Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.01.2014Wie man gegen die Algorithmen der Macht gewinnt
Malcolm Gladwells jüngster Bestseller, "David und Goliath", soll Mut machen: Aus Nachteilen können Vorteile werden. Ein Treffen in Berlin.
Malcolm Gladwell ist in Berlin, der berühmte Sachbuchautor, ein Star seiner Branche. Er wohnt zwar im Soho House, aber es ist Fashion Week und der Platz knapp selbst für Stars, also ist Gladwell für unser Gespräch ausgewichen in ein Hotel ums Eck, wo er jetzt, in Turnschuhen, etwas verloren in einer riesigen Lounge auf der fünften Etage sitzt.
Sein neues Buch heißt "David und Goliath" und erzählt von Menschen, die aus den Nachteilen ihres Lebens - zu klein, zu arm, falsche Religion, Legasthenie - Vorteile machen konnten; die dank eines Mangels, oder weil man sie unterschätzte, reich wurden: reich an Widerstandskraft, an genialen Ideen oder einfach nur reich. Gladwell, geboren 1963, Sohn eines englischen Mathematikers und einer Familientherapeutin aus Jamaika, ist außerhalb von Toronto aufgewachsen und hat dort die Universität besucht. Er war also nicht in Harvard oder Yale, er beschreibt sich selbst als "skinny Canadian" auf Twitter - und doch hat er sich durchgesetzt in der amerikanischen Ostküsten-Elite, für deren Hausblatt, "The New Yorker", er seit 1992 schreibt. Ist "David und Goliath" auch ein autobiographisches Buch? - "Verführerisch, das so zu sehen", antwortet Gladwell, "aber nein. Ich komme aus Kanada." Er spricht es betont träge aus, Kah-nah-dah. "Da waren keine Widerstände in Sicht." Außerdem sei die Elite der Ostküste nicht so elitär, wie man glaube.
Auch in "David und Goliath" geht es um den Triumph der Eigensinnigkeit über die Regeln. Wobei Gladwells Erfolg mit jedem seiner Bücher berechenbarer wurde, was wie eine Pointe aus einem dieser Bücher wirkt: "David und Goliath", vor Wochen erschienen, steht aktuell auf dem zweiten Platz der "New York Times"-Bestsellerliste. Es hält sich dort oben wie alle anderen Titel seit "Tipping Point", mit dem Gladwell im Jahr 2000 berühmt wurde. Und auch diesmal bewirft Gladwell den Alltag mit Statistik: Kleine Schulklassen sind nicht besser als größere. Nicht jeder, der superklug ist, sollte an einer Elite-Uni studieren. Gladwell hat vielleicht nur einen Trick - das Erwartbare zu enttäuschen, das Landläufige zu entkräften: David konnte gar nicht anders als Goliath zu besiegen, denn wo sein Körper unterlegen war, hielt er mit dem Geist dagegen, er wich dem Nahkampf aus und haute den Riesen von weitem mit der Schleuder um. Kein Wunder, was da im Alten Testament passierte, sondern eine Haltungsfrage.
Aber dieser Trick, David selbst als Trickser zu entlarven und damit nicht nur eine Metapher, sondern auch einen Mythos umzuschreiben, ist letztlich eine journalistische Tugend: Den Meinungen nicht zu trauen, die schon im Umlauf sind, und dabei vor allem nicht zu langweilen. Man hat ihm vorgeworfen, sich in der Forschung zu bedienen, zu banalisieren, was andere komplex halten - aber wie schwer wiegt das, wenn er Millionen dazu bringt, freiwillig Tabellen zu studieren? Am Ende finden die ja vielleicht dabei heraus, dass Gladwell Stuss schreibt. Er wolle, sagt er jedenfalls, seinen Lesern das Denken erschweren. Auf die "Waffen des Geistes" komme es an. Und das sei auch die Pointe des neuen Buchs: "Nicht, wie gut eine Armee ausgerüstet ist, entscheidet, sondern wie sehr sie gewinnen will."
Zum Glück erzählt Gladwell häufiger vom Sport als vom Krieg. Das interessanteste Beispiel aus seinem neuen Buch handelt von einem Basketballteam zwölfjähriger Mädchen aus dem Silicon Valley, die kleiner waren als ihre Gegnerinnen, technisch weniger versiert, aber trotzdem gewannen: Sie änderten die Taktik, spielten hartes Pressing, worauf ihre großen, eleganteren Gegnerinnen keine Antwort wussten. Die Nerds hielten sich nicht an die Regeln, wie zwölfjährige Mädchen Basketball spielen sollten. Es gab zwar ein Modell, aber sie benahmen sich nicht so.
