In diesem Buch zeigen die Autoren in einem lesenswerten und unterhaltsamen Portrait der Politikberatung in Deutschland, wie lebendig die Wissenschaft ist und mit welcher Begeisterung und Überzeugung führende Ökonomen die Wirtschaftspolitik beraten. Zweiundzwanzig der bekanntesten ökonomischen Politikberater Deutschlands kommen darin zu Wort, berichten über ihre Arbeit und diskutieren zentrale Fragen der Politikberatung. Basis der individuellen Porträts, die dabei entstehen, sind Intensivinterviews, ein Workshop sowie Lebensläufe. Es entsteht eine Collage, die den Zustand, die Probleme und die Innenansicht der deutschen Politikberatung lebendig und unterhaltsam widerspiegelt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.08.2016Politikberatung
Frust und Erfolg der Wissenschaftler
In diesem Buch geben 22 deutschsprachige Ökonomen einen persönlichen Einblick in die von ihnen betriebene Politikberatung. Es zeigt, wie die Wirtschaftswissenschaftler über Politiker denken und wie sie Gehör finden. Frustrationen und Erfolgserlebnisse werden offen ausgesprochen und diskutiert. Dafür hatten sich die Beteiligten für zwei Tage in Magdeburg zur Reflexion getroffen. Entstanden ist ein Werk, das viele erhellende und manche überraschende Bekenntnisse enthält. Organisiert wurde diese "Elefantenrunde" von Kerstin Schneider von der Universität Wuppertal und Joachim Weimann von der Universität Magdeburg, die auch als Herausgeber des Bandes fungieren.
Wissenschaft und Politik lebten in einem permanenten Spannungsverhältnis, stellt Ronnie Schöb fest. Dass man die Ziele der beiden Bereiche klar trennen sollte, fordert Claudia Buch. Für Wolfgang Buchholz ist der Einfluss immer dann erstaunlich hoch, wenn das, was die Wissenschaftler empfehlen, bestimmten politischen Interessen zupasskomme. Christoph Schmidt berichtet von Politikern, die sich gar nichts sagen lassen wollen: "In einer Polit-Talkshow ging es um den Mindestlohn. Neben mir saß eine Gewerkschafterin, die gleichzeitig hohe SPD-Funktionärin ist. Also, mit ihr könnte man nie und nimmer vernünftig über die Argumente reden, weil sie sofort alles als gestrigen Neoliberalismus abtut."
Für Hans-Werner Sinn ist das Grundproblem, dass Politiker andere Beschränkungen haben als jene, die Ökonomen berücksichtigen. "Wenn Helmut Kohl gesagt hat, wir brauchen die Eins-zu-Eins-Umstellung, um wiedergewählt zu werden, dann ist der Wunsch, wiedergewählt zu werden, für einen Ökonomen nicht relevant. Denn würde er diese Beschränkungen berücksichtigen, dann käme er ja zu dem gleichen Urteil wie der Politiker und würde die Politiker nur als Person kritisieren können."
Für Friedrich Schneider ist klar: Wer sich dem Stimmen maximierenden Ziel eines Politikers nicht unterordnet sei als Berater draußen und habe gar keinen Einfluss mehr. Wolfgang Franz erinnert an den Einfluss der Ökonomen bei der "Agenda 2010": Das seien Erfolgserlebnisse, von denen man zehre.
Stefan Homburg verweist darauf, dass Politiker viel Angst haben: "Am ehesten vertrauen sie ihrem Apparat, denn von dem wissen sie, dass er loyal ist. Gegenüber Wissenschaftlern haben Politiker dagegen ein großes Misstrauen. Die sehen uns teilweise als Diven an - was ja auch berechtigt ist." Mehrere Ökonomen berichten in dem Band, dass die Debatte mit Ministerialbeamten oft fruchtbar ist.
Und welchen Politiker würde man sich als Gegenspieler wünschen? Wolfram Richter nennt Daniel Bahr und Karl Lauterbach, weil diese volkswirtschaftlich geschult seien, "aber für Politiken eintreten oder eingetreten sind, die ich für fragwürdig halte". Enttäuschung einerseits und Respekt andererseits schimmert durch, wenn es um Angela Merkel geht. Gesprochen wird mit allen Parteien, wobei AfD und FPÖ, wenn genannt, ausgenommen werden. Parteipolitisch engagiert ist nur Karl-Heinz Paqué, der als FDP-Finanzminister in Sachsen-Anhalt große Erfolge hatte, was ihm der Wähler jedoch nicht gedankt hat. Paqué ist auch in der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit aktiv.
