Die große Biographie über eine Theater-Ikone
Er gilt als der Gustaf Gründgens der DDR - und doch war Wolfgang Langhoff ein Ungeliebter in diesem Staat, der nicht zuletzt Gelehrten- und Künstlerrepublik hatte sein wollen. In ihrer brillant erzählten Biographie zeichnet Esther Slevogt das bewegende Porträt eines zwischen Kunst und Politik zerrissenen Theaterstars. Und entfaltet das Panorama seines nicht minder zerrissenen Landes.
Theatermacher, Kulturfunktionär und Held des antifaschistischen Widerstands: Wolfgang Langhoff, 1901 in Berlin geboren und Vater der bekannten Regisseure Matthias und Thomas Langhoff, war eine der schillerndsten und einflussreichsten Theaterpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Nach dem Ersten Weltkrieg Freikorpskämpfer gegen die Bolschewisten - und Jungschauspieler in antibürgerlicher Dandy-Pose. In der Weimarer Republik von den Bürgern Düsseldorfs in den Titelrollen deutscher Klassiker gefeiert - und von den Arbeitern umjubelter Leiter derAgitprop-Theatergruppe »Nordwest Ran«. Immer auf der Suche nach dem Theater für ein gutes Deutschland.
Aber dann übernimmt der Terror die Macht. Und der Bühnenheld wird einer der ersten KZ-Häftlinge. Im Schweizer Exil schreibt Langhoff darüber seinen berühmten Bericht »Die Moorsoldaten« - ein Welterfolg. Und folgt 1946 voller Idealismus dem Ruf nach Ost-Berlin. Als Intendant des Deutschen Theaters scheint er endlich angekommen im besseren Teil Deutschlands. Doch der Terror lässt ihn nicht los.
Differenziert und anschaulich erschließt Esther Slevogt ein Künstlerleben im 20. Jahrhundert, das zwischen die ideologischen Fronten in Kunst und Politik gerät. Und porträtiert damit nicht zuletzt das Scheitern des kommunistischen Traums.
Er gilt als der Gustaf Gründgens der DDR - und doch war Wolfgang Langhoff ein Ungeliebter in diesem Staat, der nicht zuletzt Gelehrten- und Künstlerrepublik hatte sein wollen. In ihrer brillant erzählten Biographie zeichnet Esther Slevogt das bewegende Porträt eines zwischen Kunst und Politik zerrissenen Theaterstars. Und entfaltet das Panorama seines nicht minder zerrissenen Landes.
Theatermacher, Kulturfunktionär und Held des antifaschistischen Widerstands: Wolfgang Langhoff, 1901 in Berlin geboren und Vater der bekannten Regisseure Matthias und Thomas Langhoff, war eine der schillerndsten und einflussreichsten Theaterpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Nach dem Ersten Weltkrieg Freikorpskämpfer gegen die Bolschewisten - und Jungschauspieler in antibürgerlicher Dandy-Pose. In der Weimarer Republik von den Bürgern Düsseldorfs in den Titelrollen deutscher Klassiker gefeiert - und von den Arbeitern umjubelter Leiter derAgitprop-Theatergruppe »Nordwest Ran«. Immer auf der Suche nach dem Theater für ein gutes Deutschland.
Aber dann übernimmt der Terror die Macht. Und der Bühnenheld wird einer der ersten KZ-Häftlinge. Im Schweizer Exil schreibt Langhoff darüber seinen berühmten Bericht »Die Moorsoldaten« - ein Welterfolg. Und folgt 1946 voller Idealismus dem Ruf nach Ost-Berlin. Als Intendant des Deutschen Theaters scheint er endlich angekommen im besseren Teil Deutschlands. Doch der Terror lässt ihn nicht los.
