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Kaum war im 19. Jahrhundert gegen den Widerstand konservativer und liberaler Eliten das allgemeine Wahlrecht errungen, begann auch schon dessen Aushöhlung, um es auf bloße Akklamation der einsamen Entscheidungen eines mit allumfassender Macht ausgestatteten Führers durch eine atomisierte Masse zu reduzieren. Erstmals in Frankreich installiert, wird ein solches Regime seit Napoleon III. als Bonapartismus bezeichnet. Es hat seither einen komplexen historischen Prozess durchlaufen und inzwischen eine moderne Form angenommen. Dank des gigantischen Konzentrationsprozesses der Massenmedien beraubt…mehr

Produktbeschreibung
Kaum war im 19. Jahrhundert gegen den Widerstand konservativer und liberaler Eliten das allgemeine Wahlrecht errungen, begann auch schon dessen Aushöhlung, um es auf bloße Akklamation der einsamen Entscheidungen eines mit allumfassender Macht ausgestatteten Führers durch eine atomisierte Masse zu reduzieren. Erstmals in Frankreich installiert, wird ein solches Regime seit Napoleon III. als Bonapartismus bezeichnet. Es hat seither einen komplexen historischen Prozess durchlaufen und inzwischen eine moderne Form angenommen. Dank des gigantischen Konzentrationsprozesses der Massenmedien beraubt ein solches System die subalternen Klassen ihrer autonomen Interessenartikulation und beschränkt die 'Demokratie' auf den Konkurrenzkampf rivalisierender Einzelpersonen, von denen sich dann eine charismatische Figur als Führer der Nation abheben kann. Die USA sind das wichtigste Experimentierfeld für diesen modernen Bonapartismus, der aber auch in Italien schon erprobt wurde und sich zur Regierungsform unserer Zeit verallgemeinern will.
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Autorenporträt
Domenico Losurdo, Professor Dr. phil., 1941. Lehrt Philosophie an der Universität Urbino. Veröffentlichte zuletzt bei PapyRossa: 'Kampf um die Geschichte - Der historische Revisionismus und seine Mythen'. Von seinen zahlreichen Büchern sind außerdem auf Deutsch u.a. erschienen: 'Die Gemeinschaft, der Tod, das Abendland - Heidegger und die Kriegsideologie'; 'Hegel und die Freiheit der Modernen'; 'Der Marxismus Antonio Gramscis'
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.12.2008

