Ein großer, ein historischer Roman und zugleich ein absolut modernes Werk voller Ironie und Selbstironie.Mit spielerischem Ernst umkreist Yi Munyol, unbestritten der wichtigste und international renommierteste Romancier Koreas, Fragen von Wahrheit und Erkenntnis, von Täuschung und Lüge, von Ideologie, Verblendung und Geschichte. Dabei entfaltet er ein großes historisches Panorama vom Ende des neunzehnten Jahrhunderts, in dem Japan und die westlichen Großmächte auf der koreanischen Halbinsel miteinander stritten, über die Periode der japanischen Kolonialherrschaft und die des Koreakriegs bis hin in die neunzehnhundertsiebziger Jahre, die sowohl durch wirtschaftlichen Aufschwung als auch von der Militärdiktatur geprägt waren. Aber das historische Gewand ist kein Selbstzweck. Verhandelt wird zutiefst Heutiges. Diktatur, Sozialismus, Kommunismus, Demokratie - Yi Munyol befragt die Staatsformen und Ideologien skeptisch und vorurteilslos auf ihre Lügen und setzt dagegen die Individualität des Sich-Behauptens. Er ist ein Autor, der in den ostasiatischen Traditionen tief verwurzelt ist, aber die westliche Moderne und ihre Denk- und Schreibweisen bestens kennt. Der Roman spielt scheinbar in zeitlicher und räumlicher Ferne, aber doch ganz unter uns; die geschmeidige Übersetzung leistet hierfür einen großen Beitrag.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.06.2009Eulenspiegeleien
Der koreanische Romancier Yi Munyol blickt aus der Peripherie auf die Geschicke seines Landes. Sein neuer Roman schildert Koreas Identitätssuche im Spannungsfeld kolonialer, kommunistischer und kapitalistischer Interessen.
Die in Korea vielgelesenen Werke des 1948 geborenen Romanciers und Nobelpreiskandidaten Yi Munyol wie "Zeit der Helden" (1984) oder "Der entstellte Held" (1986), eine im Gewand einer Grundschulklasse und ihrer Hierarchien verkleidete Allegorie auf den Aufstieg und Fall eines autoritären Staats, sind Zerrspiegel zeitgenössischer Ethik und Politik, Zeugnisse eines Jahrhunderts der Indoktrination und Ideologien. Ob marginalisierte cultural heroes wie der im Roman "Der Dichter" beschriebene Wanderpoet Kim Byongyon oder imaginäre Reichsgründer wie im vorliegenden Historienroman (1986) über die "Dynastie der Cheong vom Keryong-Berg" - immer leistet Yi eine Geschichtsdeutung aus der Perspektive der Peripherie.
Die Rahmenhandlung bildet die Recherchearbeit eines Journalisten im "Dorf der Weißen Steine" in der Region des Keryong-Berges, die als Wiege zahlreicher Heiliger, Religionsstifter und Welterlöser gilt. Anhand der Erzählungen eines greisen Wächters am "Tugendkaisergrab" und einer alten Chronik rekonstruiert er die Biographie des Helden, der von 1894 bis 1972 gelebt haben soll. Dieser wurde im Glauben aufgezogen, der "Erhabene Cheong" zu sein, von dem besagte Wahrsageschrift sprach, und zukünftiger Begründer einer achthundert Jahre währenden Dynastie, die die seit 1392 amtierende Yi-Dynastie ablösen sollte.
In einem rhetorischen Kunstgriff, der die Grenzen zwischen Wahrheit und Fiktion, Freiheitstraum und Teilungstrauma, Krieg und Kaltem Krieg und dem Wunsch nach Wiedervereinigung im Möglichkeitsraum der Dichtung immer wieder durchbricht, lässt Yi die Biographie des selbsternannten Kaisers vor der Folie des realen Geschichtspanoramas spielen. So schildert die Kaiserbiographie Koreas Identitätssuche im Spannungsfeld kolonialer, kommunistischer und kapitalistischer Interessen vom Chinesisch-Japanischen Krieg um Korea 1894/95, der Kolonialherrschaft Japans von 1910 bis 1945 über die Euphorie und allgemeine Rechtlosigkeit in den Monaten nach der Befreiung, Koreakrieg und Landesteilung bis hin zu den Studentenunruhen 1960 und der ökonomisch aufstrebenden, aber autokratischen Park-Ära.