Wie gehen die Ökonomen mit Kritik von Laien um? "Das sehe ich mit einer gewissen Gelassenheit", erklärt Carl Christian von Weizsäcker. Die Erwartungen an wissenschaftliche Beratungstätigkeit seien zu groß: "Die Entscheidungen, die zu fällen sind, sind situationsabhängig." Als Beispiel nennt von Weizsäcker den Euro: "Die Dinge haben sich nach der Einführung des Euros vollkommen anders entwickelt, als man das vorausgesehen hat. Und deshalb muss man heute Ratschläge geben, die möglicherweise ganz andere sind als diejenigen, die dieselben Personen gegeben haben, als man eine ganz andere Zukunft mit dem Euro vorhergesehen hat."
Martin Hellwig erklärt, wie unsicher Prognosen sind. "Das Thema der Fehlprognose wäre erheblich entschärft, wenn man Konfidenzintervalle angeben würde, zumindest für qualitative Prognosen." Dem stimmt Thiess Büttner zu, erlaubt sich aber auch den Hinweis, dass Volkswirte gar nicht so gut in der Prognose seien. Oft könne man mit einfachen statistischen Zeitreihenanalysen viel sauberer und einfacherer schätzen. "Niemand, auch wir nicht, kann die Zukunft richtig prognostizieren", gesteht Michael Burda, was Clemens Fuest ergänzt: "Man sollte immer klarmachen, dass das Szenarien sind."
Lars Feld sagt: "Mit der Kritik an Prognosen gehe ich offensiv um: Mittlerweile mache ich bei den meisten Vorträgen, in denen ich die aktuelle Prognose vorstelle, einen Witz darüber." Wolfgang Wiegards Lösung: "Wenn ich angesprochen werde, verweise ich darauf, dass ich die Zahl der Arbeitslosen für die nächsten beiden Tage relativ präzise voraussagen kann." Für Axel Börsch-Supan schließlich ist es "ein ganz großer Fehler unserer Profession, dass sie sich überhaupt auf diese Prognosen einlässt".
Alle Diskutanten wünschen sich eine bessere ökonomische Ausbildung: "In die Schulen zu gehen, das ist auf meiner Liste Punkt eins", berichtet Kai Konrad. Im Studium sei Schreiben inzwischen ein großes Defizit der Studierenden, informiert Justus Haucap: Die Studenten könnten Modelle aufschreiben, aber nicht interpretieren. "Sie können es auch nicht so aufschreiben, dass ein Nichtökonom versteht, was sie sagen wollen."
Friedrich Schneider bestätigt, dass sich viele Studierende nicht auf das Wesentliche konzentrieren können. Selbstkritisch fordert Friedrich Breyer, man solle als Lehrender nicht zu sehr in die esoterischen Fragen gehen. "Man sollte die Volkswirtschaftslehre nicht als Glasperlenspiel betreiben", ergänzt Alfons Weichenrieder.
JOCHEN ZENTHÖFER.
Kerstin Schneider / Joachim Weimann: Den Diebstahl des Wohlstands verhindern. Ökonomische Politikberatung in Deutschland - ein Porträt. Springer Gabler. Wiesbaden 2016. 220 Seiten. 29,99 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Frust und Erfolg der Wissenschaftler
In diesem Buch geben 22 deutschsprachige Ökonomen einen persönlichen Einblick in die von ihnen betriebene Politikberatung. Es zeigt, wie die Wirtschaftswissenschaftler über Politiker denken und wie sie Gehör finden. Frustrationen und Erfolgserlebnisse werden offen ausgesprochen und diskutiert. Dafür hatten sich die Beteiligten für zwei Tage in Magdeburg zur Reflexion getroffen. Entstanden ist ein Werk, das viele erhellende und manche überraschende Bekenntnisse enthält. Organisiert wurde diese "Elefantenrunde" von Kerstin Schneider von der Universität Wuppertal und Joachim Weimann von der Universität Magdeburg, die auch als Herausgeber des Bandes fungieren.
Wissenschaft und Politik lebten in einem permanenten Spannungsverhältnis, stellt Ronnie Schöb fest. Dass man die Ziele der beiden Bereiche klar trennen sollte, fordert Claudia Buch. Für Wolfgang Buchholz ist der Einfluss immer dann erstaunlich hoch, wenn das, was die Wissenschaftler empfehlen, bestimmten politischen Interessen zupasskomme. Christoph Schmidt berichtet von Politikern, die sich gar nichts sagen lassen wollen: "In einer Polit-Talkshow ging es um den Mindestlohn. Neben mir saß eine Gewerkschafterin, die gleichzeitig hohe SPD-Funktionärin ist. Also, mit ihr könnte man nie und nimmer vernünftig über die Argumente reden, weil sie sofort alles als gestrigen Neoliberalismus abtut."
Für Hans-Werner Sinn ist das Grundproblem, dass Politiker andere Beschränkungen haben als jene, die Ökonomen berücksichtigen. "Wenn Helmut Kohl gesagt hat, wir brauchen die Eins-zu-Eins-Umstellung, um wiedergewählt zu werden, dann ist der Wunsch, wiedergewählt zu werden, für einen Ökonomen nicht relevant. Denn würde er diese Beschränkungen berücksichtigen, dann käme er ja zu dem gleichen Urteil wie der Politiker und würde die Politiker nur als Person kritisieren können."
