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Produktdetails
  • Verlag: Princeton University Press
  • Seitenzahl: 360
  • Erscheinungstermin: Oktober 2019
  • Englisch
  • Abmessung: 244mm x 156mm x 33mm
  • Gewicht: 666g
  • ISBN-13: 9780691182735
  • ISBN-10: 0691182736
  • Artikelnr.: 52610711
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.2019

Neoliberalismus ist der Effekt starker Demokratien
Torben Iversen und David Soskice bieten eine Fülle provokanter Thesen zu Politik und Kapitalismus

Anzuzeigen ist einer der eindrucksvollsten Beiträge zur Politischen Ökonomie der letzten zwanzig Jahre. Selbst für diejenigen, die sich weit oberhalb von Kevin Kühnerts Abschnitt auf der Lernkurve befinden, bietet die Kapitalismusanalyse, die der Politikwissenschaftler Torben Iversen und der Ökonom David Soskice mit ihrem Buch vorlegen, eine Vielzahl anregender, überraschender, provokanter, dissidenter, aber in vieler Hinsicht hochplausibler Einsichten.

Folgt man dem Resümee, das Iversen und Soskice aus der Betrachtung der letzten hundert Jahre wirtschaftlicher Entwicklung ziehen, dann ist der Kapitalismus gar keine flüchtige, hypermobile, unverortbare (und daher unverantwortliche) Veranstaltung. Ganz im Gegenteil: Gerade die produktivsten, kompetitivsten Unternehmen sind existentiell auf bestimmte Wissensregionen, geographisch fixierte "skill cluster", spezifische Innovations- und Entwicklungszentren und die dort vorhandene hochqualifizierte Arbeitnehmerschaft angewiesen. Diese selbst ist weitgehend immobil, weil unter den Bedingungen weit vorangetriebener Arbeitsteilung Spezialisierungen erst im Zusammenwirken mit anderen Spezialisierungen ihre besondere Produktivität verwirklichen. Das zeigen übereinstimmend neuere Befunde der Wirtschaftsgeographie, Managementlehre und Organisationssoziologie oder die Forschung zu Forschungsnetzwerken.

Das Erpressungspotential der Wirtschaft gegenüber der Politik ist daher auch - ganz anders als allgemein angenommen - eher schwach entwickelt. Exit-Drohungen sind wenig glaubhaft, und auch die Globalisierung hat die Gewichte zwischen Kapitalismus und Demokratie nicht wesentlich zu Lasten der zweiten verschoben, zumindest nicht in den fortgeschrittensten Wirtschaftsnationen. Es trifft eher das Gegenteil zu: Weil die Ökonomie ortsgebunden ist, kann die Politik sie recht effektiv regulieren und dem Kapitalismus genau das verwehren, was er am intensivsten wünscht und worauf er immer wieder drängt: Schutz vor ständigem Konkurrenzdruck, staatliche Protektion und damit die Garantie von Monopolrenten, einen "cosy capitalism" als Kollusion politischer und ökonomischer Handlungseliten. Genau das, und zu seinem eigenen Schaden, bekommt er hingegen in Regionen, in denen der Staat über längere Zeiträume schwächer und die Politik weniger demokratisch war, etwa in Lateinamerika.

Stattdessen zeigt sich die Politik, und zwar relativ unabhängig von parteipolitischen Einfärbungen, mitleidlos mit Unternehmen, die dem Innovationsdruck nicht standhalten. Sie werden abgewickelt, die beständigen Versuche der Kartellisierung und Monopolisierung per scharfem Wettbewerbsrecht unnachgiebig bekämpft. Das Aussortieren nicht mehr kompetitiver Unternehmen betrieben schon die schwedischen Sozialdemokraten in den fünfziger und sechziger Jahren in der Hochzeit der Industrie; das hat sich in der heutigen Wissensökonomie aber nicht grundlegend geändert. Es nennt sich Strukturwandel, und es ist etwas, das Unternehmen hassen.

Daneben begleitet und ermöglicht der moderne Staat durch massive Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur die wirtschaftliche Dynamik der privaten Unternehmen und ist dabei auch relativ mitleidlos gegenüber sich selbst, wenn die staatlichen Strukturen dieses Versprechen auf permanentes Produktivitätswachstum nicht mehr einzulösen vermögen. Die umfassenden Privatisierungen, Deregulierungen, Liberalisierungen staatlicher Versorgungseinrichtungen der achtziger und neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts sind vornehmlich unter diesem Blickwinkel zu verstehen.

