Jose Sanchez de Murillo beschwört eine liebende Welt herauf, wie sie entsteht, wenn vor dem Antlitz der Liebe alles verblaßt. Sein gewaltiges Liebesepos gehört zum Schönsten, das die mystische Dichtung der Welt hervorgebracht hat, und kann mit dem Werk Gibrans oder Saint-Exuperys verglichen werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.04.2011Nie sollst du mich befragen
Denn wir sind treu: Luise Rinser hat ihr Leben und Wirken zwischen 1932 und 1945 systematisch umgeschrieben. Das verschweigt auch eine neue, von ihrem Freund und Kollegen José Sánchez de Murillo verfasste Biographie nicht.
Ihre außerordentliche Popularität als Kämpferin für Frieden und Gerechtigkeit hat Luise Rinser mit der Erfindung einer Frauengestalt begründet, die das Ideal der sich befreienden Frau wirksamer geprägt hat als Simone de Beauvoirs Konstruktion des anderen Geschlechts. In Nina Buschmann aus dem Roman "Mitte des Lebens" (1950), millionenfach aufgelegt und in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt, konnte sich auch Luise Rinser selbst wiedererkennen: "die Haltung natürlich, der Widerstand gegen das Dritte Reich. Es gibt Leute, die mich Nina nennen; diese Unbedingtheit zu denken, zu leben, das bin vermutlich ich selber." In einem Punkt aber nimmt die Autorin Abstand von ihrer Figur: "Leben ohne Lüge ist vielleicht ein bisschen zu großartig."
Tatsächlich hat Luise Rinser im "Gespräch von Mensch zu Mensch" jedwede Moral gepredigt, das achte Gebot aber galt ihr nicht kategorisch. "Jeder Mensch hat ein Recht auf Selbsterhaltung, also auf Tarnung, Notwehr, Wahrung seines Geheimnisses." Deshalb dürfe man "andere nicht allzu direkt befragen". Jenes Recht hat sie in Bezug auf ihr Verhältnis zum Hitler-Regime zuweilen grammatisch eigenartig verzinkt wahrgenommen: "Ich war ja schon 1932 gegen den Nationalsozialismus, und das sage ich heute nicht etwa, weil ich gerne möchte, dass es so gewesen sei."
Im Gegensatz zu den Angaben in ihrer Autobiographie "Den Wolf umarmen" (1981) ist es aber so gewesen, dass sie der N.S.-Frauenschaft und dem N.S.-Lehrerbund beitrat und Führerin im Bund Deutscher Mädel war. Auch hat sie, wie sie bei der Reichsschrifttumskammer auch angab, 1935 in der Zeitschrift "Herdfeuer" das Gedicht "Junge Generation" veröffentlicht, das die "Nationalzeitung" 1968 als "Hymne an Adolf Hitler" abdruckte. Ihr Umgang damit ist schwer begreiflich. Zunächst bestritt sie die Urheberschaft, dann erklärte sie es zu einem im BDM-Lager entstandenen Gemeinschaftswerk, schließlich sollte es Satire gewesen sein, sie habe damit "Nazis veräppeln" wollen. 1981 musste sie ihren gerichtlichen Widerstand gegen die Bezeichnung "Nazi-Poetin" aufgeben, was ihr von rechten Blättern immer wieder hämisch vorgehalten wurde. Vermutlich deshalb kehrte sie zum Leugnen zurück. Als die amerikanische Germanistin Diana Orendi Hinze sie 1987 auf die Nazizeit ansprach, wurde sie wütend. Dem Schriftsteller Michael Kleeberg schrieb sie 1996, "wer ihr zutraue, so etwas jemals geschrieben zu haben, mit dem wolle sie nichts zu tun haben".
Eine "Jugendtorheit", wie Kleeberg vorschlagen wollte, war das Gedicht nicht. Die intelligente Junglehrerin war dreiundzwanzig, als sie es schrieb. Es reproduziert ein damals verbreitetes antiindividualistisches Denkmuster. Emotional intensiv bringt es die antibürgerliche Erwartungsstimmung der Jugendbewegung zum Ausdruck. Während die satten Bürger in den Niederungen "schnarchend vom ewigen Frieden" träumen, wacht die "von ewig eisernem Wort" angerufene, einem charismatischen Führer verpflichtete Jugend auf hoher Warte und in nach Hölderlins vaterländischem Gesang modelliertem, rauschhaftem Lebensgefühl, bereit zu Dienst und Opfer. "Kühl, hart und wissend ist dies wache Geschlecht, / Nüchtern und heiliger Trunkenheit voll, / Tod oder Leben, ein Rausch, gilt uns gleich - / Wir sind Deutschlands brennendes Blut."
