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Die Folgelasten des Ersten Weltkriegs hatte in den 1920er und 1930er Jahren keineswegs nur Deutschland zu tragen; auch die meisten anderen europäischen Demokratien sahen sich durch hohen finanz- und wirtschaftspolitischen Problemdruck und zunehmenden Legitimationsverlust des parlamentarischen Regierungssystems mehr oder weniger stark gefährdet. Doch während die Weimarer Republik unter der Last der Probleme zusammenbrach, überstand die Dritte Französische Republik trotz gravierender Schwächesymptome die gemeineuropäische Krise noch bis 1940 und ging erst durch die militärische Niederlage gegen…mehr

Produktbeschreibung
Die Folgelasten des Ersten Weltkriegs hatte in den 1920er und 1930er Jahren keineswegs nur Deutschland zu tragen; auch die meisten anderen europäischen Demokratien sahen sich durch hohen finanz- und wirtschaftspolitischen Problemdruck und zunehmenden Legitimationsverlust des parlamentarischen Regierungssystems mehr oder weniger stark gefährdet. Doch während die Weimarer Republik unter der Last der Probleme zusammenbrach, überstand die Dritte Französische Republik trotz gravierender Schwächesymptome die gemeineuropäische Krise noch bis 1940 und ging erst durch die militärische Niederlage gegen Hitler-Deutschland unter. Der historische Befund wirft grundlegende Fragen nach der politischen Kultur beider Länder auf, denen die Autoren des Sammelbandes nachgehen: In welcher Weise haben Spezifika des deutschen und französischen Parlamentarismus, der nationalen Parteiensysteme, der politischen Traditionen und Mentalitäten stabilisierend bzw. destabilisierend auf die Demokratien der Zwischenkriegszeit gewirkt? Wo lagen die Analogien und wo die charakteristischen Unterschiede in den Kontexten, im Verlauf und in den Dimensionen des Krisenprozesses? Aus dem Inhalt Vorwort der Herausgeber Horst Möller, Die Problematik eines Vergleichs der deutschen und französischen Demokratie in der Zwischenkriegszeit Andreas Wilkens, Grundlagen der demographischen und ökonomischen Entwicklung in Deutschland und Frankreich 1918-1939 I. Religion, Ideologien, politischer Extremismus Manfred Kittel, Die "deux France" und der deutsche Bikonfessionalismus im Vergleich Cornelia Rauh-Kühne, Nationalsozialismus und Kommunismus auf dem katholischen Land Jean Marie Mayeur, Les catholiques français face au défi de l'extrémisme politique Richard Millman, Les ligues et la République dans les années trente Klaus Jürgen Müller, "Faschismus" in Frankreichs Dritter Republik? Zum Problem der Überlebensfähigkeit der französischen Demokratie zwischen den Weltkriegen Andreas Wirsching, Politische Gewalt in der Krise der Demokratie im Deutschland und Frankreich der Zwischenkriegszeit II. Systemstabilisierung aus der politischen "Mitte"? Ludwig Richter, SPD, DVP und die Problematik der Großen Koalition Daniela Neri, Die Bündnisfähigkeit von SFIO und Parti radical - ein systemstabilisierender Faktor in der späten Dritten Republik? Rosemonde Sanson, Les relations entre lAlliance démocratique et le parti radical pendant l'entre-deux-guerres, ou l'existence d'un centre Stefan Grüner, Zwischen Einheitssehnsucht und pluralistischer Massendemokratie. Zum Parteien- und Demokratieverständnis im deutschen und französischen Liberalismus der Zwischenkriegszeit III. Parlament und Regierung Nicolas Roussellier, Gouvernement et parlement en France dans l'entre-deux-guerres Wilhelm Mößle, Die Verordnungsermächtigung in der Weimarer Republik Thomas Raithel, Parlamentarisches System in der Weimarer Republik und in der Dritten Französischen Republik 1919-1933/40. Ein funktionaler Vergleich
Autorenporträt
Horst Möller, geboren 1943, em. Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität München, war bis 2011 Direktor des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.05.2002

Es lebe die Dritte Republik!
Im Vergleich: Parlament und Parteien in Deutschland und Frankreich 1918 bis 1933/40

Horst Möller/Manfred Kittel (Herausgeber): Demokratie in Deutschland und Frankreich 1918-1933/40. Beiträge zu einem historischen Vergleich. R. Oldenbourg Verlag, München 2002. 322 Seiten, 49,80 Euro.

