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In der SS-Organisation Lebensborn e.V. sollte der nationalsozialistische Rassenwahn einmal mehr auf perverse Weise Gestalt annehmen. Ende 1935 wurde sie von Himmler mit dem Ziel gegründet, die Zukunft des deutschen Volkes durch 'rassisch und erbbiologisch wertvollen' Nachwuchs zu sichern. Obwohl es sich dabei im Wesentlichen nicht um geheime Aktionen handelte, sind die heutigen Kenntnisse über den Lebensborn recht dürftig oder gar unzutreffend. Weder waren die Einrichtungen 'Begattungsheime' - neben den Frauen von SS-Angehörigen waren es vor allem werdende ledige Mütter, die in den Heimen ihre…mehr

Produktbeschreibung
In der SS-Organisation Lebensborn e.V. sollte der nationalsozialistische Rassenwahn einmal mehr auf perverse Weise Gestalt annehmen. Ende 1935 wurde sie von Himmler mit dem Ziel gegründet, die Zukunft des deutschen Volkes durch 'rassisch und erbbiologisch wertvollen' Nachwuchs zu sichern. Obwohl es sich dabei im Wesentlichen nicht um geheime Aktionen handelte, sind die heutigen Kenntnisse über den Lebensborn recht dürftig oder gar unzutreffend. Weder waren die Einrichtungen 'Begattungsheime' - neben den Frauen von SS-Angehörigen waren es vor allem werdende ledige Mütter, die in den Heimen ihre Kinder zur Welt brachten -, noch dienten sie karitativen Zwecken - waren sie doch Teil der unmenschlichen Bevölkerungspolitik der Nationalsozialisten. Zu den besonders düsteren Kapiteln des Lebensborn e.V. gehört die Beteiligung an den so genannten 'Eindeutschungsaktionen', bei denen aus den besetzten Gebieten geeignete Kinder entführt, dann in den Heimen ihrer Identität beraubt und 'eingedeutscht' wurden. Die Heime selbst waren in der Regel in Gutshöfen untergebracht, die man zuvor den jüdischen Eigentümern enteignet hatte. Mit diesem Band liegt eine wissenschaftlich fundierte Gesamtdarstellung der SS-Organisation vor, die auch bislang nicht erschlossene Quellen berücksichtigt. Ausführlich und sachlich werden Hintergründe, Aufbau und Organisation des Lebensborn e.V. dargestellt, ohne das Schicksal der Betroffenen, etwa bei den Eindeutschungs- und Enteignungsaktionen, aber auch der Lebensborn-Kinder selbst, aus dem Blick zu verlieren.
Autorenporträt
Volker Koop, geb. 1945, Journalist und Publizist, lebt in Berlin. Veröffentlichungen u.a.: Kein Kampf um Berlin? Deutsche Politik zur Zeit der Berlin-Blockade 1948/49 (1998), Der 17. Juni 1953. Legende und Wirklichkeit (2003), Das Recht der Sieger (2004), Das schmutzige Vermögen. Das Dritte Reich, die I.G. Farben und die Schweiz (2005), Kai-Uwe von Hassel. Eine politische Biographie (2007),
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2007

Die Ehe, als satanische Veranstaltung betrachtet
Mit dem „Lebensborn” wollte Heinrich Himmler die Geburtenrate erhöhen und eine „neue Volksmoral” begründen. Jetzt legt Volker Koop aufgrund von Archivfunden die bisher gründlichste Darstellung der SS-Organisation vor
Dieses Buch erscheint zu spät. Bei zeitiger Lektüre hätte womöglich ein südwestdeutscher Ministerpräsident es sich noch einmal überlegt, ob er gut beraten war, sein Ländle als „Kinderland” zu positionieren. „Deutschland muss wieder Kinderland werden” war nämlich auch der Wahlspruch des Leiters des ersten nationalsozialistischen „Lebensborn”-Heimes. Womöglich hätte auch eine norddeutsche Fernsehmoderatorin ihre Gedanken zu Hitlers Familienpolitik noch einmal bedacht. Hier nämlich lesen wir: „Die Würde von Frau und Mann, besonders der Frau, spielte für die Nationalsozialisten keine Rolle, sie brauchten Kinder und nochmals Kinder” – Kinder für den Endsieg.