Charakteristisch für die Umbruchrhetorik der Jugendbewegung ist die gestische Entschiedenheit eines "Wir" jenseits der Bestimmung von Zielen. "Todtreu verschworene Wächter heiliger Erde, / Des großen Führers verschwiegene Gesandte, / Mit seinem flammenden Zeichen auf unserer Stirn, / Wir jungen Deutschen, wir wachen, siegen oder sterben, / Denn wir sind treu." Das Gedicht hätte, für sich gelesen, noch als Ausdruck eines Zeitphänomens durchgehen können, das Carl Schmitt 1925 als "politische Romantik" beschrieben hatte, der "alles zum Anlass für alles werden" könne. Die nationalsozialistische Jugendpolitik machte sich die Umbruchsrhetorik zunutze und übernahm die Lebensformen und Rituale der Jugendbewegung fast vollständig in die Hitlerjugend und den Bund Deutscher Mädel. In ihrem Bericht über eine von ihr geleitete BDM-Führerschulung hatte Luise Rinser 1934 den Enthusiasmus der Bewegung markig mit Parteiparolen verbunden. So zeichnet sie ein einschlägiges Bild der deutschen Frau: sportlich, frei, natürlich und doch mütterlich. Inhalte der Schulung sind Zucht, Kameradschaft und Gehorsam, "oberster Programmpunkt: Züchtung gesunder Menschen". Im "Einklang mit der R.J.F." (der Reichsjugendführung) ging es um "die Erziehung zu Kraft und Freude". Das Treuegelöbnis "unter dem verpflichtenden Zeichen des Hakenkreuzes" verbindet die junge Führerin hier schon mit einem Topos der frühen Popularität Hitlers, der elitären Verachtung der "guten Bürger", die "sich vor dieser Jugend-Bewegung fürchten, eben weil sie sich bewegt und etwa allzu bequeme Polsterstühle ins Schwanken bringen könnte".
Diese Texte waren lange bekannt, wurden aber von germanistischen Verehrern der charismatischen Autorin als "literarisch wertlos und wertlos auch als mögliche Beweise für eine Nazibegeisterung der Jugendlichen" heruntergespielt. In manchem ehrfürchtigen Nachruf von 2002 kam der Nationalsozialismus gar nicht mehr vor. Seitdem hat sich jedoch Stück um Stück herausgestellt, dass Luise Rinser ihr Wirken und ihre Lebensverhältnisse zwischen 1932 und 1945 systematisch umgeschrieben hat. Sie hatte entgegen ihren Behauptungen nie Publikationsverbot, sondern erhielt bevorzugt Papierzuteilungen. Ihre Erzählung "Die gläsernen Ringe" (1941) erschien denn auch in zweiter Auflage. 1942 zeigte sie sich dem angehimmelten Ernst Jünger gegenüber stolz, "an einem Auslandspropaganda-Film der Ufa" mitarbeiten zu dürfen. Nach Denunziation durch eine Freundin wurde sie allerdings im Oktober 1944 wegen "Wehrkraftzersetzung" verhaftet und nach Traunstein ins Gefängnis gebracht, nicht aber wegen Hochverrats, im Dezember erhielt sie Hafturlaub, womöglich auf Veranlassung von Goebbels oder Hitler. Zum Prozess kam es nie.
Ihr Freund, der Philosoph und Schriftsteller José Sánchez de Murillo, der in ihr die Ikone seiner Weiblichkeitslehre sah, führt in seiner im Fischer Verlag erscheinenden Biographie, unterstützt von Luise Rinsers Sohn Christoph, so redlich wie schweren Herzens aus, dass ihre Verstrickung noch viel weiter reichte, als vermutet worden war. Das bitterste Detail besteht darin, dass die Junglehrerin ihre bevorzugte Stellung offenbar der Denunziation ihres jüdischen Schulleiters verdankte. Bei ihr liest sich das in gewundenen Formulierungen anders. Ich "lud dabei eine Schuld auf mich, die niemand mir als Schuld abnimmt und die ja auch keine war und die aller Vernunft zum Trotz mich dennoch bis heute belastet". Unter Gewissensbissen und Depressionen hat sie zweifellos gelitten, aber das hat sie nicht davon abgehalten, sich nach 1945 als Widerstandskämpferin zu erfinden. Nina Buschmann ist die, die Luise Rinser im Nachhinein gern gewesen wäre.