Man könnte auch sagen: Gladwells Helden setzen Algorithmen außer Kraft, indem sie ihre Gültigkeit ignorieren. Oder einen Weg drumherum suchen. Unweigerlich landet man deshalb im Internet, wenn man mit Gladwell redet, weil der, wo er nur schreibt, den freien, unberechenbaren, anarchistischen Geist beschwört. Warum aber schreibt er dann nur so selten über das Netz? "Es gibt schon so viele sehr gute Autoren, die das tun. Außerdem verliert man leicht aus dem Blick, wie radikal unreif das Internet noch ist. Ich bin mir nicht sicher, ob die Leute in fünf Jahren noch Facebook benutzen werden, aber wir behandeln diese Firma wie Mercedes Benz. Dabei hat es sie vor zehn Jahren noch nicht gegeben, und vielleicht tut sie das schon in fünf Jahren nicht mehr. Schwierig, unser Verhältnis da jetzt schon zu bestimmen."
Aber die sozialen Medien wird es doch in fünf Jahren noch geben? "Schon. Aber schauen Sie sich Twitter an: Aus einem Massenphänomen ist ein Elitenphänomen geworden. Ich folge einigen Comedy-Autoren aus Hollywood, seitdem versuche ich keine lustigen Tweets mehr, weil ich nicht mithalten kann. Twitter, hat man geglaubt, würde den Machtlosen zur Macht verhelfen, stattdessen wird es jetzt von den Mächtigen kolonisiert."
Wo wir schon bei der Kolonisierung des Internets sind: Eigentlich wäre Edward Snowden doch ein idealer Kandidat für die Geschichte vom David gewesen, der den Goliath NSA zum Schwanken bringt? "Die Sache ging los, als ich mit meinem Buch fertig war", sagt Gladwell. "Aber selbst wenn, hätte ich nicht über Snowden geschrieben. Er benutzt zwar exakt Davids Strategie, er wählt den Regelverstoß, weil ihm nichts anderes übrigbleibt und ihm die formale Autorität fehlt. Aber ich finde einfach, dass man Geheimnisse nicht verraten sollte. Was Snowden getan hat, war nicht konstruktiv. Ich glaube auch nicht, dass es richtig war, den Sowjets zu verraten, was wir über sie wissen - wie sollte das helfen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen?"
Aber Snowden hat doch nicht nur militärische Geheimnisse aufgedeckt, sondern vor allem, in welchem Ausmaß Geheimdienste ganz normale Menschen überwachen! "Ich bin froh, dass er das aufgedeckt hat. Aber bevor ich mir eine Meinung bilde, wüsste ich gern, was für Konsequenzen es haben wird. Kein Mensch weiß das, von den amerikanischen Sicherheitskräften mal abgesehen. Und bis klar ist, ob es mehr geholfen als geschadet hat, sitze ich lieber auf dem Zaun und schaue zu."
Vielleicht, sagt Gladwell dann noch, "wäre es anders, wenn ich Deutscher wäre und erfahren hätte, dass die NSA das Handy meiner Kanzlerin abhört. Wer weiß, vielleicht hat die NSA ja auch Obamas Handy abgehört? Überraschen würde es mich nicht." Es überrascht eher, wie konventionell diese Antwort ausfällt bei einem Autor, der Konventionen ständig widerlegen will. Als Beispiel für asymmetrische Konflikte wie dem zwischen David und Goliath, für Kämpfe, wo der Kleine den Großen empfindlich trifft, wieder und wieder, ist Gladwell nicht in den Irak gegangen oder nach Afghanistan, sondern nach Nordirland. "Ich schreibe vor allem für ein amerikanisches Publikum", sagt Malcolm Gladwell. "In dem Moment, in dem ich mich in einer aktuellen Debatte aber auf eine bestimmte Seite schlage, bin ich bei der anderen Seite unten durch." So unpolitisch seine Bücher oft wirken, so politisch sind sie deswegen aber. Fast eine Pointe wie aus einem Buch von Malcolm Gladwell.