Differenziert und anschaulich erschließt Esther Slevogt ein Künstlerleben im 20. Jahrhundert, das zwischen die ideologischen Fronten in Kunst und Politik gerät. Und porträtiert damit nicht zuletzt das Scheitern des kommunistischen Traums.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.12.2011Die Partei ist mein besseres Leben
Der Schauspieler und Regisseur Wolfgang Langhoff wollte Marx und Goethe zusammenbringen und glaubte, nichts anderes wolle auch die SED.
Esther Slevogt bringt den Lesern ein Leben eindrucksvoll nahe, das uns schon nahezu unverständlich geworden ist Von Jens Bisky
Im Januar 1935 erschien in Zürich das Buch eines emigrierten deutschen Schauspielers: „Die Moorsoldaten. 13 Monate Konzentrationslager. Unpolitischer Tatsachenbericht“. Die erste Auflage war binnen drei Tagen verkauft, weitere Auflagen folgten ebenso rasch wie Übersetzungen. Das Faksimile einer handschriftlichen Erklärung beglaubigte, was hier über den Staatsterror des „Dritten Reiches“ berichtet wurde: „Ich bin geboren am 6. Oktober 1901 in Berlin. Mein Vater ist Mecklenburger, die Mutter aus Thüringen. Ich bin Arier. Mit 18 Jahren wurde ich Schauspieler. Ich spielte als jgdl. Held in Königsberg, Hamburg, Berlin, Wiesbaden und Düsseldorf. Jetzt bin ich am Zürcher Schauspielhaus. Zwischen Düsseldorf und Zürich liegen für mich 13 Monate Haft und Konzentrationslager. – Darüber gebe ich hier Bericht ab. Ich schwöre, die reine Wahrheit zu sagen. Wolfgang Langhoff“.
Nach dem Krieg und einigen Monaten in Düsseldorf ging Wolfgang Langhoff nach Berlin und übernahm die Leitung des Deutschen Theaters in der Schumannstraße. Hier zeigte er, wie man Marx und Goethe zusammenbringen, wie sozialistisches Theater beschaffen sein könne, und doch schurigelten ihn aus großen wie kleinen Anlässen die SED-Funktionäre, die eigenen Genossen verlangten immer wieder Unterwerfung. Siebzehn Jahre hielt er aus, ohne in seiner Treue zur Partei grundsätzlich irre zu werden. Die aber vergaß ihm nichts, und als er mit der Aufführung von „Die Sorgen und die Macht“ des Junggenies Peter Hacks wiederum neben der Parteilinie gelegen hatte, demütigte das Politbüro den kranken, verdienten Genossen. Er starb drei Jahre später.
Es ist eine vertraute Geschichte: Kommunistische Parteien funktionieren auf diese Weise, sie müssen, um den Preis ihres Untergangs, stets neue Abweichler und Verräter in den eigenen Reihen aufspüren, Loyalitätsbekundungen erpressen. Wolfgang Langhoff leistete die verlangte Selbstkritik auch im letzten Kampf mit der SED, im Frühjahr 1963. Sein ganzes Sinnen und Trachten, sagte er, sei der „Partei, ihrer Einheit und Geschlossenheit, der Stärkung ihrer Kampfkraft gewidmet“ gewesen. Wollte er sein Theater retten, endlich Ruhe gewinnen oder war er ein reuiger Sünder, der aufs Neue den Weg zum rechten Glauben suchte? War er gescheitert, wenn seine künstlerischen Ansichten dem kulturpolitisch Gewünschten widersprachen? Warum ließ er sich das gefallen?