Die bohrende Frage, warum die erste deutsche Demokratie 1933 der Herrschaft Hitlers weichen mußte, hat bis heute nichts von ihrer Bedeutung eingebüßt. Dabei ist sich die historische Forschung einig, daß die tiefsitzenden Ursachen für das Scheitern der Weimarer Republik nur durch einen länderübergreifenden Vergleich erschlossen werden können. Lange Zeit blieb der Blick der Forschung allerdings fast ausschließlich auf Großbritannien haften, das trotz seiner ganz spezifischen Traditionen zu einem Vorzeigemodell in Sachen parlamentarischer Demokratie avancierte. Frankreich fristete demgegenüber ein Schattendasein, obgleich die parlamentarische Demokratie im Frankreich der Dritten Republik sich über eine Zeitspanne von fast siebzig Jahren zu etablieren vermochte und sich daher der westliche Nachbar Deutschlands in mancher Hinsicht als Untersuchungsgegenstand in Sachen vergleichender historischer Demokratieforschung geradezu aufdrängt.

Da der gegenseitige Austausch deutscher und französischer Historiker - nicht zuletzt durch beiderseitige Sprachbarrieren bedingt - weit hinter der Kooperation zwischen deutschen und britischen Historikern hinterherhinkt, wurde erst vor wenigen Jahren damit begonnen, die perspektivische Erweiterung auf Frankreich anzugehen. Das Hauptverdienst gebührt dabei Horst Möller, der als ehemaliger Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Paris zu den Frankreichkennern unter den Zeithistorikern zählt und als Direktor des Münchener Instituts für Zeitgeschichte ein Forschungsprojekt über "Parlament und politische Parteien in Deutschland und Frankreich 1918-1933/40" initiiert hat, dessen Ergebnisse in verdichteter Form jetzt präsentiert werden.

Als Quintessenz der insgesamt fünfzehn Beiträge schält sich als wichtigstes Resultat heraus, daß weniger institutionelle denn politisch-kulturelle Faktoren dafür verantwortlich waren, daß in Frankreich die parlamentarische Demokratie den Herausforderungen der Zwischenkriegszeit standhielt, während in Deutschland die Demokratie von innen her erodierte. Gewiß zeichnete sich auch die französische Gesellschaft durch eine starke Polarisierung aus, die durch das Wort von den "deux France" - einem republikanisch-laizistischen und einem konservativ-katholischen Lager - ihren terminologischen Ausdruck findet. Aber im Vergleich zur viel stärker fragmentierten Gesellschaft der Weimarer Republik gelang es der Dritten Republik zunehmend, die lebensweltlichen Gräben zwischen den beiden Lagern durch eine integrationsstiftende Staatsidee zu überbrücken.

Während die deutsche Gesellschaft im Bereich der politisch-kulturellen Grundannahmen immer weiter auseinanderdriftete, zeichnete sich in Frankreich gerade seit den dreißiger Jahren eine verstärkte Aufnahme des republikanischen Grundkonsenses durch das katholisch-konservative Lager ab. Der parlamentarischen Demokratie blieb daher in Frankreich jene fundamentale Ablehnung durch eine erdrückende Systemopposition aus Nationalsozialisten, autoritären Konservativen und Kommunisten erspart, welche in ihrer destruktiven Allianz das Fundament der Weimarer Demokratie unterhöhlten. Speziell der Nationalsozialismus fand in Frankreich keine vergleichbaren Nachahmer. Der antiparlamentarische Konservatismus wurde dort zunehmend isoliert, und auch die französischen Kommunisten konnten in eine bestimmte Traditionslinie der Revolution von 1789 einrücken und daher von der Dritten Republik partiell integriert werden.

Die Integrationskraft der Dritten Republik gegenüber der politischen Rechten hebt Klaus-Jürgen Müller in einem vorzüglichen Beitrag hervor. Er zeigt, daß die in den zwanziger Jahren ins Leben gerufenen rechten Massenverbände wie die "Ligue des Jeunesse Patriotes" keine genuin faschistischen Züge trugen, sondern vielmehr eine längst überfällige Adaption der "droite" an die Spielregeln des politischen Massenmarktes und damit eine Formveränderung des politischen Stils darstellten, welche sich im Unterschied zu Deutschland innerhalb des politischen Systems vollzogen.

Jean-Marie Mayeur thematisiert den zunehmenden Entkrampfungsprozeß zwischen französischem Katholizismus und Dritter Republik, deren Beziehungen lange Zeit durch die rigorose Trennung zwischen Staat und Kirche und einen nicht selten eifernden Laizismus belastet waren. Es ist bezeichnend für die integrative Kraft der Ideen von 1789, daß der Kardinal von Paris als Sprecher der französischen Bischofskonferenz in einem Schreiben an Ministerpräsident Daladier vom 22. März 1939 diesen Brückenschlag zwischen Kirche und Staat ausgerechnet unter expliziter Berufung auf die Prinzipien der Französischen Revolution vollzog, indem er als gemeinsame zivilisatorische Mission hervorhob, "sauvegarder la vraie liberté, l'égalité foncière de tous les hommes et la fraternité chrétienne".

