DAS DEUTSCHE 20. JAHRHUNDERT IM SPIEGEL EINES TAGES
Die Revolution von 1918/19, der Hitlerputsch, die Reichspogromnacht, das Attentat von Georg Elser auf Adolf Hitler und die friedliche Revolution von 1989 - alle diese Ereignisse sind mit dem 9. November verknüpft. Er ist der deutsche Schicksalstag. Der Historiker und Journalist Wolfgang Niess erzählt, was jeweils geschah, und beschreibt den Kampf um die Erinnerung. So entsteht ein Panorama des deutschen 20. Jahrhunderts mit all seinen Widersprüchen.
«Der 9. November ist der deutsche Schicksalstag.» So begann Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble am 9. November 2018 seine Ansprache zur Gedenkveranstaltung des deutschen Bundestages. «An diesem Datum verdichtet sich unsere jüngere Geschichte in ihrer Ambivalenz, mit ihren Widersprüchen, ihren Gegensätzen. Das Tragische und das Glück, der vergebliche Versuch und das Gelingen, Freude und Schuld: All das gehört zusammen. Untrennbar.» Seit 1918 ist der 9. November ein besonderer Tag der deutschen Geschichte, der eine eigene historische Bedeutung besitzt. Die Ereignisse stehen nicht bloß in einem anekdotischen, sondern in einem realen Zusammenhang. Im Spiegel dieses Datums lässt sich daher eine deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts schreiben. Der 9. November macht den langen, von furchtbaren Rückfällen in die Barbarei unterbrochenen, schließlich aber erfolgreichen Kampf um die Demokratie in Deutschland anschaulich wie kein anderer Tag des Jahres. Es ist an der Zeit, ihn zu einem nationalen Gedenktag zu erklären.
Geschichte eines deutschen Schicksalstages Der 9. November: Ausrufung der Republik (1918), Hitlerputsch (1923), Reichspogromnacht (1938), Georg Elsers Attentat auf Adolf Hitler (1939), Sturz der Mauer (1989) Behandelt auch: Die inneren Zusammenhänge der Ereignisse, Die Geschichte der Erinnerung an den 9. November Plädoyer für einen nationalen Gedenktag am 9. November
Die Revolution von 1918/19, der Hitlerputsch, die Reichspogromnacht, das Attentat von Georg Elser auf Adolf Hitler und die friedliche Revolution von 1989 - alle diese Ereignisse sind mit dem 9. November verknüpft. Er ist der deutsche Schicksalstag. Der Historiker und Journalist Wolfgang Niess erzählt, was jeweils geschah, und beschreibt den Kampf um die Erinnerung. So entsteht ein Panorama des deutschen 20. Jahrhunderts mit all seinen Widersprüchen.
«Der 9. November ist der deutsche Schicksalstag.» So begann Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble am 9. November 2018 seine Ansprache zur Gedenkveranstaltung des deutschen Bundestages. «An diesem Datum verdichtet sich unsere jüngere Geschichte in ihrer Ambivalenz, mit ihren Widersprüchen, ihren Gegensätzen. Das Tragische und das Glück, der vergebliche Versuch und das Gelingen, Freude und Schuld: All das gehört zusammen. Untrennbar.» Seit 1918 ist der 9. November ein besonderer Tag der deutschen Geschichte, der eine eigene historische Bedeutung besitzt. Die Ereignisse stehen nicht bloß in einem anekdotischen, sondern in einem realen Zusammenhang. Im Spiegel dieses Datums lässt sich daher eine deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts schreiben. Der 9. November macht den langen, von furchtbaren Rückfällen in die Barbarei unterbrochenen, schließlich aber erfolgreichen Kampf um die Demokratie in Deutschland anschaulich wie kein anderer Tag des Jahres. Es ist an der Zeit, ihn zu einem nationalen Gedenktag zu erklären.
