Deckname Otto ist die Geschichte eines venezolanischen Revolutionärs, der nach Europa kam und für Algeriens Unabhängigkeit kämpfte, bevor er aufbrach, um Guerillero zu werden und sein Land zu befreien. Von den Anden in die Straßen von Paris, aus der Hitze Kubas ins verregnete London, von Algier bis auf den Marktplatz von Tübingen führen die unglaublichen Wege eines Mannes, dessen Gestalt von Jugend an Gerüchte und Legenden umgaben. Oswaldo Barreto Miliani, Revolutionär mit dem Decknamen Otto, geboren 1934 in den venezolanischen Anden, durfte erst nach Jahrzehnten in sein Land zurückkehren, wo er heute zurückgezogen lebt. Nicht ohne Verwunderung angesichts der Zufälle und Fügungen, die aus dem Studenten mit Hang zur deutschen Philosophie einen Tatmenschen machten, erzählt er sein abenteuerliches Leben zwischen den Welten. Otto kämpft, wird gefangengenommen und gefoltert; kann fliehen, nach Salamanca und Paris. Er studiert Hegel und Heidegger, liest Sartre und Celan, wird Berater Fidel Castros, Freund Che Guevaras und heiratet Vida, eine persische Aristokratin - Freundin von Farah Diba -, die ihn erst nach einer langen, die Grenzen der Selbsterniedrigung streifenden »Belagerung« erhört. Lisa St Aubin de Terán hat Ottos Erzählung aufgeschrieben, authentisch und packend - und mit allen Freiheiten, die ein Roman erfordert.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.06.2007Das wirklich wahre Leben
Ein venezolanischer Revolutionär, der schöne Frauen und die Schriften Heideggers und Celans liebt - Lisa St Aubin de Terán hat aus der abenteuerlichen Lebensgeschichte von Oswaldo Barreto Miliani einen Roman gemacht, der sich wie ein Thriller liest.
Von Hans Christoph Buch
Was für ein Roman! "Deckname Otto" liest sich wie ein Thriller von Dan Brown, aber im Gegensatz zu den niederen Instinkten, an die dieser und andere Bestsellerautoren appellieren, geht es Lisa St Aubin nicht um todesmutige Agenten im Kampf gegen sadistische Killer, die im Auftrag satanischer Mächte nach Weltherrschaft streben, sondern um etwas, das auf Spanisch "pura vida" heißt: Eros und Politik, Gewalt und Tod, Liebe und Revolution - großgeschrieben, mit wie Kanonendonner rollendem R.
Dabei schlägt man das mit publizistischen Vorschusslorbeeren überhäufte Buch ohne allzu große Erwartungen auf. Doch schon bei flüchtigem Durchblättern wird klar, dass der Leser kein kommerzielles Machwerk vor sich hat, sondern einen hochkarätigen Roman, dessen Sog er sich nicht mehr entziehen kann. Und nach der Lektüre von 572 lebensprallen Seiten bedauert man, dass der Roman zu Ende ist, und legt das Buch mit dem Gefühl aus der Hand, beglückt und bereichert zu sein, anstatt sich wieder einmal unter seinem Niveau amüsiert zu haben.
Leben und Taten Ottos.
Lisa St Aubin de Teráns Leben ist so abenteuerlich wie ihr Name: Der Vater stammte aus Britisch-Guayana, ihre Mutter war Engländerin, und mit sechzehn begegnete sie in London einem venezolanischen Revolutionär, der mit einer Gruppe von Ex-Guerrilleros in einer konspirativen Wohnung hauste. "Jaime war mehrere Wochen lang nicht vor der Tür gewesen. Seine Intuition sagte ihm, er müsse sich auf die Straße stellen, also stellte er sich an der Ecke Abbeville Road/South Circular auf die Straße. Zehn Minuten später stieß er mit einem Mädchen zusammen (ich wünschte, es wäre eine Frau gewesen, aber es handelte sich um ein Schulmädchen), in das er sich Hals über Kopf verliebte."
