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Hin- und hergerissen zwischen Schönheit und Schauder, zwischen Erotik undGrausamkeit, kurz zwischen Anziehendem und Abstoßenden, erfährt der Leser in "Delhi" ein Indienbild, das mit allen Tabus bricht und dabei die komplexe Geschichte Indiens verständlich, rasant und humorvoll vermittelt. Khushwant Singhs Metapher für seine Haßliebe Delhi ist die hijra Bhagmati, halb Mann, halb Frau, zugleich Hindu und Muslimin, faszinierende und abstoßende Geliebte des Ich-Erzählers. Wie Geschichten aus 1001 Nacht werden die Episoden um die großen Herrscher Delhis von Sultan Aurangzeb bis Shah Jahan und um…mehr

Produktbeschreibung
Hin- und hergerissen zwischen Schönheit und Schauder, zwischen Erotik undGrausamkeit, kurz zwischen Anziehendem und Abstoßenden, erfährt der Leser in "Delhi" ein Indienbild, das mit allen Tabus bricht und dabei die komplexe Geschichte Indiens verständlich, rasant und humorvoll vermittelt. Khushwant Singhs Metapher für seine Haßliebe Delhi ist die hijra Bhagmati, halb Mann, halb Frau, zugleich Hindu und Muslimin, faszinierende und abstoßende Geliebte des Ich-Erzählers. Wie Geschichten aus 1001 Nacht werden die Episoden um die großen Herrscher Delhis von Sultan Aurangzeb bis Shah Jahan und um die vielen "Namenlosen" wie den Unberührbaren, den Hofdichter, das Sklavenmädchen arrangiert. Der Aufstand 1857 gegen die Briten, die Entstehung Neu Delhis unter Lutyens und Baker finden ebenso eine brillante, mutige Behandlung wie die Teilung Indiens 1947, der anschließende Exodus und der Tod Mahatma Gandhis. Singhs Opus magnum endet mit der Ermordung Indira Gandhis im Jahre 1984.Über den Autor: Khushwant Singh, geb. 1915 im Punjab (heutiges Pakistan), ist einer der meistgelesenen Journalisten und Romanschriftsteller in Indien. Nach der Teilung Indiens 1947 verließ er Pakistan und verbrachte lange Jahre als Diplomat der indischen Regierung und für die UNESCO im westlichen Ausland. Von 1980 bis 1986 war er Mitglied des indischen Parlaments. Als Herausgeber der bekannten indischen Wochenzeitschrift "The Illustrated Weekly of India" und der Tageszeitung "The Hindustan Times" gehört er zu den prominentesten indischen Journalisten. In nahezu allen wichtigen internationalen Presseorganen veröffentlichte er Artikel über das alte und das moderne Indien. Seine Romane "Train to Pakistan" (1956) und "I Shall Not Hear the Nightingale" (1959) sowie zahlreiche Sachbücher zu indischer Geschichte, Religion, Politik und Natur weisen ihn als einen der bedeutendsten Autoren und Kenner des Subkontinents aus.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.03.1996

Die wahre Ziegennatur
Khushwant Singh schreibt tausend Jahre indischer Geschichte

Mit dem Roman "Delhi" unternimmt es der indische Autor und Journalist Khushwant Singh, die tausendjährige Geschichte ebenso wie die chaotische Gegenwart seiner Heimatstadt zwischen zwei Buchdeckel zu bringen - ein kühnes Unterfangen. Zumindest dem europäischen Leser, der sich mit einer unüberschaubaren Masse geographischer, historischer und kulturgeschichtlicher Details konfrontiert sieht, scheint es bestenfalls halb geglückt. Die unerbittliche Folge mehr oder weniger grausamer, kriegslüsterner, ausbeuterischer und intoleranter, manchmal aber auch die Künste liebender Herrscher, die der Autor Kapitel um Kapitel aufmarschieren und zu Wort kommen läßt, strapaziert die Aufmerksamkeit doch etwas über Gebühr; der Ich-Erzähler der in der Gegenwart der achtziger Jahre angesiedelten Rahmenhandlung erinnert (wie auch der Großteil der übrigen männlichen Helden) mehr und mehr an den Schweizer aus dem Witz, der, gefragt, warum er beim Anblick der Schweizer Flagge an Geschlechtsverkehr denke, antwortet: "Ich denke immer an Geschlechtsverkehr."

