Auf dem Speicher eines verlassenen Wohnhauses am Rande der Jerusalemer Altstadt wird eines Tages die Leiche einer jungen Frau entdeckt. Um den Hals der 22-jährigen Zohra Baschari ist ein roter Seidenschal geschlungen, ihr Gesicht ist zerschmettert. Bei seinen Ermittlungen stellt Inspektor Ochajon schon bald fest, dass Zohra Geheimnisse in ihrem Leben barg, von denen niemand etwas ahnte. Als kurz darauf auch noch die zehnjährige Nesja spurlos verschwindet, spitzen sich die Ereignisse zu. Das kleine Mädchen vergötterte die schöne Zohra zu Lebzeiten und war ihr oft wie ein unsichtbarer Schatten gefolgt. Offensichtlich weiß das Kind etwas über die Hintergründe der Tat und schwebt nun selbst vielleicht in höchster Gefahr. Inspektor Ochajon muss handeln, und zwar schnell ...
Anspruchsvoll, spannend und informativ
Sie lieben intelligente Kriminalromane, bei denen sich Spannung und Anspruch die Waage halten? Haben ein Faible für Plots, die sich an der Realität orientieren? Und wissen natürlich, dass auch in einem kleinen Land wie Israel große Schriftsteller leben, die ihr Handwerk verstehen? Dann ist Batya Gur Ihnen sicherlich geläufig.
Denn wie sonst nur ganz wenigen gelingt es dieser Frau, Fiktion und Wirklichkeit so glaubhaft und harmonisch zusammenzufügen.
Eine tote junge Frau und der magische Teppich
Und das ist auf den ersten Blick zunächst nicht so einleuchtend. Da gibt es einerseits die junge, zunächst unbekannte Tote. Andererseits spielt eine wichtige Rolle die (historisch verbriefte) Operation "Magischer Teppich", einem Großteil der Leserschaft außerhalb Israels gänzlich unbekannt - ebenso wie dessen dramatische Folgen.
Anfang der Fünfziger Jahre wurden in einer "Nacht-und-Nebel-Aktion" per Luftbrücke zigtausende jemenitischer Juden in israelische Auffanglager verbracht. Diese Neubürger unterschieden sich häufig jedoch nicht nur in ihrem Bildungsgrad von den europäischen Juden, sondern auch durch ihren Kinderreichtum, während die letzteren oftmals nicht nur ihren gesamten Besitz im Holocaust verloren hatten, sondern auch ihre Familien.
Bei der Bevölkerung noch immer ein Thema
Das wiederum führte zu den bis heute mehrheitlich totgeschwiegenden Fällen von staatlich sanktioniertem Kindesentzug, bei dem jemenitischen Eltern vorgegaukelt wurde, ihre Söhne und Töchter seien verstorben, während sie stattdessen von Aschkenasim adoptiert wurden. Noch heute gibt es immer wieder Menschen, die nach einer Exhumierung ihrer angeblich toten Kinder erfahren müssen, dass im entsprechenden Grab ein ganz Fremder liegt. Nicht zuletzt deswegen, weil es Menschen wie etwa jenen (real existierenden) jemenitischen Rabbi Uzi Meschulam gibt, die die Vorgänge nicht ruhen lassen, sondern mit allen Mitteln auf Aufklärung dringen - selbst um den Preis, für ihre Taten im Gefängnis landen zu müssen.
Batya Gur gelingt es, die mit dieser ganzen höchst ungewöhnlichen Situation verbundenen Seelenqualen, Selbstzweifel und auch Schuldgefühle aller Beteiligten sehr deutlich in ihren Roman einfließen zu lassen, der aber auch einige andere aktuelle Probleme des Vielvölkerstaates aufgreift.
Europäische und orientalische Juden
So etwa die Kluft zwischen Aschkenasim (Nachfolger der mittelalterlichen jüdischen Gemeinschaften aus Nord-, Mittel- und Osteuropa) und >i>Sephardim (jene jüdisch-spanisches Ladino sprechenden Juden, die vor ihrer Vertreibung 1492 in Spanien und Portugal lebten, sich anschließend in Südosteuropa, Nordafrika, Asien, aber auch in Holland, England, Nordwestdeutschland und Amerika niederließen, sowie orientalische Juden mit Vorfahren aus Nordafrika oder aus dem Nahen Osten. Es gibt weltweit etwa 700 000 Sephardim, deutlich weniger als Aschkenasim), reich und arm, gebildet und ungebildet - obschon dieses Klischee heute nicht mehr in vollem Umfang zutrifft, bilden doch die Jemeniten die nach den Europäern größte Gruppe an den Universitäten.