Geschichte eines deutschen Schicksalstages Der 9. November: Ausrufung der Republik (1918), Hitlerputsch (1923), Reichspogromnacht (1938), Georg Elsers Attentat auf Adolf Hitler (1939), Sturz der Mauer (1989) Behandelt auch: Die inneren Zusammenhänge der Ereignisse, Die Geschichte der Erinnerung an den 9. November Plädoyer für einen nationalen Gedenktag am 9. November
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.10.2021Deutschlandtag
Wolfgang Niess über die Geschichte des 9. November
Schicksalstag – das Wort lässt manche vielleicht an Sissi und die „Schicksalsjahre einer Kaiserin“ denken, für andere klingt es eher nach raunender Geschichtsbetrachtung, wenn nicht sogar -mystifizierung. Mittlerweile ist der Begriff jedoch kaum noch zu trennen vom 9. November, jenem Datum in der jüngeren deutschen Geschichte, auf das – scheinbar rational kaum zu erklären – immer wieder historische Ereignisse fallen: die Revolution 1918, die das brüchige Kaiserreich hinwegfegte; der „Hitlerputsch“ 1923 in München; die Pogromnacht 1938; schließlich der Fall der Berliner Mauer 1989.
Der Historiker und Journalist Wolfgang Niess macht gleich zu Beginn seines Buches deutlich, dass er dem Begriff „Schicksalstag“ skeptisch gegenübersteht – eben weil er geheimnisvoll wirkende „Mächte im Hintergrund“ suggeriere. Den Verlag hat das nicht gehindert, das Wort im Untertitel zu verwenden, und man wird dem Schicksalstag in diesem Zusammenhang ohnehin nicht mehr entkommen; die SZ etwa hat ihn bereits 1946 benutzt. Niess gibt sich in seinem Buch jedoch alle Mühe, dem 9. November das Schicksalhafte zu nehmen und zu erklären, warum so unterschiedliche historische Szenarien immer wieder am oder um den 9. November kulminierten.
Niess merkt an, dass das Gedenkdatum 9. November eine „gewisse Unschärfe“ aufweise. Natürlich: Eine Revolution ist nicht an einem Tag erledigt (wohl aber die Ausrufung der Republik am 9. November), und auch Hitlers Putschversuch, die Pogromnacht und die Öffnung der Mauer fanden nicht exakt nur jeweils an einem Tag statt, sondern setzten am 9. November ein oder endeten wie Hitlers Umsturzversuch an diesem Tag. Ein weiteres Datum kommt hinzu, das bis vor einiger Zeit nicht allzu geläufig war – das Attentat des schwäbischen Schreiners Georg Elser auf Hitler schlug am 8. November 1939 in München fehl.
An ihm lässt sich verdeutlichen, dass die ersten vier der fünf Novemberdaten einander bedingen. Denn die Abende des 8. November dienten dem „Führer und Reichskanzler“ dazu, im Münchner Bürgerbräukeller pompös der „Märtyrer“ von 1923 zu gedenken. Der Putsch wiederum hätte nicht stattgefunden, wären nicht fünf Jahre nach der erfolgreichen Revolution von 1918 bayerische Demokratiefeinde und Nationalisten zu einem Monarchiegedenken im Bürgerbräu zusammengekommen. Dies nutzte Hitler, um gleich die „nationale Revolution“ auszurufen.
So war Hitler auch am 8. und 9. November 1938 in München gewesen, wo er Goebbels freie Hand für die Pogrome gegen die längst entrechteten deutschen Juden gab, vorgeblich als Vergeltung für den Mord an dem Diplomaten Ernst vom Rath durch einen jungen polnischen Juden. Im Jahr darauf, als Georg Elsers selbstgebaute Bombe im Bürgerbräukeller explodierte, hatte Hitler wenige Minuten zuvor das Lokal verlassen.