Diese Welt ist uns fern gerückt, sie war schon den DDR-Kindern in den achtziger Jahren fremd, und heute ist sie beinahe unverständlich geworden. Wer jedoch Esther Slevogts Langhoff-Biographie „Den Kommunismus mit der Seele suchen“ gelesen hat, der wird ihren Helden und seine Handlungen verstehen oder doch nicht mehr ganz unbegreiflich finden. Er muss sie deshalb nicht gutheißen, den Schauspieler, Regisseur und Intendanten nicht heilig sprechen. Esther Slevogt, die in Berlin als Theaterkritikerin arbeitet, macht aus ihrer Distanz zu Langhoff keinen Hehl. Aber sie bringt die seltene Bereitschaft mit, Konflikte auch dann ernst zu nehmen, wenn sie nicht mehr die unseren sind. Sie kommentiert ihren Helden, aber sie fährt ihm nicht über den Mund. Sie hätte es sich einfacher machen, zu den Deutungsangeboten aus der Zeit des Kalten Krieges oder zu einer der kommunistischen Rechtfertigungslegenden greifen können. Statt dessen hat sie, auch im Gespräch mit den Söhnen Thomas und Matthias Langhoff, Stationen der Lebensgeschichte genau recherchiert, und sie versteht es, diese so zu erzählen, dass der Eindruck innerer Folgerichtigkeit entsteht.
Wolfgang Langhoff ist siebzehn und Marine-Kadett, als die Welt der Väter zusammenbricht. 1919 schließt er sich dem Freikorps von Medem an, das im Baltikum gegen die Bolschewiken kämpft. Er hat das später mit Abenteuerlust, „Erlebnisdrang“ erklärt und in einem Lebenslauf für die Kaderakte berichtet, dass er nach wenigen Monaten ins Lazarett gekommen sei. Wie dem auch sei: am Neuen Schauspielhaus in Königsberg werden Statisten gesucht, Langhoffs Theaterkarriere beginnt. Als ein Regisseur sich mit seinem Hauptdarsteller zerstritt, kam, so die Legende, seine Chance. Mit 21 Jahren wurde er – mittelgroß, blond, mit scharf geschnittenem Profil, einem verbreiteten Jünglingsideal gleichend – Schauspieler. 1924 holt man ihn nach Wiesbaden, 1928 ans Schauspielhaus Düsseldorf. Das ist ein Künstlertheater, geführt von Louise Dumont und Gustav Lindemann. Der Glaube, dass Kunst und Theater die Welt bessern könne, hat hier eine starke Bastion. Auch Langhoff teilt ihn, engagiert sich aber bald schon für die Kommunisten. 1930 nimmt er an einem Kongress der „Interessengemeinschaft für Arbeiterkultur“ teil.
Jahrzehnte später, als seine Vita schon Vorbildfunktion erfüllen sollte, erzählte Langhoff dem Berliner Rundfunk , er sei zur Arbeiterklasse gekommen, „weil ich in ihr die Garantie dafür fand, dass alles, was schön, groß und wahr und edel am deutschen Denken ist, nur durch die Arbeiterklasse Wirklichkeit werden konnte und kraftlos in den Händen des Bürgertums zerfiel.“ Der unbedingte Idealismus und das Misstrauen in den Geschäftsgang der bürgerlichen Welt sind entscheidend für seine politische Radikalisierung. Mit jungen Arbeiterinnen und Arbeitern gründet Langhoff 1930 die Agitpropgruppe „Nordwest ran“ und führt fortan eine „Doppelexistenz als bürgerlicher Theaterstar und kommunistischer Künstler“. Beides wird er bleiben.
Die unauflösbare Bindung an die Partei entsteht erst im „Dritten Reich“. Der kommunistische Schauspieler wird am Abend des 28. Februar 1933, ein Tag nach dem Reichstagsbrand, verhaftet. Wochen sitzt er im Düsseldorfer Gefängnis „Ulmer Höh’“. Als die SS-Leute aus der Wachmannschaft abgezogen werden, möchten sie sich „zum Abschied etwas gönnen“, prügeln und misshandeln ihn eine Nacht lang. Man habe ihn „zu einem haltlosen, stammelnden Lebewesen gemacht“. Mitte Juli kommt er in das KZ Börgermoor und erlebt dort die Selbstbehauptung der kommunistischen Häftlinge. Langhoff wird beauftragt, eine „KZ-Revue“ zu organisieren, eine „Kulturveranstaltung“, auf der auch das „Moorsoldatenlied“ erklingt. Diese Erfahrung bleibt, in seinem Bericht stilisiert er sie: unter dem Druck des übermächtigen, brutalen Feindes entsteht eine kommunistische Solidargemeinschaft.
