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Saul Friedländer, der Doyen der internationalen Holocaustforschung, zu wissenschaftlichen Perspektiven und persönlichen Motiven seiner Arbeit.
Saul Friedländer hat mit seiner zweibändigen Darstellung über »Das Dritte Reich und die Juden« im vergangenen Jahr ein vielfach preisgekröntes historiographisches Meisterwerk veröffentlicht. Der hier vorgelegte Band dokumentiert seine öffentlichen Vorträge und Gespräche als erster Gastprofessor des Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt stehen Fragen nach den Quellen, der Methodik und den Perspektiven der Holocaustforschung.…mehr

Produktbeschreibung
Saul Friedländer, der Doyen der internationalen Holocaustforschung, zu wissenschaftlichen Perspektiven und persönlichen Motiven seiner Arbeit.

Saul Friedländer hat mit seiner zweibändigen Darstellung über »Das Dritte Reich und die Juden« im vergangenen Jahr ein vielfach preisgekröntes historiographisches Meisterwerk veröffentlicht. Der hier vorgelegte Band dokumentiert seine öffentlichen Vorträge und Gespräche als erster Gastprofessor des Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt stehen Fragen nach den Quellen, der Methodik und den Perspektiven der Holocaustforschung. Aufschlussreiche Diskussionen mit Kollegen und Nachwuchsforschern bieten darüber hinaus neue Einblicke in die Biographie Saul Friedländers, der versteckt in einer Klosterschule in Frankreich den Holocaust überlebte.
Autorenporträt
Saul Friedländer, geb. 1932 in Prag, ist Professor an der University of California in Los Angeles. Für »Die Jahre der Verfolgung« (1998), den ersten Band seiner in viele Sprachen übersetzten Darstellung »Das Dritte Reich und die Juden«, erhielt er den Geschwister-Scholl-Preis. 2006 erschien der abschließende zweite Band »Die Jahre der Vernichtung«, für den er mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2007 ausgezeichnet wurde. 2007 wurde er außerdem mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.10.2007

