"'Gibt es' gibt's nicht" - diese zutiefst skeptische Einstellung kennzeichnet Ulrich Schweier als Wissenschaftler und als Lehrer. Ein Phänomen wird so lange betrachtet, bis es kaum mehr zu erkennen ist, anders erscheint oder ganz verschwindet. Auf diesen radikalen dekonstruktivistischen Prozess folgt dann zuverlässig die Konstruktion, eine wunderbare Wiederauferstehung der verloren geglaubten Dinge - allerdings an ganz anderer, unvermuteter Stelle, in neuem Licht. Ob es das Gesetz der offenen Silben ist, das es vielleicht nie gegeben hat, im modernen Russischen vielleicht aber doch wieder da ist, die altostslavischkirchenslavische Diglossie, die sich bei genauer Betrachtung der Texte erst verliert und dann prototypisch verwandelt zurückkommt, oder die aufgebrochene Kommunikationssituation, die den Rezipienten letztlich doch nicht einsam zurücklässt, sondern ihn in einen konstruktiven Übersetzer verwandelt - Ulrich Schweier wendet dieses Prinzip konsequent auf alle sprachlichen Ebenen und Erscheinungen an: sei es die lautliche Seite einer Sprache, Texte und Intertexte, Semiotik oder Universalien. Dass durch diese Herangehensweise die Grenzen zu benachbarten Disziplinen wie Literaturwissenschaft und Kulturgeschichte leichtfüßig überschritten werden können, versteht sich quasi von selbst und ist in zahlreichen Arbeiten von Ulrich Schweier dokumentiert. Die Lust am ständigen Hinterfragen einer Welt (bzw. 'Welt') gibt Ulrich Schweier an seine StudentInnen weiter, von der allerersten Stunde an. Dabei gelingt es ihm immer, seine HörerInnen geschickt vor dem Gefühl der Frustration zu bewahren, das sich vor allem bei StudentInnen in ihren Anfangssemestern einstellen kann, wenn ihnen der Boden vermeintlich wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse rasant unter den Füßen weggezogen wird. Ulrich Schweier lehrte und lehrt uns das Wichtigste, das ein Lehrer seinen SchülerInnen vermitteln kann und soll: eine unbändige Freude am Denken.