Die Sprache der Naturwissenschaft will die Ablaufe in der Natur sachlich und "rein" darstellen. Aber sie ist eine autoritare Sprache, eine Sprache mit einem absoluten Wahrheitsanspruch. Deshalb konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, mit dieser Sprache zu spielen. Dabei gehe ich davon aus, dass Sprache immer ungenau ist und die Dinge nie in ihrer Gesamtheit zu erfassen vermag.Der Mensch hat die Naturwissenschaften geschaffen.Aber die Natur ist kein absolutes System. Wo Leben ist, gibt es Zufalle, und gerade diese Brüche sind es, die Variation moglich machenund Neues entstehen lassen. Der Mensch ist Teil der Natur, und die Sprache entsteht durch den Menschen. Also ist auch die Sprache Natur und gehorcht den gleichen Gesetzmaßigkeiten, die für den Rest der Natur gelten.Oft finde ich die Sprache der Wissenschaft sehr schon. Sie ist dem Anschein nach objektiv, will die Welt, den Ursprung aller Dinge beschreiben. Darin liegt eine Art von Verzweiflung. Ein Versuch, die Welt in derwir leben zu begreifen. Uns immer wieder das vorzusagen, was wir wissen, um das zu verdrangen, was wir nicht wissen.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.12.2019Sinkender Spiegel
Wasser und Schrift: Marte
Hukes Gedichtzyklus „Delta“
Mit einer mehrfach geschichteten Bewegung beginnt die norwegische Dichterin Marte Huke ihren Gedichtzyklus „Delta“: „Eis bindet das Meer. Der Spiegel sinkt. Das Land gibt nach unter dem Druck. Die Gletscherzunge folgt der Form des Berges, feilt und retuschiert.“ Aber Begriffe wie „Gedicht“ und „Zyklus“ klingen viel zu vertraut, um das zu fassen, was Huke in ihrem Buch mit sich und der Sprache anstellt. Am ehesten könnte man versuchen, es als ein offenes Gefüge mal kleiner, mal größerer Textinseln zu beschreiben, in dem sich die Metaphorik von Eis und Schnee mit Fachsprachen mischt, um am Ende doch etwas ganz anderes zu sein.
So wie das Eis bisweilen als Archiv erscheint und das Meer die Wörter festhält, kann das Ich eine Landschaft sein, in der frühere Liebeserfahrungen ihre Spuren hinterlassen haben. Es ist ein Ich, das beweglich ist, sich immer wieder auflöst, nur ab und an dünn vor dem Hintergrund der Dinge abzeichnet. Wie sein Gegenüber, ein geliebtes Du, mit dem sich das Ich auf kleinen Flächen, Textflächen, Landschaftsflächen, trifft und versucht, „ein wenig Ordnung zu schaffen“. Das offene Gefüge ist auch ein „offenes System“, so heißt es einmal, wie das der Flüsse oder der Gletscher.
„Delta“ ist Marte Hukes Debütband, in Norwegen 2002 erschienen. Schon 2004 waren Auszüge aus der deutschen Übersetzung in „Neuen Rundschau“ zu lesen. Jetzt, 15 Jahre später, konnte sie endlich veröffentlicht werden. In einem Kommentar notiert Huke: „Das Buch hat langsam Form angenommen. Erst nachdem ich mich mehrere Jahre mit dem Stoff beschäftigt hatte, begannen sich Konturen eines Ganzen abzuzeichnen. Es gab darin ein ,ich’, ein ,du’ und ein ,wir’. Und vor meinem inneren Auge sah ich eine ganz bestimmte Landschaft, in der sich diese Pronomen bewegten.“ Das Erfassen der Landschaft ist so immer auch eine Selbstreflexion über das Schreiben. „Das Wasser schreibt die Landschaft“, lesen wir. Aber es sind auch die Wörter, die hier die Landschaft schreiben. Elementare Wörter wie „Haut“, „Eis“, „Meer“ oder „Luft“, die Huke mit naturwissenschaftlicher Sprache zusammenbringt und in ein Gebilde aus Wiederholungen und Variationen verwandelt. Lichtbewegungen, Wasserbewegungen, Körperbewegungen kommen ins Bild.
Und immer wieder hat man den Eindruck, Huke wolle Langsamkeit und Ruhe in und mit der Sprache ausbreiten, um dann plötzlich den Lauf der Wörter zu beschleunigen. Ein intensiver Satzrhythmus bestimmt diese kurzen Prosagedichte, den Betty Wahl und Uwe Englert in ihrer Übersetzung sehr gut nachgebildet haben. Er erinnert nicht nur an Vorgänge (und zugleich Wörter) wie gefrieren und sich lösen, aufwirbeln und sich ablagern, treiben und strudeln, sondern ist manchmal auch ein Pendant zum weißen Raum der leeren Seiten, die Huke ihren Gedichten ein ums andere Mal schenkt.
