Drei Generationen Frauen, alle mit einem besonders schweren Schicksal. Bewegend! Sehr lesenswert! Literarisch hochwertig!
David Pablo ist Zuhörer, Hauptansprechpartner, Adressat der multiplen Fragen, Titelgeber – steht ein für eine unbeantwortete Universalität, einen innigen Wunsch, und hat
dennoch keinen Part im Buch.
David Pablo – hörst du mir zu?
Der Roman ist die Geschichte von drei…mehrDrei Generationen Frauen, alle mit einem besonders schweren Schicksal. Bewegend! Sehr lesenswert! Literarisch hochwertig!
David Pablo ist Zuhörer, Hauptansprechpartner, Adressat der multiplen Fragen, Titelgeber – steht ein für eine unbeantwortete Universalität, einen innigen Wunsch, und hat dennoch keinen Part im Buch.
David Pablo – hörst du mir zu?
Der Roman ist die Geschichte von drei Frauen. Sie haben unterschiedliche Schicksale, Lebenswege voller Steine, Fragen und Ängste. Sie suchen Freiheit, Selbstbestimmung, den Ausbruch aus dem System, das sie so gefangen hält. Sie beschäftigen sich mit der Frage nach dem Warum. Nach dem Grund und möglicherweise größeren Sinn hinter ihrem Leben, das sie auf Wege geschickt hat, die sie nun mal gehen müssen. Unfreiwillig. Welche Abzweigung, welche Gabelung wird in der Zukunft die Richtige sein? Jede Frau geht für sich alleine, getrennt durch eine Generation, und dennoch sind deren Existenzen miteinander verknüpft. Die Probleme sind mehr oder weniger dieselben, auch wenn sie andere Namen haben.
Malena ist Sinti, gemeinsam mit ihrem Zwillingsbruder Oskar und ihrer Familie wächst sie in der Zeit des Holocaust in Deutschland (mit all seinen Gräueltaten) auf.
S.43: „Die Leute wechseln die Straßenseite, wenn sie uns kommen sehen. Sie sagen scheußliche Worte und spucken neben sich. Weißt du denn, was noch kommt?“
S. 89: „Kinderstimmen fragen: Warum sind wir hier?
Weil wir Sinti sind.
Weil wir Roma sind.
Und Malena flüstert in Friederikes Umhang hinein: Aber wir sind Deutsche.“
Susa wächst in der DDR auf, wird zur Abtreibung gezwungen, und wird schließlich zwangssterilisiert – kurz vor dem Mauerfall. Sie lässt sich nicht unterkriegen und wird eine erfolgreiche Künstlerin. Eine Flucht aus dem innigen Wunsch, Kindern das Licht der Welt zu schenken.
S.122: „Weniger still wurden ihre Gemälde in den Medien besprochen, besonders jene, die weibliche Nationalallegorien zeigten und deren Vergewaltigung. Susas einziger Kommentar: Meine Ratlosigkeit treibt mich an. Die Kunst hilft mir.“
Una war zwölf, als sie es schaffte, vor dem Krieg in Jugoslawien zu flüchten, musste mitansehen, wie ihr Bruder und ihre Eltern dahingemetzelt wurden.
Sie kommt bei einem Onkel in Deutschland unter, schafft es, so etwas wie ein Leben zu führen, ist in einer Beziehung mit Paul. Aber etwas ist anders - ein Körper, der mit dem Äußeren und Inneren nicht im Einklang zu stehen scheint.
S. 171: Dissensual. Nicht Kultur.
Natur.
Cis, das ist mein Diss.
Natur bezwingen.
Medizin und Technik.
Kein Hinüber.
Technische Mimesis.
Verwachsen.
Eins sein.“
S.172: „Wenn du mir ein Kind zeugen könntest, das wiederum so wird wie du, den gleichen Schmerz teilt. Würdest du es tun?, fragt Una.“
Die Autorin berichtet von drei Schicksalen, einzeln grausam, kollektiv verhaftet in der Bestimmung der einzelnen Leben von anderen – von patriarchalen Strukturen. Von grausamen Netzen, in denen die individuelle Selbstbestimmung, der Wunsch nach Freiheit so zu leben, wie man möchte, krass beschnitten wird, einzementiert in die Machtfantasien einiger weniger Despoten.
Unsere Gesellschaft war schlimm, ist es immer noch, und tendiert wieder in jene Vergangenheit abzudriften, von der wir glaubten, sie überwunden zu haben. Aber wie wir momentan selber erfahren, hat sich in Wirklichkeit nichts verändert.
In sehr eindrücklichen Bildern, manchmal wirklich grausamen Szenen, schildert uns Joanna Yulia Kluge mit den drei verbindenden Frauenschicksalen dieses Szenario über einen Zeitraum von fast hundert Jahren, wie hilflos die Hilfesuchenden tatsächlich sind. Und welche Kräfte die Frauen (und ich glaube, nur Frauen können solche Stärken aufbringen) entwickeln, nicht nur um sich dem Unausweichlichen, sondern sich darüber zu stellen.
Es ist ein starkes Buch mit vielen Themen: Identität, Selbstbestimmung, Freiheit, Frausein, Feminismus, Muttersein, und vieles mehr.
Ein Roman, der sicher sehr lange (trotz seiner inhaltlichen Vielfalt) im Gedächtnis bleiben wird.
Ganz große Leseempfehlung für diesen bewegenden Roman.
Kleines PS: Allein die Haptik und Aufmachung des Buches ist es wert, es in den Händen zu halten, zu blättern, zu lesen. Große Buchmacherkunst!