichts nach. Das Digitale an sich legt sich da wie die Last eines autoritären Systems über die Menschen.
Die Bürokratisierung des Lebens im binären Code der Rechner ist in „Dave“ sehr viel bedrückender und bedrohlicher als die ominöse künstliche Intelligenz und ihre mögliche Macht. Das ist einem gar nicht so fremd. Die künstliche Intelligenz ist eben nicht die wesenshafte Bedrohung, die versucht, die Menschen zu vernichten oder zu versklaven, wie in so vielen Science-Fiction-Dystopien.
Es sind vielmehr all die Prozesse und Arbeitsgänge, die in den Aufbau des Maschinenwesens fließen, die ihre zerstörerische Wirkung entfalten. Sehr viel früher, als die KI eine irgendwie gestaltete Handlungsfähigkeit erreicht. So wird die Programmierung der Superintelligenz, die sich im wirklichen Leben auf Tausende Institute und Firmen verteilt, zu einem Kraftakt, der eher an den Bau der Pyramiden erinnert als nur an einen technischen Vorgang.
Wie jeder gute Zukunftsroman dreht auch „Dave“ also die Gegenwart nur schlüssig weiter. Man muss sich an die Realitäten dieser Welt ohnehin schon langsam gewöhnen, muss sich darin zurechtfinden. Im Kopf von Raphaela Edelbauer fällt das sehr viel leichter.
Die Handlung ist erst
glasklar, dann aber kommt
die Liebe dazwischen
Wie jeder gute Zukunftsroman
dreht „Dave“ die Gegenwart
nur schlüssig weiter
Raphaela Edelbauer:
Dave.
Roman. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2021,
431 Seiten, 25 Euro.
Nicht die Künstliche Intelligenz an sich ist gefährlich, sondern all die Prozesse und Arbeitsgänge, die in den Aufbau des Maschinenwesens fließen: Blick in einen Serverraum in Hamburg.
Foto: dpa
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
die Zukunft
Eine Welt ohne Ästhetik, Seele und Erotik:
Raphaela Edelbauer erzählt in „Dave“ von KI
VON ANDRIAN KREYE
Raphaela Edelbauer hat mit „Dave“ einen Roman geschrieben, der beeindruckend vorführt, was zum Handwerk der zeitgenössischen Literatur alles dazugehört. Ein geradezu geometrisches Gespür für Handlungsebenen und –stränge zum Beispiel, die auch ein Leserhirn aus der Reserve locken können, bei dem die Reizschwelle durch jahrelangen Konsum von Filmen und Serien mit immer komplexeren Dramaturgie-Origamis für schlichte Entwicklungen viel zu hoch liegt.
Außer einem rein politischen Bewusstsein wird inzwischen auch ein Verständnis aktueller und künftiger Technologien und Erkenntnisse der Wissenschaft verlangt. Sonst knicken die Handlungsebenen und –stränge schnell ein. Das gilt besonders, wenn es wie bei „Dave“ um künstliche Intelligenz geht, ein Thema, das sich für einen Roman gerade deswegen so gut eignet, weil schon die Debatte darum mit ihren ineinandergreifenden technischen, politischen, wissenschaftlichen und philosophischen Ebenen die Drehzahl jedes noch so überreizten Hirns hochfährt.
Und dann ist da noch das Gespür für pointierte Anspielungen, die der Quellcode der zeitgenössischen Popkultur sind und der Leser, Hörer und Zuschauer auch immer wieder in die Komfortzone des eigenen Bildungsschatzes zurückholt. Da reicht die traditionelle literarische Allgemeinbildung nicht mehr aus. Man muss heute auch noch den Popkulturkanon beherrschen, der sich fast stündlich erweitert.