Nach der "Umkehr von Traunstein", so Sánchez de Murillo, habe sie sich fürderhin "in den Dienst der Menschheit und der sozialen Gerechtigkeit" gestellt. In ihrer Autobiographie habe sie nicht ihr Leben erzählt, sondern "die Legende von der zierlichen und zugleich starken Frau, die sich dem Drang der Männerwelt nach Macht, Krieg und Herrschaft mutig entgegenstellt". Diese Rolle hat sie als Diva der Friedensbewegung glanzvoll verkörpert, mit dem Höhepunkt ihrer Nominierung zur Wahl des Bundespräsidenten durch die Grünen 1984.
"Umkehr" trifft die Sache aber nicht in ganzem Umfang. Luise Rinser, das ewige Mädel, hat nämlich wie zwanghaft immer wieder ihre Bewunderung großer Führer und charismatischer Herrscher bekannt. In "Winterfrühling" (1981) in zweideutigem Gebrauch des "wir", indem sie der Menschheit überhaupt einen autoritären Charakter unterstellt: "Unser aller geheimer und offener Wunsch, der Eigenverantwortung enthoben zu sein, einem Kollektiv-Gewissen gehorchen zu dürfen, zu dienen, ohne zu denken, aufgehoben zu sein in der Ordnung, nicht so entsetzlich frei zu sein, so fehlbar durchs eigene Gewissen, so scharf gefordert zu einsamen Entscheidungen, so dem Zweifel hingeworfen. Einen Führer wollen wir, einen Papst, einen Guru, einen guten Diktator."
In ihrem Bericht aus dem sozialistischen Paradies Nordkorea, das sie 1980 und 1981 bereiste, lässt sie ihrer autoritären Neigung ungeschützt freien Lauf. Der Diktator Kim Il-sung erscheint ihr als "eine Vaterfigur, mit einer starken und warmen Ausstrahlung, ganz in sich ruhend, heiter, freundlich, ohne Falschheit, mit gelassenen Bewegungen und ruhigem Blick, ganz einfach, ohne jedes Imponiergehabe, witzig und humorvoll auch". Das patente deutsche Mädel aber stellt ihm "hochpolitische" Fragen und ist dann mit den Antworten sehr zufrieden. In Nordkorea scheint sie bis hinein in die hübsch geknoteten Halstücher der jungen "Pioniere" den "Geist der Gemeinschaft" wiederzufinden, der "verlangt, dass man sein Bestes gibt und dem Staat keinen Schaden zufügt und dass man der Revolution nicht in den Rücken fällt". Hier herrscht das "Gesetz der Milde", selbst der Gefängnisdirektor ist "ein Vatertyp, warmherzig, freundlich, offen", und Kim Jong-il, der Sohn und designierte Nachfolger des Diktators, ein "musischer junger Mensch", der natürlich Luise Rinsers Bücher gelesen hat.
Schließlich schreckt die "Linkskatholikin" mit dem vertrauten Verhältnis zu ihrem Gott und dem erotischen Beuteschema zölibatärer Gottesmann, gern auch Dalai Lama, nicht davor zurück, den totalitären Staat religiös zu verklären. "Christus ist ausgewandert nach Nordkorea." Den lieben Gott und den heiligen Geist hat er offenbar mitgenommen. Im Diktator erkennt sie "einen Vater, der alles sieht und alles hört und alles überwacht und allgegenwärtig ist". So ist es kein Wunder, dass die Begegnung sie "mit Kraft aufgeladen" hat: "Ich glaube wieder an die Zukunft der Menschheit." Zugleich wird ihr "die gründliche Verdorbenheit der westlichen Welt erschreckend deutlich". Berichte über Säuberungen und die Verfolgung und Ermordung von Oppositionellen unter Kim Il-sung glaubt sie nicht, denn die westlichen Massenmedien "sind gleichgeschaltet". Und auch das mag sie von Goebbels gelernt haben: Die Presse ist "das wirksamste Mittel, die Massen zu belügen". In Nordkorea gibt es das nicht, "das Volk lebt in friedlicher Unwissenheit".
