Jaime Deza, der vor vielen Jahren in Oxford unterrichtet hat, kehrt nach England zurück. Dort entdeckt er, daß sein ehemaliger Mentor, Sir Peter Wheeler, Mitglied dieses Geheimdienstes ist und daß er ebenfalls über eine bestimmte Gabe verfügt - oder ist es ein Fluch: Er kann sehen, wie ein Mensch sich später verhalten wird, er kann erkennen, wie das Gesicht morgen sein wird, er weiß, wer ein Verräter sein wird und wer loyal.
Formal raffiniert und faszinierend verfolgt Marías hier mehr denn je einige seiner bereits klassischen Themen: das unergründliche Wesen der Menschen, Segen und Fluch von Reden und Schweigen, und was wir alle vom ersten Augenblick an in anderen erkennen können - was aber nur wenige wahrhaben wollen.
Formal raffiniert und faszinierend verfolgt Marías hier mehr denn je einige seiner bereits klassischen Themen: das unergründliche Wesen der Menschen, Segen und Fluch von Reden und Schweigen, und was wir alle vom ersten Augenblick an in anderen erkennen können - was aber nur wenige wahrhaben wollen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.10.2004Spannung mit offenem Ende
Javier Marías im Mousonturm
Eine Welt in einem Blutstropfen: Eine innere, komplexe, mäandernde Gedankenwelt entfaltet sich, als der Erzähler des neuen Werks von Javier Marías ("Dein Gesicht morgen", erster Teil) als nächtlicher Gast bei einem Freund plötzlich ein unscheinbares Blutströpfchen entdeckt. Es wird zum Auslöser einer fast hektischen inneren Gedankenbetriebsamkeit, die sich unter völliger äußerer Stille auszubreiten scheint. Bis hin zu Schuldgefühlen bringt sich der Erzähler oder steigt ein in die Erinnerungen an einen kuriosen, alten Freund, dem ein Blutstropfen zum Schicksal wurde. Schließlich ist der Erzähler so weit, daß er die Verantwortung für den fremden Tropfen übernehmen, ihn aufwischen will und den Zeugen all seiner Gedanken verschwinden läßt.
"So spannend wie Fußball" hatte Werner Söllner vom Hessischen Literaturforum versprochen, könne der deutsch-spanische Abend mit dem nicht nur hierzulande überaus erfolgreichen Javier Marías auf der Studio-Bühne des Mousonturms werden. Und das Kunststück gelang: Die Spannung eines ungeheuer handlungsarmen Texts aus einem noch unabgeschlossenen, mehrteiligen Romanprojekt, dessen Bändezahl noch unklar ist (der erste Band heißt im Deutschen "Fieber und Lanze"), ließ sich auf die Zuhörer übertragen. Und das, obwohl überdies auch die gemeinhin eher schwerfällige Zweisprachigkeit der Veranstaltung ausgehalten werden mußte.
Die größte Sogwirkung übten die inneren Bewegungen des Erzählers aus - oder das Zeigen, "wie einer denkt", wie Paul Ingendaay es formulierte, Korrespondent dieser Zeitung in Madrid, der die Lesung unterhaltsam moderierend übersetzte. Marías, dessen warmem Timbre man noch länger, als der Abend dauerte, gerne zugehört hätte, steuerte einige reale Bezüge seines Projekts bei, in dem es vordergründig um Mitglieder des britischen Geheimdiensts geht. Tatsächlich wurde sein Vater, der spanische Philosoph Julian Marías, in den Zeiten des Spanischen Bürgerkriegs von seinem besten Freund als "Roter" verraten. Was damals, so erläuterte Marías, einem Todesurteil gleichkam. In dem Buch nun habe er es gewagt, den Namen des Verräters einzubauen. Als er seinem heute in den Neunzigern stehenden Vater, der seinen Feinden also doch entkommen sein muß, die Passage vorgelesen habe, habe dessen einziger Kommentar gelautet, daß er diesen Namen niemals öffentlich genannt habe. Der Sohn konterte mit der Fiktionalität seines Projekts: Werde nicht jeder Name, der in einem Roman auftauche, zur Fiktion, sei also vielleicht gar nicht genannt?