All das und mehr steckt also in „Dave“. Das ist auch gut so, weil der Roman wie kaum ein anderer die Tristesse der digitalen Welt erfasst, die vor und hinter den Schirmen so freud- und trostlos ist wie sonst nur die Leere des Weltraums. Es ist eine Welt ohne Ästhetik, Seele und Erotik. Nicht nur im Roman. Daran haben auch die hübsch gestalteten Büromaschinen aus dem Hause Steve Jobs nie etwas geändert. Weswegen der erste Störfaktor im kristallklaren Handlungsraum in diesem Roman die Liebe ist. Edelbauer beschreibt mit bedrückender Präzision die klaustrophobische Wirkung der blassen Welt zwischen Codes und Zweckmöbeln.
Hauptfigur ist der Programmierer Syz, 28 Jahre alt und Teil eines vieltausendköpfigen Teams, das daran arbeitet, die künstliche Intelligenz Dave über die Schwelle der Singularität zu bringen. Also ein digitales Hirn zu schaffen, das dem Menschen überlegen ist. Syz lebt wie alle anderen, die an Dave arbeiten, im hermetischen Umfeld des Programmierlabors im mentalen Dauernebel des Coding Flows. Die Welt da draußen spielt keine Rolle. Sie ist auch viel zu kaputt. Die Welt da drinnen ist eine brutale Klassengesellschaft, in der das Programmiervolk in Kojen schläft, myriadenzeilenweise Code schreibt und „Knircks Kargbrei“ in sich hineinschaufelt, während die Wissenschaftlerkaste direkt am digitalen Hirn operiert und in vergleichbarem Luxus schwelgt, in dem es so wundersame Dinge gibt wie Gemüse, Käse, Trauben und Crème Brûlée.
Syz’ einzige Flucht ist die Literatur. Und dann kommt gleich zu Beginn die Ärztin Khatun Mnajouri ins Spiel. Trotz seiner nicht vorgesehenen Verknallung rückt Syz dann schon bald im Kastensystem auf. Er soll mitsamt seiner Geschichte, seinem Denken und seiner Erlebniswelt zu einer der Vorlagen werden, nach denen Daves Strukturen gestaltet werden. Zum persönlichen kommt auch bald schon der technische Störfall. Es wäre wie immer Spielverderberei, zu viel von der Handlung zu erzählen. Die aber ist ja nur eine der Ebenen, die das Lesen dieses Romans vorantreiben. Da sind noch Raphaela Edelbauers lakonisch-schwarzer Humor und ihre federnde Sprache (die Dame ist Österreicherin, um hier mal ein positives Vorurteil bestätigt zu wissen), die schon ihren ersten Roman „Das flüssige Land“ prägten. Ihr Spiel mit Anglizismen und Debatten. Die politische Analyse. Ihr Gespür, Neologismen zu erfinden, die weder gekünstelt noch kalauerig wirken. Statt der Identitäts-Zankereien der Gegenwart verrennen sich die Figuren in Schismen zwischen Transhumanisten und „Neoterranern“, die sich wiederum innerhalb ihrer Ideologien in Untersekten spalten, die wie in der digitalen Welt der Wirklichkeit auch religiöse Untertöne pflegen. Und dann ist da eben das Feuerwerk der Bezüge. „Solaris“, „Blade Runner“ und „2001“, „Schöne neue Welt“, „Fahrenheit 451“ und „Der Circle“, Frances Yates, Ludwig Wittgenstein und David Bowie – man wird schnell fündig und freut sich. Bei alledem ist „Dave“ keine süffige Science-Fiction. Es geht Edelbauer offenbar um mehr. Sie wagt sich an die Beschreibung einer Gegenwart, die sich permanent so anfühlt, als hätte sie einen Teil ihrer Zukunft schon durchlebt. Mag sein, dass dieses Moment von der Pandemie verstärkt wird, in der die Gegenwart nur noch eine Lücke zwischen einer mit jeder Lockdownwoche immer goldeneren Vergangenheit und einer Zukunft der immer leereren Versprechungen.
