Produktdetails
  • Verlag: Dietz, Berlin
  • Seitenzahl: 479
  • Abmessung: 205mm
  • Gewicht: 582g
  • ISBN-13: 9783320019846
  • ISBN-10: 3320019848
  • Artikelnr.: 25306685
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.06.2000

DDR – Land meiner Träume
Ein Veteran der ostdeutschen Historikerzunft schaut durch die rosarote Brille und findet am Arbeiter- und Bauernstaat viel Gutes
GÜNTER BENSER: DDR – gedenkt ihrer mit Nachsicht. Karl-Dietz-Verlag, Berlin 2000. 479 Seiten, 39,80 Mark.
Das menschliche Gedächtnis ist eine merkwürdige Sache: Zehn Jahre nach dem Verschwinden der DDR von der politischen Landkarte hat die Zeit so manche Erinnerung geglättet. Das nostalgische „Es war doch nicht alles schlecht” weicht an vielen Stellen einem „Eigentlich war vieles besser”. Auch der Historiker Günter Benser, der als Mitglied des „Nationalkomitees der Historiker der DDR” jahrelang das offizielle Geschichtsbild seines Landes mitgestaltete, ist davon nicht frei. Er hat nun den Versuch unternommen, eine Biografie der DDR zu schreiben, in der geschichtliche Daten und Prozesse mit eigenen Erlebnissen und Erfahrungen verknüpft werden.
Herausgekommen ist ein Buch, das fatal an die kommunistischen Geschichtsbücher erinnert und deren Ideologie lastige Sichtweise fortsetzt. Benser ignoriert in seiner Darstellung der vierzigjährigen Geschichte der DDR konsequent fundierte Untersuchungen wie die der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland”. Nach seiner Darstellung lag die deutsche Teilung in der Verantwortung der Westalliierten, welche die von Stalin angeblich ernst gemeinte Märznote von 1952 zur deutschen Einheit abgewiesen hatten. Auch der Aufstand des 17.  Juni sei von organisierten Kräften von außen wenn nicht ausgelöst, dann doch begünstigt worden. Die DDR erscheint bei Benser als nahezu souveräner Staat in „dem von der UdSSR geführten Weltlager”, in dem gesellschaftliche und individuelle Interessen deckungsgleich waren.
Ebenso undifferenziert ist Bensers Darstellung des Einigungsprozesses. Er bezeichnet den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes als die „drittschlechteste aller denkbaren Varianten zur Lösung der deutschen Frage”, da „die Chance ungenutzt blieb, Besseres als eine vergrößerte BRD zu schaffen”. Aus seinem Bedauern darüber, dass die D-Mark zum Symbol der deutschen Einheit geworden sei, klingt nur zu deutlich die Frustration des ehemaligen Funktionärs, der feststellen musste, dass sein Wort plötzlich kein Gewicht mehr hatte.
Der ehemalige Mitarbeiter am Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED lässt in seiner Beschreibung des real existierenden Sozialismus kein Klischee aus: nicht das der „vorbildlichen Arbeiter und Arbeiterinnen, die etwas Gutes für ihr Land und die Gemeinschaft tun wollten”, und auch nicht das der Arbeiter-und-Bauern-Studenten, zu deren Ehrenkodex es gehörte, „der DDR – falls es notwendig werde – mit der Waffe zu dienen”. Menschenrechtsverletzungen und Versorgungsengpässe im sozialistischen deutschen Staat werden durch den Hinweis auf tatsächliche oder vermeintliche Unzulänglichkeiten der Bundesrepublik relativiert. Den Höhepunkt dieser Polemik bildet Bensers Vergleich des Einmarsches der Warschauer-Pakt-Truppen im Prager Frühling mit dem Einsatz der Nato-Streitkräfte im Kosovo, der zu dem Ergebnis führt, der Warschauer Pakt hätte sich zwar willkürlicher militärischer Gewaltanwendung innerhalb seines Vertragsgebiets schuldig gemacht, aber keinen „Angriffskrieg out of area” geführt. Die unterschiedlichen Ausgangssituationen der Militäraktionen ignoriert Benser geschichtsblind ebenso wie die Tatsache, dass es einen gravierenden Unterschied zwischen der Zwangs-Mitgliedschaft im Warschauer Pakt und der freiwilligen Teilnahme am Nato-Bündnis gibt.
Zum Glück waren die DDR und ihre Bewohner nicht so, wie Benser sie beschreibt. An der friedlichen Revolution von 1989 beteiligten sich eben nicht nur einige wenige, die der DDR „gram waren, weil sie nicht nach Mallorca reisen durften, weil sie nicht rasch und leicht ein Auto in Besitz nehmen durften oder weil sie sich auf Schritt und Tritt bevormundet fühlten”, sondern viele Menschen, die nicht mehr eingesperrt in eine Diktatur leben wollten, die ihr Denken kontrollierte. Sie werden sich anders an die DDR erinnern als jene, die Teil des Systems waren und ihm nun nachtrauern, weil sie Privilegien und Ansehen verloren haben.
SUSANNE KATZORKE
Die Rezensentin ist Politikwissenschaftlerin an der TU Chemnitz.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ziemlich ärgerlich findet Susanne Katzoke das Buch des ehemaligen Mitglieds des "Nationalkomitees der Historiker der DDR". In seiner Darstellung der DDR ignoriere er den heutigen Forschungs- und Quellenstand und setze seine ideologische Lesart der Geschichte ungebrochen fort: Die deutsche Teilung ist demnach den Westalliierten anzulasten, die Vereinigung verhinderte Besseres usw.. Katzorke hört "die Frustration des ehemaligen Funktionärs" zu deutlich heraus, um solche Einschätzungen ernstnehmen zu können. Die Darstellung realsozialistischer Verhältnisse mit ihren Klischees von "vorbildlichen Arbeitern" und friedliebenden Bürgern findet sie entnervend. Und wirklich empört ist sie dann über den Vergleich des Kosovo-Krieges mit dem Einmarsch von Warschauer Pakt-Truppen in Prag 1968. Bensers heutige Lesart der DDR entspringt der Frustration von einem, so Katzorke, der den eigenen "Privilegien" nachtrauert.

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