Glaubwürdige Charaktere, berührender Plot
Spannend und faszinierend von der ersten Seite an schildert die Autorin, wie sich die Schicksale ihrer sehr unterschiedlichen, doch stets glaubwürdigen Figuren verknüpfen. Neben der Toten, ihrer eigenen Familie, den Nachbarn, dem Arbeitgeber und natürlich den ermittelnden Beamten, beschreibt sie auch sehr einfühlsam die Geschichte der kleinen Außenseiterin Nesja. Und mancher Leser wird sich oder jemand, den er gut kennt, in diesem dicklichen Kind wiederfinden, von den Altersgenossen ignoriert und als Ausgleich in der eigenen Fantasiewelt gefangen, einem von fast allen unbeachteten Lauscher an der Wand, für den das Wissen um die Geheimnisse der anderen ein Ausgleich zum eigenen trostlosen Dasein wird.
Doch am Ende siegt die Hoffnung
Wie gut, dass sich für dieses Mädchen, dessen Namen das hebräische Wort für "Wunder", also "Nes" enthält, am Ende nach vielen Aufregungen und Gefahren tatsächlich ein solches ereignet, indem sich ihre Gesamtsituation durch die Erlebnisse drastisch verbessert.
Und schön auch, dass der von den Fans hochgeschätzte Protagonist Michael Ochajon endlich durch die Begegnung mit seiner Ex-Schulkameradin Ada aus seinem Dasein als einsamer Wolf erlöst zu werden scheint.
So siegt doch, trotz all der düsteren Geschehnisse und der von den Ereignissen für immer gezeichneten Menschen, in diesem hervorragenden Roman das Prinzip Hoffnung. Die sich beim Leser am Ende der fast 450 Seiten mit den Wunsch verknüpft, Gur möge recht bald einen neuen, ebenso spannenden und aufwühlenden Inspektor-Ochajon-Roman vorlegen.
(Stefanie Averbuch, www.krimi-forum.de)
Sie lieben intelligente Kriminalromane, bei denen sich Spannung und Anspruch die Waage halten? Haben ein Faible für Plots, die sich an der Realität orientieren? Und wissen natürlich, dass auch in einem kleinen Land wie Israel große Schriftsteller leben, die ihr Handwerk verstehen? Dann ist Batya Gur Ihnen sicherlich geläufig.
Denn wie sonst nur ganz wenigen gelingt es dieser Frau, Fiktion und Wirklichkeit so glaubhaft und harmonisch zusammenzufügen.
Eine tote junge Frau und der magische Teppich
Und das ist auf den ersten Blick zunächst nicht so einleuchtend. Da gibt es einerseits die junge, zunächst unbekannte Tote. Andererseits spielt eine wichtige Rolle die (historisch verbriefte) Operation "Magischer Teppich", einem Großteil der Leserschaft außerhalb Israels gänzlich unbekannt - ebenso wie dessen dramatische Folgen.
Anfang der Fünfziger Jahre wurden in einer "Nacht-und-Nebel-Aktion" per Luftbrücke zigtausende jemenitischer Juden in israelische Auffanglager verbracht. Diese Neubürger unterschieden sich häufig jedoch nicht nur in ihrem Bildungsgrad von den europäischen Juden, sondern auch durch ihren Kinderreichtum, während die letzteren oftmals nicht nur ihren gesamten Besitz im Holocaust verloren hatten, sondern auch ihre Familien.
Bei der Bevölkerung noch immer ein Thema
Das wiederum führte zu den bis heute mehrheitlich totgeschwiegenden Fällen von staatlich sanktioniertem Kindesentzug, bei dem jemenitischen Eltern vorgegaukelt wurde, ihre Söhne und Töchter seien verstorben, während sie stattdessen von Aschkenasim adoptiert wurden. Noch heute gibt es immer wieder Menschen, die nach einer Exhumierung ihrer angeblich toten Kinder erfahren müssen, dass im entsprechenden Grab ein ganz Fremder liegt. Nicht zuletzt deswegen, weil es Menschen wie etwa jenen (real existierenden) jemenitischen Rabbi Uzi Meschulam gibt, die die Vorgänge nicht ruhen lassen, sondern mit allen Mitteln auf Aufklärung dringen - selbst um den Preis, für ihre Taten im Gefängnis landen zu müssen.
