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Erri de Lucas Roman ist ein lakonisches und dichtes Porträt einer Jugend im Neapel der 60er Jahre. Der Kampf der kleinen Leute um Selbsterhaltung verlangt schon früh auch von einem Kind, sich wie ein Erwachsener zu verhalten. Ein Roman, der auf anrührende Weise um die elementare Kraft der Liebe kreist.

Produktbeschreibung
Erri de Lucas Roman ist ein lakonisches und dichtes Porträt einer Jugend im Neapel der 60er Jahre. Der Kampf der kleinen Leute um Selbsterhaltung verlangt schon früh auch von einem Kind, sich wie ein Erwachsener zu verhalten.
Ein Roman, der auf anrührende Weise um die elementare Kraft der Liebe kreist.
Autorenporträt
Erri De Luca, geboren 1950 in Neapel, begann erst mit vierzig zu schreiben. Als Autodidakt lernte er Hebräisch und übersetzte Teile der Bibel neu. Heute zählt er zu den meistgelesenen Schriftstellern Italiens. Seine Romane haben Kultstatus und sind auch in Israel und Frankreich Bestseller. In Deutschland wurde 'Der Tag vor dem Glück' in der Presse begeistert gefeiert. 2010 erhielt Erri De Luca den "Petrarca-Preis" und 2013 wurde er mit dem "Prix Européen de Littérature" für sein Gesamtwerk ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.12.2012

