MIT DIKTATOREN REDEN. EINE ANDERE GESCHICHTE DER BUNDESREPUBLIK
Der Umgang mit Diktatoren hat die bundesdeutsche Demokratie von Anfang an herausgefordert. Frank Bösch zeigt auf der Grundlage umfassender Archivrecherchen, welche Interessen dabei aufeinandertrafen und was in den Hinterzimmern besprochen und angebahnt wurde. Mit den Regierungen wandelte sich der Austausch mit Autokratien in Südamerika, Ostasien oder im Ostblock. Durch gesellschaftlichen Protest gewannen Werte und Sanktionen allmählich an Bedeutung. Doch der wirtschaftsorientierte Pragmatismus blieb, wie Frank Bösch anschaulich zeigt, das vorherrschende Muster, das die Geschichte der Bundesrepublik zutiefst prägte.
Dezember 1964: Der kongolesische Ministerpräsident Tschombé wird feierlich in Berlin empfangen. Demonstranten stürmen über die Absperrungen. Den «Mörder von Lumumba» trifft eine Tomate «voll in die Fresse», wie Rudi Dutschke mit Genugtuung notiert. Für Dutschke war dies der «Beginn unserer Kultur-Revolution». Nachdem in den fünfziger Jahren die «Kaiser» aus Iran und Äthiopien bejubelt worden waren, führten in den Sechzigern Proteste von oppositionellen Migranten, antikolonialen Gruppen oder auch von Amnesty International zu einer stärker wertebasierten Diplomatie mit Diktatoren: Handel ja, aber bitte auch Freilassung einzelner Oppositioneller.
Frank Bösch zeigt in seinem glänzend geschriebenen Buch, wie sich in den Jahrzehnten nach dem Nationalsozialismus im Umgang mit Diktaturen wirtschaftliche, politische und zivilgesellschaftliche Interessen zu einem Schlingerkurs verschränkten, dessen Widersprüche und Folgen uns bis heute beschäftigen.
"Angesichts des Chaos, das in Chile geherrscht hat, erhält das Wort Ordnung für die Chilenen plötzlich wieder einen süßen Klang." Franz Josef Strauß nach dem Putsch Pinochets 1973
Eine der brisantesten Fragen der Gegenwart: der Umgang mit Diktaturen wie China oder Iran Bisher unbekanntes Material u.a. aus dem Bundesarchiv, den Archiven von BND und Amnesty International Ein aufschlussreicher Blick hinter die Kulissen von Außenpolitik und Wirtschaftsbeziehungen Was Proteste und Sanktionen gegen Diktaturen bewirken können - und was nicht
Der Umgang mit Diktatoren hat die bundesdeutsche Demokratie von Anfang an herausgefordert. Frank Bösch zeigt auf der Grundlage umfassender Archivrecherchen, welche Interessen dabei aufeinandertrafen und was in den Hinterzimmern besprochen und angebahnt wurde. Mit den Regierungen wandelte sich der Austausch mit Autokratien in Südamerika, Ostasien oder im Ostblock. Durch gesellschaftlichen Protest gewannen Werte und Sanktionen allmählich an Bedeutung. Doch der wirtschaftsorientierte Pragmatismus blieb, wie Frank Bösch anschaulich zeigt, das vorherrschende Muster, das die Geschichte der Bundesrepublik zutiefst prägte.
Dezember 1964: Der kongolesische Ministerpräsident Tschombé wird feierlich in Berlin empfangen. Demonstranten stürmen über die Absperrungen. Den «Mörder von Lumumba» trifft eine Tomate «voll in die Fresse», wie Rudi Dutschke mit Genugtuung notiert. Für Dutschke war dies der «Beginn unserer Kultur-Revolution». Nachdem in den fünfziger Jahren die «Kaiser» aus Iran und Äthiopien bejubelt worden waren, führten in den Sechzigern Proteste von oppositionellen Migranten, antikolonialen Gruppen oder auch von Amnesty International zu einer stärker wertebasierten Diplomatie mit Diktatoren: Handel ja, aber bitte auch Freilassung einzelner Oppositioneller.
Frank Bösch zeigt in seinem glänzend geschriebenen Buch, wie sich in den Jahrzehnten nach dem Nationalsozialismus im Umgang mit Diktaturen wirtschaftliche, politische und zivilgesellschaftliche Interessen zu einem Schlingerkurs verschränkten, dessen Widersprüche und Folgen uns bis heute beschäftigen.
"Angesichts des Chaos, das in Chile geherrscht hat, erhält das Wort Ordnung für die Chilenen plötzlich wieder einen süßen Klang." Franz Josef Strauß nach dem Putsch Pinochets 1973
Eine der brisantesten Fragen der Gegenwart: der Umgang mit Diktaturen wie China oder Iran Bisher unbekanntes Material u.a. aus dem Bundesarchiv, den Archiven von BND und Amnesty International Ein aufschlussreicher Blick hinter die Kulissen von Außenpolitik und Wirtschaftsbeziehungen Was Proteste und Sanktionen gegen Diktaturen bewirken können - und was nicht
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ein heikles und wichtiges Thema behandelt Frank Bösch hier, meint Rezensent Thomas Speckmann. Das Buch beschäftgt sich mit den diversen Deals, die die Bundesrepublik Deutschland mit Diktaturen in aller Welt schloss, während gleichzeitig die Ablehnung der Nazi- und DDR-Diktatur die offizielle Rhetorik prägte. Prestige und Westbindung waren, so Speckmann mit Bösch, die Triebkräfte vieler solcher Deals, neben der Politik mischte auch die Wirtschaft fleißig mit. Teils gingen Adenauer und Co dabei so weit, so der Kritiker, dass die USA Protest einlegte, etwa in Sachen wirtschaftlicher Kooperation mit der Sowjetunion, aber auch in Deals mit spanischen und portugiesischen Autokraten. Die sozialliberale Regierung hielt sich, liest Speckmann bei Bösch, zwar mit Chinakontakten zurück, aber nur um die neue Ostpolitik nicht zu gefährden, die ihrerseits durchaus in der Kontinuität der Diktatorendeals steht - was sich unter anderem darin niederschlägt, dass auch der Afghanistan-Krieg die Annäherung an die Sowjetunion nicht beendete. Insgesamt sehr aufschlussreich, diese "andere Geschichte" der BRD, durchaus auch in Bezug auf den ebenfalls schon unter Brandt hofierten Iran, schließt der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.02.2024Wirtschaft first, Menschenrechte später
In seiner großen Analyse „Deals mit Diktaturen“ schildert der Historiker Frank Bösch, wie deutsche Regierungen seit 1949 im Umgang mit Autokratien
stets ohne ethische Skrupel agierten. Einerseits eine große Chronik der Skandale – andererseits verheddert sich der Autor bei der Methodik.
