»In Jahnns Werk wird die Suche nach dem Unerreichbaren mit wissen schaftlicher Präzision beschrieben«, schreibt der 38-jährige Peter Weiss in seiner auf Schwedischverfassten Rezension »Dem Unerreichbaren auf der Spur« 1954. Die in Deutschland bisher unbekannten schwedischen Essays und Aufsätze des Autors entstanden in einem Zeitraum von drei Jahrzehnten, von 1950 bis 1980. Der in dieser Edition präsentierte Textkorpus wirft neues Licht auf das Gesamtwerk des Autors, indem er Weiss' lebenslange Identitätssuche dokumentiert. Um das Verhältnis von Sagen undZeigen, Wort und Bild, Mitteilbarkeit und Verstummen kreist die erzählerische, essayistische, dramatische und filmische Selbstverständigung und Wirklichkeitsaneignung des Autors. Gerade der Essay erschien ihm dabei als geeignetes Medium, in dem er dieses Spannungsverhältnis reflektierend aufarbeiten konnte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.11.2016Kampf um Schweden
Erstmals auf Deutsch: Seine Essays aus Stockholm
Ein Bild auf einem Buch des Verbrecher Verlags? Dafür musste erst der heutige hundertste Geburtstag von Peter Weiss ins Haus stehen, der den rührigen Berliner Kleinverlag zu einer echten Trouvaille inspiriert hat: die erste Übersetzung von Aufsätzen und Gesprächen, die Weiss auf Schwedisch publiziert hat. Diese Sprache hatte Weiss sich angeeignet, als er mit der Familie seines jüdischen Vaters 1938 nach Schweden geflohen war, weil ihr bisheriger Wohnort in Böhmen mit dem Münchner Abkommen ans Deutsche Reich fiel. Damit hatte der in Berlin und Bremen aufgewachsene Peter Weiss schon die dritte Exilstation erreicht, denn 1935 war die Familie erst einmal nach England emigriert, wo der Vater als Textilhändler keine adäquate Beschäftigung gefunden hatte. Mit der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs stand für die Familie Weiss fest, dass sie in Schweden bleiben werde; Peter Weiss, von den deutschen Behörden nach der Annexion der Tschechoslowakei für staatenlos erklärt, nahm 1946 die schwedische Staatsangehörigkeit an.
Die Sprache war da noch nicht sein Handwerkszeug. Peter Weiss wollte Maler werden, und so ist es passend, dass nun eines seiner Gemälde - noch dazu ein bislang verloren geglaubtes - das Buch mit den schwedischen Texten ziert. Seine ersten Publikationen erschienen dann aber sämtlich auf Schwedisch, während der Versuch, im Nachkriegsdeutschland auch in der Muttersprache verlegt zu werden, scheiterte. Den schwedischen Büchern war kein Erfolg beschieden; stattdessen etablierte Peter Weiss sich in seiner neuen Heimat als Filmemacher mit Arbeiten, die das Erbe des Surrealismus antraten. Erst als 1960 sein erstes Buch in Deutschland herauskam und große Resonanz fand, gab er Film und bildende Kunst auf - wobei diesem deutschen Debüt, "Der Schatten des Körpers des Kutschers", noch Collagen des Autors beigegeben waren.
Die Sammlung seiner schwedischen Texte, im Original sämtlich in Zeitungen und Zeitschriften erschienen, beginnt mit einer Prosaminiatur von 1950 und endet mit einer Gesprächsbegegnung aus dem Jahr 1980, zwei Jahre vor dem Tod von Peter Weiss. Es gibt eine auffällige Lücke in den Jahren von 1962 bis 1967, und das ist leider just jene Zeit, in der Weiss sich unter dem Eindruck des Vietnam-Kriegs (den er nie als solchen akzeptierte und konsequent eine Aggression nannte, weil die Vereinigten Staaten nie den Krieg erklärt hatten) politisierte. Die Texte bis 1962 sind denn auch nur dann politisch, wenn Weiss die schwedische Kulturpolitik und Filmzensur anprangert. In seinen Artikeln zur Literatur zeigt er große Affinität zu Autoren, die die Grenzbereiche des Sexuellen ausloten. Er verteidigt sie als Protagonisten einer Lebenskraft, die ihm zum zentralen Begriff seiner damaligen Ästhetik wurde und in Hans Henny Jahnn ihren wichtigsten Protagonisten hatte. Dass der Herausgeber Gustav Landgren (der die Texte auch übersetzt hat) neben einer schwedischen Würdigung von Jahnns Werk, die Weiss 1954 unter der Überschrift publizierte, die dem Band nun den Titel gibt, auch noch eine deutsche Version abdruckt, die sich nicht thetisch, aber inhaltlich deutlich davon unterscheidet, ist eine exzellente Idee. So wird Weiss' Ringen ums Schwedische erkennbar, das ihn zu simpleren Formulierungen bewegte, die aber große Prägnanz besitzen.
