Produktdetails
- Verlag: Steidl
- 2000.
- Seitenzahl: 215
- Deutsch
- Abmessung: 225mm
- Gewicht: 392g
- ISBN-13: 9783882437157
- ISBN-10: 3882437154
- Artikelnr.: 08613200
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.05.2001Verzweifelt optimistisch
Eine Biographie des Librettisten Fritz Löhner-Beda
Über den Anschluß Österreichs im März 1938 schrieb Carl Zuckmayer: "Was hier entfesselt wurde, war der Aufstand des Neids, der Mißgunst, der Verbitterung, der blinden böswilligen Rachsucht . . . Hier war nichts losgelassen als die dumpfe Masse, die blinde Zerstörungswut . . . Es war ein Hexensabatt des Pöbels." Durch Vertreibung und Ermordung der Juden entledigte sich Wien aber nicht nur seiner kosmopolitischen Eleganz, seiner intellektuellen Kühnheit und seines prickelnden Esprits, sondern auch jenes melancholischen Charmes, der sich besonders in der Musik ausdrückte. Viele der Schöpfer des Wiener Schmelzes vom "Walzertraum" bis zum "Fiakerlied" waren Juden.
Das Ende des wienerischen Wien könnte man so dokumentieren: Rudolf Schanzer, der Texter von Franz Lehárs "Ich hol' dir vom Himmel das Blaue", bringt sich um. Leo Ascher ("Hoheit tanzt Walzer", "Die keusche Susanne") schafft es, nach England zu kommen. Der Komponist Jean Gilbert (alias Max Winterfeld, "Puppchen, du bist mein Augenstern") stirbt in Buenos Aires. Paul Abraham ("Viktoria und ihr Husar") flieht in die Vereinigten Staaten und fällt dort in eine tiefe Depression. Kurt Robitschek ("Im Prater blühn wieder die Bäume") und Arthur Rebner ("Hallo, du süße Klingelfee") landen in Hollywood. Robert Stolz ("Zwei Herzen im Dreivierteltakt") geht nach Paris. Der Komponist Edmund Eysler ("Fein, fein schmeckt uns der Wein", "Küssen ist keine Sünd"), der einmal sagte "Lieber in Wien sterben als in Australien leben", überlebt in einem Wiener Keller. Paul Morgan ("Wer wird denn weinen, wenn man auseinandergeht") wird nach Dachau und weiter nach Buchenwald deportiert, wo er im Dezember 1938 nach Strafexerzieren im eisigen Wind stirbt. Der Librettist Bela Jenbach ("Zarewitsch", "Csárdásfürstin", "Paganini") verhungert 1943 in seinem Versteck in Wien. Der Librettist Leopold Jacobson ("Ein Walzertraum") wird in Auschwitz vergast.
Und dann ist da noch der Librettist Fritz Löhner-Beda, von dem "Ich hab' mein Herz in Heidelberg verloren" sein soll. In Heidelberg kennt man ihn allerdings nicht, sagt jedenfalls Günther Schwarberg, der jetzt ein bewegendes, aber auch problematisches Buch über Löhner vorgelegt hat. Über die Schicksale der kulturellen Elite, der Roth, Werfel, Broch und Zweig, der Schönberg, Reinhard und Wilder, der Popper, Gödel und Chargaff wissen wir durch Standardwerke über die Juden Wiens von George Berkley bis Carl Schorske gut Bescheid. Weit weniger bekannt ist, was mit den Unterhaltungskünstlern geschah. Dieses flotte Buch über Löhner und seine Kollegen füllt daher eine Lücke, die man längst gestopft sehen wollte - allerdings mit mehr Substanz, als Schwarberg zu bieten hat.
Fritz Löhner, dessen tschechischer Kosename Beda war, wurde 1883 im österreichischen Wildenschwert geboren. 1908 wird er in Wien zum Doktor der Rechte promoviert, im gleichen Jahr veröffentlicht er seine Spottgedichte auf die assimilierten Juden Wiens. Löhner ist jüdischer Nationalist, spielt im jüdischen Fußballverein Hakoah und ist dessen erster Präsident. Als Hakoah 1925 östereichischer Fußballmeister wird, ist Löhner bereits einer der gefragtesten Librettisten Wiens.
