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Produktdetails
  • Verlag: Penguin Books UK
  • Seitenzahl: 278
  • Englisch
  • Abmessung: 235mm
  • Gewicht: 318g
  • ISBN-13: 9780140241570
  • Artikelnr.: 26735801
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.03.2000

Wer leugnet, der lügt
Deborah Lipstadt wird verklagt, weil sie die Wahrheit sagt
DEBORAH LIPSTADT: Denying the Holocaust; the growing assault on truth and memory. Plume/Penguin, New York, London 1994; 278 Seiten, 28 Mark.
Kaufmännisch sei das Buch „keine so gute Entscheidung” gewesen, sagt eine Penguin-Sprecherin in London seufzend. 2000 Exemplare für je 8,99 Pfund, das sind 28 Mark, hat der Verlag auf der Insel verkauft; nun stehen ihm Kosten von mehr als 3,2 Millionen Mark ins Haus. Penguin und seine Autorin Deborah Lipstadt sind verklagt worden wegen ihres Buches „Denying the Holocaust”. Kläger ist der notorische Historiker David Irving, in München als Auschwitz-Lügner längst rechtskräftig verurteilt. Und Kenner des vertrackten britischen Verleumdungsrechts sind nicht einmal sicher, dass Irving vor dem Londoner High Court die Niederlage erleiden wird, die seine Rabulistik verdient.
„Denying the Holocaust” erschien 1994 in den USA, wo Frau Lipstadt als Professorin für Holocaust-Studien an der Emory-Universität von Atlanta lehrt. 1996 hat es auch Rowohlt als Taschenbuch herausgebracht, doch die Ausgabe ist vergriffen. Wer also nachlesen möchte, was die Historikerin David Irving und Seinesgleichen vorwirft, muss sich der englischen Ausgabe zuwenden.
In einem früheren Buch beschäftigt sich Lipstadt mit der Reaktion der US-Presse auf die Judenverfolgung in Deutschland ab 1933, auf Nachrichten von systematischen Pogromen, schließlich auf die Berichte vom Völkermord in den Gaskammern von Auschwitz, Sobibor und Treblinka. Während ihrer Studien für dieses Werk stieß Lipstadt immer wieder auch auf Antisemitismus in Teilen der US-Gesellschaft, dessen übelste Auswüchse die mehr oder weniger subtile Leugnung des Holocausts darstellt.
Fatale Meinungsfreiheit
Ihr Beschluss, die Auschwitz-Lügner einer Untersuchung zu unterziehen, stieß in Fachkreisen auf Kopfschütteln. Darüber herrscht auch in Deutschland keine Einigkeit: Wie ernst soll man Spinner nehmen, die aus verdrehten Zitaten, missverstandenen Statistiken und kruden Theorien von der jüdischen Weltverschwörung ihre giftige Melange fabrizieren? Während in der BRD die Auschwitz-Leugner strafrechtlich verfolgt werden, können Neonazis sich in den USA noch immer auf das Recht auf freie Meinungsäußerung berufen – mit fatalen Folgen. Lipstadt zitiert eine Meinungsumfrage, in der 22 Prozent aller erwachsenen US-Bürger es für „möglich” hielten, dass der Holocaust eine Erfindung sei. Das ist selbst in einem für Verschwörungstheorien anfälligen Land zu viel, um die Pseudo-Wissenschaftler zu ignorieren.
Vor diesem Hintergrund gelesen ist „Denying the Holocaust” ein wichtiges Buch. Es ist aber auch spannend als Geschichte einer bedrückenden Idee, die vom Rand der Gesellschaft ihren Weg in die Köpfe ganz normaler Leute gefunden hat. Deborah Lipstadt berichtet von „zu vielen meiner Studenten”, die sie mit Fragen gelöchert hätten: „Wie können wir wissen, dass es Gaskammern gab?” Für eben jene Studenten fasst die Professorin im Anhang die Fakten zusammen, mit denen die schlimmsten Lügen ein für alle Mal entkräftet werden können.
Es ist ein zorniges Buch, das aber mit der gebotenen Kühle Fakten referiert und klare Analysen liefert. Die Wissenschaftlerin begnügt sich nicht damit, primitive Holocaust-Leugner jener Lächerlichkeit preiszugeben, die sie verdienen. Stattdessen setzt sie sich mit den differenzierteren und deshalb umso perfideren Thesen von Leuten wie Robert Faurisson, Arthur F. Butz und Fred A. Leuchter auseinander. Ein ums andere Mal weist Lipstadt den Auschwitz-Lügnern ihre Versäumnisse und Auslassungen nach: Da werden Zitate aus dem Zusammenhang gerissen, Statistiken gefälscht, winzige Lücken in der Erinnerung eines Auschwitz-Überlebenden zum Beweis dafür aufgebauscht, dass der Mann gar nicht in Auschwitz gewesen sei.
Dem Briten Irving schreibt Lipstadt ins Stammbuch, er sei „einer der gefährlichsten Sprecher” für die Holocaust-Leugner: „Er kann mit Quellen umgehen, interpretiert sie aber so um, dass sie mit seiner politischen Zielrichtung übereinstimmen. ” Im Londoner Prozess wurde Lipstadts Anwalt deutlicher: Irving sei „kein Geschichtsforscher, sondern ein Geschichtsfälscher und Lügner”.
Seinen einzigen Mangel teilt „Denying the Holocaust” mit vielen Büchern aus den USA: Es ist schlecht redigiert und enthält deshalb eine Reihe kleinerer sachlicher Fehler. Beispielsweise wird die Annektion der baltischen Staaten durch die Sowjetunion auf 1941 datiert. Auch war Hitler-Biograph Joachim Fest nie „editor in chief” der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Kleinigkeiten, gewiss. Aber gerade diesem Buch, das eine so fulminante Attacke reitet gegen die Wahrheitsverdreher und Geschichtsfälscher, hätte ein unbarmherzigerer Lektor gut getan.
SEBASTIAN BORGER
Der Rezensent ist Journalist in London.
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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