'Demokratie - Zumutungen und Versprechen' ist ein Vademecum der Demokratie. In kurzen, prägnanten, häufig polemischen Aphorismen geschrieben, bleibt keine unserer Fragen zur Demokratie offen:
? Wer über "die Politik" und "den Staat" klagt, verrät seine eigene obrigkeitsstaatliche Gesinnung.
? Wir schulden den Gegnern der Demokratie Gründe für die Demokratie, keine moralische Empörung.
? Die Demokratie verspricht kein gutes Leben.
? Sicherheit und Freiheit lassen sich in der Demokratie nicht gegeneinander abwägen.
? Konsens ist kein demokratisches Ideal.
? Unsere individuelle Freiheit können wir über Grenzen mitnehmen, unser demokratisches Selbstbestimmungsrecht nicht.
? Moralismus und politische Empfindsamkeit ersetzen in der Demokratie weder Argumente noch politische Konflikte.
Christoph Möllers fordert zu aktivem politischem Denken heraus. Wer ihn liest, muss Position beziehen.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
? Wer über "die Politik" und "den Staat" klagt, verrät seine eigene obrigkeitsstaatliche Gesinnung.
? Wir schulden den Gegnern der Demokratie Gründe für die Demokratie, keine moralische Empörung.
? Die Demokratie verspricht kein gutes Leben.
? Sicherheit und Freiheit lassen sich in der Demokratie nicht gegeneinander abwägen.
? Konsens ist kein demokratisches Ideal.
? Unsere individuelle Freiheit können wir über Grenzen mitnehmen, unser demokratisches Selbstbestimmungsrecht nicht.
? Moralismus und politische Empfindsamkeit ersetzen in der Demokratie weder Argumente noch politische Konflikte.
Christoph Möllers fordert zu aktivem politischem Denken heraus. Wer ihn liest, muss Position beziehen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.10.2008Der Staat in Habtachtstellung
Politikverdrossenheit hat Gründe: Zwei Bücher des Juristen Christoph Möllers fragen nach den Zumutungen der Demokratie und nach aktuellen Herausforderungen der Gewaltengliederung.
Der Präsidentschaftskandidat der Linken hat kürzlich dadurch einiges Aufsehen erregt, daß seine öffentlichen Nachnominierungsbekundungen ein erstaunlich unterentwickeltes Verständnis von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verrieten und er größere Bereitschaft zeigte, sein Handeln von knalligen Brecht-Sprüchen als von der Verfassung leiten zu lassen. Die weiter unten vorgestellte Gewaltengliederungsstudie bei Velbrück von Christoph Möllers wird aufgrund ihres wissenschaftlichen Anspruchs wohl nicht dazu dienen können, hier Abhilfe zu schaffen und den Mann auf rechtsstaatlichen Kurs zu bringen.
Aber eine andere, ebenfalls neue Publikation von Möllers, sein Demokratiebüchlein bei Wagenbach, kann dem Kandidaten durchaus empfohlen werden. Denn das Buch "Demokratie - Zumutungen und Versprechen" ist theoriefrei und eingängig. Es besteht aus 171 Kurznotaten, in denen der Autor über die Zumutungen und die Versprechen dieser komplizierten Zusammenlebensform redet und dabei entschieden gegen gängige Vorurteile bei der Demokratiebewertung und verbreitete Irrtümer bei der Demokratiebeurteilung angeht. So kommt es zu einer überzeugenden Verteidigung der Demokratie gegen ihre gebildeten und ungebildeten Verächter - und auch gegen ihre Theoretiker, die sie bei allem grundsätzlichen Wohlwollen doch immer wieder mit normativen Übertreibungen quälen und peinigen.