Erschwerend kam hinzu, dass Lisa St Aubin schon damals Romane schrieb und durch ihre auffällige Kleidung - Handschuhe bis zum Ellbogen und Hüte so groß wie Schachtische - das Augenmerk der Polizei auf sich zog. Sie folgte ihrem Geliebten in dessen konspirative Wohnung und später nach Venezuela, wo sie eine Kaffeefarm in den Anden leitete, und lebt heute als weltweit beachtete Autorin, deren auf Deutsch übersetzte Romane bei Insel und Suhrkamp erscheinen, in Moçambique.
Das alles wäre, für sich genommen, exotisch genug, aber es ist nur die Folie, der autobiographische Hintergrund einer noch verrückteren Geschichte, die das bunte Leben von Lisa St Aubin blass aussehen lässt. Das vorliegende Buch könnte in Anlehnung an spanische Schelmenromane "Leben und Taten von Oswaldo Barreto Miliani" heißen, genannt Otto, weil der glücklose Held den Hang zu schönen Frauen und gescheiterten Revolutionen mit der Liebe zur deutschen Literatur verbindet.
Martin Heidegger und Paul Celan waren die Kronzeugen - man könnte auch Kronleuchter sagen - dieses intellektuellen Revolutionärs, der sich in der Logistik des Guerrillakampfs ebenso auszeichnete wie bei der Planung und Durchführung eines Bankraubs mit Millionenbeute, der unblutig über die Bühne ging und ihn zu Venezuelas meistgesuchtem Verbrecher werden ließ: ein zweifelhafter Ruhm, übertroffen nur von Top-Terrorist Carlos, dessen kriminelle Karriere gerade erst begann, als Otto sich vom bewaffneten Kampf distanzierte und sich vom Kommunisten zum Antikommunisten wandelte. Seinen Widerstandswillen hatten weder Haft noch Folter gebrochen, die er seelisch überstand, indem er seinen Mithäftlingen Vorträge über Heidegger und Sartre hielt: Es war die Hexenjagd der eigenen Genossen gegen jeden, der ideologischer Abweichung verdächtig war und, zum Renegaten erklärt, ins Lager des politischen Gegners abgeschoben wurde. Diese Erfahrung hatten André Gide, Arthur Koestler und George Orwell in ähnlicher Weise gemacht, und sie war es, die Otto zum Bruch mit der kommunistischen Kirche bewog, deren Menschheitsbeglückung nur durch Gehirnwäsche oder physische Gewalt durchzusetzen war.
Ein Ohr für Castros Monologe.
Sein Ausscheren aus dem Gesinnungsverbund hat Venezuelas alte und neue Linke, die heute dem Politclown Chávez zujubelt, Otto nie verziehen, obwohl oder weil er sich auf illustre Gewährsmänner beruft: Er war mit Salvador Allende und Che Guevara per du, und Fidel Castro mochte ihn, weil Otto, von Schlaflosigkeit geplagt, während der nächtelangen Monologe des Comandante nie einnickte. Der salvadorianische Dichter und Dissident Roque Dalton, der nicht rechten Todesschwadronen, sondern dem Terror der Linken zum Opfer fiel, gehörte ebenso zu seinen Freunden wie der Pariser Philosoph Régis Debray, der mit Che Guevara in Bolivien kämpfte und vom Vordenker des Guerrillakriegs zu dessen entschiedenem Kritiker wurde.
Besser als alle ideologischen Haarspaltereien verdeutlicht ein Zitat den Zusammenhang zwischen Alltagskultur und Gewalt, Eros und Politik in Venezuela, dem Ursprungsland des magischen Realismus und der bolivarischen Revolution: "Ich glaube an einen Zusammenhang zwischen Zucker und Gewalt. Vielleicht musste es in dieser harten Gesellschaft solche süßen Momente geben. Natürlich konnte man nach dem Schlucken die verbalen Attacken wiederaufnehmen, aber solange die Süßspeise im Mund war, erzwang sie eine Waffenruhe. Erst im Ausland sah ich, dass nicht alle Menschen fünf Stück Zucker in ein Tässchen Kaffee rühren und anschließend die Zuckerschale leer essen."