Flieg, Bumerang
Erri de Luca beschwört den italienischen Süden
Dieses kleine Buch ist einfach und kompliziert zugleich. Es ist einfach, weil es, in vielen kurzen Kapiteln, in chronologischer Folge und in schlichten Worten, nur davon erzählt, wie ein Knabe im Neapel der frühen sechziger Jahre zu einem jungen Mann wird. Die Geschichte beginnt am dreizehnten Geburtstag des Jungen, am Sommeranfang, und sie ist in der Silvesternacht zu Ende. Sie findet statt in einem Viertel namens „Montedidio“, das im wirklichen Leben vermutlich „Monte di Dio“ („Berg Gottes“) heißt, nicht weit vom Fährhafen liegt und vor fünfzig Jahren zu den ärmsten der Stadt gehört haben muss. Der Junge beginnt, nach fünf Schuljahren, seine Lehre als Schreiner, er begegnet seiner ersten Liebe, und die Mutter stirbt – und diese Ereignisse gehen in großer Schlichtheit dahin.
  Kompliziert aber ist dieses Buch, weil sich unter dieser scheinbar anspruchslosen Oberfläche ganz andere Geschichten verbergen: die nie völlig errungene Einheit Italiens, die in Montedidio weiter entfernt zu sein scheint als Amerika, wo so viele Verwandte leben; das Leben unter Menschen, die arm sind und arbeiten, die aber keine Proletarier sind, sondern Plebejer in einem ganz alten Sinne; die Erinnerung an die Besetzung Neapels mit ihren Toten unter der lokalen Bevölkerung; die latente Gegenwart der Camorra – und Ereignisse, die für Italien wichtig sind, aber hierzulande nicht zur Geschichtsschreibung gehören: wie zum Beispiel ein neofaschistischer Parteitag im Jahr 1960 in Genua, dessen Abbruch durch eine Allianz von Arbeitern und Studenten erzwungen wurde.
  Das alles ist da, aber es wandert gleichsam schemenhaft durch die Reihe knapper Eintragungen, die manchmal an Tagebucheinträge erinnern, manchmal aber dem Alltag eine poetische Form geben: „Ich spüre den Atem und dann das harte Klopfen des Herzens, das sich anhört, als ob einer klopft, und fast möchte ich antworten: Herein.“ Jede dieser Eintragungen gilt nur einem Ereignis, einer Begegnung, einem kurzen Gespräch, was einerseits bedeutet, dass sich der Leser den Zusammenhang erschließen muss, und andererseits, dass jedem dieser Fragmente etwas zumindest latent Phantastisches eignet – den Raum dafür gewähren gleichsam die Lücken zwischen den erzählerischen Einheiten.
  Genreszenen müsste man diese Eintragungen nennen, wobei das Genre einem offenbar zum Typus gewordenen historischen Neapel zugeordnet ist, mitsamt der dazugehörigen Poesie der Armut und den Idyllen des einfachen Lebens. So gründlich malt Erri de Luca diese Szenen aus, mit Liebe zum pittoresken Detail und mit sehr viel Wärme, dass der Leser sich spätestens nach der Hälfte der Lektüre darüber wundert, wie es dem Schriftsteller immer wieder gelingt, die Grenze zur schönen Lüge zwar knapp zu berühren, aber nicht zu übertreten.
  Das Buch „Montedidio“ ist ein Werk eines entschlossenen Regionalismus und einer ebenso entschlossenen Literatur der kleinen Leute, ein Buch, das mehr mit den ästhetischen Bewegungen der Vierziger- und Fünfzigerjahre, also vor allem mit dem Neorealismus zu tun zu haben scheint als mit der Literatur der Gegenwart. Das mag daran liegen, dass der Autor, im Jahr 1950 in Neapel geboren, erst spät zum Schreiben fand, als Vierzigjähriger. Und als er mit der Schriftstellerei begann, hatte er eine lange und strenge Vergangenheit hinter sich: als Aktivist der „Lotta Continua“, der wichtigsten unter den militanten linken Gruppen im Italien der Siebzigerjahre, als Lastwagenfahren und Maurer. Diese Biografie bleibt in den meisten der rund dreißig Werken, die Erri di Luca seitdem geschrieben hat, lebendig – und dieser Umstand hat dem Autor in Italien den Vorwurf eingetragen, ein verirrter Nachfahre Gabriele d’Annunzios zu sein, also sein Leben als literarischen Entwurf und seine Literatur als Heroisierung seines Lebens eingerichtet zu haben.
  Doch der Vorwurf trifft nicht, schon weil sich der Autor im unprätentiösen Stil dieses Werkes kaum selbst zu erkennen gibt, vor allem aber weil die Adresse hier nicht d’Annunzio ist, sondern tatsächlich ein vermutlich sich selbst immer noch als revolutionär wahrnehmendes Verlangen nach Wahrhaftigkeit. Erri de Luca schreibt engagierte Literatur, im eigentlichen Sinne des Wortes, und selbstverständlich bietet sie Stilmittel des Neorealismus auf, um damit (wie das historische Vorbild) eine Art Vermenschlichung von Elend zu betreiben – mit offenbar durchaus außerliterarischen Absichten. Aus diesem Interesse entsteht nicht nur das Genrebild in strengem Schwarz und Weiß, die guten, einfachen Figuren der Arbeiter und Handwerker und die böse des Hausbesitzers (und Mädchenschänders) sowie nicht zuletzt das Märchenhafte des ganzen Unternehmens, in dem ein Bumerang wohl die wichtigste Rolle spielt, ein Wurfgerät, das lange in der Hand gewogen wird, bis er in das Dunkel einer Silvesternacht abschwirren darf, und daneben der Buckel eines jüdischen Flüchtlings, in dem sich zwei weiße Flügel verberge, die ihn am Ende nach Jerusalem tragen (oder auch nicht).
  Das Buch „Montedidio“ hat es auf Deutsch schon einmal gegeben, auch in der Übersetzung von Annette Kopetzki. Es erschien im Jahr 2004, bei Rowohlt, aber es wurde übersehen. Wenn es nun neu erscheint, unter günstigeren Voraussetzungen, liegt es nicht nur daran, dass der Autor, vor allem nach dem Petrarca-Preis im Jahr 2010, in Deutschland bekannter geworden ist. Vielmehr ist der arme italienische Süden nahe gerückt, oder genauer: Die Erinnerung an dessen historische Armut kehrt im selben Maße zurück, wie sich die wirtschaftliche Zukunft der europäischen Länder am Mittelmeer als prekär erweist. Und mit dieser Rückwendung taucht wieder auf: Der alte Glaube, Süditalien sei eine Art Fortsetzung des Heiligen Landes, mitsamt evangelischer Armut.
  Eine Erlösungsgeschichte also ist dieses Werk, denn der Bumerang kehrt wieder – nicht als Ding, sondern in Gestalt dieses Buches. Der Knabe lernt nicht nur, über den neapolitanischen Dialekt hinaus, richtiges Italienisch, er gewinnt nicht nur eine Lebensgefährtin (mit seinen dreizehn Jahren!), er ergreift nicht nur einen Beruf, der seinen Mann ernährt – er wird auch zum Schriftsteller: Als Geschichte kehren die vergangenen Ereignisse, ja auch die Toten zu ihm zurück. Und schon halb hat der Leser mit den Schultern gezuckt, weil er solche Allegorien des Schreibens ja seit der Romantik kennt und sie seither nicht gerade weniger geworden sind, da hält er inne: Denn schlechter als das, was er aus dem Neorealismus kennt, ist dieses Buch keinesfalls, und sein Anliegen auch nicht weniger dringlich. Seltsam, welchen Bogen die Geschichte nehmen musste, um nach sechzig Jahren wieder dahin zurückzukehren, wo sie einmal war.
THOMAS STEINFELD
Das Fluggerät kehrt wieder,
nicht als Ding, sondern
in Gestalt eines Buches
Neapel ist ein Jerusalem,
voller Blut, voller Heiliger
und in evangelischer Armut
    
  
  
  
  
Erri de Luca: Montedidio. Roman. Aus dem
Italienischen von Annette Kopetzki. Graf Verlag, Berlin 2012. 218 Seiten, 14,99 Euro.
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