Luna Moon, die mit extremer Kunst zwischen Porno, Avantgarde und Jetset Furore macht, wird in der Frankfurter Wohnung ihrer Halbschwester Sonja Slanski ermordet aufgefunden. Für Slanski steht fest, dass sie selbst das eigentliche Ziel war, denn mit ihrer Inkassofirma hat sie schon so manche halbseidene Karriere beendet ...
Außerdem geht Slanski dem Auftrag einer undurchsichtigen Society-Lady nach: Sie soll eine hochkriminelle Anwaltskanzlei ruinieren, egal, mit welchen Mitteln, da diese ihre Klientin um ein Patent betrogen haben soll. Slanski erledigt diesen Job ziemlich gründlich, wohl wissend, dass ihre Klientin die Ehefrau ihres Gelegenheitslovers ist ...
Sibylle Ruges unkonventionelles und glänzend geschriebenes Debüt ist messerscharfer Hard-Boiled-Thriller, intelligente Sozialkritik und vor allem beste Unterhaltung.
Außerdem geht Slanski dem Auftrag einer undurchsichtigen Society-Lady nach: Sie soll eine hochkriminelle Anwaltskanzlei ruinieren, egal, mit welchen Mitteln, da diese ihre Klientin um ein Patent betrogen haben soll. Slanski erledigt diesen Job ziemlich gründlich, wohl wissend, dass ihre Klientin die Ehefrau ihres Gelegenheitslovers ist ...
Sibylle Ruges unkonventionelles und glänzend geschriebenes Debüt ist messerscharfer Hard-Boiled-Thriller, intelligente Sozialkritik und vor allem beste Unterhaltung.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Dieser Roman ist eine Ansage", versichert Rezensent Hannes Hintermeier: Die in der DDR geborene, heute in der Schweiz lebende Textildesignerin Sybille Ruge will mit diesem Krimi die Nachfolge von Dashiell Hammett und Raymond Chandler antreten, glaubt er. Mit einer coolen, scharfen Sprache, Witz, viel Kapitalismuskritik und einer Privatdetektivin, die boxt, trinkt, einen russischen Oligarchen als Ziehvater hat und eine Affäre mit einem verheirateten Staatsanwalt. Die Ermittlungsarbeit ist hier nicht so wichtig, erklärt der Kritiker, die "Mechanismen der Konsumkritik" aber um so mehr. Ruge gibt ein irrwitziges Tempo vor, das sie auch durchhält. Manchmal wirkt das etwas gewollt, aber alles in allem findet der Kritiker diesen Debütroman gelungen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.08.2022Der letzte Schliff
Sybille Ruges Debüt "Davenport 160 x 90"
Aktuell gibt es den Tisch "Davenport" bei OBI nur in der Größe 160 mal 100 Zentimeter, aber immerhin - es gibt ihn. Und er ist Titelgeber für eines der überraschendsten Debüts deutscher Krimiproduktion der letzten Jahre. Aber an Sybille Ruges Roman ist nicht nur der Titel ungewöhnlich, sondern die überbordende Formulierungslust, das verschwenderische Sprachfeuerwerk. In der DDR geboren, lebt die frühere Schauspielerin heute in der Schweiz. Ihrer Arbeit als Textildesignerin geht sie in "The City of the Euro" nach. Und wo würde der Beruf ihrer Protagonistin besser hinpassen als nach Frankfurt am Main?
Die Icherzählerin Sonja Slanski, fünfunddreißig Jahre alt, mercedessternförmige Narbe unter dem rechten Auge, ist als Privatermittlerin eine Einzelgängerin. Sie hat einen russischen Oligarchen als Ziehvater, was gelegentlich hilfreich ist, denn ihr Büro für "Forderungsmanagement" operiert als Inkassofirma für gravierende Fälle regelmäßig jenseits der Legalität. Motto: "Konsequenz schafft Klarheit". Das Diplom an der Wand ist gefälscht. Die Rossi 971 Blue Steel 4 Inch Barrel ist echt.
Slanski lebt allein, sie boxt, trinkt Schweizer Wodka, kennt das Drogenmilieu und hat eine Affäre mit einem Anwalt, der nur als "A." vorgestellt wird. Da geht es nur um Sex nach Feierabend, nichts, was sie emotional anrühren würde. Mit Emotionen hat sie es als Vollwaise ohnehin nicht, davor soll sie ein dicker Panzer schützen, den sie um ihre sensible Seele gelegt hat. Sie liebt es, schnell und mit wenig Aufwand viel zu verdienen, obwohl sie sich von den Turbokapitalisten, von denen sie in Frankfurt umgeben ist, abgestoßen fühlt: "Je größer die Schweinereien, desto mehr Charity."