- Lisa St Aubin de Terán: "Deckname Otto". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Ebba D. Drolshagen. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2007. 572 S., geb., 22,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein venezolanischer Revolutionär, der schöne Frauen und die Schriften Heideggers und Celans liebt - Lisa St Aubin de Terán hat aus der abenteuerlichen Lebensgeschichte von Oswaldo Barreto Miliani einen Roman gemacht, der sich wie ein Thriller liest.
Von Hans Christoph Buch
Was für ein Roman! "Deckname Otto" liest sich wie ein Thriller von Dan Brown, aber im Gegensatz zu den niederen Instinkten, an die dieser und andere Bestsellerautoren appellieren, geht es Lisa St Aubin nicht um todesmutige Agenten im Kampf gegen sadistische Killer, die im Auftrag satanischer Mächte nach Weltherrschaft streben, sondern um etwas, das auf Spanisch "pura vida" heißt: Eros und Politik, Gewalt und Tod, Liebe und Revolution - großgeschrieben, mit wie Kanonendonner rollendem R.
Dabei schlägt man das mit publizistischen Vorschusslorbeeren überhäufte Buch ohne allzu große Erwartungen auf. Doch schon bei flüchtigem Durchblättern wird klar, dass der Leser kein kommerzielles Machwerk vor sich hat, sondern einen hochkarätigen Roman, dessen Sog er sich nicht mehr entziehen kann. Und nach der Lektüre von 572 lebensprallen Seiten bedauert man, dass der Roman zu Ende ist, und legt das Buch mit dem Gefühl aus der Hand, beglückt und bereichert zu sein, anstatt sich wieder einmal unter seinem Niveau amüsiert zu haben.
Leben und Taten Ottos.
Lisa St Aubin de Teráns Leben ist so abenteuerlich wie ihr Name: Der Vater stammte aus Britisch-Guayana, ihre Mutter war Engländerin, und mit sechzehn begegnete sie in London einem venezolanischen Revolutionär, der mit einer Gruppe von Ex-Guerrilleros in einer konspirativen Wohnung hauste. "Jaime war mehrere Wochen lang nicht vor der Tür gewesen. Seine Intuition sagte ihm, er müsse sich auf die Straße stellen, also stellte er sich an der Ecke Abbeville Road/South Circular auf die Straße. Zehn Minuten später stieß er mit einem Mädchen zusammen (ich wünschte, es wäre eine Frau gewesen, aber es handelte sich um ein Schulmädchen), in das er sich Hals über Kopf verliebte."
Erschwerend kam hinzu, dass Lisa St Aubin schon damals Romane schrieb und durch ihre auffällige Kleidung - Handschuhe bis zum Ellbogen und Hüte so groß wie Schachtische - das Augenmerk der Polizei auf sich zog. Sie folgte ihrem Geliebten in dessen konspirative Wohnung und später nach Venezuela, wo sie eine Kaffeefarm in den Anden leitete, und lebt heute als weltweit beachtete Autorin, deren auf Deutsch übersetzte Romane bei Insel und Suhrkamp erscheinen, in Moçambique.
Das alles wäre, für sich genommen, exotisch genug, aber es ist nur die Folie, der autobiographische Hintergrund einer noch verrückteren Geschichte, die das bunte Leben von Lisa St Aubin blass aussehen lässt. Das vorliegende Buch könnte in Anlehnung an spanische Schelmenromane "Leben und Taten von Oswaldo Barreto Miliani" heißen, genannt Otto, weil der glücklose Held den Hang zu schönen Frauen und gescheiterten Revolutionen mit der Liebe zur deutschen Literatur verbindet.
