Was heißt denken? Wurde im Mittelalter in einem starken, heideggerschen Sinn gedacht oder wurde nur exzerpiert, kompiliert und kommentiert? Ob es ein Denken im Mittelalter gab, wird man nur herausfinden, wenn man an das Mittelalter denkt. Von daher der doppeldeutige Titel, den Alain de Libera seinem Buch gegeben hat: Penser au moyen âge - "Denken im Mittelalter", "An das Mittelalter denken". Ein verwandtes Problem hat Jacques Le Goff in Die Intellektuellen im Mittelalter behandelt. Doch anders als der Historiker Le Goff, der vor allem die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen des intellektuellen Diskurses untersucht, analysiert de Libera die Texte und Diskurse selbst. Sein Thema ist weniger der Intellektuelle als greifbare Person, sondern das Ideal eines intellektuellen, philosophischen Lebens. "De Libera", schreibt Philipp W. Rosemann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, "fordert uns auf, 'an das Mittelalter zu denken' als Korrektiv gegenüber manchen Fehlentwicklungen derModerne. Ihm geht es weder darum, aus dem Vergangenen Patentrezepte für unsere gegenwärtigen Probleme abzuleiten, noch darum, in einer vorschnellen Synthese aus Altem und Neuem wiederum ein in sich abgeschlossenes System erstehen zu lassen. Nicht Reduktion auf Einheit ist das Ziel, sondern irreduzible Pluralität. Wie die authentische postmoderne Architektur ist die neue Mediävistik à la Libera darum bemüht, das Alte neben das Neue zu stellen, ohne ihre Unterschiede zu verwischen. Dadurch soll ein bedeutungsvoller Dialog zwischen dem Alten und dem Neuen möglich werden."
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.12.2003Avicennas Stern zeigt den Weg
Pflichtbuch: Alain de Libera über die Geburt des Intellektuellen
Was kommt nach der "Annales-Schule"? Die Frage wird in der internationalen Mediävistik unüberhörbar gestellt, seitdem die Nachfolger von Lucien Febvre und Marc Bloch in der dritten Generation trotz beeindruckender Werke die Leitfunktion ihrer Lehrer offenkundig verloren haben. Vielleicht formiert sich das Neue aber schon im selben Haus, in der "École Pratique des Hautes Études", die man geradezu das Allerheiligste der historisch-philologischen Forschung in Frankreich genannt hat. Zwar wäre dies nicht die einst für Febvre geschaffene Sixième Section für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, aber doch die ehrwürdige Abteilung "Religionswissenschaften", zu deren Meistern Marie-Dominique Chenu, der Thomist, gehörte, aber auch Paul Vignaux, der mit der Fixierung der Studien auf die Scholastik brach und als Historiker der "rebellischen Vielfalt" das dreizehnte Jahrhundert neu entdeckt hat.
Bei Vignaux' "Pensée au Moyen Age" von 1938 knüpft Alain de Libera an, der an der Praxisschule die Forschungen über die christlichen Theologien im Abendland leitet; sein Essay von 1991 trägt den gleichen Titel wie das Buch von Vignaux, der im Deutschen nicht adäquat wiedergegeben werden kann. Gleichwohl wurde die Übersetzung des Werkes durch Andreas Knop, die jetzt der Wilhelm Fink Verlag herausgebracht hat, zu Recht preisgekrönt. Sie bewahrt die pointenreiche Sprache eines begnadeten Polemikers, evoziert die Melancholie eines wenig beachteten Weltdeuters und erhellt die Passagen eines heftigen Denkers, der Martin Heidegger mehr verdankt als Max Weber. In jedem Fall: Dieses Buch muß man lesen, nicht nur aus Interesse am Mittelalter, sondern weil es in ihm um nichts Geringeres geht als um die Existenz des Intellektuellen.