Eines Tages taucht Catherine Steiner auf, die gehörnte Ehefrau von A. Sie beauftragt Slanski, mit allen Mitteln eine Anwaltskanzlei zu ruinieren, von der sie sich um viel Geld betrogen fühlt. Sinnt Steiner in Wirklichkeit auf Rache gegenüber der Geliebten ihres Mannes? Zur gleichen Zeit zieht eine junge Frau in Slanskis Loft, Luna Moon, enigmatische Künstlerin im Graubereich zwischen Escortservice und Porno. Bald darauf ist sie tot, ermordet, und Slanski fragt sich, ob der Überfall womöglich ihr gegolten habe.
Obendrein stellt sich heraus, dass Luna eine Halbschwester Sonjas war. Das Bundeskriminalamt ermittelt, bietet ihr einen illegalen Job an, aber mit dem Staat möchte sich Slanski lieber nicht ins Bett legen, nur mit dem Kommissar, mit dem sie sich Flirtgefechte liefert. Sie übersiedelt ins gegenüberliegende Motel One, 9480 Euro für 120 Tage. "Kein Discount. Kein Telefon, keine Minibar, kein Schrank. Deswegen sind die Preise so gut." Als sie auscheckt, ist auch die Geschichte zu Ende, ist sogar ein Mordverdächtiger präsentiert worden.
Aber um Ermittlungsarbeit geht es im zeitgenössischen Krimi längst nicht mehr und in diesem schon gar nicht. Ruge seziert die Mechanismen des Konsumismus, aber sie tut es so überdreht, dass man ihrer Suada nicht trauen muss - selbst wenn man sie gern liest. Auch der Kunstbetrieb mit seinen bizarren Mechanismen bekommt sein Fett ab, am Menschlichsten erscheinen noch Migranten und Kriminelle, die noch nicht das Aufstiegsgesetz unserer Gesellschaft verinnerlicht haben.
Sybille Ruge möchte den Beweis antreten, dass Hammett und Chandler jetzt einen weiblichen Nachfolger haben - born in the GDR. Ihre Sprache ist cool, zynisch, scharf: "Rechtsanwalt Hoffer trug den Wertheim-Village-Outlet-Anzug, Schultern zu breit, Ärmel zu lang. Unsägliche Farbe, die mich an Ausscheidungen eines kranken Hundes erinnerte. Am Arsch sprangen die Doppelfalten wie Luftklappen einer Boeing ab. 100 % Sale."
Die Autorin verwurstet Goethe-Gedichte ebenso, wie sie ein Bekenntnis zu Heiner Müller ablegt. Sie drückt auf die Tube, wo immer es geht, nur keine Pointe auslassen ("Die Schweiz ist am schönsten als Käse abgepackt im Supermarkt"). Das wirkt auf Dauer forciert, da das Tempo aber anhaltend hoch ist und Ruge die Geschichte in der klassischen Länge von zweihundertfünfzig Seiten durchpeitscht, geht das Konzept auf. Dieser Roman ist eine Ansage. HANNES HINTERMEIER
Sybille Ruge: "Davenport 160 x 90". Roman.
Suhrkamp Verlag,
Berlin 2022.
264 S., br., 15.- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sybille Ruges Debüt "Davenport 160 x 90"
Aktuell gibt es den Tisch "Davenport" bei OBI nur in der Größe 160 mal 100 Zentimeter, aber immerhin - es gibt ihn. Und er ist Titelgeber für eines der überraschendsten Debüts deutscher Krimiproduktion der letzten Jahre. Aber an Sybille Ruges Roman ist nicht nur der Titel ungewöhnlich, sondern die überbordende Formulierungslust, das verschwenderische Sprachfeuerwerk. In der DDR geboren, lebt die frühere Schauspielerin heute in der Schweiz. Ihrer Arbeit als Textildesignerin geht sie in "The City of the Euro" nach. Und wo würde der Beruf ihrer Protagonistin besser hinpassen als nach Frankfurt am Main?
