Auf die Nachgeschichten der jüdischen materiellen Zeugnisse, vor allem der Sakralbauten, sollen hier die Fragen zielen und damit auf den Zustand und die Identität der beiden Nachfolgestaaten des Deutschen Reiches. Aus einer Beschreibung dieser Geschichten als Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte sind sicherlich kaum neue Erkenntnisse über die sich formierenden beiden deutschen Staaten zu gewinnen, aber ergänzende Einblicke, die sowohl auf lokalen Alltagsentscheidungen basieren als auch staatliches Agieren reflektieren. Die Nachgeschichten insgesamt sind im einzelnen Verlauf unterschiedlich, sie reichen von der "nachträglichen" Auslöschung stehen gebliebener Sakralbauten über deren Überbauung und Umnutzung bis zu ihrer Rekonstruktion. Diese Geschichte ist abhängig von den verschiedenen Phasen der Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialismus und der Erinnerungspolitik. Wenn nach der Achtung und dem Verbleib des jüdischen Kulturerbes nach 1945 gefragt wird, ist dieses Erbenie als ein von einer gemeinsamen deutschen Kultur abgespaltenes zu verstehen, sondern - trotz der unfassbaren Verbrechen an den jüdischen Bürgern - als integraler Bestandteil dieser Kultur. Die Missachtung und Vernichtung dieses Bestandteils amputierte die gemeinsame Kultur. Diese Verstümmelung und Eliminierung war in einem historisch bis dahin nicht gekannten Maße destruktiv, es waren aber gleichzeitig autodestruktive Akte.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Rezensentin Melanie Longerich hält Peter Seiberts Buch für dringend lesenswert. Wie unerhört sich der Umgang mit dem jüdischen Kulturerbe in beiden Teilen Deutschlands nach 1945 gestaltete, zeigt der Autor laut Longerich eindringlich und mit erschreckenden Zahlen. Mit Schwerpunkt auf den Jahren 1938 bis 1988 und auf dem Rheinland und Nordhessen erkundet Seibert laut Longerich einen "Mnemozid" sondergleichen. Synagogen wurden zu Ställen, Lokalen und Kinos umgewidmet, Erinnerung gezielt beziehungsweise geschichtsvergessen augelöscht. Ähnlich in der DDR. Wie es mit dem verbliebenen jüdischen Erbe weitergehen soll, weiß der Autor laut Longerich auch: Keinesfalls unter Federführung der nichtjüdischen Gesellschaft.
© Perlentaucher Medien GmbH
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