Wem es an Demut mangelt
Möllers' apologetische Aphoristik kennt kein boshaftes nietzscheanisches Funkeln, keine Ausfälle gegen Mittelmaß, Massengeschmack und Moraldiscount, keine kulturpessimistischen Plattitüden. Sie leistet kurzgefasste, aber gleichwohl ernsthafte Aufklärung; nie führt die gewählte Kleinformatigkeit zur Vereinfachung. Auch die Demokratie hat mehrere Seiten, die gleichermaßen Berücksichtigung finden müssen. So reflektiert die Abfolge von Aphorismus und Gegenaphorismus die vielfältigen Spannungen, die in der Demokratie und in dem Wissen um sie auszubalancieren sind, etwa die Spannungen zwischen Wahrheit und Verfahren, zwischen Legitimation und guten Gründen, zwischen Wille und Vernunft.
Demokratie, darauf legt der Jurist Möllers größten Wert, ist vor allem eine rechtliche Ordnung, keine Ethik, die glaubt, im normativen Vorgriff sich über Gesetze hinwegsetzen zu dürfen. Es gibt weder einen übergesetzlichen Notstand in der Demokratie, noch darf der zivile Ungehorsam als besondere Form demokratischer Reife geadelt werden. Dem Widerständler mangelt es an Demut; er verletzt die Gleichheit der demokratischen Gemeinschaft. Diese Gleichheit ist der Hort vieler Kränkungen; hier ist auch der Quell der vielen antidemokratischen Ressentiments. Doch, so Möllers Schlussaphorismus, wir müssen lernen, die lebensethischen Asymmetrien nicht auf die politische Gemeinschaft zu übertragen. Es ist unser gutes Recht, uns zu bevorzugen, uns wichtiger als andere zu nehmen. Aber sobald wir die demokratische Öffentlichkeit betreten, sind wir nur einer unter allen. Diese Zumutung müssen wir als Bürger ertragen.
In seiner Studie "Die drei Gewalten" knüpft Möllers an die legitimationstheoretische Begründung der Gewaltenteilung an, wählt jedoch nicht Kants liberales Konzept negativer Handlungsfreiheit als Ausgangspunkt, sondern einen rousseauistisch erweiterten Freiheitsbegriff, der neben der Dimension der individuellen Selbstbestimmung auch die Dimension der kollektiven Selbstbestimmung umfasst. Damit ändert sich der Ordnungshorizont, vor dem das Verfassungsinstrument der Gewaltenteilung Profil gewinnt: dem Kantischen Rechtsstaat, der als Rahmen einer liberalen Privatrechtsordnung die Parzellen individueller Selbstbestimmung sichert, wird eine Habermassche Demokratie beigesellt, in deren Arenen die politische Selbstbestimmung der Bürger stattfindet.
Es ist zugleich bemerkenswert und erfreulich, dass Möllers beide Dimensionen personalen Lebens, das Leben des in seinen privaten Belangen verstrickten Bourgeois wie das Leben des an der politischen Selbstverständigung der Gemeinschaft teilnehmenden Citoyens als gleichberechtigt ansieht. Er widersteht dadurch erfolgreich der Neigung demokratischer Großtheoretiker, sich der vielfältigen Spannungen zwischen den liberalen und republikanischen Aspekten gelebter Freiheit reduktionistisch zu entledigen und entweder die Demokratie in der Nachfolge Schumpeters auf ein Auszählungsprogramm individueller Interessenlagen zu verkürzen oder als Epiphanie des alles sperrig Individuelle in sich auflösenden Allgemeinwillens rousseauistisch zu verklären.
Gleichberechtigt existieren in der politischen Moderne Demokratie und liberaler Rechtsstaat nebeneinander. Es darf auch keinem Ordnungssegment ethische Überlegenheit zugeschrieben werden. Weder darf das Private aristotelisch als das politisch Uneigentliche diskreditiert werden, noch das Öffentliche schmittianisch als Geschwätz verunglimpft und als Mehrheitsgewinnungsverfahren banalisisiert werden. Und damit diese Gleichrangigkeit individueller und kollektiver Selbstbestimmung gewährleistet werden kann, die Spannungen zwischen der liberalen Freiheit der Individuen und der republikanischen Idee der politischen Selbstbestimmung ausbalanciert werden können, bedarf es eben eines System der Gewaltenteilung beziehungsweise, wie Möllers formuliert, der Gewaltengliederung.