Exakt an ebenjenen historischen Weggabelungen setzt die Romanbiographie an und vollführt in der Kaiserfigur, einer Art asiatischem Don Quijote, einen Versuch der Neuschreibung und Austreibung der koreanischen Leidens- und Teilungsgeschichte. Beim Unterfangen, dem historischen Ablaufprogramm der Tragödien und Realitäten literarisch gegenzusteuern, arbeitet der Autor mit Eulenspiegeleien und Wortstreitereien. Das Buch bezieht seinen schelmenromanhaften Charme aus den Reibungsflächen der immer wieder mit Zitaten aus der Chronik, die den kaiserlichen Mythos begründen, unterfütterten heldeneposartigen Erzählung und der profanen Wirklichkeit des Weltherrschers in spe.
Die Lehr- und Wanderjahre des von der Vorsehung begünstigten, rhetorisch versierten, aber weltunerfahrenen Führers entpuppen sich als Aneinanderreihung kolossaler Missverständnisse. Bei seiner Illusion der Beeinflussung des Weltenlaufs meint der imaginäre Kaiser bei einer Kundgebung der Unabhängigkeitsbewegung von 1919, das Volk huldige ihm, erringt sein bambuslanzenbewehrtes "Himmelsheer" nach der Kapitulation Japans einen Scheinsieg gegen die letzten Soldaten einer aufgegebenen Garnison, gerät er im Koreakrieg, den er als Verletzung seiner Hoheitsrechte missversteht, zwischen die Fronten.
So leitet der Kaiser als anachronistischer Zaungast der Geschichte kraft der Imagination die Geschicke einer aus den Fugen geratenen Welt. Zwischen den Zeilen äußert sich Yis Kritik an der Moderne (in der Begegnung des Kaisers mit der mechanischen Zivilisation des Westens wie der als "Feuerdrachengefährt" beschriebenen Eisenbahn), Pervertierung der Werte und sein Misstrauen gegenüber Institutionen und oberflächlicher Implementierung westlicher Demokratie, wenn etwa dem Kaiser eines schönen Tages mitgeteilt wird, die Welt sei eine demokratische geworden und er möge sich zur Wahl als Abgeordneter der verfassunggebenden Volksversammlung stellen.
Der Absolutheitsanspruch der Religionen und Ideologien wird in der Austauschbarkeit ihrer Konzepte - so vergleicht Yi die christliche Nächstenliebe mit der buddhistischen Barmherzigkeit und dem konfuzianischen Menschlichkeitsbegriff - ad absurdum geführt. Kurz vor seinem Tod hat der Kaiser schließlich eine Art taoistisch-anarchistische Erleuchtung, indem er erkennt, dass wahre Herrschaft im Vergessen des Regierens liege. So gerät das virtuelle Kaiserreich zum ideologiefreien Vakuum ("Durch das Dorf der Weißen Steine, diesen vom Himmel geweihten Hort der Glückseligkeit, wehte keinerlei politischer Wind"), werden welthistorische Ereignisse im Spiegel der "kaiserlichen Zeitläufte" relativiert.
Der koreanische Hang zur Eschatologie wird hier dem Leiden eines Volkes gegenübergestellt, das sich in Nord und Süd in Abkehr vom gemeinsamen kulturellen Erbe "von den falschen Herren blenden" ließ, wobei die Teilstaaten ihre Identität auf Zerrbildern des jeweils anderen errichteten. Dabei erscheint das metaphorische Warten auf die "Himmelsstunde" als Allegorie auf die Wiedervereinigung. Die Fülle an leider nur selten in Fußnoten erklärten Referenzen an die ostasiatische Geisteswelt machen das Buch für den westlichen Leser trotz der sprachlich gewandten Übersetzung zu einer nicht eben leichten Lektüre. Als substitute history und in der konsequenten Rekonstruktion der Bruchlinien der Geschichte mittels eines tragikomischen Helden ist es aber durchaus empfehlenswert, gewährt es doch einen desillusionierenden Blick auf die koreanische Teilungswirklichkeit.