TOBIAS RÜTHER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Malcolm Gladwells jüngster Bestseller, "David und Goliath", soll Mut machen: Aus Nachteilen können Vorteile werden. Ein Treffen in Berlin.
Malcolm Gladwell ist in Berlin, der berühmte Sachbuchautor, ein Star seiner Branche. Er wohnt zwar im Soho House, aber es ist Fashion Week und der Platz knapp selbst für Stars, also ist Gladwell für unser Gespräch ausgewichen in ein Hotel ums Eck, wo er jetzt, in Turnschuhen, etwas verloren in einer riesigen Lounge auf der fünften Etage sitzt.
Sein neues Buch heißt "David und Goliath" und erzählt von Menschen, die aus den Nachteilen ihres Lebens - zu klein, zu arm, falsche Religion, Legasthenie - Vorteile machen konnten; die dank eines Mangels, oder weil man sie unterschätzte, reich wurden: reich an Widerstandskraft, an genialen Ideen oder einfach nur reich. Gladwell, geboren 1963, Sohn eines englischen Mathematikers und einer Familientherapeutin aus Jamaika, ist außerhalb von Toronto aufgewachsen und hat dort die Universität besucht. Er war also nicht in Harvard oder Yale, er beschreibt sich selbst als "skinny Canadian" auf Twitter - und doch hat er sich durchgesetzt in der amerikanischen Ostküsten-Elite, für deren Hausblatt, "The New Yorker", er seit 1992 schreibt. Ist "David und Goliath" auch ein autobiographisches Buch? - "Verführerisch, das so zu sehen", antwortet Gladwell, "aber nein. Ich komme aus Kanada." Er spricht es betont träge aus, Kah-nah-dah. "Da waren keine Widerstände in Sicht." Außerdem sei die Elite der Ostküste nicht so elitär, wie man glaube.
Auch in "David und Goliath" geht es um den Triumph der Eigensinnigkeit über die Regeln. Wobei Gladwells Erfolg mit jedem seiner Bücher berechenbarer wurde, was wie eine Pointe aus einem dieser Bücher wirkt: "David und Goliath", vor Wochen erschienen, steht aktuell auf dem zweiten Platz der "New York Times"-Bestsellerliste. Es hält sich dort oben wie alle anderen Titel seit "Tipping Point", mit dem Gladwell im Jahr 2000 berühmt wurde. Und auch diesmal bewirft Gladwell den Alltag mit Statistik: Kleine Schulklassen sind nicht besser als größere. Nicht jeder, der superklug ist, sollte an einer Elite-Uni studieren. Gladwell hat vielleicht nur einen Trick - das Erwartbare zu enttäuschen, das Landläufige zu entkräften: David konnte gar nicht anders als Goliath zu besiegen, denn wo sein Körper unterlegen war, hielt er mit dem Geist dagegen, er wich dem Nahkampf aus und haute den Riesen von weitem mit der Schleuder um. Kein Wunder, was da im Alten Testament passierte, sondern eine Haltungsfrage.
Aber dieser Trick, David selbst als Trickser zu entlarven und damit nicht nur eine Metapher, sondern auch einen Mythos umzuschreiben, ist letztlich eine journalistische Tugend: Den Meinungen nicht zu trauen, die schon im Umlauf sind, und dabei vor allem nicht zu langweilen. Man hat ihm vorgeworfen, sich in der Forschung zu bedienen, zu banalisieren, was andere komplex halten - aber wie schwer wiegt das, wenn er Millionen dazu bringt, freiwillig Tabellen zu studieren? Am Ende finden die ja vielleicht dabei heraus, dass Gladwell Stuss schreibt. Er wolle, sagt er jedenfalls, seinen Lesern das Denken erschweren. Auf die "Waffen des Geistes" komme es an. Und das sei auch die Pointe des neuen Buchs: "Nicht, wie gut eine Armee ausgerüstet ist, entscheidet, sondern wie sehr sie gewinnen will."
Zum Glück erzählt Gladwell häufiger vom Sport als vom Krieg. Das interessanteste Beispiel aus seinem neuen Buch handelt von einem Basketballteam zwölfjähriger Mädchen aus dem Silicon Valley, die kleiner waren als ihre Gegnerinnen, technisch weniger versiert, aber trotzdem gewannen: Sie änderten die Taktik, spielten hartes Pressing, worauf ihre großen, eleganteren Gegnerinnen keine Antwort wussten. Die Nerds hielten sich nicht an die Regeln, wie zwölfjährige Mädchen Basketball spielen sollten. Es gab zwar ein Modell, aber sie benahmen sich nicht so.