Über die Lendenstärke der Inder erfahren wir Wunderdinge, doch wird auch eine Reihe anderer starker Eindrücke vermittelt, deren Schilderung einem romantischen oder pietätvollen Gast aus der Ersten Welt kaum gelingen dürfte: "Die Felder sind voller Leute, die ihr Geschäft verrichten." Nach zwei Dritteln der Strecke, genau auf der Seite 254 des über 400 Seiten starken Textes, kommt auf einmal Leben in die Sache. Das Kapitel "1857" handelt von dem großen Sepoy-Aufstand dieses Jahres, der zum formellen Ende der bereits entmachteten Mogul-Dynastie und zur Errichtung des Vizekönigtums Indien führte.

Es wird abwechselnd aus der Perspektive einer Anglo-Inderin, eines Sikh-Soldaten, der den Aufstand niederwerfen hilft, und des zweiundachtzigjährigen letzten Mogul-Herrschers erzählt, den die Rebellen wieder zu einem richtigen Kaiser von Indien machen möchten und der nach dem schrecklichen Ende der Revolte nicht, wie der Großteil seiner Familie, hingerichtet, sondern nach Rangun verbannt wird, wo er noch einige Jahre lebt. Als der Greis zum Zeichen seiner Kapitulation dem englischen Major Hodson "das berühmte (Schwert) Zulfigar, das der persische Eroberer Nadir Shah unseren Vorfahren gegeben hatte", überreicht, ist das Wunder geschehen, das wir von einem historischen Roman erwarten: Plötzlich haben wir die, bei Lichte besehen, merk-, ja fragwürdige Gewißheit, "dabei zu sein".

Diese Gewißheit, die nicht durch das Aufrufen historischer Fakten oder moralischer Wahrheiten, sondern durch erzählerische Eindringlichkeit und Wahrhaftigkeit entsteht, bleibt von nun an aufrecht - über die Zeit des Vizekönigtums, den Kampf um die Unabhängigkeit, die Schreckenszeit der "Partition", der Teilung des Landes in einen islamischen und einen hinduistischen Staat, bis zum Mord an Indira Gandhi 1984, mit dem der Roman endet. In Wahrheit endet er mit der bedrückend hautnahen Schilderung dessen, was die Presseagenturen zusammenfassend "Ausschreitungen" nennen, hier gegen die Minderheit der Sikhs. Ihr von einem radikalen Eiferer besetzt gehaltener "Goldener Tempel" war zuvor von indischen Truppen gestürmt worden, wobei an die tausend Menschen umgebracht wurden, zum Großteil einfache Pilger, was wiederum das Attentat auf Indira Gandhi nach sich zog, das zwei Sikhs aus ihrer Wachmannschaft verübten.

Khushwant Singh erweckt nicht den Eindruck, als sähe er die Zukunft Indiens wesentlich rosiger als dessen Vergangenheit. Er bedient keine multikulturelle Nostalgie oder Romantik irgendwelcher Art; die Lektüre seines Romans eignet sich denkbar schlecht für allfällige Kasteiungen des weißen Mannes für "seine" einstigen Untaten im Kolonialismus. Singh läßt einen beim Bau des neuen Delhi (1921 bis 1931) reich gewordenen Bauunternehmer, einen Sikh, sagen: ". . . daß ich, wenn ich mir einen Zeitpunkt der indischen Geschichte für meine Wiedergeburt aussuchen dürfte, nicht die hinduistische und auch nicht die muslimische Herrschaft wählen würde, ja noch nicht einmal die kurze Spanne der Sikh-Herrschaft im Panjab, sondern die der Briten. Ich würde mein Leben als Bauunternehmer unter dem britischen Raj mit Freuden noch einmal leben . . . Es gab überhaupt keine Gerechtigkeit in Indien, bevor die Briten kamen. Und es wird auch keine mehr geben, nachdem sie hier keinen Einfluß mehr haben . . . Könnt ihr euch irgend jemanden außer den Briten vorstellen, der sich mit euren die Revolution predigenden Gandhis und Nehrus abgefunden hätte?"

Der bittere Ton, in dem das Buch endet, läßt den Schluß zu, daß der Autor die Meinung dieses "Erbauers" teilt: "Was im Sommer und Herbst 1947 passiert ist, als wir uns gegenseitig wie die Ziegen abschlachteten, hat unsere wahre Natur gezeigt. Ihr werdet noch wesentlich Schlimmeres in der Zukunft erleben. Hindus, Muslime, Christen, Sikhs, Buddhisten werden sich gegenseitig in weit größerer Zahl umbringen." Khushwant Singhs Schilderung der indischen Geschichte zeigt, daß das Abgleiten in die Barbarei kein Privileg der europäischen Zivilisation darstellt, wie deren europäische Kritiker es gerne für sich beanspruchen. WALTER KLIER

Khushwant Singh: "Delhi". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Sabine Niemann und Martin Hielscher. Dölling und Galitz Verlag, Hamburg 1995. 459 S., geb., 48,- DM.

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