STEFFEN GNAM
Yi Munyol: "Dem Kaiser!" Roman. Aus dem Koreanischen von Mo Seoyoung und Frieder Stappenbeck. Wallstein Verlag, Göttingen 2008. 447 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der koreanische Romancier Yi Munyol blickt aus der Peripherie auf die Geschicke seines Landes. Sein neuer Roman schildert Koreas Identitätssuche im Spannungsfeld kolonialer, kommunistischer und kapitalistischer Interessen.
Die in Korea vielgelesenen Werke des 1948 geborenen Romanciers und Nobelpreiskandidaten Yi Munyol wie "Zeit der Helden" (1984) oder "Der entstellte Held" (1986), eine im Gewand einer Grundschulklasse und ihrer Hierarchien verkleidete Allegorie auf den Aufstieg und Fall eines autoritären Staats, sind Zerrspiegel zeitgenössischer Ethik und Politik, Zeugnisse eines Jahrhunderts der Indoktrination und Ideologien. Ob marginalisierte cultural heroes wie der im Roman "Der Dichter" beschriebene Wanderpoet Kim Byongyon oder imaginäre Reichsgründer wie im vorliegenden Historienroman (1986) über die "Dynastie der Cheong vom Keryong-Berg" - immer leistet Yi eine Geschichtsdeutung aus der Perspektive der Peripherie.
Die Rahmenhandlung bildet die Recherchearbeit eines Journalisten im "Dorf der Weißen Steine" in der Region des Keryong-Berges, die als Wiege zahlreicher Heiliger, Religionsstifter und Welterlöser gilt. Anhand der Erzählungen eines greisen Wächters am "Tugendkaisergrab" und einer alten Chronik rekonstruiert er die Biographie des Helden, der von 1894 bis 1972 gelebt haben soll. Dieser wurde im Glauben aufgezogen, der "Erhabene Cheong" zu sein, von dem besagte Wahrsageschrift sprach, und zukünftiger Begründer einer achthundert Jahre währenden Dynastie, die die seit 1392 amtierende Yi-Dynastie ablösen sollte.
In einem rhetorischen Kunstgriff, der die Grenzen zwischen Wahrheit und Fiktion, Freiheitstraum und Teilungstrauma, Krieg und Kaltem Krieg und dem Wunsch nach Wiedervereinigung im Möglichkeitsraum der Dichtung immer wieder durchbricht, lässt Yi die Biographie des selbsternannten Kaisers vor der Folie des realen Geschichtspanoramas spielen. So schildert die Kaiserbiographie Koreas Identitätssuche im Spannungsfeld kolonialer, kommunistischer und kapitalistischer Interessen vom Chinesisch-Japanischen Krieg um Korea 1894/95, der Kolonialherrschaft Japans von 1910 bis 1945 über die Euphorie und allgemeine Rechtlosigkeit in den Monaten nach der Befreiung, Koreakrieg und Landesteilung bis hin zu den Studentenunruhen 1960 und der ökonomisch aufstrebenden, aber autokratischen Park-Ära.
Exakt an ebenjenen historischen Weggabelungen setzt die Romanbiographie an und vollführt in der Kaiserfigur, einer Art asiatischem Don Quijote, einen Versuch der Neuschreibung und Austreibung der koreanischen Leidens- und Teilungsgeschichte. Beim Unterfangen, dem historischen Ablaufprogramm der Tragödien und Realitäten literarisch gegenzusteuern, arbeitet der Autor mit Eulenspiegeleien und Wortstreitereien. Das Buch bezieht seinen schelmenromanhaften Charme aus den Reibungsflächen der immer wieder mit Zitaten aus der Chronik, die den kaiserlichen Mythos begründen, unterfütterten heldeneposartigen Erzählung und der profanen Wirklichkeit des Weltherrschers in spe.
Die Lehr- und Wanderjahre des von der Vorsehung begünstigten, rhetorisch versierten, aber weltunerfahrenen Führers entpuppen sich als Aneinanderreihung kolossaler Missverständnisse. Bei seiner Illusion der Beeinflussung des Weltenlaufs meint der imaginäre Kaiser bei einer Kundgebung der Unabhängigkeitsbewegung von 1919, das Volk huldige ihm, erringt sein bambuslanzenbewehrtes "Himmelsheer" nach der Kapitulation Japans einen Scheinsieg gegen die letzten Soldaten einer aufgegebenen Garnison, gerät er im Koreakrieg, den er als Verletzung seiner Hoheitsrechte missversteht, zwischen die Fronten.