De Libera blendet auf Le Goffs Klassiker "Die Geburt des Intellektuellen" zurück, will aber den sozialhistorischen Ausbruch aus der Geistesgeschichte von 1957 revidieren und das Thema ideen-, philosophie- und auch theologiehistorisch behandeln. Hatte Le Goff, ein Schüler nicht nur Braudels, sondern auch Chenus, den Menschentyp des Intellektuellen im Milieu seiner Entstehung - der okzidentalen Stadt des hohen Mittelalters - aufgesucht und die Genese des neuen Standes nachgezeichnet, den er mit den Magistern der Universitäten identifizierte, so ist De Liberas Ambition zugleich weiter wie vager: Es geht ihm um "das, was den Intellektuellen als solchen ausmacht: die Erfahrung des Denkens". Le Goff habe nur den "organischen Intellektuellen" erfaßt, der die Universität als Stätte der Elitenausbildung prägte, aber Gramscis Pendant des "kritischen Intellektuellen" verfehlt. Zwar haben die organischen Intellektuellen des dreizehnten Jahrhunderts das neue Lebensmodell aus der Taufe gehoben, in dem sie die Ziele von Tugend, Erkenntnis und Lust verbanden, es sei ihnen aber vor allem gelungen, das Ideal auch außerhalb der Institutionen des Wissens zu verbreiten.
Die Geburt des Intellektuellen habe sich deshalb geradezu bei der Entprofessionalisierung der Philosophie ereignet; und mehr noch: der entscheidende Vorgang liege nicht in Paris, überhaupt nicht in einer Universitätsstadt, sondern in den Städten des Rheintals, wo es, wie in Köln, gar keine Universitäten gab, sondern allenfalls Studienkonvente, die von Bettelorden geleitet wurden. "An der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert gibt es zwei Arten von Intellektuellen: diejenigen, die auf der Grundlage von Texten die philosophische Existenz erfinden, und die, die versuchen, Metaphern der universitären Lehre ins wirkliche Leben zu überführen."
Die Intellektuellen des Mittelalters hatten ein klares Bewußtsein ihrer Andersheit und erfaßten sich als "Lateiner" im Gegensatz zu den "Arabern", die ihnen als die "Philosophen" galten. Für einen christlichen Theologen nach 1200 seien die Philosophen par excellence nicht die Griechen, sondern die Araber beziehungsweise die Griechen und die Araber gewesen. Es gab aber keinen untergründigen "ethnischen" Konflikt zwischen "Latini" und "philosophi". Im Gegenteil gründete der universitäre Diskurs, der sich als "exportfähig" erwies, in der Übernahme, Adaption und Verinnerlichung jener Konzeption des philosophischen Lebens, die von den Philosophen des islamischen Gebietes als den ersten mittelalterlichen Erben der griechischen Philosophie formuliert worden war.
Nicht Aristoteles, sondern Avicenna hat das Abendland in die Philosophie eingeweiht. Erstmals zieht hier ein okzidentaler Philosoph radikale Konsequenzen aus der längst bekannten Geschichte, wie die Überlieferung der antiken griechischen Philosophie und Naturwissenschaft über arabische (und jüdische) Übersetzer und Bearbeiter zu den Lateinern gelangte. Kein Wunder, daß er mit Sarkasmus auf den Mainstream der Historiographie reagiert: "Nichts gegen eine Geschichte der universitären Kleidung - tatsächlich besteht Hoffnung, daß man so herausfindet, welchen Einfluß des Tragen von Mützen aus Eichhörnchenfell seinerzeit auf den Zustand des französischen Waldes gehabt hat."
Natürlich sind die neue Fragestellung und Thesenbildung nicht ohne Bezug auf die kulturellen und politischen Spannungen der Gegenwart entwickelt. Daß der Westen ein Kind des Ostens sei, daran müsse der Mediävist immer wieder alle Teilnehmer jenes unmöglichen Dialogs erinnern, "in dem die Phantome und Phantasmen der drei großen monotheistischen Religionen aufeinanderstoßen". Wenn die Juden, die Araber und die Christen gemeinsam die Fundamente eines intellektuellen Europas gelegt haben, so heiße das freilich nicht, daß sie dieses unvorhersehbare Werk im friedlichen Rahmen einer Idylle vollbracht hätten. Während sich die Intellektuellen an einer inneren Friedensstiftung versuchten, habe allzuoft religiöse Intoleranz mit ihren oft grausamen Folgen im Alltag geherrscht. Doch sei an eine Institution mittelalterlichen Ursprungs zu erinnern, in der die auch heute aktuelle Frage der Assimilation in Angriff genommen werden könne - die Universität: "Man muß der europäischen Kultur einen weiteren Horizont geben, indem man sie in ihr erstes Laboratorium zurückführt, dorthin, wo die Universität, das heißt die Gesamtheit der Meister und Studenten, damit ,beschäftigt' war, die Akkulturation voranzutreiben. Europa bleibt ohne Zukunft, wenn es nicht in einer Form gemeinschaftlichen Lebens noch einmal die Krisen durchlebt, die es einst als Projekt begründet haben."
