Thema der kleinen und bemerkenswerten Spätschrift des Aristoteles ist die Beantwortung der Frage 'Wie bewegt die Seele den Körper?', d.h. der Frage nach dem Auslöser der Selbstbewegung von Lebewesen. Dies beinhaltet alle gewollten oder auch ungewollten Akte der Selbstbewegung animalischer und menschlicher Organismen. Damit steht die Schrift in der Mitte zwischen der allgemeinen Bewegungslehre des Aristoteles und der in seinen früheren Schriften abgehandelten Biologie und Psychologie, auf die er hier häufig zurückgreift.In 'De motu' wird eine umfassende biologische Theorie des animalischen und menschlichen Handelns formuliert, die handlungstheoretischen und physiologischen Fragen gleichermaßen gerecht zu werden sucht. Auch äußert Aristoteles sich darin erstmals zum berühmten 'angeborenen Pneuma', in dem er eine vermittelnde Instanz in der Bewegungsübertragung sieht.Diese Ausgabe bietet die Schrift, die seit der Edition von Martha Nussbaum (1978) in den Blickpunkt der Forschung geraten ist, in einer Neuedition des griechischen Originaltextes von Oliver Primavesi und in einer neuen deutschen Übersetzung und Erläuterung von Klaus Corcilius. Der griechische Text konnte an vielen Stellen durch die Heranziehung des zweiten selbstständigen Überlieferungszweiges verbessert werden, der allen früheren Herausgebern unbekannt geblieben war und den Oliver Primavesi 2011 auf dem 19. Symposium Aristotelicum zu 'De motu' vorgestellt hat.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.11.2019Bewegte Körper
Neuausgabe:
Aristoteles’ „De motu animalium“
So wissenschaftlich-praktisch die Themen anmuten, mit denen sich Aristoteles befasste, so frei inspiriert erscheinen sie mitunter. Die Frage, was uns bewegt, ist so ein Thema. Zunächst geht es ganz konkret darum, wie das Unbewegte in Bewegung gesetzt wird, aber bald schon weitet sich die Bedeutung des Bewegtseins ins doppeldeutig Umfassende. Wenn Lebewesen dadurch definiert sind, dass sie nicht nur anderes und andere bewegen können, sondern auch sich selbst, bleibt das Problem, was es ist, das sie selber bewegt.
In seiner Spätschrift „De motu animalium“ greift Aristoteles die These auf, es sei die Seele, die den Körper bewege. Dabei kann man zwischen absichtlicher und unwillkürlicher Bewegung differenzieren, was wiederum neue philosophische und ethische Fragen aufwirft. So stellen sich beim Lesen dieser relativ knappen Schrift spontan-unmittelbare Bezüge von der griechischen Antike zum 21. Jahrhundert ein und man fragt sich, ob es nicht gerade die scheinbar abseitigen philosophischen Probleme sind, die auf dem kürzesten Weg zu den relevanten Fragen der Gegenwart führen. Die Frage „Wie bewegt die Seele den Körper?“ jedenfalls ist weiterhin aktuell, so wie sie schon für Aristoteles in diversen psychologischen, physiologischen und handlungstheoretischen Aspekten präsent war.
In einer Neuausgabe wurden nun sämtliche bekannte 47 überlieferte Handschriften von „De motu animalium“ koordiniert, was zu einer nachhaltigen Revision des griechischen Originaltextes führte und schließlich zu einer kompletten Neuübersetzung von Klaus Corcilius mit mehr als hundert relevanten Änderungen gegenüber der geläufigen, 40 Jahre alten Übersetzung von Martha Nussbaum. Mindestens so verdienstvoll ist die zweisprachige Textgestaltung mit ausführlichen Anmerkungen und einer umfangreichen philologischen wie philosophischen Einführung, wobei letztere auch als allgemeine Hinführung zur Aristotelischen Naturphilosophie taugt.
HELMUT MAURÓ
Aristoteles: De motu animalium. Über die Bewegung der Lebewesen. Hg. v. Oliver Primavesi und Klaus Corcilius. Griechisch – Deutsch. Felix Meiner Verlag, Hamburg 2018. 636 Seiten, 78 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Neuausgabe:
Aristoteles’ „De motu animalium“
So wissenschaftlich-praktisch die Themen anmuten, mit denen sich Aristoteles befasste, so frei inspiriert erscheinen sie mitunter. Die Frage, was uns bewegt, ist so ein Thema. Zunächst geht es ganz konkret darum, wie das Unbewegte in Bewegung gesetzt wird, aber bald schon weitet sich die Bedeutung des Bewegtseins ins doppeldeutig Umfassende. Wenn Lebewesen dadurch definiert sind, dass sie nicht nur anderes und andere bewegen können, sondern auch sich selbst, bleibt das Problem, was es ist, das sie selber bewegt.
In seiner Spätschrift „De motu animalium“ greift Aristoteles die These auf, es sei die Seele, die den Körper bewege. Dabei kann man zwischen absichtlicher und unwillkürlicher Bewegung differenzieren, was wiederum neue philosophische und ethische Fragen aufwirft. So stellen sich beim Lesen dieser relativ knappen Schrift spontan-unmittelbare Bezüge von der griechischen Antike zum 21. Jahrhundert ein und man fragt sich, ob es nicht gerade die scheinbar abseitigen philosophischen Probleme sind, die auf dem kürzesten Weg zu den relevanten Fragen der Gegenwart führen. Die Frage „Wie bewegt die Seele den Körper?“ jedenfalls ist weiterhin aktuell, so wie sie schon für Aristoteles in diversen psychologischen, physiologischen und handlungstheoretischen Aspekten präsent war.
In einer Neuausgabe wurden nun sämtliche bekannte 47 überlieferte Handschriften von „De motu animalium“ koordiniert, was zu einer nachhaltigen Revision des griechischen Originaltextes führte und schließlich zu einer kompletten Neuübersetzung von Klaus Corcilius mit mehr als hundert relevanten Änderungen gegenüber der geläufigen, 40 Jahre alten Übersetzung von Martha Nussbaum. Mindestens so verdienstvoll ist die zweisprachige Textgestaltung mit ausführlichen Anmerkungen und einer umfangreichen philologischen wie philosophischen Einführung, wobei letztere auch als allgemeine Hinführung zur Aristotelischen Naturphilosophie taugt.
HELMUT MAURÓ
Aristoteles: De motu animalium. Über die Bewegung der Lebewesen. Hg. v. Oliver Primavesi und Klaus Corcilius. Griechisch – Deutsch. Felix Meiner Verlag, Hamburg 2018. 636 Seiten, 78 Euro.
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»Mindestens so verdienstvoll [wie die zahlreichen Änderungen gegenüber der bisher allgemein verwendeten Übersetzung] ist die zweisprachige Textgestaltung mit ausführlichen Anmerkungen und einer umfangreichen philologischen wie philosophischen Einführung, wobei letztere auch als allgemeine Hinführung zur Aristotelischen Naturphilosophie taugt.« Helmut Mauró, Süddeutsche Zeitung, 25.11.2019