Denn der Institutionendesigner der massendemokratischen Moderne ist nicht mehr von der Furcht vor dem Tyrannen bewegt, sondern von dem Bemühen geprägt, den Freiheitsverheißungen unserer Personalitätsethik und unseres menschenrechtlichen Selbstverständnisses eine rechtliche Form zu geben. Daher ist nicht die Staatsgewalt zu teilen, sondern der Rechtsverwirklichungsprozess funktional zu gliedern, damit der legitimatorischen Doppelautonomie ein institutionell gesicherter Entfaltungsraum gegeben werden kann.
Diese Gliederung ist auf die innere Unruhe des komplexen modernen Freiheitsgedankens abgestimmt. Sie bringt den Konflikt zwischen liberaler Individualfreiheit und demokratischer Selbstbestimmung nicht durch starre Segmentierung zum Schweigen, sondern hält den Wettbewerb der Freiheitsordnungen grundsätzlich in der Schwebe. Die für die Stabilisierung liberaler Individualität zuständige Judikative und die kollektive Selbstbestimmung rechtlich formalisierende Legislative "begrenzen und bedingen" einander. Nur in Einzelfragen werden Entscheidungen unerlässlich.
Die Legislative ist der Ort der demokratischen Selbstbestimmung. Dabei muss von der rousseauistischen und in der diskursethischen These von den allgemeinheitsfähigen Interessen weiterlebenden Illusion Abschied genommen werden, dass der demokratische Gesetzgeber ausschließlich inhaltlich allgemeine Gesetze zu geben habe. Der Ort der Allgemeinheit ist allein die gesetzliche Form, nicht der Inhalt. Die Judikative hingegen ist der Ort der Regelung interindividueller Konflikte. Hier begegnet dem Individuum das Recht als verbindlicher Rahmen seiner Freiheitssphäre. Insofern Jurisdiktion Rechtsfortbestimmung und nicht Anwendungsautomatik ist, sind beide Gewalten, Legislative und Judikative, Rechtserzeugungsorte und durch entsprechende Rechtserzeugungsverfahren charakterisiert.
Der Exekutive obliegt es dann, die allgemein legislative und die individualisierte judikative Rechtserzeugung wirksam werden zu lassen und in soziale Geltung zu überführen. Möllers: "Ratio der Gewaltengliederung in demokratischen Verfassungsstaaten ist nicht die Bändigung und Ermöglichung staatlicher Macht, sondern die Strukturierung eines freiheitlichen Modells der Rechtserzeugung, in dem individuelle und demokratische Selbstbestimmungsanliegen gleichberechtigte Beachtung finden." Genau darum ging es im Kern auch Kant: Gewaltenteilung als Institutionalisierung der Rechtserzeugung, als arbeitsteilige Rechtserzeugung zu begründen.
Ein wenig blauäugig
Im dritten Kapitel seiner anregenden Gewaltengliederungsstudie geht Möllers von der Grundlegung zur Anwendung über. In detaillierten Überlegungen werden die traditionellen Grauzonen der Gewaltengliederung behandelt, das Verhältnis von Parlament und Regierung, das Problem der legitimationstheoretisch prekären Einrichtung von Verfassungsgerichten und der gerichtlichen Verwaltungskontrolle. Dabei findet der Autor immer sehr harmonische Antworten, die zwar im Normativen überzeugen, jedoch angesichts der politischen und juristischen Wirklichkeit gelegentlich ein wenig blauäugig erscheinen.
Kritischer wird der Ton im vierten Kapitel, das den Spuren der Gewaltengliederung im internationalisierten Recht folgt und feststellen muss, dass mit der wachsenden Unübersichtlichkeit und Verantwortungsdiffusion in den supranationalen und internationalen Rechtsräumen sich die Bürger der Segnungen der Gewaltengliederung immer seltener erfreuen dürfen und der Verrechtlichungsprozess immer stärker zu sachlich verselbständigten Regelungssystemen führt, die immer weniger mit dem legitimatorischen Grundgedanken der Sicherung der individuellen Freiheit und kollektiven Selbstbestimmung durch arbeitsteilige Rechtserzeugung zu tun haben.