SIGRID SCHERER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Javier Marías im Mousonturm
Eine Welt in einem Blutstropfen: Eine innere, komplexe, mäandernde Gedankenwelt entfaltet sich, als der Erzähler des neuen Werks von Javier Marías ("Dein Gesicht morgen", erster Teil) als nächtlicher Gast bei einem Freund plötzlich ein unscheinbares Blutströpfchen entdeckt. Es wird zum Auslöser einer fast hektischen inneren Gedankenbetriebsamkeit, die sich unter völliger äußerer Stille auszubreiten scheint. Bis hin zu Schuldgefühlen bringt sich der Erzähler oder steigt ein in die Erinnerungen an einen kuriosen, alten Freund, dem ein Blutstropfen zum Schicksal wurde. Schließlich ist der Erzähler so weit, daß er die Verantwortung für den fremden Tropfen übernehmen, ihn aufwischen will und den Zeugen all seiner Gedanken verschwinden läßt.
"So spannend wie Fußball" hatte Werner Söllner vom Hessischen Literaturforum versprochen, könne der deutsch-spanische Abend mit dem nicht nur hierzulande überaus erfolgreichen Javier Marías auf der Studio-Bühne des Mousonturms werden. Und das Kunststück gelang: Die Spannung eines ungeheuer handlungsarmen Texts aus einem noch unabgeschlossenen, mehrteiligen Romanprojekt, dessen Bändezahl noch unklar ist (der erste Band heißt im Deutschen "Fieber und Lanze"), ließ sich auf die Zuhörer übertragen. Und das, obwohl überdies auch die gemeinhin eher schwerfällige Zweisprachigkeit der Veranstaltung ausgehalten werden mußte.
Die größte Sogwirkung übten die inneren Bewegungen des Erzählers aus - oder das Zeigen, "wie einer denkt", wie Paul Ingendaay es formulierte, Korrespondent dieser Zeitung in Madrid, der die Lesung unterhaltsam moderierend übersetzte. Marías, dessen warmem Timbre man noch länger, als der Abend dauerte, gerne zugehört hätte, steuerte einige reale Bezüge seines Projekts bei, in dem es vordergründig um Mitglieder des britischen Geheimdiensts geht. Tatsächlich wurde sein Vater, der spanische Philosoph Julian Marías, in den Zeiten des Spanischen Bürgerkriegs von seinem besten Freund als "Roter" verraten. Was damals, so erläuterte Marías, einem Todesurteil gleichkam. In dem Buch nun habe er es gewagt, den Namen des Verräters einzubauen. Als er seinem heute in den Neunzigern stehenden Vater, der seinen Feinden also doch entkommen sein muß, die Passage vorgelesen habe, habe dessen einziger Kommentar gelautet, daß er diesen Namen niemals öffentlich genannt habe. Der Sohn konterte mit der Fiktionalität seines Projekts: Werde nicht jeder Name, der in einem Roman auftauche, zur Fiktion, sei also vielleicht gar nicht genannt?
SIGRID SCHERER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Javier Marias' Romane schienen bisher immer Teile eines riesigen Fortsetzungsromans zu sein, bemerkt Rezensentin Katharina Granzin. In dieser Hinsicht sei "Dein Gesicht morgen" kein klassischer Marias, denn hierbei handele es sich tatsächlich um einen Fortsetzungsroman, der die (in "Alle Seelen" verstorbene) Figur des Toby Rylands in der Gestalt des emeritierten Professors Peter Wheeler wieder zum Leben erwecke. Über diesen Professor, so die Rezensentin, gelange der Erzähler an eine Stelle beim Geheimdienst, die sich mit "psychologischem Profiling" beschäftige und somit die "Sprache als Mittel des Verrats" auslote. Genau diesem Diktum, das schon im ersten Satz anklingt ("Man sollte niemals etwas erzählen..."), widerspreche allerdings der gesamte Roman, der sehr stark auf Klartext abziele, dabei aber die "Unzulänglichkeit" der Sprache thematisieren wolle. Doch es scheint der Rezensentin, als ob Marias zum "Opfer der eigenen Sprachgewandtheit" geworden sei: Gewundene, immer wieder neu formulierte Darstellungen einfacher Sachverhalte überstrapazieren irgendwann auch den wohlwollenden Leser. "Außergewöhnlich monothematisch" kreise der Roman um die Frage "Was kann passieren wenn man redet?", und sei durch diese Besessenheit meilenweit entfernt von der üblicherweise für Marias typischen "leichtfüßig melancholischen, poetisch-philosophischen Grundstimmung". Neugierig auf die Fortsetzung ist die Rezensentin trotzdem.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Marías vermittelt dem Leser in seiner charakteristischen, in Passagen auf bernhardsche Weise eindringlichen Sprache die Lust und Schmerz des Erzählens. Und überzeugt damit, Menschen in den Mittelpunkt seiner Wahrnehmung und deren Darstellung ins Zentrum seiner Geschichten zu stellen."