Edelbauer bringt das gleich zu Beginn am Ende der ersten Begegnung von Syz und Khatun Majouri auf einen sinnlichen Punkt: „Sie aber, in einer einzigen flüssigen Bewegung, schwang sich an meinem Arm vorbei und schloss mich in eine feste Umarmung. Ein Riss: Als ich Khatun Majouri zum ersten Mal roch, geschah mir etwas, das mir nie zuvor widerfahren war. Ich erinnerte mich wohl an etwas – doch nicht an etwas Geschehenes, sondern an die Zukunft; ihr Duft war ein Versprechen auf etwas, das ich noch mühselig an die Oberfläche zu zerren versuchte. Ein inverses Déjà-vu, das sich auflöste, nachdem Khatun sich umgedreht hatte und ungeahnt schnell im Aufzug verschwunden war.“
„Dave“ passt aber auch in seiner Geografie perfekt in die pandemische und digitale Gegenwart. Ohne den Planeten Erde als Schauplatz der Geschichte und des Lebens zwingt die Klaustrophobie der entmaterialisierten Arbeitswelt rund um die noch gar nicht so intelligente Superintelligenz die Erzählung in eine digitale Innerlichkeit, die sich sehr deutlich von der Innerlichkeit der deutschen Nachkriegsliteratur unterscheidet. Der Hyperpragmatismus und die allgegenwärtige Funktionalität dieser Welt steht der bleiernen Schwere Osteuropas zwischen Weltkrieg und Mauerfall in nichts nach. Das Digitale an sich legt sich da wie die Last eines autoritären Systems über die Menschen.
Die Bürokratisierung des Lebens im binären Code der Rechner ist in „Dave“ sehr viel bedrückender und bedrohlicher als die ominöse künstliche Intelligenz und ihre mögliche Macht. Das ist einem gar nicht so fremd. Die künstliche Intelligenz ist eben nicht die wesenshafte Bedrohung, die versucht, die Menschen zu vernichten oder zu versklaven, wie in so vielen Science-Fiction-Dystopien.
Es sind vielmehr all die Prozesse und Arbeitsgänge, die in den Aufbau des Maschinenwesens fließen, die ihre zerstörerische Wirkung entfalten. Sehr viel früher, als die KI eine irgendwie gestaltete Handlungsfähigkeit erreicht. So wird die Programmierung der Superintelligenz, die sich im wirklichen Leben auf Tausende Institute und Firmen verteilt, zu einem Kraftakt, der eher an den Bau der Pyramiden erinnert als nur an einen technischen Vorgang.
Wie jeder gute Zukunftsroman dreht auch „Dave“ also die Gegenwart nur schlüssig weiter. Man muss sich an die Realitäten dieser Welt ohnehin schon langsam gewöhnen, muss sich darin zurechtfinden. Im Kopf von Raphaela Edelbauer fällt das sehr viel leichter.
Die Handlung ist erst
glasklar, dann aber kommt
die Liebe dazwischen
Wie jeder gute Zukunftsroman
dreht „Dave“ die Gegenwart
nur schlüssig weiter
Raphaela Edelbauer:
Dave.
Roman. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2021,
431 Seiten, 25 Euro.
Nicht die Künstliche Intelligenz an sich ist gefährlich, sondern all die Prozesse und Arbeitsgänge, die in den Aufbau des Maschinenwesens fließen: Blick in einen Serverraum in Hamburg.
Foto: dpa
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.04.2021Schlechte Erfahrungen mit Intelligenz gemacht
Aber nicht im Fall dieses Buches selbst: Raphaela Edelbauers Science-Fiction-Roman "DAVE" verblüfft.
Ich mag keine Science-Fiction", sagt der Held dieses Science-Fiction-Romans und beweist damit Raphaela Edelbauers Fähigkeit zur Selbstironie. Wir befinden uns in einer nicht allzu fernen Zukunft, das System auf der Erde ist dank einer Bevölkerungszahl von achtzig Milliarden, ungebremster Klimaerwärmung und dramatischen Wassermangels kollabiert, ein knapp über der Erdoberfläche angedocktes sogenanntes Labor fungiert als Arche Noah von einiger Aufnahmekapazität: Exakt 118 998 Menschen bewohnen den Riesenbau.