Insbesondere sei es die wissenschaftliche Erforschung der Religionen, eine recht verstandene Laizität mit einem aktiven Respekt vor Glaubensüberzeugungen und kulturellen Differenzen, durch die die Starre der Welt und des internationalen Austauschs aufgebrochen werden müsse. Dabei gehe es nicht darum, den anderen als ein anderes Selbst anzuerkennen, sondern in sich selbst den Anteil des anderen wiederzufinden, ihn als solchen anzuerkennen und ihn in sich befruchtend wirken zu lassen. So werde man eben auch der Geschichte des Denkens gerecht. Denn, wie De Libera in präzisen quellenkritischen Studien zeigt, schon im vielberufenen "Drama der Scholastik" zwischen Glauben und Wissen, Dogma und Vernunft wirkte der viel ältere Konflikt der muslimischen Araber zwischen "falsafa" und "kalam", Philosophie und Theologie, nach.
Als Eckart, der Pariser Magister, 1313 in Straßburg mit der geistlichen Begleitung von Beginen und anderen religiös bewegten Frauen beauftragt wurde, konnte er zu ihnen weder in der Sprache der Philosophie noch der Theologie reden. Er mußte, wie schon Dante im "Convivio", die Volkssprache nutzen und neue Konzepte der Vermittlung suchen. Damit drang das Lebensmodell der Intellektuellen unwiderruflich "in die Gesellschaft" ein: Alle Versuche der Zensur, zumal das Vorgehen des Bischofs von Paris gegen den "Arabismus" der Universität von 1277, hatten sich als wirkungslos erwiesen.
MICHAEL BORGOLTE
Alain de Libera: "Denken im Mittelalter". Aus dem Französischen von Andreas Knop. Wilhelm Fink Verlag, München 2003. 310 S., br., 39,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Pflichtbuch: Alain de Libera über die Geburt des Intellektuellen
Was kommt nach der "Annales-Schule"? Die Frage wird in der internationalen Mediävistik unüberhörbar gestellt, seitdem die Nachfolger von Lucien Febvre und Marc Bloch in der dritten Generation trotz beeindruckender Werke die Leitfunktion ihrer Lehrer offenkundig verloren haben. Vielleicht formiert sich das Neue aber schon im selben Haus, in der "École Pratique des Hautes Études", die man geradezu das Allerheiligste der historisch-philologischen Forschung in Frankreich genannt hat. Zwar wäre dies nicht die einst für Febvre geschaffene Sixième Section für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, aber doch die ehrwürdige Abteilung "Religionswissenschaften", zu deren Meistern Marie-Dominique Chenu, der Thomist, gehörte, aber auch Paul Vignaux, der mit der Fixierung der Studien auf die Scholastik brach und als Historiker der "rebellischen Vielfalt" das dreizehnte Jahrhundert neu entdeckt hat.
Bei Vignaux' "Pensée au Moyen Age" von 1938 knüpft Alain de Libera an, der an der Praxisschule die Forschungen über die christlichen Theologien im Abendland leitet; sein Essay von 1991 trägt den gleichen Titel wie das Buch von Vignaux, der im Deutschen nicht adäquat wiedergegeben werden kann. Gleichwohl wurde die Übersetzung des Werkes durch Andreas Knop, die jetzt der Wilhelm Fink Verlag herausgebracht hat, zu Recht preisgekrönt. Sie bewahrt die pointenreiche Sprache eines begnadeten Polemikers, evoziert die Melancholie eines wenig beachteten Weltdeuters und erhellt die Passagen eines heftigen Denkers, der Martin Heidegger mehr verdankt als Max Weber. In jedem Fall: Dieses Buch muß man lesen, nicht nur aus Interesse am Mittelalter, sondern weil es in ihm um nichts Geringeres geht als um die Existenz des Intellektuellen.