Die Quasi-Diktatur des Präsidenten
Eine starke Staatsspitze: Domenico Losurdo wittert überall den Einfluss des amerikanischen Modells
In ihren Bewertungen der französischen Revolution von 1848 beklagten sich François Guizot und Alexis de Tocqueville darüber, dass inzwischen der Begriff der Demokratie von allen politischen Strömungen in Anspruch genommen werde, was eine heillose Verwirrung zur Folge habe. Suspekt war ihnen vor allem das im März 1848 eingeführte allgemeine Männerwahlrecht, in dem sie im Zusammenhang mit der Forderung nach einer sozialen Demokratie ein Einfallstor für eine Politik der Umverteilung sahen. Die Sorge vor einer Dominanz der „Massen” zulasten der Besitzenden und Gebildeten durchzog die Auseinandersetzungen überall in Europa bis zum endgültigen Durchbruch des allgemeinen Wahlrechts in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg.
Tocqueville hatte aber auch erkannt, dass eine offene Rücknahme dieses Prinzips kaum durchsetzbar sein werde. Anstatt die Rückkehr zu einer Zensusverfassung zu fordern, sei es besser, den potentiell gefährlichen Folgen des allgemeinen Wahlrechts durch Verfahren der indirekten Wahl nach dem Muster der USA zu begegnen. Andere forderten ein nach Bildungsgrad, Familienstand, Vermögensverhältnissen und Alter abgestuftes Pluralwahlrecht (wie es in unterschiedlicher Form 1893 in Belgien und 1909 in Sachsen eingeführt worden ist). In den USA wurden nach der formellen Emanzipation der Sklaven eine Vielzahl von oft schikanösen Registrierungsregeln festgelegt, die faktisch die Ausübung des Wahlrechts verhindern sollten.
Das war in Europa nur begrenzt nachzuahmen, viele Autoren des liberalen bis konservativen Lagers sahen aber im Mehrheitswahlrecht einerseits ein unverzichtbares Instrument zur Kleinhaltung der Arbeiterparteien, andererseits zunehmend eine Voraussetzung dafür, dass Demokratie die erforderliche „Führerauslese” (Max Weber) gewährleisten könne.
Domenico Losurdo, Philosophieprofessor in Urbino, hat dazu in seinem, bereits vor fünfzehn Jahren in Italien erschienenen, nun in deutscher Übersetzung (mit einigen redaktionellen Schönheitsfehlern) vorliegenden Buch eine Vielzahl von Äußerungen in diesem Sinne zusammengestellt. Am „Triumph” des allgemeinen Wahlrechts haben diese Postulate bekanntlich nichts geändert, zumal im 20. Jahrhundert auch das Frauenwahlrecht (wenn auch in Frankreich und in der Schweiz erst 1946 beziehungsweise 1971) durchgesetzt und das Wahlalter immer stärker gesenkt wurde (in Österreich neuerdings auf 16 Jahre) – Aspekte, die in diesem Buch nur am Rande vorkommen. Von dem von Losurdo beklagten „Niedergang” kann auch dann keine Rede sein, wenn man seinen Standpunkt akzeptierte, dass ein Mehrheitswahl eo ipso undemokratisch und nur das Verhältniswahlrecht (ohne Sperrklausel) mit dem Demokratieprinzip vereinbar sei, denn einen Siegeszug des Mehrheitswahlrechts hat es nicht gegeben. Gemeint ist vielmehr, dass bei einer Wahl, die auf die Auswahl zwischen zwei Kandidaten aus der gleichen herrschenden Klasse hinauslaufe, ein „Einparteiensystem mit Wettbewerbscharakter” vorliege, womit das Wahlrecht entwertet werde.
Soft-Bonapartismus
Losurdos eigentliches Thema ist eine durchgehende Kritik an der amerikanischen Demokratie, und zwar besonders an der starken Rolle des Präsidenten. Dieses Amt sei von vornherein als eine Quasi-Diktatur zur Eindämmung sozialer Unruhen ebenso wie zur eigenmächtigen Durchführung einer expansionistischen Außenpolitik konstruiert worden.
Der Autor greift die Belege für die Entwicklung zu einer „imperial presidency” (Arthur M. Schlesinger) vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart heraus, ohne sich auf genauere empirische Analysen einzulassen. Vielmehr interessieren ihn solche Stimmen aus Europa, die in der amerikanischen Präsidentschaft das Vorbild für eine starke Staatsspitze gesehen haben.
Der Bonapartismus (oder Caesarismus) eines Napoleon III., der auf Legitimierung eines Staatsstreichs durch Plebiszit bei allgemeinem Wahlrecht basierte, und alle weiteren Formen tendenziell autokratischer Regierungsführung im Rahmen demokratischer Verfassungsordnungen (von der „Kanzlerdemokratie” bis zum Präsidialsystem de Gaulles) werden letztlich dem amerikanischen Modell in die Schuhe geschoben. Das ist weder eine adäquate Analyse der diskutierten historischen Beispiele noch eine hinreichende Erklärung für einen auf Beherrschung der Massenmedien gründenden „Soft-Bonapartismus” (wie er aktuell am Beispiel Berlusconis zu beobachten ist). Auf Überlegungen, wie dieser Tendenz zu begegnen sei, verzichtet der Autor von vornherein. WILFRIED NIPPEL
DOMENICO LOSURDO: Demokratie oder Bonapartismus. Triumph und Niedergang des allgemeinen Wahlrechts. Aus dem Italienischen von Klaus Winkler. PapyRossa Verlag, Köln 2008. 411 Seiten, 19,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Nicht wirklich überzeugt scheint Wilfried Nippel von Domenico Losurdos Buch über "Triumph und Niedergang des allgemeinen Wahlrechts". Die Auffassung des italienischen Philosophieprofessors, das allgemeine Wahlrecht sei schon bald nach seiner Einführung ausgehöhlt worden, teilt er nicht. Von einem Niedergang kann seines Erachtens nicht die Rede sein. Das eigentliche Thema des Autors sieht er indes in einer Kritik der amerikanischen Demokratie und insbesondere an der starken Rolle des Präsidenten. Skeptisch äußert er sich über Losurdos Ansicht, dieses Amt laufe auf eine Quasi-Diktatur hinaus, zumal er in diesem Zusammenhang eingehende empirische Analysen des Autors vermisst.

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