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Ein Lebensbuch, ein Totenbuch. Eine Meditation über das Heilige und die Nöte des Alltags. Die Geschichte einer schwierigen Ehe und eines Großvaters in Isfahan. Die Geschichte Irans und die Gegenwart Europas. Krieg und Frieden, heute. Eine Versenkung in die deutsche Romantik, aber auch in Rockmusik und katholische Kunst. Ein Protokoll der Tage eines Schriftstellers, der Navid Kermani genannt wird. Und immer wieder Verzückung und Verzweiflung. Alles aber, und dies ist das Wunder dieses Buches, wird Teil eines einzigen Lebens, verflicht und verschlingt sich zu einem unerhörten Bild unserer…mehr

Produktbeschreibung
Ein Lebensbuch, ein Totenbuch. Eine Meditation über das Heilige und die Nöte des Alltags. Die Geschichte einer schwierigen Ehe und eines Großvaters in Isfahan. Die Geschichte Irans und die Gegenwart Europas. Krieg und Frieden, heute. Eine Versenkung in die deutsche Romantik, aber auch in Rockmusik und katholische Kunst. Ein Protokoll der Tage eines Schriftstellers, der Navid Kermani genannt wird. Und immer wieder Verzückung und Verzweiflung. Alles aber, und dies ist das Wunder dieses Buches, wird Teil eines einzigen Lebens, verflicht und verschlingt sich zu einem unerhörten Bild unserer Wirklichkeit jetzt, spricht jeden einzelnen Leser ganz unmittelbar an. Denn wir alle sind viele. Und wir alle vergehen. Dein Name ist ein Roman, wie es noch keinen gab.
Ausgezeichnet mit dem Kleist-Preis und dem Joseph-Breitenbach-Preis.
Autorenporträt
Navid Kermani wurde 1967 in Siegen geboren. Er ist habilitierter Orientalist und lebt als Schriftsteller in Köln. Für sein akademisches und literarisches Werk wurde er u. a. mit dem Kleist-Preis und dem Joseph-Breitbach-Preis, dem Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg und dem Ehrenpreis des Österreichischen Buchhandels ausgezeichnet. 2015 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
Rezensionen
Erstmals auch als deutsche Literatur: Der neue westöstliche Weltalltag. Süddeutsche Zeitung

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.09.2011

Ein Wasserschlauch für jeden Lebenstropfen
Navid Kermani verwandelt sich selbst in einen Roman – „Dein Name“ ist ein Buch voller Komik, Trauer – und Längen
Kann ja sein, dass einer mit der Biographie Navid Kemanis auch doppelt so viel zu erzählen hat. Und geht man davon aus, dass er einfach alles erzählen wollte von seinem Leben, das Wichtigste wie das Geringfügigste, dann sind die zwölfhundert Seiten dieses Buchs eher knapp bemessen. Er habe gelesen, schreibt der Autor an einer Stelle, dass nach dem 11. September 2001 die Polizei über das Internet auf den Gesamtinhalt privater Computer zugreifen durfte. Dadurch entstehe ein Konvolut von Textsorten, Bildern und sonstigen Verlautbarungen, wie es noch kein avantgardistischer Roman riskiert habe. Jeder Text schränke die Wirklichkeit ein, konzentriere sie zur Form einer Erzählung, eines Essays oder Gedichts: Allein der Roman strebe nach einer Totalität, „die Gottes ist“.
Diese inhärente Unendlichkeit ist natürlich eine Utopie. Jede Umsetzung würde den Text unlesbar machen, gibt Kermani zu. Eine Öffnung zum Unendlichen hin wollte er dennoch versuchen. Herausgekommen ist ein zwischen dem 8. Juni 2006 11.23 Uhr und dem 11. Juni 2011 10.15 Uhr angehäufter Ereigniswulst, der in den Lücken zwischen Banalität und Gravität jene Unendlichkeit zumindest durchscheinen lassen will. Als Experiment ist das spannend, als Leseerfahrung oft ziemlich ermüdend.
Eine „littérature vérité“ nennt der Autor einmal sein Unterfangen: Nichts werde verworfen, nichts ausgedünnt, alles sei aufbewahrt und von gleichem Gewicht, das Heilige wie die Waschmaschine. Statt von einer „littérature vérité“ möchten wir eher von einem „roman brut“ sprechen, in Analogie zum „art brut“. Situationen, Intuitionen, Erinnerungen, Lesenotizen, Tagesaktualität, Bilder, Zitate und sonstige Wirklichkeitsschnipsel werden wie die Holzstücke, Tuchfetzen, Sand- und Erdklumpen oder die befremdlichen Zeichenfiguren bei Wölfli, Dubuffet, Tapiès auf der Darstellungsfläche fixiert: rohe Materialität und reinstes Artefakt zugleich.
