Etwas weniger des Guten wäre mehr gewesen
Siegfried Eckerts Loblied auf die Demut wirkt subjektiv glaubwürdig, zugleich aber leider auch intransigent und missionarisch. Schade, und gleichwohl einer näheren Betrachtung wert. Der Autor dieses Büchleins macht selbst keinen Hehl daraus, dass er es
als ein Bekenntnis seiner eigenen Person und zugleich für die Leser als Erbauungsliteratur konzipiert…mehrEtwas weniger des Guten wäre mehr gewesen
Siegfried Eckerts Loblied auf die Demut wirkt subjektiv glaubwürdig, zugleich aber leider auch intransigent und missionarisch. Schade, und gleichwohl einer näheren Betrachtung wert. Der Autor dieses Büchleins macht selbst keinen Hehl daraus, dass er es als ein Bekenntnis seiner eigenen Person und zugleich für die Leser als Erbauungsliteratur konzipiert hat (S. 24). Welchen Gewinn man daraus ziehen kann, hängt weniger vom Thema des Buches ab, als von der inneren Gestimmtheit seiner Leserinnen und Leser. Griffig geschrieben ist es allemal, man kann die Sprache eines herzensgebildeten Gemeindepfarrers genießen.
Hat nicht indes die Demut, diese Grundlagentugend, einen größeren Problemhorizont verdient? Wer, wie der Kommentator hier, selbst ein Buch über die „Dimensionen der Demut“ verfasst hat, ist darüber betrübt, wie eindimensional und wenig belesen Eckert sein Buch geschrieben hat. Selbst in einer rein theologischen Sicht ist es am Ende bedauerlich, dass der Autor die grundlegende Studie seines Kollegen Eckhard Zemmrich zur christlichen Demut nicht einbezogen hat. Dort hätte er sich deutlich machen können, dass die Demut im christlichen Glauben eben nur eine Glaubensdemut sein kann, eine Tugend aus dem Glauben heraus, nicht eine Tugend, die zum Glauben hinführt, wie Eckert meint (S. 29).
Eine philosophische, voraussetzungslose Demut, kann es im Kontext dieses kleinen Buches also nicht geben. Sie gilt Eckert als trostlos, weshalb er die sicherlich zu flache Gelassenheitsempfehlung des Bestsellerautors Wilhelm Schmid deutlich angreift. Zustimmen kann man hierbei seinem Satz, „Ich will mich in tieferer Weise gehalten wissen.“ (S. 11)
Aber, wie gesagt, die übergreifende Problemorientierung fehlt! So ist dann auch die Kritik am Zeitgeist zu schablonenhaft, es mangelt ihr an einem tieferen Verständnis für die Zwänge und Notwendigkeiten im historischen Wandel, für die unaufhaltsame Entfaltung der Produktivkräfte in Wissenschaft und Industrie und ebenso für den damit einhergehenden bürgerlich-emanzipatorischen Lebensentwurf. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde, jene zentrale Gestimmtheit der Menschenrechtsbewegung, ist problematisch, gewiss. Indes, sie lässt sich eben nicht ohne weiteres dem christlichen Demutsbegriff wie bei Eckert S. 42f. einverleiben. Religiöse Demut ist ihrem Sinn nach immer Unterwerfung.
Bei seinem Kollegen Hinrich Claussen (siehe Der Spiegel, Nr. 53 v. 2015) hätte er sich abschauen können, dass der Streit um das eine Wissen und um die eine Wahrheit am Ende unfruchtbar bleibt. Weil Claussen die Kritikwürdigkeit von Dogma und Mythos offen einräumt, wirkt sein Glaube ‚moderner‘, weniger abgestanden und für viele wohl auch glaubhafter. Während Eckert z. B. mechanisch anhand seines Demutsthemas die 10 Gebote durchdekliniert, um ihre Aktualität nachzuweisen, weiß Claussen um die Historizität des Mythos.
Ein selbstbestimmtes Leben führen zu wollen, vielleicht sogar zu müssen, ist zweifellos ein sehr anstrengender Lebensentwurf, und man kann Eckert durchaus zustimmen, dass es besser und sinnvoller ist, „gehalten“ zu sein, Gottvertrauen zu haben. Der Anspruch auf Ausschließlichkeit ist das Problem.
Welche Leser wird dieses Erbauungsbüchlein zur Demut erreichen? Laue Christen und die Nichtchristen sowieso werden es ziemlich rasch nicht angewidert, aber ungerührt zur Seite legen. Die Entschiedenen, die in einer festen traditionellen Glaubenspraxis Stehenden, wird es ‚im rechten Glauben‘ stärken – mit der Gefahr, entgegen Phil. 2,1-4 den Anderen in seinem Anderssein eben nicht tolerieren zu wollen.
Hermann-Otto Leng