Mit dem "Sterngucker" (1914) für Franz Lehár hatte seine Karriere angefangen. Berühmt aber wurde Löhner mit der "Dollarprinzessin" (Musik von Leo Fall) und 1922 mit seinem Lied von der sterbenden Märchenstadt Wien, vertont von Hermann Leopoldi: "Wien, Wien, Wien, sterbende Märchenstadt, die noch im Tod für alle ein freundliches Lächeln hat. Wien, Wien, Wien, einsame Königin im Bettlerkleid, schön auch im Leid bist Du, mein Wien."
Löhner irrte sich. Am 13. März 1938 um vier Uhr in der Frühe steht der schneidige Meister aus Deutschland vor der Tür und holt Löhner ab, der über zwei Jahrzehnte lang mit Texten für Lehár und (gemeinsam mit Alfred Grünbaum) für Paul Abraham das Wiener Herz erfreut hatte. Am 1. April 1938 wird Löhner mit dem "Prominenten-Transport Nummer I" nach Dachau geschafft. Dorthin kommen etwas später auch Grünbaum, dem die Deutschen die Zunge herausgerissen haben, und Leopoldi. Im September 1938 werden die Wiener nach Buchenwald gebracht. Löhner bleibt Optimist, Grünbaum Kabarettist. Beide heitern mit ihrer Kunst die Mitgefangenen auf, gewinnen inkognito gar einen Lagerlied-Wettbewerb. Der Kapo der Poststelle reichte ihren Text bei der SS ein. Weihnachten 1938 singen 26 000 Menschen auf dem Appellplatz: "O Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen, / weil du mein Schicksal bist. / Wer dich verließ, der kann es erst ermessen, / wie wundervoll die Freiheit ist." Von den Wienern kann nur Leopoldi das Lager verlassen, denn seine Frau hat ein Visum für die Vereinigten Staaten ergattert. Löhner wird am 17. Oktober 1942 nach Auschwitz-Monowitz deportiert. Über seinen Tod gibt es widersprüchliche Berichte. Schwarberg entscheidet sich für die brutalste Variante, wonach Löhner am Abend des 4. Dezember 1942 von dem kriminellen Häftling Josef Windeck totgeschlagen wird.
Wenn Schwarberg weniger auf emotionalen Effekt und mehr auf historische Rekonstruktion aus gewesen wäre, hätte aus Löhners Geschichte ein hervorragendes Buch werden können. Dem Leser geht die Geschichte zwar an die Nieren, im Kopf aber bleibt nur Anekdotenchaos zurück. Schwarbergs Darstellung ist unübersichtlich, der historische Kontext wird nur kärglich skizziert. Es gibt keine Fußnoten, keine Quellennachweise, keinen Index. Einzelne sehr intensive Passagen hängen merkwürdig in der Luft und dienen als emotionales Triebwerk in Schwarbergs Anklageschrift gegen Mitläufertum (bei Lehár), das Versagen der deutschen Nachkriegsjustiz und die versäumte Wiedergutmachung. Schwarberg ist ein verdienter Journalist, der aufrüttelnde Bücher über die Brutalität der Deutschen während der Nazi-Zeit verfaßt hat. Für Löhner und Grünbaum jedoch wünschte man sich ein Werk, das sie selbst als Menschen und Künstler ins Zentrum stellt, ihre Welt, das mal spritzige, mal schmalzige Wien, noch einmal zur Entfaltung bringt und ihr Ende penibelst rekonstruiert.