1990 schmerzt sie der "Ausverkauf der DDR". Dem "lieben Erich Honecker" hatte sie 1988 angesichts des "charismatischen Gorbi" einen mahnenden Brief geschrieben und gebeten, ihr die Freundschaft nicht zu kündigen. Dass "die leidige Mauer" auch ein Bollwerk gegen den verdorbenen Westen ist, wie in Honeckers "freundlichem, klugem Antwortbrief" stand, hatte ihr eingeleuchtet. Dann ist die Mauer weg, und sie spöttelt, sie hätte sich das spektakulärer gewünscht, mit Dynamit zu Musik von Wagner. Mit dem "manipulierten Mob" ist sie auch nicht zufrieden. So fragt sie sich, ob ihre Menschenliebe nicht "Kompensation meiner Menschenverachtung" ist, was wie zwangsläufig auf die Verehrung der großen Führer verweist. "Hitler, der Retter, das Heil, und dann: das Tier, der Wahnsinnige, der Teufel. Mao, der Große. Lenin, der Große. Und dann dreht der Wind: man verweigert ihnen die Stätte der Beisetzung. Der ehemals fast göttlich Verehrte wird hinausbefördert." Da versteht sie "den Zynismus der echten Diktatoren".
Und die große Luise Rinser? Neun Jahre nach ihrem Tod und kurz vor ihrem hundertsten Geburtstag am 30. April hat sich der Wind gedreht. Die junge Generation, der sie sich zeitlebens zugehörig fühlte, kennt kaum noch ihren Namen und scheint wenig Bedarf an charismatischen literarischen Weltenretterinnen zu haben. Rinsers "Nordkoreanisches Reisetagebuch" erschien bis 1984 in zahlreichen Auflagen. Ob die Politiker der Grünen es vor der Präsidentenwahl gelesen hatten? Hoffentlich nicht. Es könnte ihnen, wie anderen Verehrern dieser merkwürdigen Heiligen, sonst ein Satz von Herta Müller ins Stammbuch geschrieben werden. "Kein Verbrechen ist groß genug, um Diktatoren einsam zu machen."
FRIEDMAR APEL
José Sánchez de Murillo: "Luise Rinser". Ein Leben in Widersprüchen.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011. 464 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Denn wir sind treu: Luise Rinser hat ihr Leben und Wirken zwischen 1932 und 1945 systematisch umgeschrieben. Das verschweigt auch eine neue, von ihrem Freund und Kollegen José Sánchez de Murillo verfasste Biographie nicht.
Ihre außerordentliche Popularität als Kämpferin für Frieden und Gerechtigkeit hat Luise Rinser mit der Erfindung einer Frauengestalt begründet, die das Ideal der sich befreienden Frau wirksamer geprägt hat als Simone de Beauvoirs Konstruktion des anderen Geschlechts. In Nina Buschmann aus dem Roman "Mitte des Lebens" (1950), millionenfach aufgelegt und in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt, konnte sich auch Luise Rinser selbst wiedererkennen: "die Haltung natürlich, der Widerstand gegen das Dritte Reich. Es gibt Leute, die mich Nina nennen; diese Unbedingtheit zu denken, zu leben, das bin vermutlich ich selber." In einem Punkt aber nimmt die Autorin Abstand von ihrer Figur: "Leben ohne Lüge ist vielleicht ein bisschen zu großartig."
Tatsächlich hat Luise Rinser im "Gespräch von Mensch zu Mensch" jedwede Moral gepredigt, das achte Gebot aber galt ihr nicht kategorisch. "Jeder Mensch hat ein Recht auf Selbsterhaltung, also auf Tarnung, Notwehr, Wahrung seines Geheimnisses." Deshalb dürfe man "andere nicht allzu direkt befragen". Jenes Recht hat sie in Bezug auf ihr Verhältnis zum Hitler-Regime zuweilen grammatisch eigenartig verzinkt wahrgenommen: "Ich war ja schon 1932 gegen den Nationalsozialismus, und das sage ich heute nicht etwa, weil ich gerne möchte, dass es so gewesen sei."