Der Ich-Erzähler Syz, ein hochbegabter Mathematiker von Ende zwanzig mit ausgeprägtem Karriereknick, arbeitet als "Assistent in Arbeitsgruppe 2E, meistens Tagschicht, an Unterskriptprotokollen zur Rückkopplung von Pronomenroutinen". Damit ist er ein kleines Rädchen in einer gigantischen Maschinerie, die von einem einzigen quasireligiösen Zweck - man kann es nicht anders sagen - beseelt ist: der Hervorbringung einer der menschlichen machtvoll überlegenen Künstlichen Intelligenz.
Das Projekt hat bereits Formen angenommen, die Formen eines Rechners, der im Allerheiligsten des Labors thront: DAVE. Nach den Gesetzen der Science-Fiction müssten die Buchstaben des Namens für irgendetwas Bedeutsames stehen, das Akronym wird in Edelbauers Roman jedoch nicht aufgeschlüsselt. DAVEs synthetisches Bewusstsein soll sozusagen klassisch über die Entwicklung von Sprachfähigkeit funktionieren. Eine halbe Million "Skripts" existieren bereits, in denen die Mikrostrukturen komplexer Sprachprozesse erfasst werden sollen, ein Ende ist nicht absehbar.
DAVE soll aber nicht allein mit Fakten gefüttert, ein Persönlichkeitskern soll angereichert werden. Dafür brauchen die Hohepriester der KI-Kaste um den angeblich blinden, jedenfalls undurchsichtigen Laborleiter Fröhlich Material in Form menschlicher Erinnerungen - und die holen sie sich just bei Syz. In nächtlichen "Kopiesitzungen" muss er prägende Szenen seines Lebens erzählen, auf dass Leerstelle um Leerstelle der künftigen Computerpersönlichkeit "mit dem Stopfei meines Charakters geflickt" werde. Als Hauptperson einer hoch geheimen Aktion steigt Syz von seiner schäbigen Programmierer-WG in ein eigenes Apartment auf und bekommt das zehnfache Gehalt. Mit einem Mal bewegt er sich im Zentrum der Macht, das heißt: des Wissens und seiner Regulierung. Und weil es sich bei "DAVE" auch um einen veritablen Thriller handelt, bekommt ihm das nicht.
Vier Verse aus T. S. Eliots "Vier Quartetten", als Menetekel an die Wand geschrieben, geben am Beginn der Erzählung die Richtung einer Kreisbewegung vor: "We shall not cease from exploration / And the end of all our exploring / Will be to arrive where we started /And know the place for the first time." Das nennt man Umwegrentabilität, und auch Syz kommt in ihren Genuss, wenn auch anders, als er und seine Vorgesetzten sich das vorgestellt haben. Eine Rolle spielt dabei jedenfalls das vom Schriftsteller Philip K. Dick entworfene Konzept der "orthogonalen Zeit", in dem die Wirklichkeit sich jenseits der Linearität darstellt und dem Menschen erlaubt, sich an Ereignisse aus der Zukunft zu erinnern. So ergeht es Syz mit der faszinierenden Perserin Khatun. Ihr Gesicht, ihr Duft vermitteln ihm ein "inverses Déjà-vu", die Vorahnung einer künftigen Erinnerung an diesen Moment.
Überhaupt wird es kompliziert in dieser Liebesgeschichte, die damit beginnt, dass die beiden im Großraumbüro eine halbe Stunde stumm hintereinander im Kreis (!) gehen. Khatun, die als Ärztin mit Menschenkontakt nur knapp über dem Reinigungspersonal rangiert, glaubt als rebellische Natur nicht an DAVE, hat sie doch "mit der Intelligenz keine so guten Erfahrungen gemacht, bisher". Nachdem Syz Einblick in den Personalakt eines auf mysteriöse Weise verschwundenen genialen Vorgängers genommen hat, wird er verstehen, was sie damit meint.