Michaela Schmitz, Rheinischer Merkur, 6.1.2005
"Keine Frage, mit Javier Marías haben wir im Augenblick einen der intelligentesten und aufregendsten Autoren Europas. Sein neuer Roman fertigt den Leser nicht mit einem geschlossenen Weltbild ab. Er sucht sich denkend einen Weg durch das Dickicht der Zeiten."
Anton Thuswaldner, Salzburger Nachrichten, 20.11.2004
"Selten wurde so anschaulich deutlich gemacht, dass Sprache nicht Tatsachen abbildet, sondern schafft und dass die Menschen darin rivalisieren, in diesem Schöpfungsakt eine führende Rolle zu spielen."
Christa Nebenführ, Die Presse.com/spectrum, 13.11.2004
"Der Spanier Javier Marías hat in seinem Spionageroman neben der spannenden Handlung von der Macht und Gefährlichkeit der Worte und von den Geheimnissen der Körpersprache erzählt. ...
Javier Marías neues Buch ist ein brillantes Gedankenfeuerwerk über Reden und Schweigen. ... "Dein Gesicht morgen" übertrifft noch das Versprechen der Bücher, die ihn berühmt gemacht haben." BR Lese-Zeichen, 17.10.2004
"Anders als etwa in den bekannten Spionageromanen John Le Carrés spielt sich bei Marías die Agententätigkeit auf intellektueller Ebene ab. Die Kopfspionage steht im Mittelpunkt. ... So ist der erste Band von Javier Marías Trilogie ... auch ein Roman über die Geheimnisse der Sprache, ein tief philosophisches Buch über die menschliche Kommunikation und deren Enträtselung."
Peter Mohr, Wiener Zeitung, 8.10.2004
"Javier Marías spielt also das inzwischen so beliebte postmoderne Spiel der Selbstreferenzialität. Erzählt wird von der (Un-)Möglichkeit des Erzählens, von der Gnade und dem Fluch des endlosen Redens. Man kann dieses Spiel für ausgereizt halten und stattdessen nach jenen knackigen, handfesten Storys rufen, die derzeit auf dem Markt reüssieren. ...
Doch der American Way of Writing ist nicht der allein selig machende. Denn wer genau hinsieht, wird entdecken, dass es bei Marías sehr wohl um brisante Themen geht."
Rolf Spinnler, Stuttgarter Zeitung, 8.10.2004
"Der Gedanke als Klang: Marías ist ein Virtuose dieses Klangs, und zwar ein derart vollendeter, dass der Roman den Wunsch nach Handlung gar nicht erst aufkommen lässt. "Dein Gesicht morgen" ist ein wunderbares "livre sur rien", ist betörende Wortkunst, die den Leser nicht mehr loslässt. Verwaist und an den Rand gedrängt findet sich hier die Story.
An "Ulysses" mag man denken, an "Mrs. Dalloway", an die "Suche nach der verlorenen Zeit", überhaupt an die Gipfelwerke der klassischen Moderne und ihren Triumph über die Ansprüche der Handlung."
Kersten Knipp, Neue Zürcher Zeitung, 5.10.2004
""Dein Gesicht morgen" ist ein Philosophiepuzzle über die unmögliche Kunst des Schweigens, das dem Leser einiges an Aufmerksamkeit abverlangt. Doch Marías Sprache entführt und bannt den Leser, so dass man sich ungeduldig auf den zweiten Teil dieser Geschichte freut."
Daniel Sander, Spiegel Special, Oktober 2004
"... eine gigantische Fülle philosophischer und linguistischer Denkanstöße in einer spannenden Geschichte."
Peter Mohr, Hannoversche Allgemeine Zeitung, 5.10.2004
"Der Titel "Dein Gesicht morgen" weist auf die Frage hin: Kann ich dem heutigen Gesicht eines Menschen ansehen, was er morgen tun oder denken wird? Und Marías wäre nicht Marías, wenn er diese Frage nicht in einen fesselnden Roman, in eine mit philosophischen Fragen angereicherte Erzählung betten würde."
