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Im Mittelpunkt dieses unerschöpflichen und unbeschreiblichen Romans steht die Stadt Baku. Beginnend in den 70 er Jahren und durchwirkt von autobiografischen Elementen, knüpft Goldstein um diese faszinierende Stadt am Kaspischen Meer ein uferloses Netz an Geschichten, das sich bis hin zu seinen Erfahrungen als Immigrant in Israel zu Beginn dieses Jahrtausends spannt. Er erzählt das jüdische Schicksal in der Levante und in Europa sowie die Verflechtung von Juden, Muslimen und Christen, die mal friedlich Seite an Seite leben, mal sich in Raub- und Mordorgien rauschhaft bekämpfen. Abenteurer,…mehr

Produktbeschreibung
Im Mittelpunkt dieses unerschöpflichen und unbeschreiblichen Romans steht die Stadt Baku. Beginnend in den 70 er Jahren und durchwirkt von autobiografischen Elementen, knüpft Goldstein um diese faszinierende Stadt am Kaspischen Meer ein uferloses Netz an Geschichten, das sich bis hin zu seinen Erfahrungen als Immigrant in Israel zu Beginn dieses Jahrtausends spannt. Er erzählt das jüdische Schicksal in der Levante und in Europa sowie die Verflechtung von Juden, Muslimen und Christen, die mal friedlich Seite an Seite leben, mal sich in Raub- und Mordorgien rauschhaft bekämpfen. Abenteurer, Dichter, Mönche, Mörder, Stierkämpfer, Gladiatoren, Frauen, Freundinnen und Flittchen bilden ein grandioses arabeskes Mosaik, das den Leser schon nach wenigen Seiten in seinen Bann des höchst eigenwilligen, sprachmächtigen und hypnotischen Tons aus Pathos, Sarkasmus, Hymne und nüchternem Bericht zieht. "Denk an Famagusta" ist das literarische Großwerk eines der bedeutendsten Autoren der postsowjetischen Moderne, ein Werk, das scheinbar aus dem Nichts auftaucht, und in das die Gedächtnisfülle Europas und der Levante in bisher unbekannter Weise eingewoben sind.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Alexander Goldstein, 1957 in Tallinn geboren, wuchs in Baku auf. In den 1990er-Jahren emigrierte der Literaturwissenschaftler nach Israel, wo er als Journalist für verschiedene russisch-sprachige Zeitungen arbeitete. Für seine Romane wurde er von der Kritik hochgelobt. 2006 starb er in Tel Aviv.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.01.2017

Die strahlenden Ruinen des Imperiums

Alexander Goldstein, in Baku aufgewachsen, floh 1990 vor Pogromen im zerfallenden Sowjetreich nach Israel. In seinem großen Roman "Denk an Famagusta" fängt er ein ganzes Jahrhundert ein.

Denk an Famagusta" ist eine leuchtende Zumutung, denn dieser leidenschaftliche Roman eines hochgelehrten Autors macht es dem Leser in keiner Zeile leicht. Doch lässt man sich auf das literarische Schwergewicht ein, das in Genauigkeit, psychologischer Feinheit und politischer Prägnanz den Vergleich mit Peter Nádas "Parallelgeschichten" nicht zu scheuen braucht, wird man reich belohnt: Alexander Goldstein erzählt mit historischem Scharfblick von den Bruchlinien und Splittern des russischen Imperiums. Es ist diese Geschichte unzähliger Morde und Vertreibungen, in der sich das zwanzigste Jahrhundert besonders klar spiegelt. Dass Goldstein den Untergang vom Rand her, vom aserbaidschanischen Baku aus erzählt, lässt die Katastrophen nur drastischer hervortreten, denn in diesem "Hinterhof des Reiches" wurde selbst der Nachhall politischer Auseinandersetzungen sofort kriegerisch, und ein Pogrom jagte das nächste.

Der Vergleich mit Nádas' epochalem Roman drängt sich auch deshalb auf, weil die Erzählverfahren einander ähneln: Die Linearität ist aufgelöst, der Erzähler bewegt sich frei durch Zeit und Raum, und der Strom des Erzählens wird durch Schicksalsverstrickungen und geheime Korrespondenzen zwischen den Figuren gelenkt. Wie bei Nádas sind diese unsichtbar verbunden durch die Erfahrung totalitärer Herrschaft. Warum die Menschen dennoch von der imperialen Erfahrung fasziniert sind, warum sie immer aufs Neue eine unberechenbare und gewalttätige Macht zu lieben bereit sind, diese Frage, die so furchterregend aktuell ist, klingt auf jeder der fünfhundert atmosphärisch dichten Seiten an.