Im Jahr 1871 hatte George Eliot in ihrem Epochenrundgemälde "Middlemarch" das politische, medizinische, ökonomische und religionsgeschichtliche Wissen ihrer Zeit ausgebreitet. Hundertfünfzig Jahre später ist solches im Roman nicht mehr zu leisten und jene Nonchalance wissbegieriger Belehrung kaum zu erreichen. Für den Komplex der lernenden Systeme, der Informatik, der Bewusstseins- und Gedächtnisforschung ist dies Raphaela Edelbauer jedoch erstaunlich gut gelungen. Ob es um den Logiker Alan Turing oder den Arzt Ernst von Feuchtersleben und seine "Diätetik der Seele" geht, um Heinrich Seuses Mystik oder Ciceros Merkmethode, um Hegel oder Wittgenstein, die Autorin hat sich aus der im weitesten Sinne einschlägigen Literatur offenkundig nicht bloß bedient, sie hat sie studiert und schöpft daraus mit erzählerischer Eleganz und Ökonomie.
Dass sie selbst den Heilsversprechen der Superintelligenz misstraut und vor allem die Frage nach deren Ethik stellt, erschließt sich aus der dystopischen Evidenz: Das Bestreben, Unvernunft, Gewalt und Leiden auf Erden abzuschaffen, führt zur Diktatur der Weltverbesserer. Wer nicht einzelne Probleme eliminieren will, "sondern die Idee des Problems an und für sich", der baut nicht den Computer nach dem Bild des Menschen, sondern die menschliche Gesellschaft nach dem Bild des Computers. So gleicht das fünfstöckige Labor zugleich einem Gehirn und einem Datenspeicher, ist ein "flimmernder Bienenstock", in dem die arbeitende Masse naturgemäß ein kärgliches Leben fristet, mit "Knircks Kargbrei", einer öden Nährstoffpampe, und ohne Schokolade (was an George Orwells "1984" erinnert, gewiss eine der Hintergrundfolien für diese Erzählung). Überwachung und Repression funktionieren in dieser erinnerten Zukunft der Humanoptimierer subtiler, ihre wahren Absichten sind besser getarnt, Fröhlichs "Aula der fröhlichen Menschen und Tiere" duldet gleichwohl kein Abweichen vom Pfad der Vervollkommnung.
Durch das Spiegelkabinett multipler Identitäten, leckender Gedächtnisräume und diffundierender Doppelgänger bewegt Edelbauer sich leichtfüßig, mitunter gar akrobatisch. Das unterhält ebenso wie der gallige Witz und die aufblitzende Lust am Wortspiel zwischen "Makellosigkeit" und "Makulatur", aber man lernt eben auch allerhand. Akteure und Akteurinnen gewinnen dabei allerdings kaum menschliche Plastizität, sie bleiben als Spielfiguren einer futuristischen Versuchsanordnung erkennbar - oder als wandelnde Chatbots, ein Systemfehler sozusagen. Am Ende erzwingt der Held dank der Spannungsdramaturgie des Thrillers doch noch unsere Anteilnahme, und die Rezensentin, die ihrerseits keine Science-Fiction mag, wundert sich über ihre treue Gefolgschaft. Und denkt an Ernst von Feuchterslebens Diktum von 1841: "Die Gegenstände an und für sich sind gleichgültig. Es kommt darauf an, wie sie sich zur Natur und Geisteskraft des Künstlers verhalten."
DANIELA STRIGL
Raphaela Edelbauer: "DAVE". Roman.
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2021. 432 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Aber nicht im Fall dieses Buches selbst: Raphaela Edelbauers Science-Fiction-Roman "DAVE" verblüfft.
Ich mag keine Science-Fiction", sagt der Held dieses Science-Fiction-Romans und beweist damit Raphaela Edelbauers Fähigkeit zur Selbstironie. Wir befinden uns in einer nicht allzu fernen Zukunft, das System auf der Erde ist dank einer Bevölkerungszahl von achtzig Milliarden, ungebremster Klimaerwärmung und dramatischen Wassermangels kollabiert, ein knapp über der Erdoberfläche angedocktes sogenanntes Labor fungiert als Arche Noah von einiger Aufnahmekapazität: Exakt 118 998 Menschen bewohnen den Riesenbau.