De Libera blendet auf Le Goffs Klassiker "Die Geburt des Intellektuellen" zurück, will aber den sozialhistorischen Ausbruch aus der Geistesgeschichte von 1957 revidieren und das Thema ideen-, philosophie- und auch theologiehistorisch behandeln. Hatte Le Goff, ein Schüler nicht nur Braudels, sondern auch Chenus, den Menschentyp des Intellektuellen im Milieu seiner Entstehung - der okzidentalen Stadt des hohen Mittelalters - aufgesucht und die Genese des neuen Standes nachgezeichnet, den er mit den Magistern der Universitäten identifizierte, so ist De Liberas Ambition zugleich weiter wie vager: Es geht ihm um "das, was den Intellektuellen als solchen ausmacht: die Erfahrung des Denkens". Le Goff habe nur den "organischen Intellektuellen" erfaßt, der die Universität als Stätte der Elitenausbildung prägte, aber Gramscis Pendant des "kritischen Intellektuellen" verfehlt. Zwar haben die organischen Intellektuellen des dreizehnten Jahrhunderts das neue Lebensmodell aus der Taufe gehoben, in dem sie die Ziele von Tugend, Erkenntnis und Lust verbanden, es sei ihnen aber vor allem gelungen, das Ideal auch außerhalb der Institutionen des Wissens zu verbreiten.
Die Geburt des Intellektuellen habe sich deshalb geradezu bei der Entprofessionalisierung der Philosophie ereignet; und mehr noch: der entscheidende Vorgang liege nicht in Paris, überhaupt nicht in einer Universitätsstadt, sondern in den Städten des Rheintals, wo es, wie in Köln, gar keine Universitäten gab, sondern allenfalls Studienkonvente, die von Bettelorden geleitet wurden. "An der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert gibt es zwei Arten von Intellektuellen: diejenigen, die auf der Grundlage von Texten die philosophische Existenz erfinden, und die, die versuchen, Metaphern der universitären Lehre ins wirkliche Leben zu überführen."
Die Intellektuellen des Mittelalters hatten ein klares Bewußtsein ihrer Andersheit und erfaßten sich als "Lateiner" im Gegensatz zu den "Arabern", die ihnen als die "Philosophen" galten. Für einen christlichen Theologen nach 1200 seien die Philosophen par excellence nicht die Griechen, sondern die Araber beziehungsweise die Griechen und die Araber gewesen. Es gab aber keinen untergründigen "ethnischen" Konflikt zwischen "Latini" und "philosophi". Im Gegenteil gründete der universitäre Diskurs, der sich als "exportfähig" erwies, in der Übernahme, Adaption und Verinnerlichung jener Konzeption des philosophischen Lebens, die von den Philosophen des islamischen Gebietes als den ersten mittelalterlichen Erben der griechischen Philosophie formuliert worden war.
Nicht Aristoteles, sondern Avicenna hat das Abendland in die Philosophie eingeweiht. Erstmals zieht hier ein okzidentaler Philosoph radikale Konsequenzen aus der längst bekannten Geschichte, wie die Überlieferung der antiken griechischen Philosophie und Naturwissenschaft über arabische (und jüdische) Übersetzer und Bearbeiter zu den Lateinern gelangte. Kein Wunder, daß er mit Sarkasmus auf den Mainstream der Historiographie reagiert: "Nichts gegen eine Geschichte der universitären Kleidung - tatsächlich besteht Hoffnung, daß man so herausfindet, welchen Einfluß des Tragen von Mützen aus Eichhörnchenfell seinerzeit auf den Zustand des französischen Waldes gehabt hat."
