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Christliche Motive durchziehen das Werk Jean-Luc Nancys seit längerem. Mal lässt er sich vom päpstlichen Segensspruch »Urbi et Orbi« in einen Text leiten (in »Die Erschaffung der Welt oder Die Globalisierung«), mal findet sich ein Kapitel zur Fleischwerdung (in »Corpus«), und immer wieder kommt er auf den Begriff der »Schöpfung« zurück. Jedesmal verleiht er der religiösen Fragestellung eine eminent politische Wendung.
»La déclosion« (Ent-Schließung, Öffnung), so der französische Originaltitel dieses 2005 erschienenen Werkes, versammelt Essays zur »Dekonstruktion des Christentums«. Zum einen
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Produktbeschreibung
Christliche Motive durchziehen das Werk Jean-Luc Nancys seit längerem. Mal lässt er sich vom päpstlichen Segensspruch »Urbi et Orbi« in einen Text leiten (in »Die Erschaffung der Welt oder Die Globalisierung«), mal findet sich ein Kapitel zur Fleischwerdung (in »Corpus«), und immer wieder kommt er auf den Begriff der »Schöpfung« zurück. Jedesmal verleiht er der religiösen Fragestellung eine eminent politische Wendung.

»La déclosion« (Ent-Schließung, Öffnung), so der französische Originaltitel dieses 2005 erschienenen Werkes, versammelt Essays zur »Dekonstruktion des Christentums«. Zum einen wird hier das Christentum zum Gegenstand der Dekonstruktion: Nancy untersucht es, indem er es verschiebt, entstellt oder verkompliziert. Zum anderen aber beobachtet Nancy eine (auto-)dekonstruktive Bewegung im Wesenskern des Christentums selbst, das in seinen verschiedenen Ausprägungen immer schon Elemente eines Auszugs aus der Religion aufweist: »Meine Frage ist geleitet von diesemMotiv des Christentums als Öffnung: Öffnung seiner selbst und es selbst als Öffnung.«

Eines der grundlegenden Paradoxa zeigt sich dabei für Nancy im Schritt vom Polytheismus zum (jüdisch-christlichen) Monotheismus, der einem Entzug der Göttlichkeit gleichkommt, einem Glauben an eine Absenz: »Monotheismus ist in Wahrheit Atheismus.«

Angesichts der heutigen »Sinn- und Wahrheitswüste« und der Gefahr (hyper)religiöser Erhebungen kann es nicht darum gehen, die Religion wiederauferstehen zu lassen, sondern allein darum, »die bloße Vernunft auf die Unbegrenztheit hin zu öffnen, die ihre Wahrheit ausmacht.«
Autorenporträt
Nancy, Jean-LucJean-Luc Nancy (1940-2021) war einer der bedeutendsten Philosophen der Gegenwart. Er lehrte bis zu seiner Emeritierung Philosophie an der Université Marc Bloch in Straßburg und hatte Gastprofessuren in Berkeley, Irvine, San Diego und Berlin inne. Sein vielfältiges Werk umfasst Arbeiten zur Ontologie der Gemeinschaft, Studien zur Metamorphose des Sinns und zu den Künsten, Abhandlungen zur Bildtheorie, aber auch zu politischen und religiösen Aspekten im Kontext aktueller Entwicklungen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2009

Vom sachten Entzug der Theologie

Was bleibt, ist ein Wink zur Transzendenz: Jean-Luc Nancy fordert einen religiösen Minimalismus

Von Lorenz Jäger

Die Dekonstruktion ist eine sehr französische Angelegenheit, will sagen: Sie bedeutet ein zivilisiertes Verhalten gegenüber Texten, ein ungemein höfliches Sich-Verneigen und doch auch wieder ein Lächeln - und dann wird spielerisch, wie in einem Flirt, wie in der Koketterie alles an Andeutungen aufgeboten oder dem Text entnommen, was nur möglich ist. Aber es wird auch vieles aufgeschoben, zunächst einmal im Konjunktiv erwogen, definitive Thesen sind in dieser philosophischen Spielart eher selten zu haben; es ist, als solle aus der endlosen Vorlust am Text eine Tugend gemacht werden. In einer charakteristischen Wendung heißt es am Ende der ersten Abhandlung bei Jean-Luc Nancy: "Ob das Signal ,ein Gott' - oder auch das ,Signal eines Gottes' - hier notwendig ist oder nicht, bleibt dennoch unentschieden. Es wird vielleicht unentschieden bleiben - oder auch nicht."

Gleich muss man hinzufügen, dass keine "Destruktion" im dogmatisch-atheistischen Sinne gemeint ist. Nancy verwahrt sich gegen das banale Missverständnis, sein Verfahren komme einer Demolierung gleich. Und nun eine Dekonstruktion des Christentums? Sicher: Die Bindung der Theologie an die scholastische Philosophie, die über ein Jahrtausend das Denken der Christenheit jedenfalls im Westen bestimmte - der Osten hatte nicht nur die Aufklärung, sondern schon die Aristoteles-Rezeption nicht mitgemacht -, ist vielfach brüchig geworden. Schon im vergangenen Jahrhundert hat man es mit anderen Philosophien versucht, mit dem Existentialismus vor allem. Das grundsätzliche Recht einer philosphischen Neudeutung der christlichen Gehalte ist also unstrittig.

