Produktdetails
  • Goldmann Taschenbücher
  • Verlag: Goldmann
  • Gewicht: 196g
  • ISBN-13: 9783442091508
  • ISBN-10: 3442091500
  • Artikelnr.: 24174847
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.08.2008

In der Kampfzone
Willkommen: Eine Neuauflage von Joan Didions Roman „Demokratie”
Richtig berühmt wurde Joan Didion hierzulande erst mit ihren Erinnerungen an „Das Jahr des magischen Denkens” (2003), einem Versuch über die grenzenlose Trauer, in die sie nach dem Tod ihres Mannes stürzte. Bei den Salzburger Festspielen gastierte kürzlich Vanessa Redgrave mit einer Bühnenversion dieses Buches (SZ vom 13.8.2008). Großes Lob, aber weniger Beachtung fand 1984 die deutsche Übersetzung ihres Romans „Demokratie”, die nun in vollständig überarbeiteter Neuausgabe vorliegt. Und das Timing scheint perfekt zu passen: Wir schreiben das Jahr 1975, die USA befinden sich nach dem Desaster des Vietnamkriegs auf dem Rückzug aus dem Fernen Osten. Die Hauptfigur Inez Victor ist mit einem Senator verheiratet, der als demokratischer Präsidentschaftskandidat um den Einzug ins Weiße Haus kämpft.
Damit sind die äußeren Analogien zur derzeitigen amerikanischen Großwetterlage aber auch erst einmal erschöpft. Und kommt dieser Roman nicht überhaupt aus einer fernen, postmodernen Vergangenheit, da man die Möglichkeit des Erzählens prinzipiell in Frage stellte? Als konsistente, motivierte Handlung lässt sich Didions Roman tatsächlich kaum zusammenfassen, am ehesten taugt im Blick auf Inez‘ Affäre mit einem dubiosen Waffenhändler. Da schimmert etwas durch von einer Frau, die sich für die Vernachlässigung ihres Mannes rächt. Warum aber Inez‚ Vater zum Doppelmörder wird, warum ihre heroinsüchtige Tochter einen Job ausgerechnet in Vietnam sucht – all das bleibt unklar und soll nach dem Willen der Erzählerin auch unklar bleiben. Immer wieder unterbricht sie die Handlung und erinnert daran, dass der Versuch, die Wirklichkeit in einen Text zu bannen, zum Scheitern verurteilt sei.
Eine mittelmäßig begabte Autorin würde nach dieser Spielregel gedankenvolle, aber blutleere Prosa produzieren. Nun hat aber Joan Didion als Reporterin die Kunst der genauen Beobachtung und des geduldigen Zuhörens gelernt. Die Szenen und Dialoge, die sie in den Kulissen einer postmodern fragmentierten Wirklichkeit ansiedelt, sind von atemberaubender Intensität: unvermittelt nebeneinander gestellte Momentaufnahmen menschlicher Härte und Einsamkeit. Wie auf einem Schachbrett bewegen sich ihre Figuren, angetrieben vom Ehrgeiz, in der erotischen, wirtschaftlichen und politischen Kampfzone den Sieg davonzutragen. Ein zeitloses Schlachtengemälde – das in diesen Monaten besonders fesselt. TOBIAS HEYL
JOAN DIDION: Demokratie. Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Karin Graf. Mit einem Nachwort von Antje Rávic Strubel. Claassen Verlag, Berlin 2007. 264 Seiten, 19,90 Euro.
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