Martin Heidegger und Paul Celan waren die Kronzeugen - man könnte auch Kronleuchter sagen - dieses intellektuellen Revolutionärs, der sich in der Logistik des Guerrillakampfs ebenso auszeichnete wie bei der Planung und Durchführung eines Bankraubs mit Millionenbeute, der unblutig über die Bühne ging und ihn zu Venezuelas meistgesuchtem Verbrecher werden ließ: ein zweifelhafter Ruhm, übertroffen nur von Top-Terrorist Carlos, dessen kriminelle Karriere gerade erst begann, als Otto sich vom bewaffneten Kampf distanzierte und sich vom Kommunisten zum Antikommunisten wandelte. Seinen Widerstandswillen hatten weder Haft noch Folter gebrochen, die er seelisch überstand, indem er seinen Mithäftlingen Vorträge über Heidegger und Sartre hielt: Es war die Hexenjagd der eigenen Genossen gegen jeden, der ideologischer Abweichung verdächtig war und, zum Renegaten erklärt, ins Lager des politischen Gegners abgeschoben wurde. Diese Erfahrung hatten André Gide, Arthur Koestler und George Orwell in ähnlicher Weise gemacht, und sie war es, die Otto zum Bruch mit der kommunistischen Kirche bewog, deren Menschheitsbeglückung nur durch Gehirnwäsche oder physische Gewalt durchzusetzen war.
Ein Ohr für Castros Monologe.
Sein Ausscheren aus dem Gesinnungsverbund hat Venezuelas alte und neue Linke, die heute dem Politclown Chávez zujubelt, Otto nie verziehen, obwohl oder weil er sich auf illustre Gewährsmänner beruft: Er war mit Salvador Allende und Che Guevara per du, und Fidel Castro mochte ihn, weil Otto, von Schlaflosigkeit geplagt, während der nächtelangen Monologe des Comandante nie einnickte. Der salvadorianische Dichter und Dissident Roque Dalton, der nicht rechten Todesschwadronen, sondern dem Terror der Linken zum Opfer fiel, gehörte ebenso zu seinen Freunden wie der Pariser Philosoph Régis Debray, der mit Che Guevara in Bolivien kämpfte und vom Vordenker des Guerrillakriegs zu dessen entschiedenem Kritiker wurde.
Besser als alle ideologischen Haarspaltereien verdeutlicht ein Zitat den Zusammenhang zwischen Alltagskultur und Gewalt, Eros und Politik in Venezuela, dem Ursprungsland des magischen Realismus und der bolivarischen Revolution: "Ich glaube an einen Zusammenhang zwischen Zucker und Gewalt. Vielleicht musste es in dieser harten Gesellschaft solche süßen Momente geben. Natürlich konnte man nach dem Schlucken die verbalen Attacken wiederaufnehmen, aber solange die Süßspeise im Mund war, erzwang sie eine Waffenruhe. Erst im Ausland sah ich, dass nicht alle Menschen fünf Stück Zucker in ein Tässchen Kaffee rühren und anschließend die Zuckerschale leer essen."
- Lisa St Aubin de Terán: "Deckname Otto". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Ebba D. Drolshagen. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2007. 572 S., geb., 22,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Einigermaßen rhapsodisch fallen Hans Christoph Buchs Kommentare zu diesem Roman aus. Man erfährt ohne rechten Zusammenhang manches über die Autorin und den real existierenden Gegenstand ihres Romans. Lisa St.Aubin de Teran verliebte sich, noch minderjährig, in einen venezuelanischen Revolutionär, folgte ihm später nach Venezuela, wo sie eine Kaffeeplantage leitete und dann zusehends erfolgreiche Romane schrieb. Dieser hier ist autobiografisch und sein Held Oswaldo Barreto Milani eine Figur, die zwar erfunden klingt, aber keineswegs ist. Ein Revolutionär, der zum Antikommunismus umschwenkt, im Gefängnis dann Vorträge hält über Martin Heidegger und Paul Celan. Seine Geschichte erzählt St. Aubin de Teran und wenn man dem hingerissenen Rezensenten glauben darf, tut sie es mit der Spannung eines Dan Brown, aber über dessen Romane weit hinausreichenden literarischen Qualitäten. "Hochkarätig", lobt Buch, und nach 572 "lebensprallen" Seiten fühlt er sich "beglückt und bereichert".
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Terán [verknüpft] das Ich-Erzähler geschilderte Lebensbild so geschickt mit der Frage nach dem Sinn, dass der Exrevolutionär sich mehr als zufrieden zeigt.«
Frankfurter Allgemeine Zeitung
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