Jenseits aller Dimensionen
Friedländers Blick aus der Opferperspektive auf den Holocaust
In seinem Opus magnum „Die Jahre der Vernichtung” – ein Forschungsprojekt, an dem er 16 Jahre arbeitete – hat Saul Friedländer eine ganz neue Erzählform gefunden: Er wirft einen mikroskopisch genauen Blick auf die Mordhandlungen und rückt sie in einen großen internationalen Kontext. Das ist der wohl anspruchsvollste Versuch, den Judenmord zu verstehen. Nie zuvor sind die Perspektiven von Täter- und Opfergeschichte historiographisch so integral zusammengeknüpft worden. Der Holocaust lässt ihn seit seinen Kindheitstagen nicht in Ruhe. Wie sollte er auch? Er selbst, dessen Eltern 1942 aus dem Vichy-Frankreich verschleppt und in Auschwitz ermordet wurden, überlebte, streng katholisch erzogen, in einem französischen Internat. Pavel Friedländer, wie er damals hieß, war im Krieg Priesterschüler, doch nach seiner Befreiung wurde aus dem christkatholischen Paulus der zionistische Jude Saulus.
Seitdem befindet sich der in den USA und Israel lehrende Historiker in einer Doppelrolle – als Forscher und als Überlebender des Holocaust. Und seit langem beschäftigt ihn die grundsätzliche Frage, welcher Sprache sich ein Holocaust-Forscher zu bedienen habe. Das Dilemma steckt im Forschungsgegenstand selbst, der sich jenseits aller fassbaren Dimensionen allein in einer sachlichen, technischen, bürokratischen Sprache fassen lässt. Gleichwohl kann man über den Holocaust nicht schreiben wie über die Entwicklung der Getreidepreise. Doch Friedländer ist nie empfindungslos.
Friedländer ist ein Chronist, er schreibt über sein Genre, wie ein Filmemacher seine Bilder schneidet, er kompiliert, nimmt sich zurück und bleibt doch präzise. Für ihn die einzig mögliche Methode. Seine Darstellung ist kenntnisreich analysierend, elegant und mit humaner Diktion geschrieben – das Thema ist ihm Lebensaufgabe. Und das Ergebnis ragt – auch sprachlich – aus der historiographischen Fülle heraus – eine Gesamtgeschichte des Holocaust.
Friedländer gibt einen Bericht, in dem zwar die politischen Maßnahmen der Nazis das zentrale Element bilden, in dem aber zugleich die umgebende Welt sowie die Einstellungen, die Reaktionen und das Schicksal der Opfer einen untrennbaren Bestandteil der sich entfaltenden Katastrophe bilden. Nie verliert der Autor den Blick von der Opferperspektive: Die einzig konkrete Geschichte, die sich bewahren lässt, so Friedländer, bleibe diejenige, die auf persönlichen Erzählungen beruhe. Den Opfern gibt er eine Stimme. Vom Stadium des kollektiven Zerfalls bis zu dem des Abtransports und des Todes stellt Friedländer diese Geschichte, damit sie überhaupt geschrieben werden kann, als die zusammenhängende Erzählung individueller Schicksale dar.
Und bei all dem lässt Friedländern den Akteuren, auch den jüdischen Protagonisten, mit ihren tragischen Fehlern und Verstrickungen historische Gerechtigkeit widerfahren. Dabei hält er den Leser mit raschen Perspektivwechseln in Atem, mit abrupten Schnitten wechselt er von einem Handlungsort zum anderen, Täter und Opfer stehen sich immer wieder direkt und unausweichlich gegenüber. Für Friedländer besteht das Ziel des historischen Wissens darin, die Fassungslosigkeit zu domestizieren, sie wegzuerklären. Das ist ihm in hohen Maße gelungen, ohne dabei das „Primärgefühl der Fassungslosigkeit”, aber auch die nüchterne Gründlichkeit zu verlieren.
Friedländer beklagt zu Recht, dass bislang die jüdische Dimension in allgemeinen Untersuchungen über diese Epoche kaum einbezogen wurde. Und wenn in der hauptsächlich nichtjüdisch orientierten Geschichtsschreibung darauf angespielt wird, gibt es die Tendenz, vorwiegend auf institutionell-kollektives jüdisches Verhalten einzugehen. Die ungelenken Tagebuchnotizen des zwölfjährigen Dawid Rubinowicz aus Kielce, der beschreibt, wie auf der Straße zwei Juden erschossen werden, mögen als Quelle, als Einfühlung in die Ereignisse eindrücklicher erscheinen als beispielsweise die hochstilisierten, großartigen Tagebücher des Victor Klemperer. Will sagen: Auf dieser Mikroebene ist ein großer Teil der Geschichte eine Geschichte von Individuen. Der einzige Ansatz, der Friedländer in einer integrierten Geschichte des Holocaust möglich erscheint, muss die Thematisierung der Juden unmittelbar ins Zentrum der Weltanschauung des Regimes und seiner Strategien rücken.
Am kommenden Sonntag erhält Friedländer den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Mit dieser Auszeichnung, so mögen einige Juroren gedacht haben, sollte dem Preisträger zugleich die Gelegenheit zuteil werden, die Frankfurter Paulskirche von einer anderen dort aus gleichem Anlass gehaltenen Rede reinzuwaschen. LUDGER HEID
SAUL FRIEDLÄNDER: Den Holocaust beschreiben. Auf dem Weg zu einer integrierten Geschichte. Wallstein Verlag, Göttingen 2007. 173 Seiten, 15 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Die äußerst lesenswerte Textsammlung dokumentiert Interviews, Aufsätze und interdisziplinäre Werkstattgespräche, die anlässlich eines Kolloquiums an der Universität Jena mit dem Friedenspreisträger Saul Friedländer entstanden sind, informiert uns Rezensent Matthias Arning. Die verschiedenen Perspektiven und Methoden der Holocaustforschung kreisen um das Konzept der "integrierten Geschichte", die den Versuch unternimmt, "die Juden Europas wieder in die Geschichte ihrer Verfolgung und Vernichtung zurückzuholen", die Archive aus Sicht der Opfer auszuwerten und ihre Geschichte zu erzählen, erklärt Arning. Er empfiehlt, den schmalen Band als Ergänzung zu Friedländers Hauptwerk "Das Dritte Reich und die Juden 1939-1945" zu lesen, weil das offen gehaltene Skizzenbuch die Möglichkeit neuer Fragestellungen und Dialoge bereithalte.

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