Auch in Zürich, wohin er nach der Freilassung 1934 flieht, lässt er die Parteiarbeit nicht. Als ihm 1946, gegen den Willen Walter Ulbrichts, das Deutsche Theater angetragen wird, scheint sich endlicher der Traum vom sinnerfüllten, starken Leben zu erfüllen. Aber rasch gerät er in die Mühlen des Kalten Krieges und der Parteisäuberungen.
Esther Slevogt bietet an vielen Stellen wenig Bekanntes: Detailliert schildert sie die Schicksale der Düsseldorfer Kommunisten und der großen Theaterleute das Jahrhunderts; sie verteidigt den Direktor des Schauspielhauses Zürich, Ferdinand Rieser, gegen üble Nachrede, es sei ihm, als er den Emigranten half, lediglich ums Geschäft gegangen; sie erzählt, wie es zur Trennung von Jürgen Fehling kam, der Langhoff und die sowjetische Kulturpolitik beschimpft hatte und das mit antisemitischen Äußerungen garnierte. Neben Nachrichten über Schauprozesse im Ostblock, die auch die Westemigranten in der DDR in Gefahr brachten, stellt sie kurze Berichte über Kommunisten in Westdeutschland, etwa über Hanna Eggerath, die 1954 wegen ihrer FDJ-Aktivitäten einen Monat im Gefängnis „Ulmer Höh’“ einsitzt. Als man gegen Langhoffs Freund Marcel Frenkel von der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ ermittelt, bittet der Düsseldorfer Oberstaatsanwalt um Ablösung. Er hatte, nicht lange zuvor, Strafverfahren wegen „Rassenschande“ geleitet und fürchtet nun, dass dadurch die Ermittlungen gegen den kommunistisch-jüdischen Wiedergutmachungsspezialisten Frenkel gefährdet werden könnten. In der DDR wird 1956 Langhoffs Freund Fritz Sperling entlassen. Er berichtet von schwerer Folter und will doch der Partei nicht schaden. Nachfragen seiner Freunde werden vom MfS abgewimmelt.
Eine der erfolgreichsten Regie-Arbeiten Langhoffs ist die Inszenierung eines Revolutionsdramas aus dem Jahr 1924: „Sturm“ von Wladimir Bill-Bjelozerkowski. 1957 funktioniert der Kommunismus als Menschheitstraum auf der Bühne des Deutschen Theaters. Die Frage, wie viel Kraft ihm im Leben noch zuzutrauen sei, verstummte unter den Ritualen.
Esther Slevogt
Den Kommunismus mit der Seele suchen. Wolfgang Langhoff – ein deutsches Künstlerleben im 20. Jahrhundert
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011.
494 Seiten, 26,99 Euro.
Er glich dem Jünglingsideal
der Zeit: Mittelgroß, blond,
scharf geschnittenes Profil
Der Antikommunismus West
erleichtert Treuebekundungen
im Osten
Es war sein Haus, siebzehn Jahre lang war er hier Intendant: Wolfgang Langhoff (1901-1966) im Jahr 1954 vor dem Deutschen Theater in der Ost-Berliner Schumannstraße. Foto: Ullstein
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Der Schauspieler und Regisseur Wolfgang Langhoff wollte Marx und Goethe zusammenbringen und glaubte, nichts anderes wolle auch die SED.