Für Friedrich Schneider ist klar: Wer sich dem Stimmen maximierenden Ziel eines Politikers nicht unterordnet sei als Berater draußen und habe gar keinen Einfluss mehr. Wolfgang Franz erinnert an den Einfluss der Ökonomen bei der "Agenda 2010": Das seien Erfolgserlebnisse, von denen man zehre.
Stefan Homburg verweist darauf, dass Politiker viel Angst haben: "Am ehesten vertrauen sie ihrem Apparat, denn von dem wissen sie, dass er loyal ist. Gegenüber Wissenschaftlern haben Politiker dagegen ein großes Misstrauen. Die sehen uns teilweise als Diven an - was ja auch berechtigt ist." Mehrere Ökonomen berichten in dem Band, dass die Debatte mit Ministerialbeamten oft fruchtbar ist.
Und welchen Politiker würde man sich als Gegenspieler wünschen? Wolfram Richter nennt Daniel Bahr und Karl Lauterbach, weil diese volkswirtschaftlich geschult seien, "aber für Politiken eintreten oder eingetreten sind, die ich für fragwürdig halte". Enttäuschung einerseits und Respekt andererseits schimmert durch, wenn es um Angela Merkel geht. Gesprochen wird mit allen Parteien, wobei AfD und FPÖ, wenn genannt, ausgenommen werden. Parteipolitisch engagiert ist nur Karl-Heinz Paqué, der als FDP-Finanzminister in Sachsen-Anhalt große Erfolge hatte, was ihm der Wähler jedoch nicht gedankt hat. Paqué ist auch in der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit aktiv.
Wie gehen die Ökonomen mit Kritik von Laien um? "Das sehe ich mit einer gewissen Gelassenheit", erklärt Carl Christian von Weizsäcker. Die Erwartungen an wissenschaftliche Beratungstätigkeit seien zu groß: "Die Entscheidungen, die zu fällen sind, sind situationsabhängig." Als Beispiel nennt von Weizsäcker den Euro: "Die Dinge haben sich nach der Einführung des Euros vollkommen anders entwickelt, als man das vorausgesehen hat. Und deshalb muss man heute Ratschläge geben, die möglicherweise ganz andere sind als diejenigen, die dieselben Personen gegeben haben, als man eine ganz andere Zukunft mit dem Euro vorhergesehen hat."
Martin Hellwig erklärt, wie unsicher Prognosen sind. "Das Thema der Fehlprognose wäre erheblich entschärft, wenn man Konfidenzintervalle angeben würde, zumindest für qualitative Prognosen." Dem stimmt Thiess Büttner zu, erlaubt sich aber auch den Hinweis, dass Volkswirte gar nicht so gut in der Prognose seien. Oft könne man mit einfachen statistischen Zeitreihenanalysen viel sauberer und einfacherer schätzen. "Niemand, auch wir nicht, kann die Zukunft richtig prognostizieren", gesteht Michael Burda, was Clemens Fuest ergänzt: "Man sollte immer klarmachen, dass das Szenarien sind."
Lars Feld sagt: "Mit der Kritik an Prognosen gehe ich offensiv um: Mittlerweile mache ich bei den meisten Vorträgen, in denen ich die aktuelle Prognose vorstelle, einen Witz darüber." Wolfgang Wiegards Lösung: "Wenn ich angesprochen werde, verweise ich darauf, dass ich die Zahl der Arbeitslosen für die nächsten beiden Tage relativ präzise voraussagen kann." Für Axel Börsch-Supan schließlich ist es "ein ganz großer Fehler unserer Profession, dass sie sich überhaupt auf diese Prognosen einlässt".
Alle Diskutanten wünschen sich eine bessere ökonomische Ausbildung: "In die Schulen zu gehen, das ist auf meiner Liste Punkt eins", berichtet Kai Konrad. Im Studium sei Schreiben inzwischen ein großes Defizit der Studierenden, informiert Justus Haucap: Die Studenten könnten Modelle aufschreiben, aber nicht interpretieren. "Sie können es auch nicht so aufschreiben, dass ein Nichtökonom versteht, was sie sagen wollen."
Friedrich Schneider bestätigt, dass sich viele Studierende nicht auf das Wesentliche konzentrieren können. Selbstkritisch fordert Friedrich Breyer, man solle als Lehrender nicht zu sehr in die esoterischen Fragen gehen. "Man sollte die Volkswirtschaftslehre nicht als Glasperlenspiel betreiben", ergänzt Alfons Weichenrieder.
JOCHEN ZENTHÖFER.
Kerstin Schneider / Joachim Weimann: Den Diebstahl des Wohlstands verhindern. Ökonomische Politikberatung in Deutschland - ein Porträt. Springer Gabler. Wiesbaden 2016. 220 Seiten. 29,99 Euro.
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