Nach 1967 sind dann fast alle Texte - und das bezieht die als eigenes Kapitel geordneten Interviews mit ein - politischen Inhalts, wenn auch gerade die beiden langen Gespräche aus der Arbeitsphase zur "Ästhetik des Widerstands" hochinteressante poetologische Aussagen über diese erst postum beschlossene Romantrilogie enthalten. Doch der Schwerpunkt liegt auf dem zeitgeschichtlichen Aspekt des Stoffs, auf der Vermischung von Tatsachen und Fiktionen und der politischen Agenda von Peter Weiss. Wie vehement er sie betrieb, wird in den Auseinandersetzungen um die Haltung Schwedens zum Vietnam-Krieg deutlich, in denen Weiss einmal sogar Verleumdungsklage gegen einen Kritiker seiner Position einreichte.
Mit "Dem Unerreichbaren auf der Spur" wird der Fokus einmal weggeführt von der deutschen Rezeption, obwohl erst sie für das Werk von Peter Weiss den internationalen Durchbruch ermöglichte, und es kommt das Leiden an einem Land in den Blick, in dem er seine Rettung sah, das er aber auch gerade darum unbarmherzig kritisierte, weil er dort seine Idealvorstellung einer in Politik-, Klassen- und Geschlechterfragen emanzipierten Gesellschaft für erreichbar hielt. In der Verzweiflung und dem Kampfgeist kommt ein Peter Weiss zum Vorschein, der in seinen engagierten Bühnenwerken und der grandios pathetischen "Ästhetik des Widerstands" nur sublimiert, weniger klar und weniger hart, zu haben ist - und darum weniger wahr. Für Leser und Liebhaber ist dieses Buch das schönste Geburtstagsgeschenk.
ANDREAS PLATTHAUS
Peter Weiss: "Dem Unerreichbaren auf der Spur". Essays und Aufsätze.
Aus dem Schwedischen und hrsg. von Gustav Landgren. Verbrecher Verlag, Berlin 2016. 303 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erstmals auf Deutsch: Seine Essays aus Stockholm
Ein Bild auf einem Buch des Verbrecher Verlags? Dafür musste erst der heutige hundertste Geburtstag von Peter Weiss ins Haus stehen, der den rührigen Berliner Kleinverlag zu einer echten Trouvaille inspiriert hat: die erste Übersetzung von Aufsätzen und Gesprächen, die Weiss auf Schwedisch publiziert hat. Diese Sprache hatte Weiss sich angeeignet, als er mit der Familie seines jüdischen Vaters 1938 nach Schweden geflohen war, weil ihr bisheriger Wohnort in Böhmen mit dem Münchner Abkommen ans Deutsche Reich fiel. Damit hatte der in Berlin und Bremen aufgewachsene Peter Weiss schon die dritte Exilstation erreicht, denn 1935 war die Familie erst einmal nach England emigriert, wo der Vater als Textilhändler keine adäquate Beschäftigung gefunden hatte. Mit der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs stand für die Familie Weiss fest, dass sie in Schweden bleiben werde; Peter Weiss, von den deutschen Behörden nach der Annexion der Tschechoslowakei für staatenlos erklärt, nahm 1946 die schwedische Staatsangehörigkeit an.