Esther Slevogt bringt den Lesern ein Leben eindrucksvoll nahe, das uns schon nahezu unverständlich geworden ist Von Jens Bisky
Im Januar 1935 erschien in Zürich das Buch eines emigrierten deutschen Schauspielers: „Die Moorsoldaten. 13 Monate Konzentrationslager. Unpolitischer Tatsachenbericht“. Die erste Auflage war binnen drei Tagen verkauft, weitere Auflagen folgten ebenso rasch wie Übersetzungen. Das Faksimile einer handschriftlichen Erklärung beglaubigte, was hier über den Staatsterror des „Dritten Reiches“ berichtet wurde: „Ich bin geboren am 6. Oktober 1901 in Berlin. Mein Vater ist Mecklenburger, die Mutter aus Thüringen. Ich bin Arier. Mit 18 Jahren wurde ich Schauspieler. Ich spielte als jgdl. Held in Königsberg, Hamburg, Berlin, Wiesbaden und Düsseldorf. Jetzt bin ich am Zürcher Schauspielhaus. Zwischen Düsseldorf und Zürich liegen für mich 13 Monate Haft und Konzentrationslager. – Darüber gebe ich hier Bericht ab. Ich schwöre, die reine Wahrheit zu sagen. Wolfgang Langhoff“.
Nach dem Krieg und einigen Monaten in Düsseldorf ging Wolfgang Langhoff nach Berlin und übernahm die Leitung des Deutschen Theaters in der Schumannstraße. Hier zeigte er, wie man Marx und Goethe zusammenbringen, wie sozialistisches Theater beschaffen sein könne, und doch schurigelten ihn aus großen wie kleinen Anlässen die SED-Funktionäre, die eigenen Genossen verlangten immer wieder Unterwerfung. Siebzehn Jahre hielt er aus, ohne in seiner Treue zur Partei grundsätzlich irre zu werden. Die aber vergaß ihm nichts, und als er mit der Aufführung von „Die Sorgen und die Macht“ des Junggenies Peter Hacks wiederum neben der Parteilinie gelegen hatte, demütigte das Politbüro den kranken, verdienten Genossen. Er starb drei Jahre später.
Es ist eine vertraute Geschichte: Kommunistische Parteien funktionieren auf diese Weise, sie müssen, um den Preis ihres Untergangs, stets neue Abweichler und Verräter in den eigenen Reihen aufspüren, Loyalitätsbekundungen erpressen. Wolfgang Langhoff leistete die verlangte Selbstkritik auch im letzten Kampf mit der SED, im Frühjahr 1963. Sein ganzes Sinnen und Trachten, sagte er, sei der „Partei, ihrer Einheit und Geschlossenheit, der Stärkung ihrer Kampfkraft gewidmet“ gewesen. Wollte er sein Theater retten, endlich Ruhe gewinnen oder war er ein reuiger Sünder, der aufs Neue den Weg zum rechten Glauben suchte? War er gescheitert, wenn seine künstlerischen Ansichten dem kulturpolitisch Gewünschten widersprachen? Warum ließ er sich das gefallen?
Diese Welt ist uns fern gerückt, sie war schon den DDR-Kindern in den achtziger Jahren fremd, und heute ist sie beinahe unverständlich geworden. Wer jedoch Esther Slevogts Langhoff-Biographie „Den Kommunismus mit der Seele suchen“ gelesen hat, der wird ihren Helden und seine Handlungen verstehen oder doch nicht mehr ganz unbegreiflich finden. Er muss sie deshalb nicht gutheißen, den Schauspieler, Regisseur und Intendanten nicht heilig sprechen. Esther Slevogt, die in Berlin als Theaterkritikerin arbeitet, macht aus ihrer Distanz zu Langhoff keinen Hehl. Aber sie bringt die seltene Bereitschaft mit, Konflikte auch dann ernst zu nehmen, wenn sie nicht mehr die unseren sind. Sie kommentiert ihren Helden, aber sie fährt ihm nicht über den Mund. Sie hätte es sich einfacher machen, zu den Deutungsangeboten aus der Zeit des Kalten Krieges oder zu einer der kommunistischen Rechtfertigungslegenden greifen können. Statt dessen hat sie, auch im Gespräch mit den Söhnen Thomas und Matthias Langhoff, Stationen der Lebensgeschichte genau recherchiert, und sie versteht es, diese so zu erzählen, dass der Eindruck innerer Folgerichtigkeit entsteht.