Früher hätte dieses Buch aber nicht erscheinen können. Der Berliner Zeithistoriker Volker Koop musste sich auf eine lange Reise begeben zu den Archiven der Republik. In Berlin, München, Potsdam, Stuttgart, Hannover, Leipzig und zehn weiteren Orten wurde er fündig. Entstanden ist eine gedrängte, außerordentlich instruktive Darstellung, die fast nur auf Archivfunden beruht. Bedauern mag man, dass keine Diskussion mit der Fachliteratur stattfindet. Das neu entdeckte Material entschädigt dafür reichlich.
Schreibimpuls war wohl des Autors Zorn über die „arglosen” Richter von Nürnberg. Bei den Kriegsverbrecherprozessen kam es zu keiner einzigen Verurteilung wegen Aktivitäten für die SS-Organisation „Lebensborn e.V.” Deren Selbstbild wurde Teil des Freispruchs, in dem es heißt, der Verein sei eine „Wohlfahrtseinrichtung und in erster Linie ein Entbindungsheim” gewesen; er habe „im Allgemeinen keine ausländischen Kinder ausgewählt und überprüft”. Zum gegenteiligen Ergebnis gelangt Volker Koop. Der „Lebensborn” war demnach „wesentlich an der Deportation der Kinder und Jugendlichen” in den besetzten Ländern Ost-, Nord- und Westeuropas beteiligt. Koop nennt den Verein ein Wirtschaftsunternehmen und eine verbrecherische Organisation, die „allein der nationalsozialistischen Rassenpolitik diente”.
Alles andere wäre kaum plausibel, denn, wie Koop zurecht schreibt, „Heinrich Himmler war sozusagen der ‚Lebensborn‘.” Damit wurde der Rassenhass Geschäftsgrundlage. Der „Reichsführer SS” schwadronierte von der „Frage des Kindes” als der „Lebensfrage der Nation”, dachte dabei jedoch nur an „gutrassige Kinder” mit „bestem Blut”. Uneheliche Geburten wollte er im Namen einer antibürgerlichen, antichristlichen „neuen Volksmoral” aufwerten. Wo auch immer ein deutsches Kind zur Welt komme, gebühre der Mutter Respekt, der „Hüterin unserer Art und Rasse”.
Mit dieser Formulierung aus einer Dienstanweisung für die Heime des „Lebensborn” ist deren ganzer Zweck ausgesprochen. Kein „Volksgenosse” sollte verloren gehen, keine Abtreibung nötig sein. Deshalb gründete Himmler im Dezember 1935 den „Lebensborn”. Das erste und größte Heim wurde am 15. August 1936 im oberbayerischen Steinhöring bei Ebersberg eröffnet. Bis Kriegsende kamen in den acht Mütter- und zwei Kinderheimen im „Altreich” rund 11 000 Menschen zur Welt. Von den Niederlassungen auf besetztem Gebiet gibt es keine exakten Zahlen. Allein in Dänemark und Norwegen wurden jeweils rund 6000 Kinder betreut und indoktriniert. Diese waren Waisen, „erscheinungsbildlich und erbbiologisch besonders wertvoll” und somit einer „Eindeutschung” fähig, wie es im NS-Jargon hieß. Oder es handelte sich um Kinder von Wehrmachtsoldaten und einheimischen Frauen.
Kinderraub und Kinderumerziehung ließen sich längst nicht mit der Satzung vereinbaren. Der „Lebensborn” sollte diskret außereheliche Geburten ermöglichen. Der SS-Mann konnte seine Geliebte, überdurchschnittlich oft eine kaufmännische Angestellte, entbinden lassen, ohne dass die Ehefrau davon erfuhr. Himmler hatte als Norm ausgegeben, die „Pflicht gegenüber seinen Ahnen und unserem Volk” erfülle nur, wer mindestens vier Kindern das Leben schenke – ob innerhalb oder außerhalb der Ehe, mache keinen Unterschied. Die Monogamie schalt Himmler „das satanische Werk der katholischen Kirche”. Nie jedoch war der „Lebensborn” jene Zuchtanstalt zum organisierten Beischlaf, als die er in mancher Phantasie weiterlebt bis heute.
