Als im Jahr 1981 die mingzeitliche, durch Vernachlässigung instabil gewordene Pagode des Famen Si in der Nähe von Xian wie senkrecht von einem Messer zerschnitten, zur Hälfte in sich zusammenbrach, war dies der Auslöser für eine der großen Entdeckungen der Archäologie in dieser Region. Bei der
Untersuchung des Fundaments kam eine tangzeitliche Krypta ans Licht, die völlig unberührt, wenn auch in…mehrAls im Jahr 1981 die mingzeitliche, durch Vernachlässigung instabil gewordene Pagode des Famen Si in der Nähe von Xian wie senkrecht von einem Messer zerschnitten, zur Hälfte in sich zusammenbrach, war dies der Auslöser für eine der großen Entdeckungen der Archäologie in dieser Region. Bei der Untersuchung des Fundaments kam eine tangzeitliche Krypta ans Licht, die völlig unberührt, wenn auch in schlechtem Erhaltungszustand, umfangreiche kaiserliche Stiftungen enthielt. Ein auf eine Steintafel graviertes, ungewöhnlich ausführliches Inhaltsverzeichnis ließ keinen Zweifel an der kaiserlichen Provenienz. Da in China die Kompetenz zur Restaurierung derart komplexer Funde fehlte, wurde der Famen Si zum ersten großen Kooperationsprojekt zwischen dem RGZM und der Volksrepublik China. Eine Zusammenarbeit, die sich seitdem als sehr fruchtbar und vertrauensvoll erwiesen hat und mittlerweile auf Augenhöhe funktioniert. Das RGZM unterhielt über 20 Jahre ein eigenes Labor in Xian, in dem zunächst die Metallobjekte restauriert wurden, ab 2001 dann auch die überaus fragilen Seidentextilien. Letzteren widmet sich die vorliegende Monografie aus restauratorischer, textil- und kulturgeschichtlicher Sicht.
Anders als in den meisten Monografien mit mehreren Autoren bauen die Beiträge aufeinander auf, was Redundanzen weitgehend vermeidet und insgesamt zu einem sprachlich recht homogenen Text führt. Die einleitenden Kapitel beleuchten die Fundumstände, sowie die sehr sorgfältige Herangehensweise bei der Bergung und Konservierung der Funde (die Reliquienkammer wurde erst 1987 geöffnet). Technisch exzellente Originalaufnahmen, Grabungspläne und Zeichnungen ergänzen den Text, der nicht nur die Textilien, sondern alle bedeutenden Einzelfunde umfasst. Damit liefert die Monografie auch eine relativ aktuelle Übersicht über den ganzen Fundkomplex.
Die nachfolgenden Beiträge behandeln zunächst den Reliquienkult im tangzeitlichen Buddhismus im Licht chinesischer und außerchinesischer Quellen. Die sehr unterschiedliche Erhaltungsqualität der einzelnen Seidenstoffe erfordert differenzierte Herangehensweisen, die sich in mehreren Einzelbeiträgen widerspiegeln. Die auffaltbaren Textilen stellen die erste Gruppe dar. Sie sind weitgehend rekonstruierbar und liefern interessante Erkenntnisse zum Tragegebrauch, aber auch dem Ritus. Der zweite Teilkomplex sind Einschlagtücher und rituell hinterlegte Stoffballen, die deutlich schwerer zu konservieren waren. Anders als im wüstentrockenen Dunhuang gab es in der leicht abschüssigen Krypta des Famen Si Wassereinbrüche, die die Stoffe schwer in Mitleidenschaft gezogen haben. Vergleiche mit den bestens erhaltenen Beispielen z. B. aus Dunhuang lassen dennoch Rückschlüsse auf Herstellungstechniken zu. Die katalogartig aufgebaute Übersicht der Textilfragmente ist äußerst detailliert und umfasst auch die historische chinesische Funddokumentation aus den Neunzigerjahren. Eine Rekonstruktion der ursprünglichen Ablageorte der textilen Opfergaben ist heute weitgehend möglich.
Der dritte große Themenkomplex dokumentiert die Konservierungs- und Restaurierungsarbeiten, aus denen sich gleich im Anschluss die material- und textiltechnischen Untersuchungen ergeben. Die Schwierigkeiten waren enorm. Insbesondere die Seidenballen sind zu dichten Klumpen verbacken, die weder im trockenen noch im feuchten Zustand duktil und zerbrechlich wie Glasfäden sind. Am Beispiel der entfaltbaren Textilien werden Webtechniken, Färbeverfahren und die technische Verarbeitung von Gold- und Silberfäden untersucht. Eine Isotopenanalyse versucht, bislang allerdings vergeblich, die geografische Herkunft der verwendeten Stoffe zu ermitteln. Weitaus erfolgreicher waren die Untersuchungen zu den eingesetzten Färbemethoden, die mehrere Farbstoffe, sowie Gold- und Silbertinten nachweisen konnten.
Im Gegensatz zu den Metallobjekten, die im Museum des Famen Si heute mustergültig ausgestellt sind, können die Textilfunde nicht oder nur sehr eingeschränkt gezeigt werden. Neben dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn kommt der Monografie daher auch ein hohes Maß an dokumentarischem Wert zu und macht das Textilkonvolut des Famen Si breiten Kreisen verfügbar.
(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)