Die Fassade kann das „Gesicht des Hauses“ sein, „Salzpfade“ sind im Gesicht zu erkennen, und der Tag ist ein „gesenktes Augenlid“. Ab und an setzt Huke solche anthropomorphisierenden Formulierungen zu ungebrochen ein, ab und an spielt sie auch die Sprachmetapher zu deutlich aus. Aber das schmälert nicht die Kraft dieser Gedichte, die Atmosphäre aus Ruhe und Unruhe, die von ihnen ausgeht. Bald schon nagt der Fluss wieder an den Steinen – und alles gerät in Bewegung: „Die Partikel schweben im Wasser, springen und gleiten über den Grund“.
NICO BLEUTGE
Marte Huke: Delta. Aus dem Norwegischen von Betty Wahl und Uwe Englert. Edition Rugerup, Berlin 2019. 78 Seiten, 16,90 Euro.
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Wasser und Schrift: Marte
Hukes Gedichtzyklus „Delta“
Mit einer mehrfach geschichteten Bewegung beginnt die norwegische Dichterin Marte Huke ihren Gedichtzyklus „Delta“: „Eis bindet das Meer. Der Spiegel sinkt. Das Land gibt nach unter dem Druck. Die Gletscherzunge folgt der Form des Berges, feilt und retuschiert.“ Aber Begriffe wie „Gedicht“ und „Zyklus“ klingen viel zu vertraut, um das zu fassen, was Huke in ihrem Buch mit sich und der Sprache anstellt. Am ehesten könnte man versuchen, es als ein offenes Gefüge mal kleiner, mal größerer Textinseln zu beschreiben, in dem sich die Metaphorik von Eis und Schnee mit Fachsprachen mischt, um am Ende doch etwas ganz anderes zu sein.
So wie das Eis bisweilen als Archiv erscheint und das Meer die Wörter festhält, kann das Ich eine Landschaft sein, in der frühere Liebeserfahrungen ihre Spuren hinterlassen haben. Es ist ein Ich, das beweglich ist, sich immer wieder auflöst, nur ab und an dünn vor dem Hintergrund der Dinge abzeichnet. Wie sein Gegenüber, ein geliebtes Du, mit dem sich das Ich auf kleinen Flächen, Textflächen, Landschaftsflächen, trifft und versucht, „ein wenig Ordnung zu schaffen“. Das offene Gefüge ist auch ein „offenes System“, so heißt es einmal, wie das der Flüsse oder der Gletscher.
„Delta“ ist Marte Hukes Debütband, in Norwegen 2002 erschienen. Schon 2004 waren Auszüge aus der deutschen Übersetzung in „Neuen Rundschau“ zu lesen. Jetzt, 15 Jahre später, konnte sie endlich veröffentlicht werden. In einem Kommentar notiert Huke: „Das Buch hat langsam Form angenommen. Erst nachdem ich mich mehrere Jahre mit dem Stoff beschäftigt hatte, begannen sich Konturen eines Ganzen abzuzeichnen. Es gab darin ein ,ich’, ein ,du’ und ein ,wir’. Und vor meinem inneren Auge sah ich eine ganz bestimmte Landschaft, in der sich diese Pronomen bewegten.“ Das Erfassen der Landschaft ist so immer auch eine Selbstreflexion über das Schreiben. „Das Wasser schreibt die Landschaft“, lesen wir. Aber es sind auch die Wörter, die hier die Landschaft schreiben. Elementare Wörter wie „Haut“, „Eis“, „Meer“ oder „Luft“, die Huke mit naturwissenschaftlicher Sprache zusammenbringt und in ein Gebilde aus Wiederholungen und Variationen verwandelt. Lichtbewegungen, Wasserbewegungen, Körperbewegungen kommen ins Bild.
Und immer wieder hat man den Eindruck, Huke wolle Langsamkeit und Ruhe in und mit der Sprache ausbreiten, um dann plötzlich den Lauf der Wörter zu beschleunigen. Ein intensiver Satzrhythmus bestimmt diese kurzen Prosagedichte, den Betty Wahl und Uwe Englert in ihrer Übersetzung sehr gut nachgebildet haben. Er erinnert nicht nur an Vorgänge (und zugleich Wörter) wie gefrieren und sich lösen, aufwirbeln und sich ablagern, treiben und strudeln, sondern ist manchmal auch ein Pendant zum weißen Raum der leeren Seiten, die Huke ihren Gedichten ein ums andere Mal schenkt.
Die Fassade kann das „Gesicht des Hauses“ sein, „Salzpfade“ sind im Gesicht zu erkennen, und der Tag ist ein „gesenktes Augenlid“. Ab und an setzt Huke solche anthropomorphisierenden Formulierungen zu ungebrochen ein, ab und an spielt sie auch die Sprachmetapher zu deutlich aus. Aber das schmälert nicht die Kraft dieser Gedichte, die Atmosphäre aus Ruhe und Unruhe, die von ihnen ausgeht. Bald schon nagt der Fluss wieder an den Steinen – und alles gerät in Bewegung: „Die Partikel schweben im Wasser, springen und gleiten über den Grund“.
NICO BLEUTGE
Marte Huke: Delta. Aus dem Norwegischen von Betty Wahl und Uwe Englert. Edition Rugerup, Berlin 2019. 78 Seiten, 16,90 Euro.
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