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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.04.2000

Balthasar Neumann wird immer noch besser
Und der Dehio will alles noch genauer wissen: Franken in neuer Bearbeitung

Franken war einmal das Musterbeispiel für deutsches Duodezfürstentum. Ähnlich wie sich vom Spessart bis zum Fichtelgebirge die geologischen Schichtstufen von Buntsandstein, Muschelkalk, Keupersandstein, Jurakalk und Granit staffeln und unterschiedlich farbige Steine für den Bau von Burgen, Schlössern und Kirchen zur Verfügung stellten, so überzog das Land ein bunter politischer Flickenteppich. Die Hochstifte Mainz, Würzburg, Bamberg und Eichstätt überschnitten sich, dazwischen stieß man auf die hohenzollernschen Fürstentümer Ansbach und Kulmbach-Bayreuth, auf bedeutende Gebiete des Deutschen Ordens und schließlich auf Reichsstädte wie Nürnberg, Rothenburg ob der Tauber und Dinkelsbühl. Nicht nur zahlreiche Residenzen und Lustschlösser entstanden, sondern in kurzen Abständen wurden auch kleine Orte zu Städten erhoben und befestigt, da alle paar Kilometer die Landesherrschaft wechselte. Franken wurde mit Kunstdenkmälern übersät.

Vor hundert Jahren hatte Georg Dehio mit der Arbeit am "Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler" begonnen und konnte im Jahr 1905 den ersten Band "Mitteldeutschland" vorlegen, in dem auch Ober- und Unterfranken behandelt wurden. Kurze Zeit später erschien der Band "Süddeutschland", welcher zudem Mittelfranken berücksichtigte. Der Verfasser sah sein Werk als vorläufig an: Es sei ein "ständiger Rahmen gewonnen für Eintragung der laufenden Fortschritte der Forschung". Die Dehio-Vereinigung sorgte nach dem Zweiten Weltkrieg für eine neue Einteilung der Reihe und bedachte Franken mit einem eigenen Buch. Im Jahr 1979 wurde der Band "Bayern I: Franken" veröffentlicht, bearbeitet von Tilmann Breuer, Friedrich Oswald, Friedrich Piel, Wilhelm Schwemmer und anderen. Jetzt ist davon die zweite, durchgesehene und ergänzte Auflage erschienen, wofür wiederum dieselben Fachleute der Denkmalpflege und Kunstgeschichte verantwortlich zeichnen.

Das Prinzip von Auswahl und Pointierung, welches Dehio pflegte, wird vom Gesichtspunkt der Vollständigkeit und strenger Sachlichkeit abgelöst. Der Altmeister hatte sich zuweilen noch einen erfrischend unbefangenen Blick auf berühmte Kunstdenkmäler erlaubt. Bei der Betrachtung der Hofkirche in der Würzburger Residenz äußerte es ohne Umschweife: "In der 1743 gew. Kapelle verliert Neumann die Klarheit seiner Kunstsprache, eine eigentümlich ,schwüle, überhitzte' Stimmung tritt ein." Im jüngsten Band hingegen scheut man sich, dem großartigen Architekten einen Missgriff anzukreiden: "Zusammen mit der von Hildebrandt angegebenen Ausstattung entstand damit einer der vollendetsten Kirchenräume des deutschen 18. Jahrhunderts."

Wenngleich also die jüngere Darstellung gegenüber der älteren Dehios da und dort an Würze verliert, gewährt sie doch einen tieferen Einblick in die Geschichte der Kunstwerke. Hatte sich Dehio überwiegend noch darauf beschränkt, einzelne Baudenkmäler und ihre Ausstattung vorzustellen, so werden nun auch die jeweiligen Orte und Städte in den Blick gerückt. Häufig wird einleitend dargelegt, wie sich eine Stadt entwickelte, welche Eigenart ihr Grundriss aufweist und wer einst der Stadtherr war und das Baugeschehen vorantrieb. Erst dann folgten die Beschreibungen der bedeutendsten Gebäude in einem Ort. Die sachlichen, aufschlussreichen Texte, ergänzt durch zahlreiche Grundrisse von Burgen, Schlössern, Kirchen und Städten, heben sich über weite Strecken wohltuend von den Anpreisungen oder der krampfhaften Originalität anderer Reisebücher ab.