Im Gegensatz zu den Angaben in ihrer Autobiographie "Den Wolf umarmen" (1981) ist es aber so gewesen, dass sie der N.S.-Frauenschaft und dem N.S.-Lehrerbund beitrat und Führerin im Bund Deutscher Mädel war. Auch hat sie, wie sie bei der Reichsschrifttumskammer auch angab, 1935 in der Zeitschrift "Herdfeuer" das Gedicht "Junge Generation" veröffentlicht, das die "Nationalzeitung" 1968 als "Hymne an Adolf Hitler" abdruckte. Ihr Umgang damit ist schwer begreiflich. Zunächst bestritt sie die Urheberschaft, dann erklärte sie es zu einem im BDM-Lager entstandenen Gemeinschaftswerk, schließlich sollte es Satire gewesen sein, sie habe damit "Nazis veräppeln" wollen. 1981 musste sie ihren gerichtlichen Widerstand gegen die Bezeichnung "Nazi-Poetin" aufgeben, was ihr von rechten Blättern immer wieder hämisch vorgehalten wurde. Vermutlich deshalb kehrte sie zum Leugnen zurück. Als die amerikanische Germanistin Diana Orendi Hinze sie 1987 auf die Nazizeit ansprach, wurde sie wütend. Dem Schriftsteller Michael Kleeberg schrieb sie 1996, "wer ihr zutraue, so etwas jemals geschrieben zu haben, mit dem wolle sie nichts zu tun haben".
Eine "Jugendtorheit", wie Kleeberg vorschlagen wollte, war das Gedicht nicht. Die intelligente Junglehrerin war dreiundzwanzig, als sie es schrieb. Es reproduziert ein damals verbreitetes antiindividualistisches Denkmuster. Emotional intensiv bringt es die antibürgerliche Erwartungsstimmung der Jugendbewegung zum Ausdruck. Während die satten Bürger in den Niederungen "schnarchend vom ewigen Frieden" träumen, wacht die "von ewig eisernem Wort" angerufene, einem charismatischen Führer verpflichtete Jugend auf hoher Warte und in nach Hölderlins vaterländischem Gesang modelliertem, rauschhaftem Lebensgefühl, bereit zu Dienst und Opfer. "Kühl, hart und wissend ist dies wache Geschlecht, / Nüchtern und heiliger Trunkenheit voll, / Tod oder Leben, ein Rausch, gilt uns gleich - / Wir sind Deutschlands brennendes Blut."
Charakteristisch für die Umbruchrhetorik der Jugendbewegung ist die gestische Entschiedenheit eines "Wir" jenseits der Bestimmung von Zielen. "Todtreu verschworene Wächter heiliger Erde, / Des großen Führers verschwiegene Gesandte, / Mit seinem flammenden Zeichen auf unserer Stirn, / Wir jungen Deutschen, wir wachen, siegen oder sterben, / Denn wir sind treu." Das Gedicht hätte, für sich gelesen, noch als Ausdruck eines Zeitphänomens durchgehen können, das Carl Schmitt 1925 als "politische Romantik" beschrieben hatte, der "alles zum Anlass für alles werden" könne. Die nationalsozialistische Jugendpolitik machte sich die Umbruchsrhetorik zunutze und übernahm die Lebensformen und Rituale der Jugendbewegung fast vollständig in die Hitlerjugend und den Bund Deutscher Mädel. In ihrem Bericht über eine von ihr geleitete BDM-Führerschulung hatte Luise Rinser 1934 den Enthusiasmus der Bewegung markig mit Parteiparolen verbunden. So zeichnet sie ein einschlägiges Bild der deutschen Frau: sportlich, frei, natürlich und doch mütterlich. Inhalte der Schulung sind Zucht, Kameradschaft und Gehorsam, "oberster Programmpunkt: Züchtung gesunder Menschen". Im "Einklang mit der R.J.F." (der Reichsjugendführung) ging es um "die Erziehung zu Kraft und Freude". Das Treuegelöbnis "unter dem verpflichtenden Zeichen des Hakenkreuzes" verbindet die junge Führerin hier schon mit einem Topos der frühen Popularität Hitlers, der elitären Verachtung der "guten Bürger", die "sich vor dieser Jugend-Bewegung fürchten, eben weil sie sich bewegt und etwa allzu bequeme Polsterstühle ins Schwanken bringen könnte".
