Die gesellschaftliche Wirklichkeit drängt über die einzelnen Demokratien machtvoll hinaus. Von der Wirtschaft über Wissenschaft und Technik und von Völkerwanderungen über Umweltprobleme bis zu organisierter Kriminalität entsteht ein Handlungsbedarf, der nach einer weltweiten Rechts- und Staatsordnung verlangt. Otfried Höffe entwirft in diesem Buch den Gedanken einer komplementären, nämlich subsidiären und föderalen Weltrepublik, auf daß die Globalisierung nicht mit einer politischen Regression, dem Abbau von Demokratie, bezahlt werde. Die Globalisierung findet nicht nur in der Wirtschaft statt. Sie erstreckt sich auch auf die Politik, die Wissenschaften, das Bildungswesen und die Kultur, nicht zuletzt auch auf die organisierte Kriminalität und die Bedrohung der Umwelt. Otfried Höffes neues Buch beginnt mit einer genaueren Diagnose der Globalisierung und ihrer teils tatsächlich, teils nur vermeintlich neuartigen Aspekte. Aus ihnen ergibt sich ein globaler Handlungsbedarf, der mit der hergebrachten Struktur souveräner Einzelstaaten nur begrenzt zu bewältigen ist. Auch die Instrumente der klassischen Diplomatie und des Völkerrechts, die zwischenstaatlichen Bündnisse und die bestehende Weltorganisation, die Vereinten Nationen, erweisen sich als unzulänglich. Erforderlich ist eine globale Rechts- und Staatsordnung, die sich einerseits den Bedingungen der freiheitlichen Demokratie unterwirft und die andererseits, weil Einzelstaaten legitim bleiben, lediglich einen komplementären, nämlich subsidiären und föderalen Rang beansprucht. Im ersten Teil des Buches entwickelt Otfried Höffe das Grundmodell einer legitimen politischen Ordnung: eine Demokratie, die sich auf Gerechtigkeitsprinzipien, Subsidiarität und Föderalismus verpflichtet und als Kontrapunkt der üblichen, nur institutionellen Demokratietheorie eine Theorie der Bürgertugenden einschließt. Der zweite Teil untersucht Alternativen, etwa eine strategische Weltordnung, das Regieren ohne Staat (Neuer Institutionalismus) und eine Demokratisierung der Staatenwelt und entwirft dann das Grundmuster einer komplementären Weltrepublik einschließlich einer kontinentalen Zwischenstufe. Der dritte Teil skizziert exemplarisch ihre Aufgaben und Institutionen: Fragen der globalen Sicherheit und einer globalen Durchsetzung der Menschenrechte, Probleme von Selbstbestimmung und Sezession ethnischer Gruppen und Fragen eines sozial- und umweltverträglichen Weltmarkts. Anvisiert ist kein allmächtiger Globalstaat, sondern eine staatlich gestufte, ohnehin demokratische und rechtsstaatliche Weltordnung.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.02.2000Trittbrettfahrer kennen keine Grenzen
Und was macht die Demokratie in diesen Zeiten?
Otfried Höffe: Demokratie im Zeitalter der Globalisierung. Verlag C. H. Beck, München 1999. 476 Seiten, 68,- Mark.
Der Zusammenbruch des Kommunismus vor zehn Jahren gilt als Triumph der Demokratie. War es ein Pyrrhussieg? Nie stand die Staatsform der Volksherrschaft so sehr unter Beschuss wie heute, nie waren die Schwächen und Anfälligkeiten, zumal im Westen, so manifest wie jetzt. Die Kritiker sind Legion, und doch mangelt es an brauchbaren Reformvorschlägen. Otfried Höffe will dem Abhilfe leisten. Er legt ein Buch mit konkreten Handlungsvorschlägen vor, das sich einer zweifellos zentralen Herausforderung der Demokratie zuwendet: der Globalisierung.
Höffe, der die Forschungsstelle Politische Philosophie an der Universität Tübingen leitet, tut gut daran, den Begriff "Globalisierung", der allzu oft auf Ökonomisches verengt wird, zu weiten. Denn auf diese Weise geraten nicht nur staatenübergreifende Gewalt oder Kooperationen wie Amnesty International und Ärzte ohne Grenzen ins Blickfeld: So wird es auch möglich, die politische Philosophie ins analytische Spiel zu bringen. Ziel des Autors ist es, den normativen Rahmen einer "Weltrepublik" zu zimmern, der von der praktischen Politik auszufüllen sei.