Hinter diesem mit obsessiver Konstanz in die Laptop-Tasten getippten, notfalls auch mit dem Billigkuli auf Lufhansa-Formulare gekritzelten Allerlei wird umrisshaft eine Biographie sichtbar. Es ist die eines in Siegen aufgewachsenen Mannes mit iranischer Herkunft namens Navid Kermani, der zu Vorträgen und Studiodebatten reist, sich um die kleine Tochter kümmert, ein Jahr in Rom verbringt, in Berlin an der Islamkonferenz teilnimmt, sich von seiner erkrankten Frau innerlich löst und sie wiedergewinnt, selbst Krankenhäuser aufsucht, Freunde verliert, Hölderlin liest, seinen iranischen Vorfahren nachforscht, im Internet chattet, Kopfporno betreibt und eben einen Roman schreibt.
Wie die Zeit in diesem Dauerpräsens über Jahrzehnte hinweg immerfort flimmert, weil die Angabe rechts unten auf dem Computerbildschirm nie genau mit der auf dem Telefon, dem Funkwecker und dem Handy übereinstimmt, so flimmert auch die eigene Person. Mal ist die Hauptfigur ein „ich“, mal ein „er“, mal ein „wir“, mal macht sie sich Gedanken über „Sie“, den Romanleser. Jedenfalls trägt sie schwer an diesem Roman, gesteht die Hauptfigur und wiederholt mehrfach – am liebsten in beiläufigen Relativsätzen –, dass sie ihn gar nicht schreiben wolle. Macht dann aber doch weiter. Und wir geben es zu, auch wir Leser tragen schwer an diesem Buch.
Ans manchmal etwas gekünstelte Durcheinander der Gravitätsregister mag man sich gewöhnen. Beispiel: Der Autor kommt auf zwei Tage Alleinsein in sein Haus im Bergischen Land und bezieht, bevor er eine Erklärung gegen die Kluft zwischen der islamischen Welt und dem Westen für die Vereinten Nationen abgibt, erst einmal die Betten. Mit solchem Rascheln der Beiläufigkeit lässt sich selbstironisch fein das Große unter das Kleine kehren. Das systematische Einbuddeln der Episoden eines interessanten Lebens in Banalitäten kann aber beim Lesen auch zermürbend wirken.
In einem Tagebuch gehört so etwas zum Genre, im Roman führt es zu einer Art Wasserschlauchpoetik, entsprechend jenem Verbindungsstück, das der Held aus dem Baumarkt besorgt, um den Gartenschlauch draußen am Wasserhahn und drinnen in der Küche anschließen zu können. Immerfort wird der Ereignisfluss umgepolt und neu verschraubt, als sollte nur ja das Ernste dieses Buchs nie aufs Gemüt drücken.
Denn es ist auch ein ernsthaftes Buch, mitunter ein Totenbuch. Dem Autor nahestehende Personen, die um die Schreibzeit dieses Romans starben wie der ungarische Autor István Eörsi, der deutsche Professor Friedrich Niewöhner, der iranische Gelehrte Djavad Ketabi, der Komponist György Ligeti, der Dichter Mahmud Darwisch führen ein Nachleben, manchmal bewegend, manchmal eher anekdotisch. Am ausführlichsten lebt Kermanis Großvater im Roman auf, der als erstes Kind aus Isfahan die Amerikanische Schule in Teheran besuchte und selbst Schriften hinterlassen hat – aufgeklärte Schriften, die aber oft und respektvoll die strenge Religionsgemeinde der Bahais erwähnen.
Können Romanschreiben und eine religiöse Einstellung zur Welt zusammen gehen oder sind sie zwei unvereinbare Dinge, wie es seit Don Quijote eine gewisse europäische Romantradition will? „Nein, ohne den Glauben an eine irgendwie geartete Ordnung der Welt sei erzählende Literatur nicht möglich“, antwortet dem Romanautor Kermani im Roman auf eine entsprechende Frage der Kollege Martin Mosebach. Hier scheiden sich zugleich die Geister. Mosebach glaubt an den Roman als Ganzes und zitiert als Beispiel Heimito von Doderer, Kermani lässt nur die Details gelten: tausend Seiten wildes Durcheinander wie im Koran. So trägt dieser Roman stets zugleich seine eigene Romanlehre mit sich.