Diese Texte waren lange bekannt, wurden aber von germanistischen Verehrern der charismatischen Autorin als "literarisch wertlos und wertlos auch als mögliche Beweise für eine Nazibegeisterung der Jugendlichen" heruntergespielt. In manchem ehrfürchtigen Nachruf von 2002 kam der Nationalsozialismus gar nicht mehr vor. Seitdem hat sich jedoch Stück um Stück herausgestellt, dass Luise Rinser ihr Wirken und ihre Lebensverhältnisse zwischen 1932 und 1945 systematisch umgeschrieben hat. Sie hatte entgegen ihren Behauptungen nie Publikationsverbot, sondern erhielt bevorzugt Papierzuteilungen. Ihre Erzählung "Die gläsernen Ringe" (1941) erschien denn auch in zweiter Auflage. 1942 zeigte sie sich dem angehimmelten Ernst Jünger gegenüber stolz, "an einem Auslandspropaganda-Film der Ufa" mitarbeiten zu dürfen. Nach Denunziation durch eine Freundin wurde sie allerdings im Oktober 1944 wegen "Wehrkraftzersetzung" verhaftet und nach Traunstein ins Gefängnis gebracht, nicht aber wegen Hochverrats, im Dezember erhielt sie Hafturlaub, womöglich auf Veranlassung von Goebbels oder Hitler. Zum Prozess kam es nie.
Ihr Freund, der Philosoph und Schriftsteller José Sánchez de Murillo, der in ihr die Ikone seiner Weiblichkeitslehre sah, führt in seiner im Fischer Verlag erscheinenden Biographie, unterstützt von Luise Rinsers Sohn Christoph, so redlich wie schweren Herzens aus, dass ihre Verstrickung noch viel weiter reichte, als vermutet worden war. Das bitterste Detail besteht darin, dass die Junglehrerin ihre bevorzugte Stellung offenbar der Denunziation ihres jüdischen Schulleiters verdankte. Bei ihr liest sich das in gewundenen Formulierungen anders. Ich "lud dabei eine Schuld auf mich, die niemand mir als Schuld abnimmt und die ja auch keine war und die aller Vernunft zum Trotz mich dennoch bis heute belastet". Unter Gewissensbissen und Depressionen hat sie zweifellos gelitten, aber das hat sie nicht davon abgehalten, sich nach 1945 als Widerstandskämpferin zu erfinden. Nina Buschmann ist die, die Luise Rinser im Nachhinein gern gewesen wäre.
Nach der "Umkehr von Traunstein", so Sánchez de Murillo, habe sie sich fürderhin "in den Dienst der Menschheit und der sozialen Gerechtigkeit" gestellt. In ihrer Autobiographie habe sie nicht ihr Leben erzählt, sondern "die Legende von der zierlichen und zugleich starken Frau, die sich dem Drang der Männerwelt nach Macht, Krieg und Herrschaft mutig entgegenstellt". Diese Rolle hat sie als Diva der Friedensbewegung glanzvoll verkörpert, mit dem Höhepunkt ihrer Nominierung zur Wahl des Bundespräsidenten durch die Grünen 1984.
"Umkehr" trifft die Sache aber nicht in ganzem Umfang. Luise Rinser, das ewige Mädel, hat nämlich wie zwanghaft immer wieder ihre Bewunderung großer Führer und charismatischer Herrscher bekannt. In "Winterfrühling" (1981) in zweideutigem Gebrauch des "wir", indem sie der Menschheit überhaupt einen autoritären Charakter unterstellt: "Unser aller geheimer und offener Wunsch, der Eigenverantwortung enthoben zu sein, einem Kollektiv-Gewissen gehorchen zu dürfen, zu dienen, ohne zu denken, aufgehoben zu sein in der Ordnung, nicht so entsetzlich frei zu sein, so fehlbar durchs eigene Gewissen, so scharf gefordert zu einsamen Entscheidungen, so dem Zweifel hingeworfen. Einen Führer wollen wir, einen Papst, einen Guru, einen guten Diktator."