So leitet der Kaiser als anachronistischer Zaungast der Geschichte kraft der Imagination die Geschicke einer aus den Fugen geratenen Welt. Zwischen den Zeilen äußert sich Yis Kritik an der Moderne (in der Begegnung des Kaisers mit der mechanischen Zivilisation des Westens wie der als "Feuerdrachengefährt" beschriebenen Eisenbahn), Pervertierung der Werte und sein Misstrauen gegenüber Institutionen und oberflächlicher Implementierung westlicher Demokratie, wenn etwa dem Kaiser eines schönen Tages mitgeteilt wird, die Welt sei eine demokratische geworden und er möge sich zur Wahl als Abgeordneter der verfassunggebenden Volksversammlung stellen.
Der Absolutheitsanspruch der Religionen und Ideologien wird in der Austauschbarkeit ihrer Konzepte - so vergleicht Yi die christliche Nächstenliebe mit der buddhistischen Barmherzigkeit und dem konfuzianischen Menschlichkeitsbegriff - ad absurdum geführt. Kurz vor seinem Tod hat der Kaiser schließlich eine Art taoistisch-anarchistische Erleuchtung, indem er erkennt, dass wahre Herrschaft im Vergessen des Regierens liege. So gerät das virtuelle Kaiserreich zum ideologiefreien Vakuum ("Durch das Dorf der Weißen Steine, diesen vom Himmel geweihten Hort der Glückseligkeit, wehte keinerlei politischer Wind"), werden welthistorische Ereignisse im Spiegel der "kaiserlichen Zeitläufte" relativiert.
Der koreanische Hang zur Eschatologie wird hier dem Leiden eines Volkes gegenübergestellt, das sich in Nord und Süd in Abkehr vom gemeinsamen kulturellen Erbe "von den falschen Herren blenden" ließ, wobei die Teilstaaten ihre Identität auf Zerrbildern des jeweils anderen errichteten. Dabei erscheint das metaphorische Warten auf die "Himmelsstunde" als Allegorie auf die Wiedervereinigung. Die Fülle an leider nur selten in Fußnoten erklärten Referenzen an die ostasiatische Geisteswelt machen das Buch für den westlichen Leser trotz der sprachlich gewandten Übersetzung zu einer nicht eben leichten Lektüre. Als substitute history und in der konsequenten Rekonstruktion der Bruchlinien der Geschichte mittels eines tragikomischen Helden ist es aber durchaus empfehlenswert, gewährt es doch einen desillusionierenden Blick auf die koreanische Teilungswirklichkeit.
STEFFEN GNAM
Yi Munyol: "Dem Kaiser!" Roman. Aus dem Koreanischen von Mo Seoyoung und Frieder Stappenbeck. Wallstein Verlag, Göttingen 2008. 447 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Steffen Gnam hat die Mühe der Lektüre dieses an Referenzen an die ostasiatische Geisteswelt reichen Historienromans auf sich genommen, um zu einem "empfehlenswerten" desillusionierenden Blick auf die koreanische Teilung zu gelangen. Die Biografie einer schelmenhaften Kaiserfigur, anhand derer Yi Munyol koreanische Geschichte erzählt, erinnert Gnam an Don Quijote. Überhaupt lässt er sich vom Autor mit allerhand Eulenspiegeleien charmant zum "Zaungast der Geschichte" machen und sich den Absolutheitsanspruch der Religionen und Ideologien ad absurdum führen. Davon dass dem Band und dem Leser die ein oder andere zusätzliche Fußnote gut getan hätte, bleibt Gnam allerdings überzeugt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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'eine Art asiatischer Don Quijote (.). Das Buch bezieht seinen schelmenromanhaften Charme aus den Reibungsflächen der immer wieder mit Zitaten aus der Chronik, die den kaiserlichen Mythos begründen, unterfütterten heldeneposartigen Erzählung und der pr