Die Glanzpunkte bilden jene Passagen, welche die Hauptorte fränkischer Kunstdenkmäler betreffen: Würzburg, Bamberg und Nürnberg. Das fürstbischöfliche Würzburg bildete gleichsam die Ur-Stadt in Franken. Schon um 900 wurde um die Ansiedlung herum ein Wall-und-Graben-System errichtet, das einem nahezu regelmäßigen Fünfeck folgte und bis heute im Straßenverlauf ablesbar ist. In der Mitte wuchs vom elften Jahrhundert an ein neuer wuchtiger Dom empor, auf den man überdies, wie in Speyer, einen langen Straßenmarkt gleich einer Via triumphalis zulaufen ließ. Ähnlich wie die Stadt am Rhein, die von den salischen Kaisern ausgebaut wurde, sollte die Stadt am Main ein Zentrum des Reiches sein. Freilich könnte man noch betonen, dass Würzburg bis heute eine der kunstvollsten romanischen Stadtanlagen in Deutschland überhaupt darstellt. In der Vielzahl von Kirchen spiegelte sich ein zweites Rom, und die geordnete Geometrie des Stadtgrundrisses wurde von anderen Orten erst in der Gotik erreicht.

Den Stadtplan und die wichtigsten Bauten sollte man allgemein noch stärker aufeinander beziehen. Die dreidimensionalen öffentlichen Räume, die rhythmisch gefügten Plätze und Straßen und die Ensemblebildungen können für sich als Kunstwerke verstanden werden. Die Schönheit der einzelnen Bauten erwächst oft erst aus der Beziehung, in der sie zueinander stehen. Trotz schwerer Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg ist Würzburgs Mitte immer noch beeindruckend, weil das alte Raumgefüge und die Blickachsen zwischen den wieder errichteten Monumentalbauten gewahrt blieben. Gelegentlich blitzen diese Vernetzungen im neuen Dehio auf. Das ehemalige Chorherrenstift Neumünster wird in Verbindung mit dem Dom St. Kilian gesehen, ebenso wie die Alte Universität im Zusammenhang mit der Festung Marienberg besprochen.

Ausführliche Darstellungen, die den neuesten Stand der Forschung wiedergeben, erfahren auch ländlich entlegene, aber bedeutende Klöster wie Banz oder Ebrach, ebenso fürstliche Sommerresidenzen wie Schloss Werneck oder Schloss Weißenstein in Pommersfelden. Passagen hingegen, die kleinere, weniger bekannte Orte und Städte betreffen, unterscheiden sich zuweilen nicht allzu sehr von Dehios Urtext und können Datierungsfehler enthalten.

Eher stiefmütterlich wird insgesamt die plastische Kunst behandelt. Meisterwerke wie Tilman Riemenschneiders Grabmal für Bischof Rudolf von Scherenberg im Würzburger Dom, wie Veit Stoß' Englischer Gruß in der Nürnberger Lorenzkirche oder der Reiter im Bamberger Dom werden nur mit wenigen Zeilen bedacht, während über mehrere Seiten hinweg unzählige Grabplatten in den Kathedralen und in den jeweiligen Kreuzgängen und Kapitalsbauten eine Auflistung erfahren. Durch eine überlegte Auswahl könnte Platz gewonnen werden, um die Hauptwerke genauer zu erfassen und zu deuten. Bleibt also zu wünschen, dass sich das Dehio-Handbuch auch in Zukunft so erfolgreich weiterentwickelt wie bislang. Der neue Band über Franken dürfte zu mancher Reise anstacheln.

ERWIN SEITZ

Georg Dehio: "Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler: Bayern I, Franken". Bearb. v. Tilmann Breuer, Friedrich Oswald, Friedrich Piel, Wilhelm Schwemmer u. a. Zweite, durchges. u. ergänzte Auflage. Deutscher Kunstverlag, München 1999. 1320 S., 174 Pläne u. Grundrisse, geb., 98,- DM.

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