Der Vater, geltungs- und gefallsüchtig, feige, Titofreund, Zahnarzt, Fotograf ist tot, seine Abwesenheit, die er schon längst verlassen hat, nun endgültig. Mysteriösen politischen und beruflichen Dingen nachgehend, hat er den Kindern nur wenig seiner Zeit und Liebe geschenkt; gewalttätig gegen die Mutter; nun rechnet die Tochter mit ihm ab, in den wenigen Tagen bis zur Grablegung in einem berauschenden Erzählfluss: Daraus entsteht eine einfühlsame, humorig-bissige Befreiungsgeschichte, im Laufe derer die Erzählende vom kleinen Mädchen zur Erwachsenen wird, am Ende ein Versöhnen und die Erkenntnis: Alle Männer, die dieses Buch lesen, werden zu besseren Vätern, Ehemännern, Liebhabern. Die Autorin hat das ihr vom Vater aufgebrannte Mantra "Es wird dir nicht gelingen" endgültig außer Kraft gesetzt.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Tilman Spreckelsen liest die Vatersuche der slowenischen Autorin Maja Gal Stromar mit Spannung. Für Spreckelsen hat die Autorin eine Form dafür gefunden, die trotz mancher Trivialität und dem ein oder anderen missglückten Bild überzeugt. Vielschichtig findet er die tastende Art, mit der die Erzählerin im Text aus Anlass des Todes des Vaters versucht, sich dieser zu Lebzeiten stets sich entziehenden Gestalt zu nähern, das Zusammenleben zu erinnern. Glück und Unglück kommen dabei laut Spreckelsen zutage und eine Rücksichtnahme der Tochter, die den Rezensenten erstaunt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.01.2021Warum liebt ihn nur keiner?
Kann man als Drachen aus Transparentpapier einer Familie Halt geben? Die slowenische Autorin Maja Gal Stromar geht den Spuren ihres verstorbenen Vaters nach und findet sich selbst.
Als sich Majas Eltern kennenlernen, irgendwann in den frühen sechziger Jahren, ist sie Lehrerin und er Student. Er lädt sie zu einem Getränk ein, obwohl er pleite ist, und erklärt ihr, das gehe schon in Ordnung, schließlich sei er Gott in Person. Majas künftige Mutter rückt die Dinge zurecht und zahlt beide Getränke, "ein Student wird mir ja kaum einen ausgeben können", sagt sie. Die beiden kommen zusammen und bleiben lang genug ein Paar, um zwei Kinder aufzuziehen, einen Sohn und eine Tochter. Dass es in der Ehe nicht zum Besten steht, zeigt sich am drastischsten in Momenten, in denen der betrunkene Vater nachts mit dem Gewehr in der Hand herumbrüllt, er wolle seinem Leben ein Ende machen und seine Familie mitnehmen - am nächsten Morgen verlässt er dann pünktlich und frisch geduscht die Wohnung, um als Zahnarzt zu arbeiten, während die Mutter den erschrockenen Kindern erklären muss, dass der Vater das nicht so gemeint habe und seine Kinder über alles liebe. Schließlich verlässt er die Familie, um bei seiner Geliebten zu leben. Und stirbt Jahre später, schwer krebskrank, an Herzversagen.
Sein Tod ist der Anlass für seine inzwischen knapp vierzigjährige Tochter Maja, in 26 kurzen Kapiteln ihr Verhältnis zum Vater zu rekapitulieren. Sie bilden, eingeleitet von einem Vorwort, den Roman "Denk an mich, auch in guten Zeiten" der slowenischen Schauspielerin und Autorin Maja Gal Stromar, die 1969 in der südostslowenischen Stadt Novo Mesto geboren wurde. Es geht um die Ehe der Eltern und um den Kampf der Kinder, die sich nach der Aufmerksamkeit des Vaters sehnen. Um stumme, trotzdem bohrende Fragen an die Eltern und plötzliche Erkenntnisse der Kinder, die dann Jahre vorhalten und alles Weitere einfärben. Um Momente des Glücks und der Verzweiflung. Und natürlich geht es um den Platz, den die Erzählerin selbst als Glied in einer Familienkette einnimmt oder verweigert, um Strategien der Zustimmung oder der Abkehr. Eine Entscheidung, die sich auch auf die Form dieses Romans auswirkt, der immer wieder neu ansetzt, schildert, wägt und oft genug in die schiere Aporie abdriftet, als ob dieser Vater einfach nicht zu fassen sei.