Natürlich sind die neue Fragestellung und Thesenbildung nicht ohne Bezug auf die kulturellen und politischen Spannungen der Gegenwart entwickelt. Daß der Westen ein Kind des Ostens sei, daran müsse der Mediävist immer wieder alle Teilnehmer jenes unmöglichen Dialogs erinnern, "in dem die Phantome und Phantasmen der drei großen monotheistischen Religionen aufeinanderstoßen". Wenn die Juden, die Araber und die Christen gemeinsam die Fundamente eines intellektuellen Europas gelegt haben, so heiße das freilich nicht, daß sie dieses unvorhersehbare Werk im friedlichen Rahmen einer Idylle vollbracht hätten. Während sich die Intellektuellen an einer inneren Friedensstiftung versuchten, habe allzuoft religiöse Intoleranz mit ihren oft grausamen Folgen im Alltag geherrscht. Doch sei an eine Institution mittelalterlichen Ursprungs zu erinnern, in der die auch heute aktuelle Frage der Assimilation in Angriff genommen werden könne - die Universität: "Man muß der europäischen Kultur einen weiteren Horizont geben, indem man sie in ihr erstes Laboratorium zurückführt, dorthin, wo die Universität, das heißt die Gesamtheit der Meister und Studenten, damit ,beschäftigt' war, die Akkulturation voranzutreiben. Europa bleibt ohne Zukunft, wenn es nicht in einer Form gemeinschaftlichen Lebens noch einmal die Krisen durchlebt, die es einst als Projekt begründet haben."
Insbesondere sei es die wissenschaftliche Erforschung der Religionen, eine recht verstandene Laizität mit einem aktiven Respekt vor Glaubensüberzeugungen und kulturellen Differenzen, durch die die Starre der Welt und des internationalen Austauschs aufgebrochen werden müsse. Dabei gehe es nicht darum, den anderen als ein anderes Selbst anzuerkennen, sondern in sich selbst den Anteil des anderen wiederzufinden, ihn als solchen anzuerkennen und ihn in sich befruchtend wirken zu lassen. So werde man eben auch der Geschichte des Denkens gerecht. Denn, wie De Libera in präzisen quellenkritischen Studien zeigt, schon im vielberufenen "Drama der Scholastik" zwischen Glauben und Wissen, Dogma und Vernunft wirkte der viel ältere Konflikt der muslimischen Araber zwischen "falsafa" und "kalam", Philosophie und Theologie, nach.
Als Eckart, der Pariser Magister, 1313 in Straßburg mit der geistlichen Begleitung von Beginen und anderen religiös bewegten Frauen beauftragt wurde, konnte er zu ihnen weder in der Sprache der Philosophie noch der Theologie reden. Er mußte, wie schon Dante im "Convivio", die Volkssprache nutzen und neue Konzepte der Vermittlung suchen. Damit drang das Lebensmodell der Intellektuellen unwiderruflich "in die Gesellschaft" ein: Alle Versuche der Zensur, zumal das Vorgehen des Bischofs von Paris gegen den "Arabismus" der Universität von 1277, hatten sich als wirkungslos erwiesen.
MICHAEL BORGOLTE
Alain de Libera: "Denken im Mittelalter". Aus dem Französischen von Andreas Knop. Wilhelm Fink Verlag, München 2003. 310 S., br., 39,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Diesen Band zur Philosophie des Mittelalters von Alain de Libera lobt Ralf Grötker in den höchsten Tönen. Dem französischen Mediävisten gelingt mit diesem Buch über das intellektuelle Leben im Mittelalter der "Spagat", ein breites Lesepublikum zu bedienen und gleichzeitig einen wissenschaftlichen Forschungsbeitrag zu leisten, freut sich der Rezensent. Dem Autor ist es wichtig, mit gängigen Vorurteilen aufzuräumen, betont Grötker, der in dem Band nicht zuletzt eine Auseinandersetzung mit der "historischen Soziologie" entdeckt, mit der sich de Libera nicht zufrieden geben will. Vielmehr geht es ihm in seinem Buch auch darum, ein Stück Philosophiegeschichte, die sowohl die Ethik als auch die Physik mit einbezieht, zu rekapitulieren, erklärt der Rezensent. Vieles, was er in dem Buch gefunden hat, ist auch heute noch "aktuell", wie beispielsweise das Spannungsverhältnis von "Glaube und Vernunft", intellektuelles "Selbstverständnis" und die Auseinandersetzung zwischen jüdisch-christlichen und islamischen Traditionen, so Grötker zustimmend. Bei letzterem Thema sieht er auch ein pädagogisches Interesse des Autors zu Tage treten, nämlich den Standpunkt de Liberas, dass arabische Jugendliche in Frankreich ein Recht darauf hätten, von arabischer Philosophie und Theologie auch in der Schule zu lernen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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