Und der Ertrag? Er ist, bei allem Zögern des dekonstruktiven Gedankens, bei aller Scheu vor zu viel Festlegung, in manchen Partien lohnend. Was Nancy meisterhaft versteht, ist die Freilegung einer gedanklichen Geste. Heidegger und Nietzsche, Derrida und Blanchot werden eingehend diskutiert. Sehr einleuchtend sind Nancys Überlegungen zum Jakobus-Brief. Luther nannte dieses Schreiben die "stroherne Epistel", wie Nancy anführt. Der Reformator hatte einen Grund, denn hier war dem "Werk" ein höherer Rang im Zusammenhang des religiösen Lebens zugesprochen worden, während Luther sich ganz auf Paulus stützen wollte und die Lehre von der alleinigen Rechtfertigung durch den Glauben. Überzeugend, wenn auch in den Kategorien nicht völlig neu ist deshalb Nancys Auslegung von "Werk": dass es sich dabei nicht um ein Arbeiten, sondern um ein Handeln, eine Praxis dreht, mehr um ein "In-actu-Sein" und weniger um ein "operari" eines Opus, um ein Tun zwischen Menschen und nicht um eine Handlung an einem Objekt.

Die theologische Zurückhaltung im Brief des Jakobus müsse als Absicht verstanden werden: "Das bedeutet jedoch, man darf hier gerade keine Dürftigkeit sehen, sondern einen Entzug an Theologie oder eine Theologie im Entzug, das heißt einen Entzug von Repräsentation der Inhalte zugunsten einer aktiven Affirmation des Glaubens." Jakobus habe in seiner bekannten kritischen Haltung gegenüber den "Reichen" daran erinnern wollen, dass es sich bei dem versprochenen Heil nicht um etwas aus der Ordnung der Dinge handle, das man sich aneignen könne. Noch bedeutender sind wohl Nancys Überlegungen zum "geschichtlichen" Charakter des Christentums, der dem Glauben immanent ist und nicht als historische Zufälligkeit verstanden werden darf.

"Monotheismus" ist der Begriff, unter dem das Christentum bei Nancy verhandelt wird. Vielleicht wird der Abstand zu den Glaubensweisen des Mythos dabei überakzentuiert, denn am Ende schlägt der Montheismus um in den Atheismus, wie der Philosoph nicht ohne Zustimmung feststellt. Und wenn er hinzufügt, "fortan" konstituiere sich das "dauerhafte Sediment" des Christentums in nichts anderem als in der "demokratischen Ethik der Menschenrechte und der Solidarität", wobei er die Frage offenlässt, ob dieser "Humanismus" nicht seinerseits wieder "geöffnet" werden müsse - dann ist der Befund in diesem Fall eben doch zu arm und zu dünn, um über die allgemeine Rhetorik der Zivilreligion hinauszuweisen.

Denn es gibt eine kaum je ausgesprochene, aber entscheidende Voraussetzung, die Nancy macht, und das ist die Metaphysik der Negativität oder jedenfalls des religiösen Minimalismus, der er seine Hauptzeugnisse entnimmt. Er will und kann sie nicht überwinden. Das ist die Grenze dieses Buchs. "Wie ohne Gebet beten?", fragt er einmal, und an anderer Stelle heißt es: "Was verkündigt sich? Nichts." Es scheint vom Christlichen kam etwas zu bleiben als eine Geste der Öffnung auf die Transzendenz.

Jean-Luc Nancy: "Dekonstruktion des Christentums". Aus dem Französischen von Esther von der Osten. Diaphanes Verlag, Zürich und Berlin 2008. 277 S., br., 24,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Mit diesem Werk des französischen Philosophen komme Arbeit auf die Theologen zu, warnt nach offensichtlich höchst ergiebiger Lektüre Rezensent Thomas Assheuer. Denn was Jean-Luc Nancy hier nachzeichne, sei die im Christentum selbst angelegte dekonstruktivistische Bewegung, seine eigene Botschaft ständig zu unterlaufen, weshalb die Dekonstruktion den Wesenskern der Wahrheit des Christentums darstelle. Nancy löse das Christentum dabei weder in Mystik noch in Ethik auf, sondern erkläre seinen Lesern "mit Engelszungen" den Unterschied zwischen Monotheismus und Mythos. Das Buch sei extrem schwer zu lesen, warnt Assheuer auch, und zwar trotz der "nachgerade heroisch anmutenden Leistung" der Übersetzerin. Doch dem zähen Durchquerer des Nancy'schen Treibsandes winkten zur Belohnung "funkelnde Aphorismen".

© Perlentaucher Medien GmbH
»In seiner detailintensiven Analyse der Rede Heideggers vom 'letzten Gott', der nur durch einen Wink im Augenblick, im Vorbeigehen und komplizenhaften Zuzwinkern präsent ist, läuft Nancy zu virtuoser Hochform auf.« Alf Christophersen, Süddeutsche Zeitung