Der Ich-Erzähler Syz, ein hochbegabter Mathematiker von Ende zwanzig mit ausgeprägtem Karriereknick, arbeitet als "Assistent in Arbeitsgruppe 2E, meistens Tagschicht, an Unterskriptprotokollen zur Rückkopplung von Pronomenroutinen". Damit ist er ein kleines Rädchen in einer gigantischen Maschinerie, die von einem einzigen quasireligiösen Zweck - man kann es nicht anders sagen - beseelt ist: der Hervorbringung einer der menschlichen machtvoll überlegenen Künstlichen Intelligenz.
Das Projekt hat bereits Formen angenommen, die Formen eines Rechners, der im Allerheiligsten des Labors thront: DAVE. Nach den Gesetzen der Science-Fiction müssten die Buchstaben des Namens für irgendetwas Bedeutsames stehen, das Akronym wird in Edelbauers Roman jedoch nicht aufgeschlüsselt. DAVEs synthetisches Bewusstsein soll sozusagen klassisch über die Entwicklung von Sprachfähigkeit funktionieren. Eine halbe Million "Skripts" existieren bereits, in denen die Mikrostrukturen komplexer Sprachprozesse erfasst werden sollen, ein Ende ist nicht absehbar.
DAVE soll aber nicht allein mit Fakten gefüttert, ein Persönlichkeitskern soll angereichert werden. Dafür brauchen die Hohepriester der KI-Kaste um den angeblich blinden, jedenfalls undurchsichtigen Laborleiter Fröhlich Material in Form menschlicher Erinnerungen - und die holen sie sich just bei Syz. In nächtlichen "Kopiesitzungen" muss er prägende Szenen seines Lebens erzählen, auf dass Leerstelle um Leerstelle der künftigen Computerpersönlichkeit "mit dem Stopfei meines Charakters geflickt" werde. Als Hauptperson einer hoch geheimen Aktion steigt Syz von seiner schäbigen Programmierer-WG in ein eigenes Apartment auf und bekommt das zehnfache Gehalt. Mit einem Mal bewegt er sich im Zentrum der Macht, das heißt: des Wissens und seiner Regulierung. Und weil es sich bei "DAVE" auch um einen veritablen Thriller handelt, bekommt ihm das nicht.
Vier Verse aus T. S. Eliots "Vier Quartetten", als Menetekel an die Wand geschrieben, geben am Beginn der Erzählung die Richtung einer Kreisbewegung vor: "We shall not cease from exploration / And the end of all our exploring / Will be to arrive where we started /And know the place for the first time." Das nennt man Umwegrentabilität, und auch Syz kommt in ihren Genuss, wenn auch anders, als er und seine Vorgesetzten sich das vorgestellt haben. Eine Rolle spielt dabei jedenfalls das vom Schriftsteller Philip K. Dick entworfene Konzept der "orthogonalen Zeit", in dem die Wirklichkeit sich jenseits der Linearität darstellt und dem Menschen erlaubt, sich an Ereignisse aus der Zukunft zu erinnern. So ergeht es Syz mit der faszinierenden Perserin Khatun. Ihr Gesicht, ihr Duft vermitteln ihm ein "inverses Déjà-vu", die Vorahnung einer künftigen Erinnerung an diesen Moment.
Überhaupt wird es kompliziert in dieser Liebesgeschichte, die damit beginnt, dass die beiden im Großraumbüro eine halbe Stunde stumm hintereinander im Kreis (!) gehen. Khatun, die als Ärztin mit Menschenkontakt nur knapp über dem Reinigungspersonal rangiert, glaubt als rebellische Natur nicht an DAVE, hat sie doch "mit der Intelligenz keine so guten Erfahrungen gemacht, bisher". Nachdem Syz Einblick in den Personalakt eines auf mysteriöse Weise verschwundenen genialen Vorgängers genommen hat, wird er verstehen, was sie damit meint.
