Im Garten der Sängerin Sophia im Pariser Faubourg St. Jacques steht eines Morgens ein Baum, der am Tag zuvor noch nicht da stand. Niemand hat ihn gepflanzt. Sophia empfindet ihn wie eine Bedrohung. Zwei Tage später ist sie spurlos verschwunden. Ihr Nachbar Marc, ein junger Historiker, derzeit ohne Job und ohne Frau, beginnt auf eigene Faust zu recherchieren, da weeder der ehemann noch die Polizei sich für diesen Fall interessieren ...
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.03.2006 Band 10
Der Baum, der im Verbrechen wurzelt
Fred Vargas „Die schöne Diva von Saint-Jacques”
Selten dürften Grauen und Verhängnis, die unverzichtbare Zutaten eines Kriminalromans sind, mit solch unmittelbarer Beiläufigkeit erzählerisch vorgeführt worden sein, wie in Fred Vargas Roman „Die schöne Diva von Saint-Jacques”, der im Original den wesentlich eingängigeren Titel „Debout les morts!” trägt. In Paris steht auf einmal ein Baum in einem kleinen Garten, den es am Tag zuvor noch nicht gab. Sein schieres Vorhandensein ist ein Rätsel, das Sophia, eine einst gefeierte Opernsängerin, sofort tief beunruhigt, während ihr Mann, dem sie beim gemeinsamen Frühstück auf den Baum vor dem Fenster ihres Hauses aufmerksam macht, sich davon in seiner Zeitungslektüre nicht irritieren lässt. Nach wenigen Dialogfetzen weiß der Leser zweierlei: Das Paar hat sich längst ausgesprochen, und der Baum steht ein für ein schreckliches Geheimnis.
Dieser Baum ist die eine Störung der vertrauten Ordnung in der friedlichen Idylle, die am südlichen Rand von Paris, im 14. Arrondissement, zu vermuten ist. Als eine andere erweist sich, dass in das verwaiste und verwahrloste Nachbarhaus mit einem Mal vier Männer einziehen: Das seltsame Quartett besteht aus drei jüngeren, arbeitslosen Akademikern, samt und sonders Historiker, die sich vom Studium her kennen, miteinander befreundet sind, sich aber gleichzeitig auf höchst unterhaltsame Art zu streiten verstehen; der Vierte in diesem seltsamen Bunde ist ein pensionierter, etwas zwielichtiger Kriminalbeamter. Komplettiert wird das Personal der Handlung noch durch die Wirtin eines in der Nachbarschaft der beiden Häuser befindlichen Bistros.
Die Szenerie wie das Personal, das sie belebt, zeugen von einem Paris à la Amélie Poulain, jener liebenswürdigen Protagonistin eines der erfolgreichsten französischen Spielfilme der vergangenen Jahre, der dem etwas eingetrübten Charme der französischen Metropole wieder neuen Glanz verschaffte. Im Gegensatz zu diesem Film erblüht in solch anheimelnder Umgebung aber nicht das stille Glück, sondern das stille Grauen, das mit der Ermordung von drei Menschen spannungsreich gesteigert wird. Mehr jedoch darf und soll von der Handlung dieses preisgekrönten Kriminalromans nicht verraten werden.
Fred Vargas - der Name ist ein Pseudonym, hinter dem sich eine Frau verbirgt - ist die derzeit bekannteste und erfolgreichste französische Krimiautorin. Die studierte Historikerin und Archäologin, die hauptberuflich am „Centre national de la recherche scientifique” arbeitet, einer nach dem Vorbild der einstigen sowjetischen Akademie der Wissenschaften organisierten staatlichen Großforschungseinrichtung, hat ihr Talent, spannende Kriminalgeschichten temporeich und für das Genre erstaunlich sprachbewusst und witzig zu erzählen, in bislang neun Romanen bewiesen.
Hauptschauplatz ihrer Geschichten ist zumeist Paris, das damit erstmals wieder seit den Tagen von Simenons Kommissar Maigret überzeugende Kulissen für Tatorte liefert. Dies wie auch die skurrilen Figuren, derer sich die Vargas gerne als Protagonisten ihrer ebenso unterhaltsamen wie erzählerisch anspruchsvollen Geschichten bedient, hat ihr eine auch in Deutschland stetig wachsende Lesergemeinde verschafft.