SUSANNE KLINGENSTEIN
Günter Schwarberg: "Dein ist mein ganzes Herz". Die Geschichte von Fritz Löhner-Beda, der die schönsten Lieder der Welt schrieb, und warum Hitler ihn ermorden ließ. Steidl Verlag, Göttingen 2000. 216 S., geb., 29,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Biographie des Librettisten Fritz Löhner-Beda
Über den Anschluß Österreichs im März 1938 schrieb Carl Zuckmayer: "Was hier entfesselt wurde, war der Aufstand des Neids, der Mißgunst, der Verbitterung, der blinden böswilligen Rachsucht . . . Hier war nichts losgelassen als die dumpfe Masse, die blinde Zerstörungswut . . . Es war ein Hexensabatt des Pöbels." Durch Vertreibung und Ermordung der Juden entledigte sich Wien aber nicht nur seiner kosmopolitischen Eleganz, seiner intellektuellen Kühnheit und seines prickelnden Esprits, sondern auch jenes melancholischen Charmes, der sich besonders in der Musik ausdrückte. Viele der Schöpfer des Wiener Schmelzes vom "Walzertraum" bis zum "Fiakerlied" waren Juden.
Das Ende des wienerischen Wien könnte man so dokumentieren: Rudolf Schanzer, der Texter von Franz Lehárs "Ich hol' dir vom Himmel das Blaue", bringt sich um. Leo Ascher ("Hoheit tanzt Walzer", "Die keusche Susanne") schafft es, nach England zu kommen. Der Komponist Jean Gilbert (alias Max Winterfeld, "Puppchen, du bist mein Augenstern") stirbt in Buenos Aires. Paul Abraham ("Viktoria und ihr Husar") flieht in die Vereinigten Staaten und fällt dort in eine tiefe Depression. Kurt Robitschek ("Im Prater blühn wieder die Bäume") und Arthur Rebner ("Hallo, du süße Klingelfee") landen in Hollywood. Robert Stolz ("Zwei Herzen im Dreivierteltakt") geht nach Paris. Der Komponist Edmund Eysler ("Fein, fein schmeckt uns der Wein", "Küssen ist keine Sünd"), der einmal sagte "Lieber in Wien sterben als in Australien leben", überlebt in einem Wiener Keller. Paul Morgan ("Wer wird denn weinen, wenn man auseinandergeht") wird nach Dachau und weiter nach Buchenwald deportiert, wo er im Dezember 1938 nach Strafexerzieren im eisigen Wind stirbt. Der Librettist Bela Jenbach ("Zarewitsch", "Csárdásfürstin", "Paganini") verhungert 1943 in seinem Versteck in Wien. Der Librettist Leopold Jacobson ("Ein Walzertraum") wird in Auschwitz vergast.
Und dann ist da noch der Librettist Fritz Löhner-Beda, von dem "Ich hab' mein Herz in Heidelberg verloren" sein soll. In Heidelberg kennt man ihn allerdings nicht, sagt jedenfalls Günther Schwarberg, der jetzt ein bewegendes, aber auch problematisches Buch über Löhner vorgelegt hat. Über die Schicksale der kulturellen Elite, der Roth, Werfel, Broch und Zweig, der Schönberg, Reinhard und Wilder, der Popper, Gödel und Chargaff wissen wir durch Standardwerke über die Juden Wiens von George Berkley bis Carl Schorske gut Bescheid. Weit weniger bekannt ist, was mit den Unterhaltungskünstlern geschah. Dieses flotte Buch über Löhner und seine Kollegen füllt daher eine Lücke, die man längst gestopft sehen wollte - allerdings mit mehr Substanz, als Schwarberg zu bieten hat.
Fritz Löhner, dessen tschechischer Kosename Beda war, wurde 1883 im österreichischen Wildenschwert geboren. 1908 wird er in Wien zum Doktor der Rechte promoviert, im gleichen Jahr veröffentlicht er seine Spottgedichte auf die assimilierten Juden Wiens. Löhner ist jüdischer Nationalist, spielt im jüdischen Fußballverein Hakoah und ist dessen erster Präsident. Als Hakoah 1925 östereichischer Fußballmeister wird, ist Löhner bereits einer der gefragtesten Librettisten Wiens.
Mit dem "Sterngucker" (1914) für Franz Lehár hatte seine Karriere angefangen. Berühmt aber wurde Löhner mit der "Dollarprinzessin" (Musik von Leo Fall) und 1922 mit seinem Lied von der sterbenden Märchenstadt Wien, vertont von Hermann Leopoldi: "Wien, Wien, Wien, sterbende Märchenstadt, die noch im Tod für alle ein freundliches Lächeln hat. Wien, Wien, Wien, einsame Königin im Bettlerkleid, schön auch im Leid bist Du, mein Wien."