Wie sieht eine perfekte Weltgemeinschaft aus? Höffe nennt nicht viel Neues, wenn er Gerechtigkeit, Subsidiarität und Föderalismus als wichtige Leitprinzipien anführt, wenn er Bürgertugenden wie Rechtssinn und Toleranz fordert, wenn er sich wider einen globalen Leviathan ausspricht. Interessant sind dagegen die Details bei strittigen Fragen, die das Spektrum des Allgemeinen übersteigen und in eine stringente Argumentation eingebettet sind. Höffe ist zum Beispiel gegen ein Menschenrecht auf Einwanderung, weil etwa die Ressourcen selbst eines großzügigen Gastlandes gesprengt werden könnten. Und er ist gegen ein Asylrecht, das lediglich zur Verbesserung von Lebensumständen in Anspruch genommen wird.
Der Autor vermag es, eine Reihe von nationalen und internationalen Einrichtungen, die Bestandteil der anvisierten "Weltrepublik" sein könnten, fast en passant, aber überzeugend zu kritisieren. Dazu gehört das Bundesverfassungsgericht. Wenn wie in Deutschland die Länder zunehmend auf eine Vollzugsfunktion ("Verwaltungskompetenz") eingeschränkt würden, bedeute das eine fortschreitende Unitarisierung. Die stelle eine so einschneidende Veränderung des ursprünglichen Bundesvertrages dar, dass sie nicht schleichend geschehen dürfe, sondern nur nach einer Grundsatzdebatte und Grundsatzentscheidung.
Von den "autokratischen" Organisationen sticht dem Autor vor allem das Internationale Olympische Komitee ins Auge, das die drei klassischen Gewalten - Legislative, Exekutive und Judikative - in sich vereinige. Die oligarchische Herrschaftselite rekrutiere sich in einem fragwürdigen Verfahren der Kooptation, die Arbeit finde in einem Maß unter dem Ausschluss der Öffentlichkeit statt, das sich selbst Wirtschaftsunternehmen heute kaum noch erlaubten.
Wenn Höffe seine "Weltrepublik" ex negativo erläutert, fehlen auch Hiebe auf Steueroasen nicht: Indem Staaten sich durch derlei profilierten, verletzten sie ein elementares Gerechtigkeitsgebot, da sie Firmensitze an sich zögen, ohne sich um die Infrastruktur der Betriebsstätten und deren Personal zu kümmern. Dieses Verhalten als "Trittbrettfahrer an der Weltgesellschaft" solle anderen Staaten das Recht geben, einen Ausgleich für die nicht bereitgestellte Erschließung zu verlangen.
Höffes Buch ist klar strukturiert und setzt sich mit der Forschung konstruktiv auseinander. Nur selten finden sich steife Formulierungen wie die über die Untiefen von Krieg und Abschreckung. Wenn auch Aristoteles und Immanuel Kant, über die Höffe glänzende Monographien geschrieben hat, gar zu häufig als Gewährsmänner bei historischen Ausflügen herhalten müssen, sind doch die angeführten Weisheiten der Altvorderen fast immer passgenau.
Beispielsweise die Vorwegnahme des Begriffes Globalisierung durch den griechischen Philosophen Demokrit: "Dem weisen Mann steht die ganze Erde offen; das Universum ist das Vaterland der guten Seele."
THOMAS LEUCHTENMÜLLER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Und was macht die Demokratie in diesen Zeiten?
Otfried Höffe: Demokratie im Zeitalter der Globalisierung. Verlag C. H. Beck, München 1999. 476 Seiten, 68,- Mark.
Der Zusammenbruch des Kommunismus vor zehn Jahren gilt als Triumph der Demokratie. War es ein Pyrrhussieg? Nie stand die Staatsform der Volksherrschaft so sehr unter Beschuss wie heute, nie waren die Schwächen und Anfälligkeiten, zumal im Westen, so manifest wie jetzt. Die Kritiker sind Legion, und doch mangelt es an brauchbaren Reformvorschlägen. Otfried Höffe will dem Abhilfe leisten. Er legt ein Buch mit konkreten Handlungsvorschlägen vor, das sich einer zweifellos zentralen Herausforderung der Demokratie zuwendet: der Globalisierung.