VON RAINER STEPHAN
Nehmen wir an, Putins in die Ukraine einmarschierenden Truppen wäre es im Februar 2022 tatsächlich gelungen, Kiew zu besetzen, die ukrainische Regierung auszuschalten, deren Anhänger zu Tausenden zu verhaften und das Land komplett unter Kontrolle zu bringen. Wenige Tage darauf wäre eine neue russisch-deutsche Pipeline eröffnet worden, mit ausdrücklicher Billigung der Bundesregierung. Unvorstellbar? Von wegen.
Ende August 1968, wenige Tage nach der brutalen Beendigung des „Prager Frühlings“ durch den sowjetischen Einmarsch in Prag, eröffnete im niederösterreichischen Baumgarten die erste, von deutschen Firmen mitfinanzierte Pipeline aus der Sowjetunion; eine Weiterführung nach Bayern war geplant. Daher, berichtet der Potsdamer Historiker Frank Bösch in seinem Buch „Deals mit Diktaturen“, unterstützte nicht nur die damals in Bonn regierende SPD, sondern auch die CSU „die trotz der Prager Ereignisse einsetzenden deutsch-sowjetischen Verhandlungen über das gewaltige Erdgas-Röhren-Geschäft“.
Böschs Buch dokumentiert auf mehr als 600 Seiten, dass eine sich derart über ethische Skrupel hinwegsetzende Politik nicht etwa die Ausnahme, sondern seit den 1950er-Jahren die Regel war – und dass sie es (abgesehen von den nur am Ende des Buchs kursorisch gestreiften Folgen des Ukrainekriegs) bis heute geblieben ist.
Erstaunlich ist das insofern, als sich hierzulande die ethische Bewertung von Menschenrechten und ihrer Unterdrückung durch Diktaturen deutlich geändert hat. Bis Mitte der 1960er-Jahre nahm man allein die Ostblock-Regimes als unterdrückerisch wahr, während ferne Diktatoren wie der äthiopische Kaiser Haile Selassie oder (bei dessen erstem Besuch 1955) der persische Schah Mohammad Reza Pahlavi von Menschen und Medien nahezu verzückt in der Bundesrepublik begrüßt wurden. Sie schienen, so Bösch, wieder etwas Glanz über das nach Hitler lange verachtete Deutschland auszustrahlen. Doch spätestens seit dem zweiten Schah-Besuch 1967 gerieten mehr und mehr die finsteren Realitäten in den Fokus, die der Pomp der Diktatoren zu verdecken suchte.
Aus heutiger Sicht liest sich Böschs Buch wie eine Chronik unfassbarer Skandale. Auch mit schlimmsten Regimes werden da nicht nur Handelsbeziehungen, sondern auch, oft unter Umgehung der Gesetze, deutsche Waffenlieferungen vereinbart. Immer wieder kuschen führende Politiker vor Diktatoren. Berichtet wird, unter anderem, von Franz Josef Strauß’ Staatsbesuch in Chile 1977, bei dem Strauß lauthals den von Morden und Massenhinrichtungen begleiteten Putsch des Diktators Augusto Pinochet gegen seinen sozialistischen Vorgänger Salvador Allende lobte.
Vollends im Kotau versanken Helmut Kohl und sein Außenminister Hans-Dietrich Genscher 1987 gegenüber Chinas Führung. Obwohl Menschenrechtsorganisationen und Politiker aller Parteien wegen Chinas Umgang mit Tibet starke Bedenken äußerten, dehnte Kohl einen China-Besuch auf Tibet aus und stellte dabei – niemand hatte ihn gefragt – explizit fest, Tibet sei ein Teil Chinas. Als chinesische Truppen kurz darauf einen tibetischen Aufstandsversuch niederschlugen, konnte die Bundesregierung zwar nicht verhindern, dass der Bundestag mit den Stimmen aller Fraktionen China aufforderte, die Menschenrechtsverletzungen in Tibet einzustellen. Zugleich aber sandten Kohl und Genscher geheime Botschaften an Chinas Regierung, in denen sie sich für die Resolution des Bonner Parlaments untertänigst entschuldigten. Genscher ließ ausdrücklich wissen, wie unglücklich er „über die Tatsache der Entschließung wie auch über ihren Inhalt“ sei.
Angesichts dessen erführe man gerne auch, was auf anderen Kommunikationsebenen – beispielsweise auf der seit 1963 jährlich tagenden Münchner Sicherheitskonferenz – zwischen demokratischen wie undemokratischen Politikern und Vertretern der Industrie besprochen oder in die Wege geleitet wurde und wird. Doch solche Quellen bleiben dem Historiker verschlossen.
Was aus den Akten des Auswärtigen Amts und anderen für Bösch zugänglichen Archiven hervorgeht, ist indessen heftig genug. Folgten in den 1950er-Jahren oft noch Ex-Nazis als Regierungsbeamte ihrer Sympathie für antikommunistische Gewaltherrscher, entwickelte sich danach rasch ein Aktionsmuster, das sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht: Es waren stets die Interessen der deutschen Industrie und ihrer Finanziers, die mal offen, mal verborgen das Agieren der Politik bestimmten.
Neu ist diese Erkenntnis nicht. Sie derart unwiderlegbar formuliert und dokumentiert zu haben, ist dennoch ein großes Verdienst des Direktors des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung. Gerade darum aber muss seine darüber hinausgehende Intention, zugleich „den Wandel des bundesdeutschen Umgangs mit Diktaturen“ zu zeigen, beim Leser auf eine gehörige Portion Skepsis stoßen. Wie kann ein Buch die Kontinuität bundesdeutscher Deals mit Diktaturen nachweisen und zugleich deren Wandel darlegen?
Bösch versucht dieses Problem mit einer sehr formalen Definition des Begriffs „Deal“ zu lösen, der hier die „aktive Form der Kooperation“ meine und deshalb nicht „auf einzelne Absprachen und Verträge verengt“ werden, sondern „Interaktionen im weiteren Sinne“ einbeziehen solle. So gesehen mussten „selbst Menschenrechtsorganisationen“ mit Diktaturen dealen, wenn sie Gefangenen zu helfen versuchten, meint Bösch. Und geht noch einen Schritt weiter, wenn er alle „gesellschaftlichen Gruppen, die sich mit Diktaturen auseinandergesetzt haben“ (beispielsweise Journalisten, Gewerkschaften, Amnesty oder generell die „Neue Linke“) ebenso als Dealer einstuft wie „Politiker, Ministerialbeamte und Diplomaten.“
Auf diese Weise lässt sich zwar kaum ein „Wandel“ in der tatsächlichen Bereitschaft deutscher Politiker feststellen, im Interesse des ökonomischen Profits Deals mit Diktaturen auszuhandeln, wie rücksichtslos auch immer diese ihre Gegner behandeln oder wie aggressiv sie, gerne mithilfe deutscher Waffen, gegen Regionen und Nachbarstaaten agieren, wenn die auf ihre Unabhängigkeit pochen. Als Wandel deutet der Autor aber das Phänomen, dass in den vergangenen Jahrzehnten die von Medien, Menschenrechtsorganisationen und kapitalismuskritischen Gruppen artikulierte Sensibilität für die inhumanen Praktiken diktatorisch regierter Partnerstaaten deutlich angewachsen ist.
Allerdings geht Böschs Jonglieren mit den Begriffen „Deals“ und „Wandel“ ganz und gar nicht auf. Indem seine Untersuchung faktisch basierte Geschichtsschreibung (Welche Deals hat die Politik ausgehandelt?) mit einer Art Mentalitätengeschichte zusammenspannt (Wie werden Diktaturen oder Geschäfte mit ihnen innerhalb der deutschen Gesellschaft beurteilt?), gerät sie methodisch immer wieder ins Schwimmen. Auf sorgfältige Quellenanalyse kann sie sich schließlich nur da stützen, wo es um die ökonomisch-politischen Deals als solche geht.
Ethisches Unbehagen konnte, wie Bösch selbst zeigt (und auch seine Definition von „Dealen“ ändert daran nichts) die Geschäftemacherei mit Diktaturen nie effektiv verhindern. Hier geht es meist um zwar spürbare, aber kaum exakt belegbare Einstellungen und Meinungen, bei deren Beschreibung sich das Buch denn auch allzu oft im Pauschalen oder Ungefähren („die Öffentlichkeit“, „die Neue Linke“) verliert.
Harte Fakten hatte Bösch fast nur da zur Hand, wo er die Freilassungen politischer Gefangener bilanziert, die als kompensatorische Beigaben zu Handelsgeschäften ertrotzt oder direkt mit Geld erkauft wurden. Wohl daher wird die chronologisch den Deals mit einzelnen Diktaturen folgende Gliederung des Buchs etwas überraschend von einem eigenen Kapitel über „Die deutsche Sektion von Amnesty International“ unterbrochen.
Wenn schon Sonderkapitel, so hätte man hier gern eines über den Bundestag gelesen. Wo Bösch Deals mit Diktaturen schildert, taucht die Volksvertretung selten als zustimmendes Organ auf (was sie faktisch sehr oft war), sondern als kritische, auf die Einhaltung von Menschenrechten bestehende – und von der Exekutive ignorierte oder gar hinters Licht geführte – Kraft. Wie im angeführten China-Beispiel zeigten solche Proteste meist nur kosmetische Wirkung. Aufs Handeln der Regierung hatte das Parlament deutlich weniger Einfluss als die Wirtschafts- und Finanzlobby. Hatte also der nicht als bekennender Marxist bekannte CSU-Chef Horst Seehofer recht, als er, während einer ARD-Sendung im Mai 2010 zu diesem Thema befragt, bündig erklärte: „Die entscheiden, sind nicht gewählt, und die gewählt sind, haben nichts zu entscheiden.“
Nicht nur da führt einen dieses Buch an den Rand demokratietheoretischer Abgründe, in die sein Autor wohlweislich nur sehr vorsichtig zu blicken wagt: „Der gegenwärtige weltweite Anstieg der Autokratien stimmt pessimistisch. Offensichtlich gelingt es Demokratien nicht mehr, ihre Wertvorstellungen rund um den Globus zu vermitteln.“
Und ein Wandel ist nicht wirklich in Sicht.
Der Pomp der Diktaturen
sollte auch Bonn
erstrahlen lassen
Trotz Unbehagens
obsiegte eigentlich immer
die Geschäftemacherei
Das Jonglieren
mit Begriffen geht
an vielen Stellen nicht auf
Gute Stimmung in Bonn: Der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas, Hu Yaobang, und Bundeskanzler Helmut Kohl im Jahr 1986. Ein Jahr später mischte sich Kohl zugunsten von Peking in den Tibet-Konflikt ein.
Foto: AP
Frank Bösch:
Deals mit Diktaturen. Eine andere Geschichte der Bundesrepublik. Verlag C.H. Beck,
München 2024.
622 Seiten, 32 Euro.
E-Book: 24,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
In seiner großen Analyse „Deals mit Diktaturen“ schildert der Historiker Frank Bösch, wie deutsche Regierungen seit 1949 im Umgang mit Autokratien
stets ohne ethische Skrupel agierten. Einerseits eine große Chronik der Skandale – andererseits verheddert sich der Autor bei der Methodik.