WOLFGANG KERSTING
Christoph Möllers: "Demokratie - Zumutungen und Versprechen". Wagenbach Verlag, Berlin 2008. 125 S., geb., 9,90 [Euro].
Christoph Möllers: "Die drei Gewalten". Legitimation der Gewaltengliederung in Verfassungsstaat, Europäischer Integration und Internationalisierung. Velbrück Verlag, Weilerswist 2008. 237 S., br., 29,90 [Euro].
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Politikverdrossenheit hat Gründe: Zwei Bücher des Juristen Christoph Möllers fragen nach den Zumutungen der Demokratie und nach aktuellen Herausforderungen der Gewaltengliederung.
Der Präsidentschaftskandidat der Linken hat kürzlich dadurch einiges Aufsehen erregt, daß seine öffentlichen Nachnominierungsbekundungen ein erstaunlich unterentwickeltes Verständnis von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verrieten und er größere Bereitschaft zeigte, sein Handeln von knalligen Brecht-Sprüchen als von der Verfassung leiten zu lassen. Die weiter unten vorgestellte Gewaltengliederungsstudie bei Velbrück von Christoph Möllers wird aufgrund ihres wissenschaftlichen Anspruchs wohl nicht dazu dienen können, hier Abhilfe zu schaffen und den Mann auf rechtsstaatlichen Kurs zu bringen.
Aber eine andere, ebenfalls neue Publikation von Möllers, sein Demokratiebüchlein bei Wagenbach, kann dem Kandidaten durchaus empfohlen werden. Denn das Buch "Demokratie - Zumutungen und Versprechen" ist theoriefrei und eingängig. Es besteht aus 171 Kurznotaten, in denen der Autor über die Zumutungen und die Versprechen dieser komplizierten Zusammenlebensform redet und dabei entschieden gegen gängige Vorurteile bei der Demokratiebewertung und verbreitete Irrtümer bei der Demokratiebeurteilung angeht. So kommt es zu einer überzeugenden Verteidigung der Demokratie gegen ihre gebildeten und ungebildeten Verächter - und auch gegen ihre Theoretiker, die sie bei allem grundsätzlichen Wohlwollen doch immer wieder mit normativen Übertreibungen quälen und peinigen.
Wem es an Demut mangelt
Möllers' apologetische Aphoristik kennt kein boshaftes nietzscheanisches Funkeln, keine Ausfälle gegen Mittelmaß, Massengeschmack und Moraldiscount, keine kulturpessimistischen Plattitüden. Sie leistet kurzgefasste, aber gleichwohl ernsthafte Aufklärung; nie führt die gewählte Kleinformatigkeit zur Vereinfachung. Auch die Demokratie hat mehrere Seiten, die gleichermaßen Berücksichtigung finden müssen. So reflektiert die Abfolge von Aphorismus und Gegenaphorismus die vielfältigen Spannungen, die in der Demokratie und in dem Wissen um sie auszubalancieren sind, etwa die Spannungen zwischen Wahrheit und Verfahren, zwischen Legitimation und guten Gründen, zwischen Wille und Vernunft.
Demokratie, darauf legt der Jurist Möllers größten Wert, ist vor allem eine rechtliche Ordnung, keine Ethik, die glaubt, im normativen Vorgriff sich über Gesetze hinwegsetzen zu dürfen. Es gibt weder einen übergesetzlichen Notstand in der Demokratie, noch darf der zivile Ungehorsam als besondere Form demokratischer Reife geadelt werden. Dem Widerständler mangelt es an Demut; er verletzt die Gleichheit der demokratischen Gemeinschaft. Diese Gleichheit ist der Hort vieler Kränkungen; hier ist auch der Quell der vielen antidemokratischen Ressentiments. Doch, so Möllers Schlussaphorismus, wir müssen lernen, die lebensethischen Asymmetrien nicht auf die politische Gemeinschaft zu übertragen. Es ist unser gutes Recht, uns zu bevorzugen, uns wichtiger als andere zu nehmen. Aber sobald wir die demokratische Öffentlichkeit betreten, sind wir nur einer unter allen. Diese Zumutung müssen wir als Bürger ertragen.