Man könnte auch sagen: Gladwells Helden setzen Algorithmen außer Kraft, indem sie ihre Gültigkeit ignorieren. Oder einen Weg drumherum suchen. Unweigerlich landet man deshalb im Internet, wenn man mit Gladwell redet, weil der, wo er nur schreibt, den freien, unberechenbaren, anarchistischen Geist beschwört. Warum aber schreibt er dann nur so selten über das Netz? "Es gibt schon so viele sehr gute Autoren, die das tun. Außerdem verliert man leicht aus dem Blick, wie radikal unreif das Internet noch ist. Ich bin mir nicht sicher, ob die Leute in fünf Jahren noch Facebook benutzen werden, aber wir behandeln diese Firma wie Mercedes Benz. Dabei hat es sie vor zehn Jahren noch nicht gegeben, und vielleicht tut sie das schon in fünf Jahren nicht mehr. Schwierig, unser Verhältnis da jetzt schon zu bestimmen."
Aber die sozialen Medien wird es doch in fünf Jahren noch geben? "Schon. Aber schauen Sie sich Twitter an: Aus einem Massenphänomen ist ein Elitenphänomen geworden. Ich folge einigen Comedy-Autoren aus Hollywood, seitdem versuche ich keine lustigen Tweets mehr, weil ich nicht mithalten kann. Twitter, hat man geglaubt, würde den Machtlosen zur Macht verhelfen, stattdessen wird es jetzt von den Mächtigen kolonisiert."
Wo wir schon bei der Kolonisierung des Internets sind: Eigentlich wäre Edward Snowden doch ein idealer Kandidat für die Geschichte vom David gewesen, der den Goliath NSA zum Schwanken bringt? "Die Sache ging los, als ich mit meinem Buch fertig war", sagt Gladwell. "Aber selbst wenn, hätte ich nicht über Snowden geschrieben. Er benutzt zwar exakt Davids Strategie, er wählt den Regelverstoß, weil ihm nichts anderes übrigbleibt und ihm die formale Autorität fehlt. Aber ich finde einfach, dass man Geheimnisse nicht verraten sollte. Was Snowden getan hat, war nicht konstruktiv. Ich glaube auch nicht, dass es richtig war, den Sowjets zu verraten, was wir über sie wissen - wie sollte das helfen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen?"
Aber Snowden hat doch nicht nur militärische Geheimnisse aufgedeckt, sondern vor allem, in welchem Ausmaß Geheimdienste ganz normale Menschen überwachen! "Ich bin froh, dass er das aufgedeckt hat. Aber bevor ich mir eine Meinung bilde, wüsste ich gern, was für Konsequenzen es haben wird. Kein Mensch weiß das, von den amerikanischen Sicherheitskräften mal abgesehen. Und bis klar ist, ob es mehr geholfen als geschadet hat, sitze ich lieber auf dem Zaun und schaue zu."
Vielleicht, sagt Gladwell dann noch, "wäre es anders, wenn ich Deutscher wäre und erfahren hätte, dass die NSA das Handy meiner Kanzlerin abhört. Wer weiß, vielleicht hat die NSA ja auch Obamas Handy abgehört? Überraschen würde es mich nicht." Es überrascht eher, wie konventionell diese Antwort ausfällt bei einem Autor, der Konventionen ständig widerlegen will. Als Beispiel für asymmetrische Konflikte wie dem zwischen David und Goliath, für Kämpfe, wo der Kleine den Großen empfindlich trifft, wieder und wieder, ist Gladwell nicht in den Irak gegangen oder nach Afghanistan, sondern nach Nordirland. "Ich schreibe vor allem für ein amerikanisches Publikum", sagt Malcolm Gladwell. "In dem Moment, in dem ich mich in einer aktuellen Debatte aber auf eine bestimmte Seite schlage, bin ich bei der anderen Seite unten durch." So unpolitisch seine Bücher oft wirken, so politisch sind sie deswegen aber. Fast eine Pointe wie aus einem Buch von Malcolm Gladwell.
TOBIAS RÜTHER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main