VON RAINER STEPHAN
Nehmen wir an, Putins in die Ukraine einmarschierenden Truppen wäre es im Februar 2022 tatsächlich gelungen, Kiew zu besetzen, die ukrainische Regierung auszuschalten, deren Anhänger zu Tausenden zu verhaften und das Land komplett unter Kontrolle zu bringen. Wenige Tage darauf wäre eine neue russisch-deutsche Pipeline eröffnet worden, mit ausdrücklicher Billigung der Bundesregierung. Unvorstellbar? Von wegen.
Ende August 1968, wenige Tage nach der brutalen Beendigung des „Prager Frühlings“ durch den sowjetischen Einmarsch in Prag, eröffnete im niederösterreichischen Baumgarten die erste, von deutschen Firmen mitfinanzierte Pipeline aus der Sowjetunion; eine Weiterführung nach Bayern war geplant. Daher, berichtet der Potsdamer Historiker Frank Bösch in seinem Buch „Deals mit Diktaturen“, unterstützte nicht nur die damals in Bonn regierende SPD, sondern auch die CSU „die trotz der Prager Ereignisse einsetzenden deutsch-sowjetischen Verhandlungen über das gewaltige Erdgas-Röhren-Geschäft“.
Böschs Buch dokumentiert auf mehr als 600 Seiten, dass eine sich derart über ethische Skrupel hinwegsetzende Politik nicht etwa die Ausnahme, sondern seit den 1950er-Jahren die Regel war – und dass sie es (abgesehen von den nur am Ende des Buchs kursorisch gestreiften Folgen des Ukrainekriegs) bis heute geblieben ist.
Erstaunlich ist das insofern, als sich hierzulande die ethische Bewertung von Menschenrechten und ihrer Unterdrückung durch Diktaturen deutlich geändert hat. Bis Mitte der 1960er-Jahre nahm man allein die Ostblock-Regimes als unterdrückerisch wahr, während ferne Diktatoren wie der äthiopische Kaiser Haile Selassie oder (bei dessen erstem Besuch 1955) der persische Schah Mohammad Reza Pahlavi von Menschen und Medien nahezu verzückt in der Bundesrepublik begrüßt wurden. Sie schienen, so Bösch, wieder etwas Glanz über das nach Hitler lange verachtete Deutschland auszustrahlen. Doch spätestens seit dem zweiten Schah-Besuch 1967 gerieten mehr und mehr die finsteren Realitäten in den Fokus, die der Pomp der Diktatoren zu verdecken suchte.
Aus heutiger Sicht liest sich Böschs Buch wie eine Chronik unfassbarer Skandale. Auch mit schlimmsten Regimes werden da nicht nur Handelsbeziehungen, sondern auch, oft unter Umgehung der Gesetze, deutsche Waffenlieferungen vereinbart. Immer wieder kuschen führende Politiker vor Diktatoren. Berichtet wird, unter anderem, von Franz Josef Strauß’ Staatsbesuch in Chile 1977, bei dem Strauß lauthals den von Morden und Massenhinrichtungen begleiteten Putsch des Diktators Augusto Pinochet gegen seinen sozialistischen Vorgänger Salvador Allende lobte.
Vollends im Kotau versanken Helmut Kohl und sein Außenminister Hans-Dietrich Genscher 1987 gegenüber Chinas Führung. Obwohl Menschenrechtsorganisationen und Politiker aller Parteien wegen Chinas Umgang mit Tibet starke Bedenken äußerten, dehnte Kohl einen China-Besuch auf Tibet aus und stellte dabei – niemand hatte ihn gefragt – explizit fest, Tibet sei ein Teil Chinas. Als chinesische Truppen kurz darauf einen tibetischen Aufstandsversuch niederschlugen, konnte die Bundesregierung zwar nicht verhindern, dass der Bundestag mit den Stimmen aller Fraktionen China aufforderte, die Menschenrechtsverletzungen in Tibet einzustellen. Zugleich aber sandten Kohl und Genscher geheime Botschaften an Chinas Regierung, in denen sie sich für die Resolution des Bonner Parlaments untertänigst entschuldigten. Genscher ließ ausdrücklich wissen, wie unglücklich er „über die Tatsache der Entschließung wie auch über ihren Inhalt“ sei.
Angesichts dessen erführe man gerne auch, was auf anderen Kommunikationsebenen – beispielsweise auf der seit 1963 jährlich tagenden Münchner Sicherheitskonferenz – zwischen demokratischen wie undemokratischen Politikern und Vertretern der Industrie besprochen oder in die Wege geleitet wurde und wird. Doch solche Quellen bleiben dem Historiker verschlossen.
Was aus den Akten des Auswärtigen Amts und anderen für Bösch zugänglichen Archiven hervorgeht, ist indessen heftig genug. Folgten in den 1950er-Jahren oft noch Ex-Nazis als Regierungsbeamte ihrer Sympathie für antikommunistische Gewaltherrscher, entwickelte sich danach rasch ein Aktionsmuster, das sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht: Es waren stets die Interessen der deutschen Industrie und ihrer Finanziers, die mal offen, mal verborgen das Agieren der Politik bestimmten.
Neu ist diese Erkenntnis nicht. Sie derart unwiderlegbar formuliert und dokumentiert zu haben, ist dennoch ein großes Verdienst des Direktors des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung. Gerade darum aber muss seine darüber hinausgehende Intention, zugleich „den Wandel des bundesdeutschen Umgangs mit Diktaturen“ zu zeigen, beim Leser auf eine gehörige Portion Skepsis stoßen. Wie kann ein Buch die Kontinuität bundesdeutscher Deals mit Diktaturen nachweisen und zugleich deren Wandel darlegen?
Bösch versucht dieses Problem mit einer sehr formalen Definition des Begriffs „Deal“ zu lösen, der hier die „aktive Form der Kooperation“ meine und deshalb nicht „auf einzelne Absprachen und Verträge verengt“ werden, sondern „Interaktionen im weiteren Sinne“ einbeziehen solle. So gesehen mussten „selbst Menschenrechtsorganisationen“ mit Diktaturen dealen, wenn sie Gefangenen zu helfen versuchten, meint Bösch. Und geht noch einen Schritt weiter, wenn er alle „gesellschaftlichen Gruppen, die sich mit Diktaturen auseinandergesetzt haben“ (beispielsweise Journalisten, Gewerkschaften, Amnesty oder generell die „Neue Linke“) ebenso als Dealer einstuft wie „Politiker, Ministerialbeamte und Diplomaten.“
Auf diese Weise lässt sich zwar kaum ein „Wandel“ in der tatsächlichen Bereitschaft deutscher Politiker feststellen, im Interesse des ökonomischen Profits Deals mit Diktaturen auszuhandeln, wie rücksichtslos auch immer diese ihre Gegner behandeln oder wie aggressiv sie, gerne mithilfe deutscher Waffen, gegen Regionen und Nachbarstaaten agieren, wenn die auf ihre Unabhängigkeit pochen. Als Wandel deutet der Autor aber das Phänomen, dass in den vergangenen Jahrzehnten die von Medien, Menschenrechtsorganisationen und kapitalismuskritischen Gruppen artikulierte Sensibilität für die inhumanen Praktiken diktatorisch regierter Partnerstaaten deutlich angewachsen ist.
Allerdings geht Böschs Jonglieren mit den Begriffen „Deals“ und „Wandel“ ganz und gar nicht auf. Indem seine Untersuchung faktisch basierte Geschichtsschreibung (Welche Deals hat die Politik ausgehandelt?) mit einer Art Mentalitätengeschichte zusammenspannt (Wie werden Diktaturen oder Geschäfte mit ihnen innerhalb der deutschen Gesellschaft beurteilt?), gerät sie methodisch immer wieder ins Schwimmen. Auf sorgfältige Quellenanalyse kann sie sich schließlich nur da stützen, wo es um die ökonomisch-politischen Deals als solche geht.
Ethisches Unbehagen konnte, wie Bösch selbst zeigt (und auch seine Definition von „Dealen“ ändert daran nichts) die Geschäftemacherei mit Diktaturen nie effektiv verhindern. Hier geht es meist um zwar spürbare, aber kaum exakt belegbare Einstellungen und Meinungen, bei deren Beschreibung sich das Buch denn auch allzu oft im Pauschalen oder Ungefähren („die Öffentlichkeit“, „die Neue Linke“) verliert.
Harte Fakten hatte Bösch fast nur da zur Hand, wo er die Freilassungen politischer Gefangener bilanziert, die als kompensatorische Beigaben zu Handelsgeschäften ertrotzt oder direkt mit Geld erkauft wurden. Wohl daher wird die chronologisch den Deals mit einzelnen Diktaturen folgende Gliederung des Buchs etwas überraschend von einem eigenen Kapitel über „Die deutsche Sektion von Amnesty International“ unterbrochen.
Wenn schon Sonderkapitel, so hätte man hier gern eines über den Bundestag gelesen. Wo Bösch Deals mit Diktaturen schildert, taucht die Volksvertretung selten als zustimmendes Organ auf (was sie faktisch sehr oft war), sondern als kritische, auf die Einhaltung von Menschenrechten bestehende – und von der Exekutive ignorierte oder gar hinters Licht geführte – Kraft. Wie im angeführten China-Beispiel zeigten solche Proteste meist nur kosmetische Wirkung. Aufs Handeln der Regierung hatte das Parlament deutlich weniger Einfluss als die Wirtschafts- und Finanzlobby. Hatte also der nicht als bekennender Marxist bekannte CSU-Chef Horst Seehofer recht, als er, während einer ARD-Sendung im Mai 2010 zu diesem Thema befragt, bündig erklärte: „Die entscheiden, sind nicht gewählt, und die gewählt sind, haben nichts zu entscheiden.“
Nicht nur da führt einen dieses Buch an den Rand demokratietheoretischer Abgründe, in die sein Autor wohlweislich nur sehr vorsichtig zu blicken wagt: „Der gegenwärtige weltweite Anstieg der Autokratien stimmt pessimistisch. Offensichtlich gelingt es Demokratien nicht mehr, ihre Wertvorstellungen rund um den Globus zu vermitteln.“
Und ein Wandel ist nicht wirklich in Sicht.
Der Pomp der Diktaturen
sollte auch Bonn
erstrahlen lassen
Trotz Unbehagens
obsiegte eigentlich immer
die Geschäftemacherei
Das Jonglieren
mit Begriffen geht
an vielen Stellen nicht auf
Gute Stimmung in Bonn: Der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas, Hu Yaobang, und Bundeskanzler Helmut Kohl im Jahr 1986. Ein Jahr später mischte sich Kohl zugunsten von Peking in den Tibet-Konflikt ein.
Foto: AP
Frank Bösch:
Deals mit Diktaturen. Eine andere Geschichte der Bundesrepublik. Verlag C.H. Beck,
München 2024.
622 Seiten, 32 Euro.
E-Book: 24,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.07.2024Die Hurensöhne der Bundesrepublik
Empörung! Dazu lädt dieses Buch ein. Und es dürfte dafür in Deutschland sicherlich ein dankbares Publikum finden. Denn es trifft mit seinem Thema einen empfindlichen Nerv der deutschen Gesellschaft: die gnadenlose Spiegelung von Anspruch und Wirklichkeit in den Beziehungen der Bundesrepublik mit Diktaturen. Frank Bösch hat diese "andere Geschichte" seines Landes aufgeschrieben. Kühl und nüchtern schildert der Direktor des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung, wie nicht nur die Regierungen der Bundesrepublik, sondern auch ihre Gesellschaft als Ganzes von Beginn an widersprüchlich handelten, wenn es um den Umgang mit Diktatur und Unterdrückung ging: Zwar grenzte man sich vom Nationalsozialismus und von der DDR ab, um einen möglichst starken Kontrast zum eigenen demokratischen Neuanfang herzustellen. Aber gleichzeitig arbeitete man auf vielfältige Weise mit Diktaturen zusammen - ob in Afrika, Lateinamerika oder Asien.
Ausgangspunkt für dieses Verhalten war der Kalte Krieg. Schon unter Konrad Adenauer schien für die intensive Zusammenarbeit mit undemokratischen Staaten das viel zitierte Diktum von Franklin D. Roosevelt über die amerikanische Unterstützung von Nicaraguas Diktator Anastasio Somoza zu gelten: "Er mag ja ein Hurensohn sein, aber er ist unser Hurensohn." Nach dieser Logik suchte auch die Bundesrepublik den Schulterschluss mit zahlreichen antikommunistischen Autokratien. Neben der Westbindung ging es dabei nach Bösch um Prestigebildung für den jungen westdeutschen Staat - in Form von internationaler Aufwertung und der Sicherung eines Platzes in der Abwehrfront gegen den Kommunismus.
Es war aber nicht nur die Politik, sondern auch die Wirtschaft, die sich in diesen Rahmenbedingungen bewegte. Der Eiserne Vorhang durch Europa schnitt den Handel zwischen West und Ost weitgehend ab. Ersatz sollte her für die schon damals stark exportorientierte Wirtschaft der Westdeutschen. Staatsempfänge für autokratische Herrscher dienten daher auch dem Zweck, die eigene wirtschaftliche Expertise und die Exportgüter anzupreisen. Bösch unterstreicht, wie eine üppige Unterstützung mit Entwicklungshilfe, günstigen Krediten und Hermes-Versicherungen die ökonomische Zusammenarbeit förderte. Sind es im kollektiven Gedächtnis der Westdeutschen nicht zuletzt die Vereinigten Staaten gewesen, die als westliche Führungsmacht den Schulterschluss mit Diktaturen vorlebten, so zeichnet Bösch ein Bild vom transatlantischen Binnenverhältnis, das in Deutschland weniger verbreitet sein dürfte: Es waren westdeutsche Unternehmen, unterstützt vom Bundeswirtschaftsministerium, die immer wieder die Grenzen des Zulässigen in ihrer Kooperation mit sozialistischen Staaten erprobten, die vom Westen systematisch bei Militär- und Hightech-Produkten sanktioniert wurden. Daher sah sich Washington mehrfach gezwungen, die Geschäfte der westdeutschen Eisen- und Stahlindustrie mit der DDR und der Sowjetunion zu bremsen.
Adenauer musste 1962 auf Druck der USA hin den bereits angelaufenen Ver-kauf von Rohrleitungen an die Sowjetunion stoppen. Schon zu dieser Zeit prägten weniger moralische Argumente als demonstrative Treue zum transatlantischen Partner die westdeutsche Sanktionspolitik, wie Bösch klar herausarbeitet und dabei anmerkt, dass die Bundesregierungen später keine derartige Rücksicht mehr nahmen. Die Folgen dieser Politik reichen bis heute.
Auch die nationalsozialistische Vergangenheit setzte der westdeutschen Kooperation mit Diktaturen mitunter Grenzen. Bösch verdeutlicht dies unter anderem an der Zusammenarbeit mit Francos Spanien angesichts der Verbindung aus der Zeit vor 1945: Die Deutschen hätten kreativ die Grenzen der vertretbaren Annäherung ausgetestet - zunächst mit in-formellen Treffen, dann auf Ministerebene. Die geheim geplante Stationierung der deutschen Luftwaffe in Spanien hätte hingegen in den USA, in Westeuropa und bei den Sozialdemokraten als zu großer Tabubruch gegolten, was kaum verwundert angesichts der unrühmlichen Rolle, die Hitlers Legion Condor im Spanischen Bürgerkrieg bei der Bombardierung von zivilen Zielen gespielt hatte.
Bösch weist ebenso darauf hin, dass die enge Kooperation der Bundesrepublik mit Portugal unter der Salazar-Diktatur in den 1960er-Jahren bei Waffenlieferungen leicht eingeschränkt wurde, um angesichts der portugiesischen Kolonialkriege nicht den afrikanischen Markt für deutsche Unternehmen zu gefährden. Nach seiner Analyse hing oft von anderen Partnern und Märkten ab, wie eng die westdeutsche Zusammenarbeit mit Diktaturen ausfiel. Dabei waren es nicht allein die USA, die den Westdeutschen verschiedentlich Grenzen setzten, sondern später auch die Europäische Gemeinschaft und die Vereinten Nationen.
Die zunehmenden Proteste in Westdeutschland gegen den Umgang der Bundesrepublik mit Diktaturen und der Regierungswechsel 1969 führten dann zu einem Wandel. Bösch beschreibt, wie sich nun die Besuche von Diktatoren oft von Bonn nach Bayern verlagerten, um sichtbare staatsoffizielle Handschläge, Proteste und Medienberichte in der Bundeshauptstadt zu vermeiden: Einige Autokraten seien oft direkt "privat" nach Bayern gereist, wo sie fürstlich empfangen worden seien, um dann ebenfalls "privat" kurz die Kanzler und Minister in Bonn zu treffen.
Die Rolle der Bundesländer in diesem Wandel unterschied sich dabei nach Parteifarbe. Bösch erinnert daran, dass besonders der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß in zahlreiche Diktaturen reiste. Damit wollte er die regionale Wirtschaft fördern. Das ist allerdings keine exklusiv bayerische Tradition, die bis in die Gegenwart reicht. So waren es nach Böschs Beobachtung ebenfalls unionsgeführte Bundesländer, die eine Schlüsselrolle beim Aufbau der Zusammenarbeit mit China spielten. Die sozialliberale Bundesregierung hielt sich hier zurück, allerdings nicht aus moralischen Gründen, wie Bösch betont, sondern um Verstimmungen mit der Sowjetunion zu vermeiden: "Ost- und Fernostpolitik ergänzten sich somit."
So betrachtet erscheint auch die Ostpolitik selbst in einem anderen Licht. Ihre Anbahnung ähnelte nach Böschs Darstellung der Annäherung an anti-kommunistische Diktaturen: Wirtschaftskontakte, dialogorientierte private Reisen und informelle Unterhändler hätten die Annäherung eingeleitet, auf die dann Staatsbesuche und Abkommen gefolgt seien. Wie bei anderen Diktaturen hätten deutsche Großinvestitionen und Handelsverflechtungen langfristige, recht krisenfeste Bindungen geschaffen: "Weder der Afghanistan-Einmarsch der Sowjetunion 1979 noch das Kriegsrecht in Polen 1981 behinderten die Fortsetzung der Kooperation, ungeachtet massiver US-Proteste."
Und mit Blick auf Iran sollte man nicht vergessen, dass es die Bundesregierung unter Willy Brandt war, die zahlreichen Autokratien deutsche Atomkraftwerke offerierte, die Iran, Brasilien und Argentinien dann auch tatsächlich kauften. Washington intervenierte wieder in Bonn - erneut erfolglos. THOMAS SPECKMANN
Frank Bösch: Deals mit Diktaturen. Eine andere Geschichte der Bundesrepublik.
C.H. Beck Verlag, München 2024. 622 S., 32,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
Empörung! Dazu lädt dieses Buch ein. Und es dürfte dafür in Deutschland sicherlich ein dankbares Publikum finden. Denn es trifft mit seinem Thema einen empfindlichen Nerv der deutschen Gesellschaft: die gnadenlose Spiegelung von Anspruch und Wirklichkeit in den Beziehungen der Bundesrepublik mit Diktaturen. Frank Bösch hat diese "andere Geschichte" seines Landes aufgeschrieben. Kühl und nüchtern schildert der Direktor des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung, wie nicht nur die Regierungen der Bundesrepublik, sondern auch ihre Gesellschaft als Ganzes von Beginn an widersprüchlich handelten, wenn es um den Umgang mit Diktatur und Unterdrückung ging: Zwar grenzte man sich vom Nationalsozialismus und von der DDR ab, um einen möglichst starken Kontrast zum eigenen demokratischen Neuanfang herzustellen. Aber gleichzeitig arbeitete man auf vielfältige Weise mit Diktaturen zusammen - ob in Afrika, Lateinamerika oder Asien.
Ausgangspunkt für dieses Verhalten war der Kalte Krieg. Schon unter Konrad Adenauer schien für die intensive Zusammenarbeit mit undemokratischen Staaten das viel zitierte Diktum von Franklin D. Roosevelt über die amerikanische Unterstützung von Nicaraguas Diktator Anastasio Somoza zu gelten: "Er mag ja ein Hurensohn sein, aber er ist unser Hurensohn." Nach dieser Logik suchte auch die Bundesrepublik den Schulterschluss mit zahlreichen antikommunistischen Autokratien. Neben der Westbindung ging es dabei nach Bösch um Prestigebildung für den jungen westdeutschen Staat - in Form von internationaler Aufwertung und der Sicherung eines Platzes in der Abwehrfront gegen den Kommunismus.
Es war aber nicht nur die Politik, sondern auch die Wirtschaft, die sich in diesen Rahmenbedingungen bewegte. Der Eiserne Vorhang durch Europa schnitt den Handel zwischen West und Ost weitgehend ab. Ersatz sollte her für die schon damals stark exportorientierte Wirtschaft der Westdeutschen. Staatsempfänge für autokratische Herrscher dienten daher auch dem Zweck, die eigene wirtschaftliche Expertise und die Exportgüter anzupreisen. Bösch unterstreicht, wie eine üppige Unterstützung mit Entwicklungshilfe, günstigen Krediten und Hermes-Versicherungen die ökonomische Zusammenarbeit förderte. Sind es im kollektiven Gedächtnis der Westdeutschen nicht zuletzt die Vereinigten Staaten gewesen, die als westliche Führungsmacht den Schulterschluss mit Diktaturen vorlebten, so zeichnet Bösch ein Bild vom transatlantischen Binnenverhältnis, das in Deutschland weniger verbreitet sein dürfte: Es waren westdeutsche Unternehmen, unterstützt vom Bundeswirtschaftsministerium, die immer wieder die Grenzen des Zulässigen in ihrer Kooperation mit sozialistischen Staaten erprobten, die vom Westen systematisch bei Militär- und Hightech-Produkten sanktioniert wurden. Daher sah sich Washington mehrfach gezwungen, die Geschäfte der westdeutschen Eisen- und Stahlindustrie mit der DDR und der Sowjetunion zu bremsen.
Adenauer musste 1962 auf Druck der USA hin den bereits angelaufenen Ver-kauf von Rohrleitungen an die Sowjetunion stoppen. Schon zu dieser Zeit prägten weniger moralische Argumente als demonstrative Treue zum transatlantischen Partner die westdeutsche Sanktionspolitik, wie Bösch klar herausarbeitet und dabei anmerkt, dass die Bundesregierungen später keine derartige Rücksicht mehr nahmen. Die Folgen dieser Politik reichen bis heute.
Auch die nationalsozialistische Vergangenheit setzte der westdeutschen Kooperation mit Diktaturen mitunter Grenzen. Bösch verdeutlicht dies unter anderem an der Zusammenarbeit mit Francos Spanien angesichts der Verbindung aus der Zeit vor 1945: Die Deutschen hätten kreativ die Grenzen der vertretbaren Annäherung ausgetestet - zunächst mit in-formellen Treffen, dann auf Ministerebene. Die geheim geplante Stationierung der deutschen Luftwaffe in Spanien hätte hingegen in den USA, in Westeuropa und bei den Sozialdemokraten als zu großer Tabubruch gegolten, was kaum verwundert angesichts der unrühmlichen Rolle, die Hitlers Legion Condor im Spanischen Bürgerkrieg bei der Bombardierung von zivilen Zielen gespielt hatte.
Bösch weist ebenso darauf hin, dass die enge Kooperation der Bundesrepublik mit Portugal unter der Salazar-Diktatur in den 1960er-Jahren bei Waffenlieferungen leicht eingeschränkt wurde, um angesichts der portugiesischen Kolonialkriege nicht den afrikanischen Markt für deutsche Unternehmen zu gefährden. Nach seiner Analyse hing oft von anderen Partnern und Märkten ab, wie eng die westdeutsche Zusammenarbeit mit Diktaturen ausfiel. Dabei waren es nicht allein die USA, die den Westdeutschen verschiedentlich Grenzen setzten, sondern später auch die Europäische Gemeinschaft und die Vereinten Nationen.