In ihrem Bericht aus dem sozialistischen Paradies Nordkorea, das sie 1980 und 1981 bereiste, lässt sie ihrer autoritären Neigung ungeschützt freien Lauf. Der Diktator Kim Il-sung erscheint ihr als "eine Vaterfigur, mit einer starken und warmen Ausstrahlung, ganz in sich ruhend, heiter, freundlich, ohne Falschheit, mit gelassenen Bewegungen und ruhigem Blick, ganz einfach, ohne jedes Imponiergehabe, witzig und humorvoll auch". Das patente deutsche Mädel aber stellt ihm "hochpolitische" Fragen und ist dann mit den Antworten sehr zufrieden. In Nordkorea scheint sie bis hinein in die hübsch geknoteten Halstücher der jungen "Pioniere" den "Geist der Gemeinschaft" wiederzufinden, der "verlangt, dass man sein Bestes gibt und dem Staat keinen Schaden zufügt und dass man der Revolution nicht in den Rücken fällt". Hier herrscht das "Gesetz der Milde", selbst der Gefängnisdirektor ist "ein Vatertyp, warmherzig, freundlich, offen", und Kim Jong-il, der Sohn und designierte Nachfolger des Diktators, ein "musischer junger Mensch", der natürlich Luise Rinsers Bücher gelesen hat.
Schließlich schreckt die "Linkskatholikin" mit dem vertrauten Verhältnis zu ihrem Gott und dem erotischen Beuteschema zölibatärer Gottesmann, gern auch Dalai Lama, nicht davor zurück, den totalitären Staat religiös zu verklären. "Christus ist ausgewandert nach Nordkorea." Den lieben Gott und den heiligen Geist hat er offenbar mitgenommen. Im Diktator erkennt sie "einen Vater, der alles sieht und alles hört und alles überwacht und allgegenwärtig ist". So ist es kein Wunder, dass die Begegnung sie "mit Kraft aufgeladen" hat: "Ich glaube wieder an die Zukunft der Menschheit." Zugleich wird ihr "die gründliche Verdorbenheit der westlichen Welt erschreckend deutlich". Berichte über Säuberungen und die Verfolgung und Ermordung von Oppositionellen unter Kim Il-sung glaubt sie nicht, denn die westlichen Massenmedien "sind gleichgeschaltet". Und auch das mag sie von Goebbels gelernt haben: Die Presse ist "das wirksamste Mittel, die Massen zu belügen". In Nordkorea gibt es das nicht, "das Volk lebt in friedlicher Unwissenheit".
1990 schmerzt sie der "Ausverkauf der DDR". Dem "lieben Erich Honecker" hatte sie 1988 angesichts des "charismatischen Gorbi" einen mahnenden Brief geschrieben und gebeten, ihr die Freundschaft nicht zu kündigen. Dass "die leidige Mauer" auch ein Bollwerk gegen den verdorbenen Westen ist, wie in Honeckers "freundlichem, klugem Antwortbrief" stand, hatte ihr eingeleuchtet. Dann ist die Mauer weg, und sie spöttelt, sie hätte sich das spektakulärer gewünscht, mit Dynamit zu Musik von Wagner. Mit dem "manipulierten Mob" ist sie auch nicht zufrieden. So fragt sie sich, ob ihre Menschenliebe nicht "Kompensation meiner Menschenverachtung" ist, was wie zwangsläufig auf die Verehrung der großen Führer verweist. "Hitler, der Retter, das Heil, und dann: das Tier, der Wahnsinnige, der Teufel. Mao, der Große. Lenin, der Große. Und dann dreht der Wind: man verweigert ihnen die Stätte der Beisetzung. Der ehemals fast göttlich Verehrte wird hinausbefördert." Da versteht sie "den Zynismus der echten Diktatoren".
Und die große Luise Rinser? Neun Jahre nach ihrem Tod und kurz vor ihrem hundertsten Geburtstag am 30. April hat sich der Wind gedreht. Die junge Generation, der sie sich zeitlebens zugehörig fühlte, kennt kaum noch ihren Namen und scheint wenig Bedarf an charismatischen literarischen Weltenretterinnen zu haben. Rinsers "Nordkoreanisches Reisetagebuch" erschien bis 1984 in zahlreichen Auflagen. Ob die Politiker der Grünen es vor der Präsidentenwahl gelesen hatten? Hoffentlich nicht. Es könnte ihnen, wie anderen Verehrern dieser merkwürdigen Heiligen, sonst ein Satz von Herta Müller ins Stammbuch geschrieben werden. "Kein Verbrechen ist groß genug, um Diktatoren einsam zu machen."
FRIEDMAR APEL
José Sánchez de Murillo: "Luise Rinser". Ein Leben in Widersprüchen.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011. 464 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main