"Nein, nichts fängt an", schreibt die erinnernde Tochter auf der allerersten Seite ihres Textes: "Alles setzt sich einfach nur fort." Diese Vorbemerkung des Erzählens zielt naturgemäß auf das, was den Vater ebenso prägt wie sie selbst, was ihm von früheren Generationen mitgegeben wurde, so wie ihr von ihm. Das nicht besonders originelle Bild des Flusses, den sie dafür wählt, um ein Leben zu fassen, erfährt wiederum eine originelle Weiterung, indem sie sich aufspaltet in jene Person, deren Biographie dort von der Quelle bis zur Erwartung einer Mündung verhandelt wird, und eine andere, die am Ufer steht und das Geschehen beobachtet, nicht bereit, sich treiben zu lassen.
Vor Fremden will er glänzen
Eine zweite Metaphorik, die den Roman durchzieht, ist die des Fadens, der mal als Angelrute in die See der Ereignisse gesenkt wird, um einen Fang zu machen, der Erkenntnis stiften soll, mal als Symbol einer sinnvollen Verbindung zwischen einzelnen Ereignissen, als Ariadnefaden aus dem Labyrinth dieser schicksalhaft im Knäuel der Familie verknüpften vier Biographien (zu denen noch Onkel, Tanten, Cousins, Cousinen und die Großeltern, aber keine direkten Nachkommen treten). Und schließlich, in einer der wenigen Szenen, in denen die Perspektive von Majas älterem Bruder aufscheint, als Drachenschnur - der Vater nimmt hier die Gestalt des luftigen, mit einem dünnen Band an die Kinder geknüpften Geschöpfes an, immer vom Absturz bedroht, aber auch davon, losgerissen zu werden. "Aus Transparentpapier kann nichts gutes entstehen", ahnt die Erzählerin, man müsse dem Drachen "erlauben, dort oben zu bleiben, am Himmel. Und ihn mit einem dünnen Faden in schmerzhafter Verbindung halten und sich nach ihm sehnen."
Das Erstaunliche und zugleich Erschreckende an der Verwendung dieser Metapher durch die Tochter ist die selbstverständliche Rücksichtnahme auf einen Vater, der alles daransetzt, dass sich nur ja niemand auf ihn verlasse. Dass die Familie buchstäblich hungert und, wenn sie Verwandte besucht, offen damit gehänselt wird, ist das eine; dass aber der Vater Freunde und sogar Fremde großzügig unterstützt, dass er die Kinder von Bekannten geradezu "bevatert", wie Maja das resigniert nennt, fügt sich ins Bild eines Mannes, der unter Fremden als selbsternannter Gott glänzen und unterhalten will, zu Hause aber desinteressiert in Schweigen versinkt. Und weinerlich danach fragt, warum ihn niemand liebt.
Die Asche kann keine Antwort geben
Stromars Erzählerin muss sich für all das an den Vater herantasten, in vielen Wendungen des Berichts, dessen Details einander beleuchten und auch offen widersprechen - an zentralen Stellen zitiert sie den Blick durchs Kaleidoskop und das veränderte Bild nach jeder Drehung des optischen Geräts. Je weiter der Roman fortschreitet, desto drängender sind die Fragen an den Vater, der naturgemäß die Antwort schuldig bleibt. Etwa in der Erinnerung an den gemeinsamen Besuch der Kirche von Hrastovlje mit deren berühmtem Totentanz, der Fragen in Maja aufwirft, die der Vater nicht beantworten mag - inzwischen, schreibt sie, gleicht der eingeäscherte Vater ja nicht einmal mehr den Skeletten, die auf dem Fresko die Lebenden an die Hand nehmen.