Die Sprache war da noch nicht sein Handwerkszeug. Peter Weiss wollte Maler werden, und so ist es passend, dass nun eines seiner Gemälde - noch dazu ein bislang verloren geglaubtes - das Buch mit den schwedischen Texten ziert. Seine ersten Publikationen erschienen dann aber sämtlich auf Schwedisch, während der Versuch, im Nachkriegsdeutschland auch in der Muttersprache verlegt zu werden, scheiterte. Den schwedischen Büchern war kein Erfolg beschieden; stattdessen etablierte Peter Weiss sich in seiner neuen Heimat als Filmemacher mit Arbeiten, die das Erbe des Surrealismus antraten. Erst als 1960 sein erstes Buch in Deutschland herauskam und große Resonanz fand, gab er Film und bildende Kunst auf - wobei diesem deutschen Debüt, "Der Schatten des Körpers des Kutschers", noch Collagen des Autors beigegeben waren.
Die Sammlung seiner schwedischen Texte, im Original sämtlich in Zeitungen und Zeitschriften erschienen, beginnt mit einer Prosaminiatur von 1950 und endet mit einer Gesprächsbegegnung aus dem Jahr 1980, zwei Jahre vor dem Tod von Peter Weiss. Es gibt eine auffällige Lücke in den Jahren von 1962 bis 1967, und das ist leider just jene Zeit, in der Weiss sich unter dem Eindruck des Vietnam-Kriegs (den er nie als solchen akzeptierte und konsequent eine Aggression nannte, weil die Vereinigten Staaten nie den Krieg erklärt hatten) politisierte. Die Texte bis 1962 sind denn auch nur dann politisch, wenn Weiss die schwedische Kulturpolitik und Filmzensur anprangert. In seinen Artikeln zur Literatur zeigt er große Affinität zu Autoren, die die Grenzbereiche des Sexuellen ausloten. Er verteidigt sie als Protagonisten einer Lebenskraft, die ihm zum zentralen Begriff seiner damaligen Ästhetik wurde und in Hans Henny Jahnn ihren wichtigsten Protagonisten hatte. Dass der Herausgeber Gustav Landgren (der die Texte auch übersetzt hat) neben einer schwedischen Würdigung von Jahnns Werk, die Weiss 1954 unter der Überschrift publizierte, die dem Band nun den Titel gibt, auch noch eine deutsche Version abdruckt, die sich nicht thetisch, aber inhaltlich deutlich davon unterscheidet, ist eine exzellente Idee. So wird Weiss' Ringen ums Schwedische erkennbar, das ihn zu simpleren Formulierungen bewegte, die aber große Prägnanz besitzen.
Nach 1967 sind dann fast alle Texte - und das bezieht die als eigenes Kapitel geordneten Interviews mit ein - politischen Inhalts, wenn auch gerade die beiden langen Gespräche aus der Arbeitsphase zur "Ästhetik des Widerstands" hochinteressante poetologische Aussagen über diese erst postum beschlossene Romantrilogie enthalten. Doch der Schwerpunkt liegt auf dem zeitgeschichtlichen Aspekt des Stoffs, auf der Vermischung von Tatsachen und Fiktionen und der politischen Agenda von Peter Weiss. Wie vehement er sie betrieb, wird in den Auseinandersetzungen um die Haltung Schwedens zum Vietnam-Krieg deutlich, in denen Weiss einmal sogar Verleumdungsklage gegen einen Kritiker seiner Position einreichte.
Mit "Dem Unerreichbaren auf der Spur" wird der Fokus einmal weggeführt von der deutschen Rezeption, obwohl erst sie für das Werk von Peter Weiss den internationalen Durchbruch ermöglichte, und es kommt das Leiden an einem Land in den Blick, in dem er seine Rettung sah, das er aber auch gerade darum unbarmherzig kritisierte, weil er dort seine Idealvorstellung einer in Politik-, Klassen- und Geschlechterfragen emanzipierten Gesellschaft für erreichbar hielt. In der Verzweiflung und dem Kampfgeist kommt ein Peter Weiss zum Vorschein, der in seinen engagierten Bühnenwerken und der grandios pathetischen "Ästhetik des Widerstands" nur sublimiert, weniger klar und weniger hart, zu haben ist - und darum weniger wahr. Für Leser und Liebhaber ist dieses Buch das schönste Geburtstagsgeschenk.
ANDREAS PLATTHAUS
Peter Weiss: "Dem Unerreichbaren auf der Spur". Essays und Aufsätze.
Aus dem Schwedischen und hrsg. von Gustav Landgren. Verbrecher Verlag, Berlin 2016. 303 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main