Die im Schnitt 25 Jahre alten Frauen, die zwischen zwei und 15 Wochen blieben und ihr Kind zur Adoption freigaben oder es nach einer Frist zu sich holten, wurden ideologisch unterrichtet. Einem Schulungsplan aus dem Heim „Friesland” bei Bremen zufolge behandelten Pflichtveranstaltungen die „Feinde des deutschen Volkes”, also „das Judentum, das Untermenschentum, die Freimaurerei, den Bolschewismus”. Statt Taufen fanden „feierliche Namensgebungen” statt. Der Heimleiter hielt einen SS-Dolch über das Baby und fragte: „Deutsche Mutter, bist du bereit, dein Kind zu erziehen im Glauben an Adolf Hitler?”. Anschließend trank man Kaffee.
Der „Lebensborn” war nicht nur eine deutsche, sondern auch eine bayerische Angelegenheit. Neben dem gebürtigen Münchner Heinrich Himmler stand ein Arzt aus Kirchseeon an der Spitze, Gregor Ebner. Und „vor allem in München war der ‚Lebensborn‘ Nutznießer beschlagnahmten jüdischen Eigentums”. Die Zentrale befand sich von Dezember 1937 bis Dezember 1938 in der Poschingerstraße 1, in der enteigneten Villa Thomas Manns, anschließend in der Herzog-Max-Straße. Ebner nahm auch die „rassenbiologische” Bewertung von Kindern vor, die aus Polen oder vom Balkan in ein Heim gebracht worden waren. Sein Urteil konnte Zwangssterilisation, Zwangsadoption oder den Tod in einer Euthanasieanstalt bedeuten.
Leider ist die Lektüre nicht nur wegen des Themas eine zähe Angelegenheit. Koop zählt nicht unbedingt zu den Stilisten, die Gliederung ist ungeschickt, und im Dickicht der Zahlen hätte man sich einen beherzteren Dirigenten gewünscht. Doch das schmälert die Bedeutung dieser Fleißarbeit keineswegs. Der nimmermüde Gang zu den Quellen hat sich gelohnt. Die typisch nationalsozialistische Verquickung von Terror und Modernität, Rassenhass und Fürsorge, Mord und Reinlichkeit wird nirgends so deutlich wie an der Geschichte des „Lebensborn”. ALEXANDER KISSLER
Volker Koop
Dem Führer ein Kind schenken
Die SS-Organisation „Lebensborn e.V.” Böhlau Verlag, Köln 2007.
306 Seiten, 24,90 Euro.
Für „Art und Rasse” sollte jeder SS-Mann mindestens vier Kinder zeugen
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Eine immense "Fleißarbeit", die sich nach Ansicht von Alexander Kissler gelohnt hat. Volker Koop habe für seine "außerordentlich instruktive" Darstellung der NS-Kinderheime "Lebensborns" fast ausschließlich die eigenen Archivfunde verwendet. Der damit ausbleibende Rekurs auf die übrige Fachliteratur zum Thema ist für Kissler zu verschmerzen, erfahre man doch von Koop viele Neuigkeiten. Koop beweise, dass der "Lebensborn" sowohl an der Deportation von Kindern aus den besetzten Gebieten beteiligt war als auch aufs engste mit der NS-Rassenpolitik verknüpft. Zwar sei es keine Nazi-"Zuchtanstalt" gewesen, referiert Kissler, aber doch konnten SS-Männer hier die Kinder ihrer Geliebten zur Welt bringen lassen, ohne dass die eigene Frau davon etwas erfahren musste. Vor solcherlei Erkenntnissen setze Koop aber ein unnötiges Maß an Anstrengung, meint Kissler, der den "zähen" Stil, die dysfunktionale Gliederung und die übermäßige Zahlenverliebtheit moniert.

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