Manche Stellen sind von großer Komik, wenn der Autor etwa vor Schweizer Unternehmern über „Wir und der Islam“ sprechen soll. Das kompakte einheimische „wir“, dem hier „der Islam“ auf dem Rednerpodium gegenüber steht, wirkt im Spiegel des herbestellten Exoten aus Siegen befremdlicher als der fremdartigste Ausländer. „Wir kriegen das hin“, versichert dagegen ermunternd der deutsche Innenminister auf der Islamkonferenz, mögen auch die Zeitungskästen mit dem Gespenst von der „Abschaffung Deutschlands“ den Mob herbeischreiben. Und tatsächlich erlebt der Romanschreiber etwa die Bürgeranhörung zum Kölner Moscheebau in Ehrenfeld als ein Stück „Demokratie in Reinkultur“.
Bei solchen Aktualitätsschlenkern bewährt sich das offene Romanmodell, das zwischen Zeugnis und Symbol, Begriff und Metapher keinen Unterschied macht. Dasselbe gilt, wenn die Erinnerung in die Kindheit zurückschweift, in ferne Zeiten, als der Vater dem hungrigen Jungen auf der Autobahnraststätte umstandslos eine Currywurst kaufte. Religionszugehörigkeit war damals kein Pochen aufs Recht, Multikulti kein Schlag- und kein Schimpfwort.
Dieses Buch hätte mit seiner Stoffbreite, seiner existentiellen Bodenfühlung, seinem metaphysischen Resonanzraum, der Kenntnisbreite und Intelligenz seines Autors ein Exempel deutscher Weltoffenheitsliteratur werden können. Die Verweigerung der Totalperspektive durch das kurz geschorene Allerlei drückt aber jeden Ansatz dazu – offenbar absichtlich – zu Boden. Wie die Zeit auf den verschiedenen Displays verrutschen immerfort auch die Genres. Gedankenansätze werden tagebuchartig kleingeraspelt, Situationsschilderungen verflüchtigen sich oder brechen jäh ab, Porträtskizzen klappern anekdotisch. Oft ufern die interessanten Reportagen aus Afghanistan oder Kaschmir romanartig aus.
Der Verlagslektor, der hier mäßigend hätte eingreifen können, kommt im Roman selbst vor – wie überhaupt alle anderen möglichen Einwände, die man machen kann, im Buch schon vorweggenommen sind. Abfälle gehörten nun einmal dazu, durchs Leben fahre auch keine Müllabfuhr, rechtfertigt sich der Autor. Mag sein, aber uns interessiert letztlich mehr seine Literatur als sein Alltag.
In seinem Journal „Das Gewicht der Welt“ hat auch Peter Handke einmal die unscheinbarsten Bewusstseinsereignisse ohne jeden Perspektivenzusammenhang aufgezeichnet. Wo dort die Ahnung von Totalität an den Schnittstellen der Notizen aufblitzte, wälzt sie sich hier auf zwölfhundert Seiten ohne Kapiteleinteilung als Textlawine daher. Wie ein Journal sollte man dieses Buch lesen, vorwärts, rückwärts, leichtfüßig, in Häppchen, mit hoher Naschkapazität.
JOSEPH HANIMANN
NAVID KERMANI: Dein Name. Roman. Carl Hanser Verlag, München 2011. 1230 Seiten, 34,90 Euro.
Manchmal erklingt ein leises
Rascheln der Beiläufigkeit
Der Autor geht aufs Ganze –
und liefert Tausende Details
Essayist, Wissenschaftler, Romanautor: Navid Kermani Foto: Brigitte Friedrich
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Roman Bucheli hat sich gern begleiten lassen von diesem Überbuch von Navid Kermani. So viel Geduld die schiere Masse an Aufgezeichnetem ihm abverlangt hat, so reich fühlt er sich letztlich beschenkt. Ob mit der Familiengeschichte des Autors, Berichten über seine Rolle als Islam-Erklärer der Nation, über tote Freunde und die eigene Erkrankung oder mit einer erfrischenden Hölderlin-Lektüre - immer schätzt Bucheli die Verbindung des Heiligen mit dem Profanen bei diesem Autor, die Fähigkeit das Pathetische zu umschiffen, doch zu bewegen und zu erheitern. Einen Furor des Erzählens weiterhin, der sich der Maßlosigkeit des Unterfangens, ein Notat wirklich aller Ereignisse im Leben des Autors zu sein, Lebensmitschrift gegen den Tod, bewusst ist, wie Bucheli versichert. Am Ende ist Bucheli klar: Das ist Literatur im besten Sinne, als Formgebung noch des Formlosesten.

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