Die Icherzählerin Sonja Slanski, fünfunddreißig Jahre alt, mercedessternförmige Narbe unter dem rechten Auge, ist als Privatermittlerin eine Einzelgängerin. Sie hat einen russischen Oligarchen als Ziehvater, was gelegentlich hilfreich ist, denn ihr Büro für "Forderungsmanagement" operiert als Inkassofirma für gravierende Fälle regelmäßig jenseits der Legalität. Motto: "Konsequenz schafft Klarheit". Das Diplom an der Wand ist gefälscht. Die Rossi 971 Blue Steel 4 Inch Barrel ist echt.
Slanski lebt allein, sie boxt, trinkt Schweizer Wodka, kennt das Drogenmilieu und hat eine Affäre mit einem Anwalt, der nur als "A." vorgestellt wird. Da geht es nur um Sex nach Feierabend, nichts, was sie emotional anrühren würde. Mit Emotionen hat sie es als Vollwaise ohnehin nicht, davor soll sie ein dicker Panzer schützen, den sie um ihre sensible Seele gelegt hat. Sie liebt es, schnell und mit wenig Aufwand viel zu verdienen, obwohl sie sich von den Turbokapitalisten, von denen sie in Frankfurt umgeben ist, abgestoßen fühlt: "Je größer die Schweinereien, desto mehr Charity."
Eines Tages taucht Catherine Steiner auf, die gehörnte Ehefrau von A. Sie beauftragt Slanski, mit allen Mitteln eine Anwaltskanzlei zu ruinieren, von der sie sich um viel Geld betrogen fühlt. Sinnt Steiner in Wirklichkeit auf Rache gegenüber der Geliebten ihres Mannes? Zur gleichen Zeit zieht eine junge Frau in Slanskis Loft, Luna Moon, enigmatische Künstlerin im Graubereich zwischen Escortservice und Porno. Bald darauf ist sie tot, ermordet, und Slanski fragt sich, ob der Überfall womöglich ihr gegolten habe.
Obendrein stellt sich heraus, dass Luna eine Halbschwester Sonjas war. Das Bundeskriminalamt ermittelt, bietet ihr einen illegalen Job an, aber mit dem Staat möchte sich Slanski lieber nicht ins Bett legen, nur mit dem Kommissar, mit dem sie sich Flirtgefechte liefert. Sie übersiedelt ins gegenüberliegende Motel One, 9480 Euro für 120 Tage. "Kein Discount. Kein Telefon, keine Minibar, kein Schrank. Deswegen sind die Preise so gut." Als sie auscheckt, ist auch die Geschichte zu Ende, ist sogar ein Mordverdächtiger präsentiert worden.
Aber um Ermittlungsarbeit geht es im zeitgenössischen Krimi längst nicht mehr und in diesem schon gar nicht. Ruge seziert die Mechanismen des Konsumismus, aber sie tut es so überdreht, dass man ihrer Suada nicht trauen muss - selbst wenn man sie gern liest. Auch der Kunstbetrieb mit seinen bizarren Mechanismen bekommt sein Fett ab, am Menschlichsten erscheinen noch Migranten und Kriminelle, die noch nicht das Aufstiegsgesetz unserer Gesellschaft verinnerlicht haben.
Sybille Ruge möchte den Beweis antreten, dass Hammett und Chandler jetzt einen weiblichen Nachfolger haben - born in the GDR. Ihre Sprache ist cool, zynisch, scharf: "Rechtsanwalt Hoffer trug den Wertheim-Village-Outlet-Anzug, Schultern zu breit, Ärmel zu lang. Unsägliche Farbe, die mich an Ausscheidungen eines kranken Hundes erinnerte. Am Arsch sprangen die Doppelfalten wie Luftklappen einer Boeing ab. 100 % Sale."
Die Autorin verwurstet Goethe-Gedichte ebenso, wie sie ein Bekenntnis zu Heiner Müller ablegt. Sie drückt auf die Tube, wo immer es geht, nur keine Pointe auslassen ("Die Schweiz ist am schönsten als Käse abgepackt im Supermarkt"). Das wirkt auf Dauer forciert, da das Tempo aber anhaltend hoch ist und Ruge die Geschichte in der klassischen Länge von zweihundertfünfzig Seiten durchpeitscht, geht das Konzept auf. Dieser Roman ist eine Ansage. HANNES HINTERMEIER
Sybille Ruge: "Davenport 160 x 90". Roman.
Suhrkamp Verlag,
Berlin 2022.
264 S., br., 15.- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Dieser Roman ist eine Ansage.« Hannes Hintermeier Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 20220801