Andreas Wirsching arbeitet in einem besonders perspektivreichen Beitrag die Ursachen dafür heraus, warum in Frankreich ein viel stärker ausgeprägter Basiskonsens zur kompromißlosen Ächtung politischer Gewalt speziell bei der nationalen Rechten als in Deutschland vorhanden war. Er verweist darauf, daß die Dritte Republik den rechten Rand politisch zu disziplinieren vermochte, indem sie ihm eine kulturelle Beheimatung durch die nicht zuletzt symbolische Pflege des nationalen Erbes der "grande nation" ermöglichte.

Vor diesem politisch-kulturellen Hintergrund nimmt es nicht wunder, daß die Koalitionsfähigkeit der deutschen Parteien auf Reichsebene nur schwach ausgeprägt war, was Ludwig Richter nachdrücklich am Beispiel von DVP und SPD belegt. Im Unterschied dazu konnte die liberale "Parti radical" in Frankreich trotz ebenso erheblicher Divergenzen in der Frage der Wirtschaftsordnung immer wieder politische Bündnisse mit den französischen Sozialisten eingehen, wenn solche Differenzen in der Sozial- und Finanzpolitik von der Betonung ausgeprägter republikanischer Gemeinsamkeiten überlagert wurden (Beitrag von Daniela Neri). Diese kamen im Verhältnis des parteipolitisch organisierten Liberalismus zur Sozialdemokratie in Deutschland nie über mehr als bescheidene Ansätze hinaus. Zudem war der besondere Typus des französischen Parlamentarismus einer parteiübergreifenden Kooperation zuträglicher, weil er immer noch weitgehend auf der Stufe stark personalisierter Beziehungen zwischen den Abgeordneten verharrte (Beitrag von Thomas Raithel), während in Deutschland die Parlamentsfraktionen in ungleich stärkerem Maße einer durch Fraktions- und Parteidisziplin eingeübten Loyalität gegenüber ihren Herkunftsmilieus verpflichtet waren.

Bei einer Vertiefung der im ersten Anlauf erzielten Ergebnisse dieses deutsch-französischen Vergleiches wäre es vielleicht ratsam, stärker auf Konzepte und Ergebnisse der historischen Milieuforschung zurückzugreifen, um den Ursachen auf die Spur zu kommen, warum die politische Kultur Deutschlands viel stärker als in Frankreich fragmentiert war, obgleich die französische Gesellschaft aufgrund der häufigen revolutionären Umbrüche bis 1870 in ungleich heftigerer Weise polarisiert wurde.

WOLFRAM PYTA

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dass die brisante Frage, warum die Demokratie der Weimarer Republik scheitern musste, in einem "länderübergreifenden Vergleich" untersucht werden muss, darüber ist sich die Forschung einig, so Rezensent Wolfram Pyta. Neu daran ist, dass nun auch das französische Beispiel herangezogen wird, in einem Forschungsprojekt, dessen Ergebnisse nun vorliegen. Weniger institutionelle denn politisch-kulturelle Faktoren - so die These, die aus den Beiträgen hervorgeht - seien für den französischen Erfolg und das deutsche Scheitern der Demokratie verantwortlich. Besonders gefallen hat Pyta der Beitrag von Klaus-Jürgen Müller: Er thematisiere die Integrationskraft der Dritten Republik in Frankreich, die es vermochte, die rechten Verbänden ins politische System einzubinden. Die integrative Kraft der Ideen von 1789 wird auch von Jean-Marie Mayeur beleuchtet, am Beispiel des Brückenschlages zwischen Staat und Kirche - über den Graben des strengen Laizismus hinweg, berichtet der Rezensent. Ein anderer Autor, Andreas Wirsching, erläutere, wie in Frankreich die "symbolische Pflege des nationalen Kulturerbes" die Rechte kulturell beheimatet und so den Basiskonsens gestärkt habe. Doch auch der politische Stil wird erörtert, lobt Pyta: Während in Frankreich die stark personalisierten Beziehungen zwischen Abgeordneten integrativ wirkten, habe die deutsche Fraktions- und Parteipolitik eine Koalitionsunfähigkeit zur Folge gehabt. Im Hinblick auf eine Vertiefung der vorliegenden Ergebnisse, wünscht sich Pyta Erkenntnisse über die Ursachen für die Fragmentierung der politischen Kultur in Deutschland, die viel stärker gewesen sei als in der doch so heftig polarisierten französischen Gesellschaft.

© Perlentaucher Medien GmbH
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