Die zunehmenden Proteste in Westdeutschland gegen den Umgang der Bundesrepublik mit Diktaturen und der Regierungswechsel 1969 führten dann zu einem Wandel. Bösch beschreibt, wie sich nun die Besuche von Diktatoren oft von Bonn nach Bayern verlagerten, um sichtbare staatsoffizielle Handschläge, Proteste und Medienberichte in der Bundeshauptstadt zu vermeiden: Einige Autokraten seien oft direkt "privat" nach Bayern gereist, wo sie fürstlich empfangen worden seien, um dann ebenfalls "privat" kurz die Kanzler und Minister in Bonn zu treffen.
Die Rolle der Bundesländer in diesem Wandel unterschied sich dabei nach Parteifarbe. Bösch erinnert daran, dass besonders der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß in zahlreiche Diktaturen reiste. Damit wollte er die regionale Wirtschaft fördern. Das ist allerdings keine exklusiv bayerische Tradition, die bis in die Gegenwart reicht. So waren es nach Böschs Beobachtung ebenfalls unionsgeführte Bundesländer, die eine Schlüsselrolle beim Aufbau der Zusammenarbeit mit China spielten. Die sozialliberale Bundesregierung hielt sich hier zurück, allerdings nicht aus moralischen Gründen, wie Bösch betont, sondern um Verstimmungen mit der Sowjetunion zu vermeiden: "Ost- und Fernostpolitik ergänzten sich somit."
So betrachtet erscheint auch die Ostpolitik selbst in einem anderen Licht. Ihre Anbahnung ähnelte nach Böschs Darstellung der Annäherung an anti-kommunistische Diktaturen: Wirtschaftskontakte, dialogorientierte private Reisen und informelle Unterhändler hätten die Annäherung eingeleitet, auf die dann Staatsbesuche und Abkommen gefolgt seien. Wie bei anderen Diktaturen hätten deutsche Großinvestitionen und Handelsverflechtungen langfristige, recht krisenfeste Bindungen geschaffen: "Weder der Afghanistan-Einmarsch der Sowjetunion 1979 noch das Kriegsrecht in Polen 1981 behinderten die Fortsetzung der Kooperation, ungeachtet massiver US-Proteste."
Und mit Blick auf Iran sollte man nicht vergessen, dass es die Bundesregierung unter Willy Brandt war, die zahlreichen Autokratien deutsche Atomkraftwerke offerierte, die Iran, Brasilien und Argentinien dann auch tatsächlich kauften. Washington intervenierte wieder in Bonn - erneut erfolglos. THOMAS SPECKMANN
Frank Bösch: Deals mit Diktaturen. Eine andere Geschichte der Bundesrepublik.
C.H. Beck Verlag, München 2024. 622 S., 32,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
"Böschs hochspannendes Buch ist eine Studie zum kalten Pragmatismus der Nachkriegsregierungen. Die Selbstbeherrschung des Autors beim Schildern zuweilen empörender Umstände ist zu bewundern."
Deutschlandfunk Andruck, Peter Carstens
"Aus heutiger Sicht liest sich Böschs Buch wie eine Chronik unfassbarer Skandale. ... diese Erkenntnis ... derart unwiderlegbar formuliert und dokumentiert zu haben, ist ... ein großes Verdienst des Direktors des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung."
Süddeutsche Zeitung, Rainer Stephan
"Ein Buch, das sich zuweilen wie eine Skandalchronik liest."
Table.Berlin, Damir Fras
Sachbuch-Bestenliste von ZEIT, ZDF und Deutschlandfunk im März 2024:
"Seit 1945 pflegt Deutschland immer wieder Beziehungen zu Diktaturen. Der Historiker Frank Bösch analysiert die Geschichte dieser Arrangements und zeigt die Widersprüche, die sich stets aufs Neue daraus ergeben haben."
"Überaus lesenswert."
ZEIT online, Nils Markwart
"Empörung! Dazu lädt dieses Buch ein ... Denn es trifft mit seinem Thema einen empfindlichen Nerv der deutschen Gesellschaft: die gnadenlose Spiegelung von Anspruch und Wirklichkeit in den Beziehungen der Bundesrepublik mit Diktaturen."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Thomas Speckmann
"Der Zeithistoriker Frank Bösch geht den Widersprüchen der deutschen Außenpolitik auf den Grund. Mit ernüchterndem bis erschreckendem Ergebnis."
taz, Tania Martini
"Bietet interessante Einblicke in einen grundlegenden Wandel der Bundesrepublik und zeigt auf überzeugende Weise, dass Außenpolitik nicht allein Sache der Bundeskabinette war, sondern sich im Wechselspiel zwischen einer selbstbewusster auftretenden politischen Öffentlichkeit, den Interessen oppositioneller migrantischer Gruppen, den Interessen von Unternehmen und Beharrungskräften in den Ministerien konstituierte."
Das Parlament, Beilage zur LBM24, Alexander Heinrich
"Böschs auf breit angelegten Quellenstudien beruhendes Buch wartet mit vielen spannend erzählten Details auf."
Kölner Stadtanzeiger, Markus Schwering
"Von den frühen Übergriffen auf die Pressefreiheit der Adenauer-Ära bis zur Energiepolitik unserer Gegenwart sieht die deutsche Gesellschaft sich selbst im Rückspiegel ihrer Auslandsbeziehungen. Frank Böschs Buch leistet einen großen Beitrag, diesen Blick zu vereindeutigen."
Tagesspiegel, Gerrit ter Horst
"Eine neue, überaus interessante Perspektive auf die Geschichte der BRD"
Damals
"Frank Bösch zeigt auf der Grundlage umfassender Archivrecherchen auf, welche Interessen aufeinandertrafen und was in den Hinterzimmern besprochen und angebahnt wurde."
Sächsische Zeitung, Christian Ruf
Deutschlandfunk Andruck, Peter Carstens
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