Höffe, der die Forschungsstelle Politische Philosophie an der Universität Tübingen leitet, tut gut daran, den Begriff "Globalisierung", der allzu oft auf Ökonomisches verengt wird, zu weiten. Denn auf diese Weise geraten nicht nur staatenübergreifende Gewalt oder Kooperationen wie Amnesty International und Ärzte ohne Grenzen ins Blickfeld: So wird es auch möglich, die politische Philosophie ins analytische Spiel zu bringen. Ziel des Autors ist es, den normativen Rahmen einer "Weltrepublik" zu zimmern, der von der praktischen Politik auszufüllen sei.
Wie sieht eine perfekte Weltgemeinschaft aus? Höffe nennt nicht viel Neues, wenn er Gerechtigkeit, Subsidiarität und Föderalismus als wichtige Leitprinzipien anführt, wenn er Bürgertugenden wie Rechtssinn und Toleranz fordert, wenn er sich wider einen globalen Leviathan ausspricht. Interessant sind dagegen die Details bei strittigen Fragen, die das Spektrum des Allgemeinen übersteigen und in eine stringente Argumentation eingebettet sind. Höffe ist zum Beispiel gegen ein Menschenrecht auf Einwanderung, weil etwa die Ressourcen selbst eines großzügigen Gastlandes gesprengt werden könnten. Und er ist gegen ein Asylrecht, das lediglich zur Verbesserung von Lebensumständen in Anspruch genommen wird.
Der Autor vermag es, eine Reihe von nationalen und internationalen Einrichtungen, die Bestandteil der anvisierten "Weltrepublik" sein könnten, fast en passant, aber überzeugend zu kritisieren. Dazu gehört das Bundesverfassungsgericht. Wenn wie in Deutschland die Länder zunehmend auf eine Vollzugsfunktion ("Verwaltungskompetenz") eingeschränkt würden, bedeute das eine fortschreitende Unitarisierung. Die stelle eine so einschneidende Veränderung des ursprünglichen Bundesvertrages dar, dass sie nicht schleichend geschehen dürfe, sondern nur nach einer Grundsatzdebatte und Grundsatzentscheidung.
Von den "autokratischen" Organisationen sticht dem Autor vor allem das Internationale Olympische Komitee ins Auge, das die drei klassischen Gewalten - Legislative, Exekutive und Judikative - in sich vereinige. Die oligarchische Herrschaftselite rekrutiere sich in einem fragwürdigen Verfahren der Kooptation, die Arbeit finde in einem Maß unter dem Ausschluss der Öffentlichkeit statt, das sich selbst Wirtschaftsunternehmen heute kaum noch erlaubten.
Wenn Höffe seine "Weltrepublik" ex negativo erläutert, fehlen auch Hiebe auf Steueroasen nicht: Indem Staaten sich durch derlei profilierten, verletzten sie ein elementares Gerechtigkeitsgebot, da sie Firmensitze an sich zögen, ohne sich um die Infrastruktur der Betriebsstätten und deren Personal zu kümmern. Dieses Verhalten als "Trittbrettfahrer an der Weltgesellschaft" solle anderen Staaten das Recht geben, einen Ausgleich für die nicht bereitgestellte Erschließung zu verlangen.
Höffes Buch ist klar strukturiert und setzt sich mit der Forschung konstruktiv auseinander. Nur selten finden sich steife Formulierungen wie die über die Untiefen von Krieg und Abschreckung. Wenn auch Aristoteles und Immanuel Kant, über die Höffe glänzende Monographien geschrieben hat, gar zu häufig als Gewährsmänner bei historischen Ausflügen herhalten müssen, sind doch die angeführten Weisheiten der Altvorderen fast immer passgenau.
Beispielsweise die Vorwegnahme des Begriffes Globalisierung durch den griechischen Philosophen Demokrit: "Dem weisen Mann steht die ganze Erde offen; das Universum ist das Vaterland der guten Seele."
THOMAS LEUCHTENMÜLLER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Mit grosser Anerkennung bespricht Georg Kohler in einer sehr detailierten Rezension Höffes Buch. Dabei lobt er vor allem Höffes Präzision in Aufbau und der Struktur des Buches wie auch in der Argumentation, seine dialektischen Fähigkeiten und die Tatsache, dass der Autor auch Einwänden und Gegenargumenten nie ausweicht, sondern - ganz im Gegenteil - sie ausführlich erörtert. Zwar findet Kohler Höffes Thesen von einem "föderalen Weltstaat" recht gewagt, jedoch seien Höffes Argumente dafür nicht zu widerlegen. "Kein zeitgeisteifriger Fast-food-Essay, sondern ein Stück gründlicher Philosophie, lohnt es Seite für Seite die konzentrierte Lektüre", lautet Kohlers Fazit.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH