Landschaften sind wie Menschen; einfach vorhanden und da. Ihre Wirkung hingegen hängt einzig vom Betrachter ab: Was in dem einen Langeweile oder Stumpfheit aufsteigen lässt, beflügelt den anderen zu Begeisterung und Aktivität. Schreibende greifen deshalb zum Stift, um dieses Glücksgefühl für sich selbst festzuhalten und ihre Mitmenschen daran teilhaben zu lassen. Durch dieses unterschiedliche „Zutun“ zur erlebten Landschaft (oder eben eines Menschen) können sowje nach dem Blickwinkel der Dichtenden – in Form und Inhalt vollkommen andere Texte entstehen: Sonette oder freie Rhythmen etwa. Sogar die in der jeweiligen Gegend gesprochenen Mundarten spielen ein Rolle und werden zum Lob der Landschaft hinzugezogen. Nicht verwunderlich also, dass sich Poeten beiderlei Geschlechts um den Erhalt ihrer immer mehr bedrohten Dialekte sorgen und diese Regionalsprachen verwenden, um auch mit diesem Wortschatz ein Gebäude von Lust und Hingabe zu entwerfen. In der vorliegenden Anthologie kommen neunzehn Autor*Innen aus dem Osten und dem Westen Deutschlands mit insgesamt 160 Gedichten zu Wort, die in dieser Zusammenstellung noch nie gemeinsam publiziert wurden. Neben Annerose Kirchner und Ulrike Almut Sandig, Thomas Luthardt und Konstantin Kilger etwa, sind das Eva-Maria Berg und Heide Jahnke, Wernfried Hübschmann und Peter Salomon, sowie Gylfe Matt und Harald Gerlach, um nur einige von ihnen zu nennen. Was für die Schreibenden gilt, trifft genau so auf die bildenden Künstler*Innen zu: Auch hier hat jeder seine Handschrift und seine eigene Sicht auf das Gesehene, weshalb auch vollkommen andere grafische Blätter entstehen können, wenn zwei von ihnen die gleichen Gefilde geschaut und ihren Eindruck davon auf Papier gebracht haben. Denn auch Landschaften wirken (wie Menschen) auf jeden Betrachter anders; jeder bringt auf das Papier, was er – mit dem äußeren und dem inneren Auge – gesehen und entschlüsselt hat. So entstehen vielfältige Sichten – unabhängig von der objektiv vorhandenen Landschaft – die zu in sich schlüssigen Bildern, künstlerisch ausgereiften Zeichnungen und Grafiken formen. Und nicht immer wird dabei offenbar, welche Landschaft die Inspriration gab. Die zehn in der Anthologie vertretenen Künstler sind augenfällige Beweise dafür, ob sie nun schon über neunzig Jahre alt sind, wie Horst Zickelbein, oder noch nicht einmal vierzig, wie Anne Mundo.