Im Jahr 1871 hatte George Eliot in ihrem Epochenrundgemälde "Middlemarch" das politische, medizinische, ökonomische und religionsgeschichtliche Wissen ihrer Zeit ausgebreitet. Hundertfünfzig Jahre später ist solches im Roman nicht mehr zu leisten und jene Nonchalance wissbegieriger Belehrung kaum zu erreichen. Für den Komplex der lernenden Systeme, der Informatik, der Bewusstseins- und Gedächtnisforschung ist dies Raphaela Edelbauer jedoch erstaunlich gut gelungen. Ob es um den Logiker Alan Turing oder den Arzt Ernst von Feuchtersleben und seine "Diätetik der Seele" geht, um Heinrich Seuses Mystik oder Ciceros Merkmethode, um Hegel oder Wittgenstein, die Autorin hat sich aus der im weitesten Sinne einschlägigen Literatur offenkundig nicht bloß bedient, sie hat sie studiert und schöpft daraus mit erzählerischer Eleganz und Ökonomie.
Dass sie selbst den Heilsversprechen der Superintelligenz misstraut und vor allem die Frage nach deren Ethik stellt, erschließt sich aus der dystopischen Evidenz: Das Bestreben, Unvernunft, Gewalt und Leiden auf Erden abzuschaffen, führt zur Diktatur der Weltverbesserer. Wer nicht einzelne Probleme eliminieren will, "sondern die Idee des Problems an und für sich", der baut nicht den Computer nach dem Bild des Menschen, sondern die menschliche Gesellschaft nach dem Bild des Computers. So gleicht das fünfstöckige Labor zugleich einem Gehirn und einem Datenspeicher, ist ein "flimmernder Bienenstock", in dem die arbeitende Masse naturgemäß ein kärgliches Leben fristet, mit "Knircks Kargbrei", einer öden Nährstoffpampe, und ohne Schokolade (was an George Orwells "1984" erinnert, gewiss eine der Hintergrundfolien für diese Erzählung). Überwachung und Repression funktionieren in dieser erinnerten Zukunft der Humanoptimierer subtiler, ihre wahren Absichten sind besser getarnt, Fröhlichs "Aula der fröhlichen Menschen und Tiere" duldet gleichwohl kein Abweichen vom Pfad der Vervollkommnung.
Durch das Spiegelkabinett multipler Identitäten, leckender Gedächtnisräume und diffundierender Doppelgänger bewegt Edelbauer sich leichtfüßig, mitunter gar akrobatisch. Das unterhält ebenso wie der gallige Witz und die aufblitzende Lust am Wortspiel zwischen "Makellosigkeit" und "Makulatur", aber man lernt eben auch allerhand. Akteure und Akteurinnen gewinnen dabei allerdings kaum menschliche Plastizität, sie bleiben als Spielfiguren einer futuristischen Versuchsanordnung erkennbar - oder als wandelnde Chatbots, ein Systemfehler sozusagen. Am Ende erzwingt der Held dank der Spannungsdramaturgie des Thrillers doch noch unsere Anteilnahme, und die Rezensentin, die ihrerseits keine Science-Fiction mag, wundert sich über ihre treue Gefolgschaft. Und denkt an Ernst von Feuchterslebens Diktum von 1841: "Die Gegenstände an und für sich sind gleichgültig. Es kommt darauf an, wie sie sich zur Natur und Geisteskraft des Künstlers verhalten."
DANIELA STRIGL
Raphaela Edelbauer: "DAVE". Roman.
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2021. 432 S., geb., 25,- [Euro].
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»Raphaela Edelbauer zündet in diesem Buch ein intellektuelles Feuerwerk, das philosophische Reflexion, Ironie und politische Satire verbindet und die großen Fragen zum Gegenstand hat, was uns Menschen ausmacht und ob man es in eine Maschine bringen kann.« Catrin Misselhorn, Süddeutsche Zeitung, 29. Dezember 2021 Catrin Misselhorn Süddeutsche Zeitung 20211229