Batya Gur gelingt es, die mit dieser ganzen höchst ungewöhnlichen Situation verbundenen Seelenqualen, Selbstzweifel und auch Schuldgefühle aller Beteiligten sehr deutlich in ihren Roman einfließen zu lassen, der aber auch einige andere aktuelle Probleme des Vielvölkerstaates aufgreift.
Europäische und orientalische Juden
So etwa die Kluft zwischen Aschkenasim (Nachfolger der mittelalterlichen jüdischen Gemeinschaften aus Nord-, Mittel- und Osteuropa) und >i>Sephardim (jene jüdisch-spanisches Ladino sprechenden Juden, die vor ihrer Vertreibung 1492 in Spanien und Portugal lebten, sich anschließend in Südosteuropa, Nordafrika, Asien, aber auch in Holland, England, Nordwestdeutschland und Amerika niederließen, sowie orientalische Juden mit Vorfahren aus Nordafrika oder aus dem Nahen Osten. Es gibt weltweit etwa 700 000 Sephardim, deutlich weniger als Aschkenasim), reich und arm, gebildet und ungebildet - obschon dieses Klischee heute nicht mehr in vollem Umfang zutrifft, bilden doch die Jemeniten die nach den Europäern größte Gruppe an den Universitäten.
Glaubwürdige Charaktere, berührender Plot
Spannend und faszinierend von der ersten Seite an schildert die Autorin, wie sich die Schicksale ihrer sehr unterschiedlichen, doch stets glaubwürdigen Figuren verknüpfen. Neben der Toten, ihrer eigenen Familie, den Nachbarn, dem Arbeitgeber und natürlich den ermittelnden Beamten, beschreibt sie auch sehr einfühlsam die Geschichte der kleinen Außenseiterin Nesja. Und mancher Leser wird sich oder jemand, den er gut kennt, in diesem dicklichen Kind wiederfinden, von den Altersgenossen ignoriert und als Ausgleich in der eigenen Fantasiewelt gefangen, einem von fast allen unbeachteten Lauscher an der Wand, für den das Wissen um die Geheimnisse der anderen ein Ausgleich zum eigenen trostlosen Dasein wird.
Doch am Ende siegt die Hoffnung
Wie gut, dass sich für dieses Mädchen, dessen Namen das hebräische Wort für "Wunder", also "Nes" enthält, am Ende nach vielen Aufregungen und Gefahren tatsächlich ein solches ereignet, indem sich ihre Gesamtsituation durch die Erlebnisse drastisch verbessert.
Und schön auch, dass der von den Fans hochgeschätzte Protagonist Michael Ochajon endlich durch die Begegnung mit seiner Ex-Schulkameradin Ada aus seinem Dasein als einsamer Wolf erlöst zu werden scheint.
So siegt doch, trotz all der düsteren Geschehnisse und der von den Ereignissen für immer gezeichneten Menschen, in diesem hervorragenden Roman das Prinzip Hoffnung. Die sich beim Leser am Ende der fast 450 Seiten mit den Wunsch verknüpft, Gur möge recht bald einen neuen, ebenso spannenden und aufwühlenden Inspektor-Ochajon-Roman vorlegen.
(Stefanie Averbuch, www.krimi-forum.de)
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Stefana Sabin freut sich über die Begegnung mit einem alten Bekannten: Inspektor Ochajon, der seit sehn Jahren Jerusalemer Mordfälle aufklärt und sich dabei durch die Engpässe der israelischen Gesellschaft schlagen muss. Dieses Mal erzähle Batya Gur eine selbstverständlich tragisch endende Romeo-und-Julia-Geschichte vor dem Hintergrund von Emigrationserfahrungen und den Spannungen zwischen den Aschkenasim und den Sephardim. Ein "schöner Krimi" ist ihr gelungen, lobt Sabin. Die Spannung werde geschickt mit sozialkritischen Beschreibungen verlängert und die Atmosphäre der Handlungsorte sei sehr genau eingefangen. Schade nur, dass ihr Spiel mit der Umgangssprache die Übersetzung kaum überlebt habe.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein absolut mitreißendes Buch von Batya Gur, mit dem sie einmal mehr beweist, was sie eigentlich gar nicht mehr beweisen muss - dass sie die beste Kriminalroman-Autorin Israels ist!" Ma'ariv