Nicht jeder Pfad, den die Erzählerin auf dieser Suche einschlägt, führt zu geglückten Bildern der verschiedenen Stadien dieser Konstellation von Vater und Tochter, und manches Triviale, manche platt biologistische Deutung wird man dabei verkraften müssen. Auf der Habenseite aber steht die beeindruckend vielschichtige Annäherung an eine Person, die sich zu Lebzeiten entzogen hatte, eine Suche, die zugleich auf die eigenen blinden Flecken verweist und mehr Fragen aufwirft als Antworten liefert. Es ist das Verfahren, das im Vordergrund steht. Und so Majas Vatersuche davor bewahrt, sich ebendarin zu erschöpfen.
TILMAN SPRECKELSEN
Maja Gal Stromar: "Denk an mich, auch in guten Zeiten". Roman.
Aus dem Slowenischen von Ann Catrin Bolton. Edition Converso, Bad Herrenalb 2020. 208 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kann man als Drachen aus Transparentpapier einer Familie Halt geben? Die slowenische Autorin Maja Gal Stromar geht den Spuren ihres verstorbenen Vaters nach und findet sich selbst.
Als sich Majas Eltern kennenlernen, irgendwann in den frühen sechziger Jahren, ist sie Lehrerin und er Student. Er lädt sie zu einem Getränk ein, obwohl er pleite ist, und erklärt ihr, das gehe schon in Ordnung, schließlich sei er Gott in Person. Majas künftige Mutter rückt die Dinge zurecht und zahlt beide Getränke, "ein Student wird mir ja kaum einen ausgeben können", sagt sie. Die beiden kommen zusammen und bleiben lang genug ein Paar, um zwei Kinder aufzuziehen, einen Sohn und eine Tochter. Dass es in der Ehe nicht zum Besten steht, zeigt sich am drastischsten in Momenten, in denen der betrunkene Vater nachts mit dem Gewehr in der Hand herumbrüllt, er wolle seinem Leben ein Ende machen und seine Familie mitnehmen - am nächsten Morgen verlässt er dann pünktlich und frisch geduscht die Wohnung, um als Zahnarzt zu arbeiten, während die Mutter den erschrockenen Kindern erklären muss, dass der Vater das nicht so gemeint habe und seine Kinder über alles liebe. Schließlich verlässt er die Familie, um bei seiner Geliebten zu leben. Und stirbt Jahre später, schwer krebskrank, an Herzversagen.
Sein Tod ist der Anlass für seine inzwischen knapp vierzigjährige Tochter Maja, in 26 kurzen Kapiteln ihr Verhältnis zum Vater zu rekapitulieren. Sie bilden, eingeleitet von einem Vorwort, den Roman "Denk an mich, auch in guten Zeiten" der slowenischen Schauspielerin und Autorin Maja Gal Stromar, die 1969 in der südostslowenischen Stadt Novo Mesto geboren wurde. Es geht um die Ehe der Eltern und um den Kampf der Kinder, die sich nach der Aufmerksamkeit des Vaters sehnen. Um stumme, trotzdem bohrende Fragen an die Eltern und plötzliche Erkenntnisse der Kinder, die dann Jahre vorhalten und alles Weitere einfärben. Um Momente des Glücks und der Verzweiflung. Und natürlich geht es um den Platz, den die Erzählerin selbst als Glied in einer Familienkette einnimmt oder verweigert, um Strategien der Zustimmung oder der Abkehr. Eine Entscheidung, die sich auch auf die Form dieses Romans auswirkt, der immer wieder neu ansetzt, schildert, wägt und oft genug in die schiere Aporie abdriftet, als ob dieser Vater einfach nicht zu fassen sei.
"Nein, nichts fängt an", schreibt die erinnernde Tochter auf der allerersten Seite ihres Textes: "Alles setzt sich einfach nur fort." Diese Vorbemerkung des Erzählens zielt naturgemäß auf das, was den Vater ebenso prägt wie sie selbst, was ihm von früheren Generationen mitgegeben wurde, so wie ihr von ihm. Das nicht besonders originelle Bild des Flusses, den sie dafür wählt, um ein Leben zu fassen, erfährt wiederum eine originelle Weiterung, indem sie sich aufspaltet in jene Person, deren Biographie dort von der Quelle bis zur Erwartung einer Mündung verhandelt wird, und eine andere, die am Ufer steht und das Geschehen beobachtet, nicht bereit, sich treiben zu lassen.