Michael Stehle, Anthroposophie heute, 10/2004
"Die Eleganz und Eloquenz seiner Prosa, in der Regel von der großartigen Übersetzerin Elke Wehr ins Deutsche gebracht, hebt ihn aus der Masse der hierzulande erscheinenden Belletristik heraus. Wie kaum ein
Michaela Schmitz, Rheinischer Merkur, 6.1.2005
"Keine Frage, mit Javier Marías haben wir im Augenblick einen der intelligentesten und aufregendsten Autoren Europas. Sein neuer Roman fertigt den Leser nicht mit einem geschlossenen Weltbild ab. Er sucht sich denkend einen Weg durch das Dickicht der Zeiten."
Anton Thuswaldner, Salzburger Nachrichten, 20.11.2004
"Selten wurde so anschaulich deutlich gemacht, dass Sprache nicht Tatsachen abbildet, sondern schafft und dass die Menschen darin rivalisieren, in diesem Schöpfungsakt eine führende Rolle zu spielen."
Christa Nebenführ, Die Presse.com/spectrum, 13.11.2004
"Der Spanier Javier Marías hat in seinem Spionageroman neben der spannenden Handlung von der Macht und Gefährlichkeit der Worte und von den Geheimnissen der Körpersprache erzählt. ...
Javier Marías neues Buch ist ein brillantes Gedankenfeuerwerk über Reden und Schweigen. ... "Dein Gesicht morgen" übertrifft noch das Versprechen der Bücher, die ihn berühmt gemacht haben." BR Lese-Zeichen, 17.10.2004
"Anders als etwa in den bekannten Spionageromanen John Le Carrés spielt sich bei Marías die Agententätigkeit auf intellektueller Ebene ab. Die Kopfspionage steht im Mittelpunkt. ... So ist der erste Band von Javier Marías Trilogie ... auch ein Roman über die Geheimnisse der Sprache, ein tief philosophisches Buch über die menschliche Kommunikation und deren Enträtselung."
Peter Mohr, Wiener Zeitung, 8.10.2004
"Javier Marías spielt also das inzwischen so beliebte postmoderne Spiel der Selbstreferenzialität. Erzählt wird von der (Un-)Möglichkeit des Erzählens, von der Gnade und dem Fluch des endlosen Redens. Man kann dieses Spiel für ausgereizt halten und stattdessen nach jenen knackigen, handfesten Storys rufen, die derzeit auf dem Markt reüssieren. ...
Doch der American Way of Writing ist nicht der allein selig machende. Denn wer genau hinsieht, wird entdecken, dass es bei Marías sehr wohl um brisante Themen geht."
Rolf Spinnler, Stuttgarter Zeitung, 8.10.2004
"Der Gedanke als Klang: Marías ist ein Virtuose dieses Klangs, und zwar ein derart vollendeter, dass der Roman den Wunsch nach Handlung gar nicht erst aufkommen lässt. "Dein Gesicht morgen" ist ein wunderbares "livre sur rien", ist betörende Wortkunst, die den Leser nicht mehr loslässt. Verwaist und an den Rand gedrängt findet sich hier die Story.
An "Ulysses" mag man denken, an "Mrs. Dalloway", an die "Suche nach der verlorenen Zeit", überhaupt an die Gipfelwerke der klassischen Moderne und ihren Triumph über die Ansprüche der Handlung."
Kersten Knipp, Neue Zürcher Zeitung, 5.10.2004
""Dein Gesicht morgen" ist ein Philosophiepuzzle über die unmögliche Kunst des Schweigens, das dem Leser einiges an Aufmerksamkeit abverlangt. Doch Marías Sprache entführt und bannt den Leser, so dass man sich ungeduldig auf den zweiten Teil dieser Geschichte freut."
Daniel Sander, Spiegel Special, Oktober 2004
"... eine gigantische Fülle philosophischer und linguistischer Denkanstöße in einer spannenden Geschichte."
Peter Mohr, Hannoversche Allgemeine Zeitung, 5.10.2004
"Der Titel "Dein Gesicht morgen" weist auf die Frage hin: Kann ich dem heutigen Gesicht eines Menschen ansehen, was er morgen tun oder denken wird? Und Marías wäre nicht Marías, wenn er diese Frage nicht in einen fesselnden Roman, in eine mit philosophischen Fragen angereicherte Erzählung betten würde."
Michael Stehle, Anthroposophie heute, 10/2004
"Die Eleganz und Eloquenz seiner Prosa, in der Regel von der großartigen Übersetzerin Elke Wehr ins Deutsche gebracht, hebt ihn aus der Masse der hierzulande erscheinenden Belletristik heraus. Wie kaum ein