In seiner Studie "Die drei Gewalten" knüpft Möllers an die legitimationstheoretische Begründung der Gewaltenteilung an, wählt jedoch nicht Kants liberales Konzept negativer Handlungsfreiheit als Ausgangspunkt, sondern einen rousseauistisch erweiterten Freiheitsbegriff, der neben der Dimension der individuellen Selbstbestimmung auch die Dimension der kollektiven Selbstbestimmung umfasst. Damit ändert sich der Ordnungshorizont, vor dem das Verfassungsinstrument der Gewaltenteilung Profil gewinnt: dem Kantischen Rechtsstaat, der als Rahmen einer liberalen Privatrechtsordnung die Parzellen individueller Selbstbestimmung sichert, wird eine Habermassche Demokratie beigesellt, in deren Arenen die politische Selbstbestimmung der Bürger stattfindet.
Es ist zugleich bemerkenswert und erfreulich, dass Möllers beide Dimensionen personalen Lebens, das Leben des in seinen privaten Belangen verstrickten Bourgeois wie das Leben des an der politischen Selbstverständigung der Gemeinschaft teilnehmenden Citoyens als gleichberechtigt ansieht. Er widersteht dadurch erfolgreich der Neigung demokratischer Großtheoretiker, sich der vielfältigen Spannungen zwischen den liberalen und republikanischen Aspekten gelebter Freiheit reduktionistisch zu entledigen und entweder die Demokratie in der Nachfolge Schumpeters auf ein Auszählungsprogramm individueller Interessenlagen zu verkürzen oder als Epiphanie des alles sperrig Individuelle in sich auflösenden Allgemeinwillens rousseauistisch zu verklären.
Gleichberechtigt existieren in der politischen Moderne Demokratie und liberaler Rechtsstaat nebeneinander. Es darf auch keinem Ordnungssegment ethische Überlegenheit zugeschrieben werden. Weder darf das Private aristotelisch als das politisch Uneigentliche diskreditiert werden, noch das Öffentliche schmittianisch als Geschwätz verunglimpft und als Mehrheitsgewinnungsverfahren banalisisiert werden. Und damit diese Gleichrangigkeit individueller und kollektiver Selbstbestimmung gewährleistet werden kann, die Spannungen zwischen der liberalen Freiheit der Individuen und der republikanischen Idee der politischen Selbstbestimmung ausbalanciert werden können, bedarf es eben eines System der Gewaltenteilung beziehungsweise, wie Möllers formuliert, der Gewaltengliederung.
Denn der Institutionendesigner der massendemokratischen Moderne ist nicht mehr von der Furcht vor dem Tyrannen bewegt, sondern von dem Bemühen geprägt, den Freiheitsverheißungen unserer Personalitätsethik und unseres menschenrechtlichen Selbstverständnisses eine rechtliche Form zu geben. Daher ist nicht die Staatsgewalt zu teilen, sondern der Rechtsverwirklichungsprozess funktional zu gliedern, damit der legitimatorischen Doppelautonomie ein institutionell gesicherter Entfaltungsraum gegeben werden kann.
Diese Gliederung ist auf die innere Unruhe des komplexen modernen Freiheitsgedankens abgestimmt. Sie bringt den Konflikt zwischen liberaler Individualfreiheit und demokratischer Selbstbestimmung nicht durch starre Segmentierung zum Schweigen, sondern hält den Wettbewerb der Freiheitsordnungen grundsätzlich in der Schwebe. Die für die Stabilisierung liberaler Individualität zuständige Judikative und die kollektive Selbstbestimmung rechtlich formalisierende Legislative "begrenzen und bedingen" einander. Nur in Einzelfragen werden Entscheidungen unerlässlich.