Vor Fremden will er glänzen
Eine zweite Metaphorik, die den Roman durchzieht, ist die des Fadens, der mal als Angelrute in die See der Ereignisse gesenkt wird, um einen Fang zu machen, der Erkenntnis stiften soll, mal als Symbol einer sinnvollen Verbindung zwischen einzelnen Ereignissen, als Ariadnefaden aus dem Labyrinth dieser schicksalhaft im Knäuel der Familie verknüpften vier Biographien (zu denen noch Onkel, Tanten, Cousins, Cousinen und die Großeltern, aber keine direkten Nachkommen treten). Und schließlich, in einer der wenigen Szenen, in denen die Perspektive von Majas älterem Bruder aufscheint, als Drachenschnur - der Vater nimmt hier die Gestalt des luftigen, mit einem dünnen Band an die Kinder geknüpften Geschöpfes an, immer vom Absturz bedroht, aber auch davon, losgerissen zu werden. "Aus Transparentpapier kann nichts gutes entstehen", ahnt die Erzählerin, man müsse dem Drachen "erlauben, dort oben zu bleiben, am Himmel. Und ihn mit einem dünnen Faden in schmerzhafter Verbindung halten und sich nach ihm sehnen."
Das Erstaunliche und zugleich Erschreckende an der Verwendung dieser Metapher durch die Tochter ist die selbstverständliche Rücksichtnahme auf einen Vater, der alles daransetzt, dass sich nur ja niemand auf ihn verlasse. Dass die Familie buchstäblich hungert und, wenn sie Verwandte besucht, offen damit gehänselt wird, ist das eine; dass aber der Vater Freunde und sogar Fremde großzügig unterstützt, dass er die Kinder von Bekannten geradezu "bevatert", wie Maja das resigniert nennt, fügt sich ins Bild eines Mannes, der unter Fremden als selbsternannter Gott glänzen und unterhalten will, zu Hause aber desinteressiert in Schweigen versinkt. Und weinerlich danach fragt, warum ihn niemand liebt.
Die Asche kann keine Antwort geben
Stromars Erzählerin muss sich für all das an den Vater herantasten, in vielen Wendungen des Berichts, dessen Details einander beleuchten und auch offen widersprechen - an zentralen Stellen zitiert sie den Blick durchs Kaleidoskop und das veränderte Bild nach jeder Drehung des optischen Geräts. Je weiter der Roman fortschreitet, desto drängender sind die Fragen an den Vater, der naturgemäß die Antwort schuldig bleibt. Etwa in der Erinnerung an den gemeinsamen Besuch der Kirche von Hrastovlje mit deren berühmtem Totentanz, der Fragen in Maja aufwirft, die der Vater nicht beantworten mag - inzwischen, schreibt sie, gleicht der eingeäscherte Vater ja nicht einmal mehr den Skeletten, die auf dem Fresko die Lebenden an die Hand nehmen.
Nicht jeder Pfad, den die Erzählerin auf dieser Suche einschlägt, führt zu geglückten Bildern der verschiedenen Stadien dieser Konstellation von Vater und Tochter, und manches Triviale, manche platt biologistische Deutung wird man dabei verkraften müssen. Auf der Habenseite aber steht die beeindruckend vielschichtige Annäherung an eine Person, die sich zu Lebzeiten entzogen hatte, eine Suche, die zugleich auf die eigenen blinden Flecken verweist und mehr Fragen aufwirft als Antworten liefert. Es ist das Verfahren, das im Vordergrund steht. Und so Majas Vatersuche davor bewahrt, sich ebendarin zu erschöpfen.
TILMAN SPRECKELSEN
Maja Gal Stromar: "Denk an mich, auch in guten Zeiten". Roman.
Aus dem Slowenischen von Ann Catrin Bolton. Edition Converso, Bad Herrenalb 2020. 208 S., geb., 20,- [Euro].
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