Wolfgang Langhoff ist siebzehn und Marine-Kadett, als die Welt der Väter zusammenbricht. 1919 schließt er sich dem Freikorps von Medem an, das im Baltikum gegen die Bolschewiken kämpft. Er hat das später mit Abenteuerlust, „Erlebnisdrang“ erklärt und in einem Lebenslauf für die Kaderakte berichtet, dass er nach wenigen Monaten ins Lazarett gekommen sei. Wie dem auch sei: am Neuen Schauspielhaus in Königsberg werden Statisten gesucht, Langhoffs Theaterkarriere beginnt. Als ein Regisseur sich mit seinem Hauptdarsteller zerstritt, kam, so die Legende, seine Chance. Mit 21 Jahren wurde er – mittelgroß, blond, mit scharf geschnittenem Profil, einem verbreiteten Jünglingsideal gleichend – Schauspieler. 1924 holt man ihn nach Wiesbaden, 1928 ans Schauspielhaus Düsseldorf. Das ist ein Künstlertheater, geführt von Louise Dumont und Gustav Lindemann. Der Glaube, dass Kunst und Theater die Welt bessern könne, hat hier eine starke Bastion. Auch Langhoff teilt ihn, engagiert sich aber bald schon für die Kommunisten. 1930 nimmt er an einem Kongress der „Interessengemeinschaft für Arbeiterkultur“ teil.
Jahrzehnte später, als seine Vita schon Vorbildfunktion erfüllen sollte, erzählte Langhoff dem Berliner Rundfunk , er sei zur Arbeiterklasse gekommen, „weil ich in ihr die Garantie dafür fand, dass alles, was schön, groß und wahr und edel am deutschen Denken ist, nur durch die Arbeiterklasse Wirklichkeit werden konnte und kraftlos in den Händen des Bürgertums zerfiel.“ Der unbedingte Idealismus und das Misstrauen in den Geschäftsgang der bürgerlichen Welt sind entscheidend für seine politische Radikalisierung. Mit jungen Arbeiterinnen und Arbeitern gründet Langhoff 1930 die Agitpropgruppe „Nordwest ran“ und führt fortan eine „Doppelexistenz als bürgerlicher Theaterstar und kommunistischer Künstler“. Beides wird er bleiben.
Die unauflösbare Bindung an die Partei entsteht erst im „Dritten Reich“. Der kommunistische Schauspieler wird am Abend des 28. Februar 1933, ein Tag nach dem Reichstagsbrand, verhaftet. Wochen sitzt er im Düsseldorfer Gefängnis „Ulmer Höh’“. Als die SS-Leute aus der Wachmannschaft abgezogen werden, möchten sie sich „zum Abschied etwas gönnen“, prügeln und misshandeln ihn eine Nacht lang. Man habe ihn „zu einem haltlosen, stammelnden Lebewesen gemacht“. Mitte Juli kommt er in das KZ Börgermoor und erlebt dort die Selbstbehauptung der kommunistischen Häftlinge. Langhoff wird beauftragt, eine „KZ-Revue“ zu organisieren, eine „Kulturveranstaltung“, auf der auch das „Moorsoldatenlied“ erklingt. Diese Erfahrung bleibt, in seinem Bericht stilisiert er sie: unter dem Druck des übermächtigen, brutalen Feindes entsteht eine kommunistische Solidargemeinschaft.
Auch in Zürich, wohin er nach der Freilassung 1934 flieht, lässt er die Parteiarbeit nicht. Als ihm 1946, gegen den Willen Walter Ulbrichts, das Deutsche Theater angetragen wird, scheint sich endlicher der Traum vom sinnerfüllten, starken Leben zu erfüllen. Aber rasch gerät er in die Mühlen des Kalten Krieges und der Parteisäuberungen.