Löhner irrte sich. Am 13. März 1938 um vier Uhr in der Frühe steht der schneidige Meister aus Deutschland vor der Tür und holt Löhner ab, der über zwei Jahrzehnte lang mit Texten für Lehár und (gemeinsam mit Alfred Grünbaum) für Paul Abraham das Wiener Herz erfreut hatte. Am 1. April 1938 wird Löhner mit dem "Prominenten-Transport Nummer I" nach Dachau geschafft. Dorthin kommen etwas später auch Grünbaum, dem die Deutschen die Zunge herausgerissen haben, und Leopoldi. Im September 1938 werden die Wiener nach Buchenwald gebracht. Löhner bleibt Optimist, Grünbaum Kabarettist. Beide heitern mit ihrer Kunst die Mitgefangenen auf, gewinnen inkognito gar einen Lagerlied-Wettbewerb. Der Kapo der Poststelle reichte ihren Text bei der SS ein. Weihnachten 1938 singen 26 000 Menschen auf dem Appellplatz: "O Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen, / weil du mein Schicksal bist. / Wer dich verließ, der kann es erst ermessen, / wie wundervoll die Freiheit ist." Von den Wienern kann nur Leopoldi das Lager verlassen, denn seine Frau hat ein Visum für die Vereinigten Staaten ergattert. Löhner wird am 17. Oktober 1942 nach Auschwitz-Monowitz deportiert. Über seinen Tod gibt es widersprüchliche Berichte. Schwarberg entscheidet sich für die brutalste Variante, wonach Löhner am Abend des 4. Dezember 1942 von dem kriminellen Häftling Josef Windeck totgeschlagen wird.
Wenn Schwarberg weniger auf emotionalen Effekt und mehr auf historische Rekonstruktion aus gewesen wäre, hätte aus Löhners Geschichte ein hervorragendes Buch werden können. Dem Leser geht die Geschichte zwar an die Nieren, im Kopf aber bleibt nur Anekdotenchaos zurück. Schwarbergs Darstellung ist unübersichtlich, der historische Kontext wird nur kärglich skizziert. Es gibt keine Fußnoten, keine Quellennachweise, keinen Index. Einzelne sehr intensive Passagen hängen merkwürdig in der Luft und dienen als emotionales Triebwerk in Schwarbergs Anklageschrift gegen Mitläufertum (bei Lehár), das Versagen der deutschen Nachkriegsjustiz und die versäumte Wiedergutmachung. Schwarberg ist ein verdienter Journalist, der aufrüttelnde Bücher über die Brutalität der Deutschen während der Nazi-Zeit verfaßt hat. Für Löhner und Grünbaum jedoch wünschte man sich ein Werk, das sie selbst als Menschen und Künstler ins Zentrum stellt, ihre Welt, das mal spritzige, mal schmalzige Wien, noch einmal zur Entfaltung bringt und ihr Ende penibelst rekonstruiert.
SUSANNE KLINGENSTEIN
Günter Schwarberg: "Dein ist mein ganzes Herz". Die Geschichte von Fritz Löhner-Beda, der die schönsten Lieder der Welt schrieb, und warum Hitler ihn ermorden ließ. Steidl Verlag, Göttingen 2000. 216 S., geb., 29,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rezensent "tif" macht nicht viele Worte. Aber er sagt auch entschieden zu wenig, als dass wir uns ein genaueres Bild machen könnten über ein Buch, dessen Titel ja auch nicht gerade herausschreit, worum es sich dreht. Oder muss man ihn kennen, Fritz Lohner-Beda, oder dessen "zahlreiche Kollegen", Fritz Grünbaum etwa? Dafür nun aber ist dieses Buch gut. Österreichische Librettisten bringt es uns näher, Menschen, so "tif", die der Krieg auf die eine oder andre abscheuliche Weise zum Schweigen brachte. Doch, soviel sagt er und auch, dass der Autor die erfolgreiche - doch wohl kaum die "erfreuliche", wie der Rezensent schreibt - musikalische Nachkriegskarriere so manches NS-Schergen ans Licht bringt, dann verstummt er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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