JOHANNES WILLMS
Fred Vargas
Foto: Luise Oligny
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Der Baum, der im Verbrechen wurzelt
Fred Vargas „Die schöne Diva von Saint-Jacques”
Selten dürften Grauen und Verhängnis, die unverzichtbare Zutaten eines Kriminalromans sind, mit solch unmittelbarer Beiläufigkeit erzählerisch vorgeführt worden sein, wie in Fred Vargas Roman „Die schöne Diva von Saint-Jacques”, der im Original den wesentlich eingängigeren Titel „Debout les morts!” trägt. In Paris steht auf einmal ein Baum in einem kleinen Garten, den es am Tag zuvor noch nicht gab. Sein schieres Vorhandensein ist ein Rätsel, das Sophia, eine einst gefeierte Opernsängerin, sofort tief beunruhigt, während ihr Mann, dem sie beim gemeinsamen Frühstück auf den Baum vor dem Fenster ihres Hauses aufmerksam macht, sich davon in seiner Zeitungslektüre nicht irritieren lässt. Nach wenigen Dialogfetzen weiß der Leser zweierlei: Das Paar hat sich längst ausgesprochen, und der Baum steht ein für ein schreckliches Geheimnis.
Dieser Baum ist die eine Störung der vertrauten Ordnung in der friedlichen Idylle, die am südlichen Rand von Paris, im 14. Arrondissement, zu vermuten ist. Als eine andere erweist sich, dass in das verwaiste und verwahrloste Nachbarhaus mit einem Mal vier Männer einziehen: Das seltsame Quartett besteht aus drei jüngeren, arbeitslosen Akademikern, samt und sonders Historiker, die sich vom Studium her kennen, miteinander befreundet sind, sich aber gleichzeitig auf höchst unterhaltsame Art zu streiten verstehen; der Vierte in diesem seltsamen Bunde ist ein pensionierter, etwas zwielichtiger Kriminalbeamter. Komplettiert wird das Personal der Handlung noch durch die Wirtin eines in der Nachbarschaft der beiden Häuser befindlichen Bistros.
Die Szenerie wie das Personal, das sie belebt, zeugen von einem Paris à la Amélie Poulain, jener liebenswürdigen Protagonistin eines der erfolgreichsten französischen Spielfilme der vergangenen Jahre, der dem etwas eingetrübten Charme der französischen Metropole wieder neuen Glanz verschaffte. Im Gegensatz zu diesem Film erblüht in solch anheimelnder Umgebung aber nicht das stille Glück, sondern das stille Grauen, das mit der Ermordung von drei Menschen spannungsreich gesteigert wird. Mehr jedoch darf und soll von der Handlung dieses preisgekrönten Kriminalromans nicht verraten werden.
Fred Vargas - der Name ist ein Pseudonym, hinter dem sich eine Frau verbirgt - ist die derzeit bekannteste und erfolgreichste französische Krimiautorin. Die studierte Historikerin und Archäologin, die hauptberuflich am „Centre national de la recherche scientifique” arbeitet, einer nach dem Vorbild der einstigen sowjetischen Akademie der Wissenschaften organisierten staatlichen Großforschungseinrichtung, hat ihr Talent, spannende Kriminalgeschichten temporeich und für das Genre erstaunlich sprachbewusst und witzig zu erzählen, in bislang neun Romanen bewiesen.
Hauptschauplatz ihrer Geschichten ist zumeist Paris, das damit erstmals wieder seit den Tagen von Simenons Kommissar Maigret überzeugende Kulissen für Tatorte liefert. Dies wie auch die skurrilen Figuren, derer sich die Vargas gerne als Protagonisten ihrer ebenso unterhaltsamen wie erzählerisch anspruchsvollen Geschichten bedient, hat ihr eine auch in Deutschland stetig wachsende Lesergemeinde verschafft.
JOHANNES WILLMS
Fred Vargas
Foto: Luise Oligny
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