"Obwohl die Krippenerziehung nachweislich Risiken für die gesunde Entwicklung der Kinder in sich birgt, ist keine Rede davon, ab welchem Alter und wie viele Tage pro Woche und für wie viele Stunden pro Tag es für kleine Kinder gut ist, in der Krippe betreut zu werden. Mit der Krippenoffensive der Familienministerin wird den Familien nicht geholfen. Sie dient anderen Interessen.
Durch die Schaffung eines Überangebotes an Krippenplätzen sollen Hunderttausende von Müttern kleiner Kinder dem Arbeitsmarkt zugeführt werden, damit die Löhne nicht steigen und die Unternehmen ihre Profite weiter erhöhen können."
Durch die Schaffung eines Überangebotes an Krippenplätzen sollen Hunderttausende von Müttern kleiner Kinder dem Arbeitsmarkt zugeführt werden, damit die Löhne nicht steigen und die Unternehmen ihre Profite weiter erhöhen können."
Christa Müller will das linke mit dem konservativen Familienbild verbinden / Von Uta Rasche
Christa Müller, die Ehefrau des Linkspartei-Vorsitzenden Oskar Lafontaine, erweitert die Debatte über die Kleinkinderbetreuung um einige neue Argumente. In ihrem Buch "Dein Kind will Dich" vertritt sie entgegen der landläufigen Klage über die schrumpfende Bevölkerung die Auffassung, Deutschland brauche gar nicht mehr Kinder, sondern andere: gebildetere, besser erzogene, gewollte - eben solche mit den besten Voraussetzungen, um Leistungsträger der Gesellschaft zu werden. "Es gibt noch zu viele Kinder", heißt gar eine ihrer programmatisch-provokanten Kapitelüberschriften.
Damit meint sie die Vernachlässigten und Misshandelten - aber auch solche, die in Krippen und Ganztagsschulen betreut werden und aus ihrer Sicht daher Gefahr laufen, im späteren Leben zu scheitern. Auch die zumeist schlecht ausgebildeten Einwanderer, schreibt Frau Müller, könnten die negativen Folgen des Geburtenmangels nicht ausgleichen; sie erhöhten lediglich die Arbeitslosigkeit Geringqualifizierter.
Die Verfasserin plädiert für ein sozialversicherungspflichtiges "Erziehungsgehalt" in Höhe von 1600 Euro im ersten Lebensjahr eines jeden Kindes, von 1000 Euro im zweiten und von 500 Euro bis zu seinem zwanzigsten Geburtstag. Dieses Geld ermögliche der Mutter, ganz für den Nachwuchs da zu sein und so für eine behütete Kindheit zu sorgen - als ergebe sich ganz automatisch aus dem Umstand, dass die Mutter zu Hause ist, dass die Kinder glücklicher, intelligenter und erfolgreicher geraten. Was aber, wenn die Mutter selbst ihren Kindern wenig Anregung bieten kann und diese den ganzen Tag sich selbst oder dem Fernseher überlassen sind? Um sicherzustellen, dass das "Erziehungsgehalt" nicht für zweckfremden Konsum ausgegeben werde, möchte Frau Müller staatliche "Familienberater" über die Eltern wachen lassen. Wer nicht bereit sei, sie zu regelmäßigen Kontrollbesuchen ins Haus zu lassen, oder seinen Aufgaben nicht nachkomme, bekomme Leistungen gestrichen. Denn das Ziel sei, die "Qualität" der Kinder zu steigern - vorsichtshalber stellt die Autorin den Begriff selbst in Anführungszeichen. Doch diese technische, materialistische Sichtweise auf Kinder und der Glaube an die positive Wirkung von Kontrollen lässt die Leserin schaudern.
Als Volkswirtin führt Frau Müller gerne Zahlen an. Ein im Jahr 2000 geborenes Kind, das später 30 Prozent mehr als der Durchschnitt verdiene, zahle im Laufe seines Lebens etwa 300 000 Euro mehr an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, als es den Staat koste; dagegen erhalte ein Kind, das 30 Prozent weniger als der Durchschnitt verdiene, 167 000 Euro an staatlichen Transferleistungen. "Es ist also volkswirtschaftlich nicht egal, wer Kinder bekommt, und vor allem nicht, wie sie aufgezogen werden", schreibt Frau Müller. Eine "leistungsunabhängige Familienförderung" wie das Kindergeld, das an alle Eltern unabhängig von ihrem Erziehungserfolg gezahlt werde, könne sich unsere alternde Gesellschaft nicht mehr leisten.
Diese Sätze sind starker Tobak. In der Linkspartei, deren familienpolitische Sprecherin im Landesverband Saarland Frau Müller ist, wird sie sich damit unter den Verdacht der Elitenförderung stellen; auch könnte der Vorwurf verfangen, sich herablassend und mit gelegentlich aufblitzender großbürgerlicher Attitüde über benachteiligte Familien zu äußern. Mit ihrer Forderung, die Arbeit von Hausfrauen zu entlohnen, hat sie sich in der Linkspartei bereits Feinde gemacht. Sie hat aber auch neue Freunde gewonnen: unter anderem den Augsburger Bischof Walter Mixa. Im bistumseigenen Verlag ist ihr Buch erschienen.
Die Passagen, in denen Frau Müller erfahrungsgesättigt beschreibt, wie vielfältig, anspruchsvoll, anstrengend und segensreich für die ganze Familie Erziehungs-, Pflege- und Hausarbeit ist, sind die besten im ganzen Buch. Das Lob der Wirkungskraft der Hausfrau, das sie ausspricht, war so lange nicht zu lesen. Es ist ihr auch darin zuzustimmen, dass die öffentliche Wertschätzung dieser Tätigkeiten zu gering ausfällt. Obendrein ist die Debatte über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geeignet, unentgeltliche Arbeit weiter abzuwerten.
Doch Frau Müllers Grundannahme, dass die Erziehung der Kinder leide, wenn beide Eltern einer Beschäftigung nachgehen, ist nicht belegt. Die Ganztagsbetreuung nennt sie eine "Gefahr", die die "Kindheit bedrohen" könne. Einseitig wird ihr Buch da, wo sie nur die negativen Urteile über Krippen und Ganztagsschulen sammelt und positive Studien verschweigt; endgültig zweifelhaft da, wo sie die Kinderbetreuung in Deutschland mit der Genitalverstümmelung in afrikanischen Ländern vergleicht.
Christa Müller, Dein Kind will Dich. Echte Wahlfreiheit durch Erziehungsgehalt. Sankt Ulrich Verlag, Augsburg 2007, 18,90 EUR
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Gerhard Matzig ist gehörig genervt von dieser "klischeeverhafteten Wahlkampfrede", die Christa Müller, Ehefrau von Oskar Lafontaine, da verfasst hat. Zwar enthält das Buch seiner Meinung nach durchaus einige "zutreffenden Beobachtungen und Überlegungen", doch gehen die im Furor unter. Das Buch lese sich bisweilen wie eine "absurde Verschwörungstheorie". Das Thema gerate so ins Hintertreffen, das Ganze ist nach Meinung des Rezensenten letzten Endes nichts weiter als eine "nervende, weltfremde Politaktion."
© Perlentaucher Medien GmbH
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