Warum aber treibt die demokratische Politik die kapitalistische Wirtschaft zur beständigen Erneuerung an und den Staat dazu, sich unangenehmen Reformen zu unterziehen? Weil sie ihrerseits angetrieben wird, und zwar von einer Klasse "ehrgeiziger", aufstrebender und gleichzeitig entscheidender Wähler, denen der fortgeschrittene Kapitalismus einen Lebensstandard ohne historische Präzedenz beschert hat und die deswegen ihre Lebensentwürfe eng mit ihm verknüpft haben. Das ist eine Wählergruppe der Mitte, die den entwickelten Kapitalismus als Garanten eines auskömmlichen Lebens und des Versprechens auf sozialen Aufstieg erfahren hat und erhalten will und daher ihre Wahlentscheidung danach ausrichtet, wer glaubwürdig wirtschaftspolitische Kompetenz - also die Fähigkeit, eine hochentwickelte kapitalistische Ökonomie erfolgreich politisch zu managen - vorweisen kann.

Deswegen liegt es im Eigeninteresse der politischen Parteien, die auf die wahlentscheidenden Stimmen genau dieser Gruppe angewiesen sind, eine solche Programmatik zu entwickeln und umzusetzen. Es sind auch die Interessen dieser Wählergruppe an ihrem erworbenen Immobilienvermögen und ihren Pensionsansprüchen und nicht die eines ominösen "Kapitals", in deren Diensten sich die Finanzialisierung von den neunziger Jahren an vollzogen hat, die für den Großteil der von Thomas Picketty und anderen konstatierten Ungleichheit in der Vermögensentwicklung verantwortlich ist. Wir müssten also eigentlich, wenn wir vom Neoliberalismus sprechen, korrekterweise von den Gesetzen der Demokratie und nicht von den Gesetzen des Kapitalismus sprechen.

Folgte man diesen oft ketzerischen Argumenten der beiden Autoren - die sich auch mit Gegenargumenten wie etwa dem Hinweis auf den Populismus als gegenwärtiges Krisensymptom kapitalistischer Gesellschaften detailliert auseinandersetzen -, ließen sich eine Reihe von bemerkenswerten Zusammenhängen erklären. Zusammenhänge, die in den einschlägigen Debatten vermutlich deswegen wenig Aufmerksamkeit bekommen haben, weil sie weder mit den Annahmen des gängigen Post-, Neo- oder Sonstwie-Marxismus noch mit denen der hergebrachten Neoklassik gut in Übereinstimmung zu bringen sind.

Etwa die Frage, warum zur Gruppe der fortgeschrittenen kapitalistischen Demokratien seit dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts im Wesentlichen dieselben Staaten zählen - eben weil das komplexe Zusammenspiel von demokratischer Politik, starkem Staat und kapitalistischer Dynamik voraussetzungsvoll ist und nach 1945 nur wenige Länder - wie etwa Südkorea und Israel - neu zu dieser Gruppe stoßen konnten. Oder die Frage, warum die Globalisierung ökonomisch nicht zu einer "flachen Erde" geführt, sondern die verschiedenen Spielarten des Kapitalismus eher stabilisiert hat - eben weil es komparative Vorteile geographisch spezifischer Wirtschaftsmodelle gibt. Oder warum die Globalisierung im Wesentlichen ein Phänomen ist, das sich zwischen den hochentwickelten Ökonomien, und nicht zwischen ihnen und den weniger entwickelten Ökonomien abspielt - unter anderem deshalb, weil nur ausländische Direktinvestitionen und die territoriale Diversifikation der Unternehmen es erlauben, von den spezifischen, lokal gebundenen Produktivitätsvorteilen zu profitieren. Und erklären ließe sich schließlich mit den beiden Autoren, warum - anders als von Mill, Marx, Hayek, Schumpeter bis Piketty angenommen - Kapitalismus und Demokratie offensichtlich doch sehr gut miteinander auskommen können, sie sich sogar wechselseitig stabilisieren und rationalisieren, zumindest in denjenigen "advanced capitalist democracies", von denen hier die Rede ist.

Man muss dabei das Buch als durchgearbeiteten Beweis seines eigenen Arguments verstehen: Entstanden an herausgehobenen Orten akademischer Wissensproduktion - Soskice lehrt an der London School of Economics, Iversen in Harvard -, verfasst von zwei brillanten Vertretern ihrer Fächer, die in ein dichtes kollegiales Netzwerk eingebettet sind und dadurch privilegierten Zugang zu den neuesten Erkenntnissen benachbarter Disziplinen haben, ist auf hocharbeitsteilige Weise ein ungemein wettbewerbsfähiges, glänzendes Werk der vergleichenden Politischen Ökonomie entstanden. Man kann dem Buch gar nicht genug ehrgeizige Leser wünschen.

PHILIP MANOW

Torben Iversen und David Soskice: "Democracy and Prosperity". Reinventing

Capitalism through a

Turbulent Century.

Princeton University Press, Princeton 2019.

280 S., geb., 25,- [Euro].

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