Ein Meisterwerk zum Thema Demenz!
Der Leser wird nicht überfordert. Es gelingt Tilman Jens, die Balance zwischen beunruhigenden Informationen über Demenz und dem manchmal erschreckenden Umgang mit Betroffenen, dem Leben an sich bis zum Schluß zu halten. Das nimmt die Schwere lenkt den Blick auf
Meilensteine im Leben, die man nicht überlesen sollte.
Wer sich diesem Buch, auf der Suche nach…mehrEin Meisterwerk zum Thema Demenz!
Der Leser wird nicht überfordert. Es gelingt Tilman Jens, die Balance zwischen beunruhigenden Informationen über Demenz und dem manchmal erschreckenden Umgang mit Betroffenen, dem Leben an sich bis zum Schluß zu halten. Das nimmt die Schwere lenkt den Blick auf Meilensteine im Leben, die man nicht überlesen sollte.
Wer sich diesem Buch, auf der Suche nach Rezepten gegen das Vergessen nähert oder dem Drama eines intellektuell “gescheiterten” Lebens beiwohnen möchte, betrügt sich selbst, denn darin besteht der Wert des Buches: Es ist nicht nur auf die Krankheit ausgerichtet.
Wer den “Vatermörder” sucht ist ebenso am falschen Ort! Es gibt ihn nicht!
Der Sohn erzählt die Lebensgeschichte seines berühmten Vaters.
Wie er sich ihm fragend in Reflexionen über das gemeinsame und dessen Leben an sich nähert, zeigt mir die Liebe eines verunsicherten Sohnes, der um Verstehen ringt. Die Zeit des 3. Reiches gehört ebenso dazu wie die Tatsache, das zwei Frauen das Leben seines Vaters maßgeblich bestimmten:
Anna, die Mutter von Walter Jens, die den schwachen, kränkelnden Sohn nicht annehmen konnte, ohne in ihm das Feuer des Ehrgeizes zu entfachen: “Du mußt ein Geistesriese werden”
Und am Ende seines Weges Inge, die Ehefrau, die vermutlich , wie Anna, Schwäche schwer erträgt und ihn verbal von sich abkoppelt: “Das ist nicht der Mann den ich geheiratet habe.”
Nur Margit, die Haushälterin und Bäuerin findet Zugang zu ihm. Der Schwache findet endlich Frieden wird geerdet durch das von ehrgeizigen “Geistesmenschen” immer ein wenig belächelte einfache Leben.
Brauchte er die Demenz um sich endlich vom Ehrgeiz anderer zu befreien, möchte ich provokativ fragen? Haben Beruhigungs und Schlafmittel den Prozess der Menschwerdung verhindert, ihn in die Demenz getrieben ? Darin liegt für mich die eigentliche Tragik. Was wäre aus ihm geworden wenn Mutter Anna den kränkelnden Sohn einfach nur geliebt, ihn angenommen hätte wie er war und seiner Entfaltung liebevoll zugeschaut hätte ?
Warum gibt der Pfleger Buntstifte und Papier und sagt: damit er, der Demente Walter Jens, was zu schreiben hat. Warum nicht einen Füllfederhalter oder Kugelschreiber? Warum bekommt er eine Puppe zum liebhaben? Ist denn keiner mehr da, der ihn liebevoll ansieht, umarmt, um ihm zu zeigen, dass er trotz Schwäche liebenswert ist? Oder waren das schon seltene Momente im Leben davor, nur Belohnung, wenn er erfolgreich war?
Das Buch wirft viele Fragen auf, Fragen über die es sich lohnt nachzudenken - Lebensfragen, auch für das eigene Dasein.
“Am Schreibtisch sieht alles ganz anders aus”, so Tilman Jens in seinem Buch über den Vater.
Nein, er ist kein Vatermörder. Im Gegenteil, er schreibt über die Verwandlung eines Geistesriesen in einen Menschen, der lacht und weint. Weint er über das verlorene Leben das ihm beim Besuch auf dem Bauernhof bewußt wird, dieses einfache zum anfassen und spüren?
Es ist Tilman Jens gelungen ein Buch über Demenz in angemessener Form zu schreiben. Angemessen weil es nicht die Dramatik einseitig beschreibt, sondern im Kontext eines Lebens aufleuchten läßt.
Medikamentenmißbrauch, Urteile, Vorurteile, Einseitigkeit, sogar im Urlaub steht der Geist nicht still. Wer das Buch aufmerksam liest muß nachdenklich werden. Demenz ist eine Krankheit, die alles verändert, auch das Leben der Angehörigen. Es ist gut, dass es Bücher zu diesem Thema gibt.