Esther Slevogt bietet an vielen Stellen wenig Bekanntes: Detailliert schildert sie die Schicksale der Düsseldorfer Kommunisten und der großen Theaterleute das Jahrhunderts; sie verteidigt den Direktor des Schauspielhauses Zürich, Ferdinand Rieser, gegen üble Nachrede, es sei ihm, als er den Emigranten half, lediglich ums Geschäft gegangen; sie erzählt, wie es zur Trennung von Jürgen Fehling kam, der Langhoff und die sowjetische Kulturpolitik beschimpft hatte und das mit antisemitischen Äußerungen garnierte. Neben Nachrichten über Schauprozesse im Ostblock, die auch die Westemigranten in der DDR in Gefahr brachten, stellt sie kurze Berichte über Kommunisten in Westdeutschland, etwa über Hanna Eggerath, die 1954 wegen ihrer FDJ-Aktivitäten einen Monat im Gefängnis „Ulmer Höh’“ einsitzt. Als man gegen Langhoffs Freund Marcel Frenkel von der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ ermittelt, bittet der Düsseldorfer Oberstaatsanwalt um Ablösung. Er hatte, nicht lange zuvor, Strafverfahren wegen „Rassenschande“ geleitet und fürchtet nun, dass dadurch die Ermittlungen gegen den kommunistisch-jüdischen Wiedergutmachungsspezialisten Frenkel gefährdet werden könnten. In der DDR wird 1956 Langhoffs Freund Fritz Sperling entlassen. Er berichtet von schwerer Folter und will doch der Partei nicht schaden. Nachfragen seiner Freunde werden vom MfS abgewimmelt.
Eine der erfolgreichsten Regie-Arbeiten Langhoffs ist die Inszenierung eines Revolutionsdramas aus dem Jahr 1924: „Sturm“ von Wladimir Bill-Bjelozerkowski. 1957 funktioniert der Kommunismus als Menschheitstraum auf der Bühne des Deutschen Theaters. Die Frage, wie viel Kraft ihm im Leben noch zuzutrauen sei, verstummte unter den Ritualen.
Esther Slevogt
Den Kommunismus mit der Seele suchen. Wolfgang Langhoff – ein deutsches Künstlerleben im 20. Jahrhundert
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011.
494 Seiten, 26,99 Euro.
Er glich dem Jünglingsideal
der Zeit: Mittelgroß, blond,
scharf geschnittenes Profil
Der Antikommunismus West
erleichtert Treuebekundungen
im Osten
Es war sein Haus, siebzehn Jahre lang war er hier Intendant: Wolfgang Langhoff (1901-1966) im Jahr 1954 vor dem Deutschen Theater in der Ost-Berliner Schumannstraße. Foto: Ullstein
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Die Widersprüche innerhalb des Lebens und Wirkens des Regisseurs und politisch Bewegten Wolgang Langhoff findet Dirk Pilz schlicht unvermittelbar. In Esther Slevogts Langhoff-Biografie bekommt er immerhin einen Eindruck, was es geheißen haben mag, sie zu leben. Dass die Zerrissenheit des Mannes Langhoff zwischen westlichen und den ostdeutschen Ideologien eine Generationenfrage darstellt, erfährt Pilz hier auch. Neben dem Leben der Langhoffs entsteht so für den Rezensenten ein Bild gesamtdeutscher Geschichte des 20. Jahrhunderts. Dafür ist er der Autorin sehr dankbar.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Aber wer ein wahrhaftiges Buch über Zeitgeschichte sucht, könnte die Biografie [...] über den Schauspieler, Regisseur und Intendanten Wolfgang Langhoff kaufen und mit Herzklopfen lesen.« Regine Sylvester Berliner Zeitung 20120402