Daglinen und Molokanen, Juden, christliche Armenier, Russen, Türken und muslimische Aserbaidschaner leben in der Erdölmetropole Baku am Kaspischen Meer, ursprünglich eine weltoffene Stadt, in der sich Moderne und patriarchale Tradition auf sonderbare und intensive Weise mischen. Goldstein lässt seine Erzähler durch Baku wandern wie durch eine Schatzkammer des Wissens und der Erinnerung, jeder Strauch, jede Mauer und jeder Geruch öffnen ein anderes Wahrnehmungsfeld. Sie erinnern sich an Chaim Soutines gemalte Alltagskatastrophen und Leonid Dobytschins Wehmuts-Sätze, rekapitulieren politische Fehlentwicklungen vom Osmanischen Reich bis zur Breschnew-Zeit und gedenken der Armenier - Enver Pascha hat einen beklemmenden Auftritt.

Auf dem Parapet, einem Park über der Stadt, treffen sich einsame Männer und geschäftstüchtige Damen, es gibt Antiquare und vor allem den Mugham, einen klassisch inspirierten Rezitationsgesang, wehmütig und renitent, den "der Befreier", der sowjetische Parteisekretär, gar nicht gern hört. Mitunter folgt ein Erzähler einem Mann oder einer Frau, die ihn neugierig macht, bis in ein armseliges Zimmer, hört ihre Lebensgeschichte, lässt sich von einem Nachbarn ablenken, folgt auch diesem, sieht den Sabuncuer Bahnhof, grübelt über die richtigen Adjektive zu dessen Beschreibung nach - so entsteht ein Geflecht von Szenen und Geschichten, das den Leser anfangs verwirrt, ihn aber schnell trägt. Wobei die Schilderungen der geheimen Lüste in der Banjia, im Restaurant oder beim Gladiatorenkampf (ein kleiner Roman im Roman), sprachlich und psychologisch so brillant sind, dass man den Kontext sowieso vergisst. Der Übersetzerin Regine Kühn gebührt höchstes Lob.

Immer wieder öffnet sich aus der bleiernen Stalin-Zeit, in der langsam alles traditionelle Leben zerstört wird, ein Blick auf die fröhlichen Beerdigungs-Donnerstage, ausufernden Basare, gewalttätigen Prozessionen und geheimen Séancen mit kindlichen Medien während der kurzen Unabhängigkeit. Der Großvater des Erzählers nimmt uns zu solch einer Veranstaltung mit, die verstörend zwischen angedeuteter Pädophilie und üppigstem Luxus changiert.

Dieser Großvater, eine besonders eindrucksvolle Figur, hat in seinem Leben nur ein einziges Buch gelesen, allerdings ein unentbehrliches: die Protokolle des XVI. Parteitages der KPdSU von 1930 (mit dem sich der Große Terror ankündigte). Ein rätselhafter Mitreisender hatte es ihm auf einer Zugfahrt untergeschoben, und diese Reise mit ihrem Bulgakow-Furor, einem der vielen Höhepunkte des Romans, wird von der umfassenden Erkenntnis des Stalinschen Verstandes gekrönt - Albtraum und haarsträubende Satire in einem.

Goldstein, 1957 in Tallinn geboren und in Baku aufgewachsen, floh 1990 vor den Pogromen, die mit dem Zerfall des sowjetischen Imperiums einsetzten. Damals ermordete man die Armenier; die Juden - davon waren sie überzeugt - wären die nächsten. Auf der täglichen Busfahrt zwischen Lod und einer Zeitungsredaktion in Tel Aviv schrieb er seine Romane: Eruptiv, fast ohne Korrekturen, so entstand wohl der einheitliche, süchtig machende Sog seiner Geschichten. Sie knüpfen eine an die andere an, seine Erzähler lieben Um- und Abwege, denn "Romane werden um der Abschweifung willen geschrieben, sagen die Schlegels aus Jena".

Dass der für seinen ersten Essayband preisgekrönte Autor nicht nach Moskau ging, wo man ihn als Intellektuellen schätzte, hing mit seinem Schreiben zusammen. Er war überzeugt, dass er nur aus der Distanz die Existenz eines Raumes und einer Zeit retten konnte, indem er dafür eine postimperiale Form und Sprache erfand. So erzählt dieser Roman, der sich zwischen Tel Aviv und Baku spannt, auch von der vierten russischen Emigration nach Israel, dem mitgebrachten Elend und der kulturellen Einsamkeit seines Autors.

Goldstein starb 2006 mit nur 49 Jahren. Seinen ganz eigenen Ton, eine verblüffende Synthese aus universellem Wissen und phantastischem Überschwang, Sarkasmus, Kaddisch, Lebenslust und innerer Freiheit, hatte er gerade erst gefunden.

NICOLE HENNEBERG

Alexander Goldstein: "Denk an Famagusta". Roman.

Aus dem Russischen von Regine Kühn. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2016. 535 S., geb., 30,- [Euro].

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»Sein Erstling ist ein Meisterwerk, in seiner ganzen Fülle von Exkursen, Anspielungen und Zitaten ein hochgelehrtes, aber auch ein lebenspralles Buch, das sich weder für die tristen und noch für die deftigen Niederungen der sowjetischen Zivilisation zu schade ist.« - Brigitte van Kann, Deutschlandfunk Brigitte Van Kann Deutschlandfunk 20161003