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Dem Islam wird oft nachgesagt, er habe den Anschluss an Moderne und Aufklärung verpasst - ein Irrtum, wie Katajun Amirpur in ihrem eindrucksvollen Buch zeigt. Sie stellt die einflussreichsten Erneuerer des Islams vor, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen und dabei immer mehr Anhänger in Orient und Okzident finden. Sie wollen die Deutungshoheit über den Islam nicht den Fundamentalisten überlassen und setzen dem Dschihad gegen die Ungläubigen ihren eigenen Dschihad für mehr Freiheit und die Gleichberechtigung der Geschlechter entgegen. Zur Sprache kommen unter anderem der…mehr

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Produktbeschreibung
Dem Islam wird oft nachgesagt, er habe den Anschluss an Moderne und Aufklärung verpasst - ein Irrtum, wie Katajun Amirpur in ihrem eindrucksvollen Buch zeigt. Sie stellt die einflussreichsten Erneuerer des Islams vor, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen und dabei immer mehr Anhänger in Orient und Okzident finden. Sie wollen die Deutungshoheit über den Islam nicht den Fundamentalisten überlassen und setzen dem Dschihad gegen die Ungläubigen ihren eigenen Dschihad für mehr Freiheit und die Gleichberechtigung der Geschlechter entgegen. Zur Sprache kommen unter anderem der ägyptische Korangelehrte Abu Zaid, der durch die Zwangsscheidung von seiner Frau bekannt wurde, und die amerikanische Frauenrechtlerin Amina Wadud, die mit der Leitung eines Freitagsgebets - als erste Frau überhaupt - weltweit Aufsehen erregte. Ihre auf dem Koran gründenden Überlegungen zu einer gerechten politischen Teilhabe aller Menschen können, so zeigt das Buch, auch für Nicht-Muslime höchst anregend sein.
Autorenporträt
Katajun Amirpur, geboren 1971, ist Professorin für Islamische Studien an der Universität Hamburg. Sie schreibt zudem als Journalistin regelmäßig für große Zeitungen und Zeitschriften.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Katajun Amirpurs Buch über das islamische Reformdenken findet die hier rezensierende Soziologin Necla Kelek durchaus interessant. Allerdings wiederholt schon der Klappentext eine Ansicht, die in ihren Augen ein Missverständnis darstellt: die Auffassung nämlich, es gebe wirklich einen modernen Islam, der mit den Gedanken der Demokratie und Gleichberichtigung der Geschlechter vereinbar wäre. Amirpurs Überblick über das islamische Reformdenken und ihre Porträts von einigen zeitgenössischen islamischen Theologen und Theologinnen findet sie aufschlussreich, auch wenn sie einzelne politische Auffassungen der Autorin nicht teilen mag und sogar für unverständlich hält. Aus dem Buch spricht für Kelek letztlich "Wunschdenken". Denn für sie ist klar: das von Amirpur vorgestellte islamische Reformdenken spielt in der Wirklichkeit der islamischen Welt so gut wie keine Rolle. Entfalten kann es sich nur im Exil, in den säkularen Demokratien.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.06.2013

Das individuelle Bemühen, ein gottgefälliges Leben zu führen?
Einblick in das moderne islamische Reformdenken: Katajun Amirpur porträtiert Theologen, die häufig genug am Rand oder auf verlorenem Posten stehen

Schon der Klappentext des Buches von Katajun Amirpur beginnt mit genau dem Missverständnis, das sich durch die gesamte Islamdebatte zieht und gegen das die Autorin zu argumentieren versucht. Dort heißt es: "Es gibt ihn doch, den modernen Islam, der für die Gleichberechtigung der Geschlechter, Demokratie, Freiheit, religiöse Toleranz und die Menschenrechte eintritt und sich dabei auf den Koran beruft." Wer das Buch liest, findet genau dies nicht bestätigt.

Genauer wäre die Beschreibung gewesen, dass es muslimische Vordenker gibt, die ihre Religion nur dann richtig interpretiert und gelebt sehen, wenn sie sich mit der Demokratie versöhnt. Auch der Untertitel "Dschihad für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte" ist missverständlich, wehrt sich die Autorin doch dagegen, Dschihad als Heiligen Krieg oder Kampf zu definieren, sondern sieht ihn als "das individuelle Bemühen darum, ein gottgefälliges Leben zu führen".

Katajun Amirpur, erste deutsche Professorin auf einem Lehrstuhl für islamische Studien, schreibt schon seit Jahren über die islamischen Reformdenker des zwanzigsten Jahrhunderts. Jetzt stellt sie dar, wie es um das Bemühen steht, den "Islam neu zu denken". Vier der sechs porträtierten Muslime können nicht in islamisch regierten Ländern leben, weil ein offener Diskurs über religiöse Fragen dort nicht möglich ist. Allesamt sind sie Dissidenten oder "Islamkritiker".

Verhandelt werden vornehmlich Gelehrte des zwanzigsten Jahrhunderts - und nur insoweit mit historischen Positionen verglichen wie denen der Mu'taziliten, wie diese von den Autoren aufgenommen und bearbeitet wurden. Den Beginn des "islamischen Reformismus" macht die Autorin an den Gründervätern der salafistischen Bewegung al Afghani und Rida fest, die der Auffassung waren, "der ,reine' und ,unverfälschte' Islam" habe "alle Antworten auf die Fragen der Moderne" parat. Sie hielten den Islam für eine rationale Religion, die Vernunft und Fortschritt vereine und die adäquate Antwort auf den europäischen Kolonialismus sei.