Die Legislative ist der Ort der demokratischen Selbstbestimmung. Dabei muss von der rousseauistischen und in der diskursethischen These von den allgemeinheitsfähigen Interessen weiterlebenden Illusion Abschied genommen werden, dass der demokratische Gesetzgeber ausschließlich inhaltlich allgemeine Gesetze zu geben habe. Der Ort der Allgemeinheit ist allein die gesetzliche Form, nicht der Inhalt. Die Judikative hingegen ist der Ort der Regelung interindividueller Konflikte. Hier begegnet dem Individuum das Recht als verbindlicher Rahmen seiner Freiheitssphäre. Insofern Jurisdiktion Rechtsfortbestimmung und nicht Anwendungsautomatik ist, sind beide Gewalten, Legislative und Judikative, Rechtserzeugungsorte und durch entsprechende Rechtserzeugungsverfahren charakterisiert.
Der Exekutive obliegt es dann, die allgemein legislative und die individualisierte judikative Rechtserzeugung wirksam werden zu lassen und in soziale Geltung zu überführen. Möllers: "Ratio der Gewaltengliederung in demokratischen Verfassungsstaaten ist nicht die Bändigung und Ermöglichung staatlicher Macht, sondern die Strukturierung eines freiheitlichen Modells der Rechtserzeugung, in dem individuelle und demokratische Selbstbestimmungsanliegen gleichberechtigte Beachtung finden." Genau darum ging es im Kern auch Kant: Gewaltenteilung als Institutionalisierung der Rechtserzeugung, als arbeitsteilige Rechtserzeugung zu begründen.
Ein wenig blauäugig
Im dritten Kapitel seiner anregenden Gewaltengliederungsstudie geht Möllers von der Grundlegung zur Anwendung über. In detaillierten Überlegungen werden die traditionellen Grauzonen der Gewaltengliederung behandelt, das Verhältnis von Parlament und Regierung, das Problem der legitimationstheoretisch prekären Einrichtung von Verfassungsgerichten und der gerichtlichen Verwaltungskontrolle. Dabei findet der Autor immer sehr harmonische Antworten, die zwar im Normativen überzeugen, jedoch angesichts der politischen und juristischen Wirklichkeit gelegentlich ein wenig blauäugig erscheinen.
Kritischer wird der Ton im vierten Kapitel, das den Spuren der Gewaltengliederung im internationalisierten Recht folgt und feststellen muss, dass mit der wachsenden Unübersichtlichkeit und Verantwortungsdiffusion in den supranationalen und internationalen Rechtsräumen sich die Bürger der Segnungen der Gewaltengliederung immer seltener erfreuen dürfen und der Verrechtlichungsprozess immer stärker zu sachlich verselbständigten Regelungssystemen führt, die immer weniger mit dem legitimatorischen Grundgedanken der Sicherung der individuellen Freiheit und kollektiven Selbstbestimmung durch arbeitsteilige Rechtserzeugung zu tun haben.
WOLFGANG KERSTING
Christoph Möllers: "Demokratie - Zumutungen und Versprechen". Wagenbach Verlag, Berlin 2008. 125 S., geb., 9,90 [Euro].
Christoph Möllers: "Die drei Gewalten". Legitimation der Gewaltengliederung in Verfassungsstaat, Europäischer Integration und Internationalisierung. Velbrück Verlag, Weilerswist 2008. 237 S., br., 29,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Lobend äußert sich Rezensent Peter Niesen über Christoph Möllers Buch "Demokratie - Zumutungen und Versprechungen", das in der neuen Politik-Reihe des Wagenbach-Verlags erschienen ist. Zentral für die Überlegungen des Staatsrechtlers scheinen ihm die Idee der Demokratie als System formaler Herrschaft sowie die Idee der politischen Gleichheit. Dabei gehe es dem Autor nicht darum, ein rundes Bild der Demokratie zu entwerfen. Dies spiegelt sich für Niesen auch im Aufbau des Buchs wieder: Es besteht aus "disjunkten Abschnitten" mit vorangestellten "apodiktisch formulierten Leitsätzen" und darauf folgenden diskursiven Überlegungen. Er schätzt Möllers Widerspruch gegen Missverständnisse der Demokratietheorie, auch wenn ihm manche Pointe "überscharf" vorkommt. Insbesondere den skeptischen Überlegungen über die transnationale Herausforderung der Demokratie kann Niesen aber nur zustimmen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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