Die politischen Erben dieser Bewegung des ideologischen Islam sind die Muslimbrüder, die Salafisten sowie die Herrschaft der Rechtsgelehrten in Iran seit Chomeini. Die erste Reform des neuen Denkens im Islam wurde zur reaktionären Ideologie. Nach diesem Vorspiel und einem Gang durch die aktuelle Diskussion bis zu Tariq Ramadan, dem Amirpur sehr verharmlosend guten Willen und Einfühlungsvermögen unterstellt, ist auffällig, wie sehr die Autorin Kritik vermeidet. So hält sie zum Beispiel das von Tariq Ramadan vorgeschlagene "Moratorium" für "eine sinnvolle Hilfskonstruktion", ohne den Umstand zu erwähnen, dass es bei diesem Moratorium um die schariagemäße Steinigung wegen fitna, Ehebruch, ging.

Trotz einiger politisch unverständlicher Positionen bietet das Buch einen gut zu lesenden Überblick über das zeitgenössische Denken islamischer Theologen. Da ist der Ägypter Nasr Hamid Abu Zaid (1943 bis 2001), der darauf bestand, den Koran im Kontext seiner historischen Entstehung zu lesen und die Position der Mu'tazliliten vertrat, die schon im neunten Jahrhundert erkannten, dass es einen freien Willen gibt und Vernunft und Glaube vereinbar seien. Er wandte sich gegen die Rechtsschule der Schafiiten, die seiner Meinung nach dafür verantwortlich war, dass der Islam erstarrte. Abu Zaid wurde wegen Gotteslästerung zwangsweise geschieden und musste nach Holland flüchten.

Auch der 1919 im heutigen Pakistan geborene Fazlur Rahman bezog sich auf die "Geschaffenheit des Koran" und versuchte die Wahrheit hinter dem Text zu sehen; er geriet damit bei den Vertretern des "Rechtsislam" in Verruf. Amina Wadud dagegen war von Anfang eine Dissidentin. Die Tochter eines methodistischen Pfarrers konvertierte, wie sie selbst sagt, eher zufällig vom Buddhismus zum Islam und wurde die erste Frau, die 2005 ein öffentliches Freitagsgebet leitete. Ihre Bücher und Veröffentlichungen wenden sich gegen das Patriarchat, sie fordert die Frauen auf, sich den Koran selbst anzueignen. Die Begründerin der "Sisters of Islam" ist so etwas wie eine feministische Bürgerrechtlerin des Islam. Die gebürtige Pakistanerin und heute in den Vereinigten Staaten lebende Asma Barlas vertritt ebenfalls die Position, dass Frauenunterdrückung im Widerspruch zum Koran steht, und wendet sich gegen den Begriff "Feminismus", weil er für sie wie viele andere islamkritische Ansätze zu säkular, sprich zu westlich ist.

Einer, der nicht in der Diaspora leben muss, ist der iranische Reformdenker Abdolkarim Soroush. Zunächst auf der Seite Chomeinis tätig, setzte er sich mit westlichen Positionen wissenschaftlichen Denkens auseinander und geriet in Widerspruch zum Regime. Er hält die Ideologisierung der Religion für den schlimmsten Fehler; die "Wandelbarkeit der religiösen Erkenntnis" dagegen für unabdingbar, denn mit dem Stand der Wissenschaften "verändere sich die Erkenntnis des Menschen von seiner Religion." Vor allem protestantische Denker aus Deutschland wie Paul Tillich und Karl Barth haben den schiitischen Geistlichen Shabestari in seiner Lehre beeinflusst. Mit einer eigenen Ethik versucht er für einen spirituellen und gegen einen "Rechtsislam" zu wirken, auch wenn er damit in Iran auf verlorenem Posten steht.

Trotz der sehr unterschiedlichen wissenschaftlichen Agenda der Porträtierten werden doch gemeinsame theologische Positionen deutlich. Alle Vordenker akzeptieren, dass - wie Abu Zaid es formuliert - "der Koran, den wir lesen und interpretieren (. . .) nicht mit dem ewigen Wort Gottes identisch (ist)". Jeder Einzelne plädiert für die Verantwortung des Individuums, anstatt die Umma zu preisen, wendet sich gegen die Ausgrenzung von Frauen und hält die Trennung von Staat und Religion für geboten.

Katajun Amirpur präsentiert mit ihrem Buch eine Art Hermeneutik des islamischen Wunschdenkens. Denn auch wenn hier auf hohem theologischen Niveau argumentiert wird, hat dieses neue Denken in der Realität der islamischen Welt bisher wenig Wirkung gezeigt. Selbst wenn diese Denker durch das Internet nicht mehr komplett ausgegrenzt werden können, findet der Diskurs - mit Ausnahme einer Fakultät in Ankara - weder an islamischen Hochschulen noch im Verbandsislam in Europa, sondern ausschließlich in der Diaspora unter Dissidenten statt. "Das Neue kommt von der Peripherie", tröstet Abu Zaid die Verzagten.

Und so bleibt die Erkenntnis, dass im Widerspruch zum Titel des Buches nicht der Islam einen Dschihad für die Freiheit führt, sondern die säkulare Demokratie: Denn sie schafft erst die Voraussetzung für die Freiheit der Muslime, "den Islam" neu denken zu können.

NECLA KELEK

Katajun Amirpur: "Den Islam neu denken". Der Dschihad für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte.

Verlag C. H. Beck, München 2013. 256 S., geb., 14,95 [Euro].

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