Wolfgang Niess widmet jedem dieser Novembertage sowie dem Mauerfall und dessen Vorgeschichte ein profundes Kapitel. Er blickt auf den unterschiedlichen Umgang der Bundesrepublik und der DDR mit dem schwierigen Datum, das in der DDR fast ausschließlich als das der Revolution von 1918 begangen wurde, als deren erfolgreiche Erbin sich die DDR stilisierte. Anders in der Bundesrepublik: Hier wurde die Bedeutung der Novemberrevolution lange ignoriert oder von konservativen Historikern kleingeredet, wiederentdeckt in ihrer Bedeutung für die deutsche Demokratie wurde sie erst im aufgeheizten Klima des Jahres 1968. Des Pogroms von 1938 hingegen gedachte man in Westdeutschland seit 1958 regelmäßig und mit wachsender Resonanz.
Wolfgang Niess’ kluges, lesenswertes Buch wäre unvollständig ohne die Frage, ob nicht der „Schicksalstag“ 9. November wegen seiner historischen Dimension, seiner demokratiegeschichtlichen Bedeutung der deutsche Nationalfeiertag schlechthin wäre – viel besser auch als das nichtssagende „Verwaltungsdatum“ (Joschka Fischer) 3. Oktober. Geplant ist das nicht, Niess plädiert daher für einen „Nationalen Gedenktag“. Es wäre das Mindeste.
CORD ASCHENBRENNER
Wolfgang Niess:
Der 9. November.
Die Deutschen und ihr Schicksalstag. Verlag
C.H. Beck, München 2021. 318 Seiten, 26 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Wolfgang Niess über die Geschichte des 9. November
Schicksalstag – das Wort lässt manche vielleicht an Sissi und die „Schicksalsjahre einer Kaiserin“ denken, für andere klingt es eher nach raunender Geschichtsbetrachtung, wenn nicht sogar -mystifizierung. Mittlerweile ist der Begriff jedoch kaum noch zu trennen vom 9. November, jenem Datum in der jüngeren deutschen Geschichte, auf das – scheinbar rational kaum zu erklären – immer wieder historische Ereignisse fallen: die Revolution 1918, die das brüchige Kaiserreich hinwegfegte; der „Hitlerputsch“ 1923 in München; die Pogromnacht 1938; schließlich der Fall der Berliner Mauer 1989.
Der Historiker und Journalist Wolfgang Niess macht gleich zu Beginn seines Buches deutlich, dass er dem Begriff „Schicksalstag“ skeptisch gegenübersteht – eben weil er geheimnisvoll wirkende „Mächte im Hintergrund“ suggeriere. Den Verlag hat das nicht gehindert, das Wort im Untertitel zu verwenden, und man wird dem Schicksalstag in diesem Zusammenhang ohnehin nicht mehr entkommen; die SZ etwa hat ihn bereits 1946 benutzt. Niess gibt sich in seinem Buch jedoch alle Mühe, dem 9. November das Schicksalhafte zu nehmen und zu erklären, warum so unterschiedliche historische Szenarien immer wieder am oder um den 9. November kulminierten.
Niess merkt an, dass das Gedenkdatum 9. November eine „gewisse Unschärfe“ aufweise. Natürlich: Eine Revolution ist nicht an einem Tag erledigt (wohl aber die Ausrufung der Republik am 9. November), und auch Hitlers Putschversuch, die Pogromnacht und die Öffnung der Mauer fanden nicht exakt nur jeweils an einem Tag statt, sondern setzten am 9. November ein oder endeten wie Hitlers Umsturzversuch an diesem Tag. Ein weiteres Datum kommt hinzu, das bis vor einiger Zeit nicht allzu geläufig war – das Attentat des schwäbischen Schreiners Georg Elser auf Hitler schlug am 8. November 1939 in München fehl.
An ihm lässt sich verdeutlichen, dass die ersten vier der fünf Novemberdaten einander bedingen. Denn die Abende des 8. November dienten dem „Führer und Reichskanzler“ dazu, im Münchner Bürgerbräukeller pompös der „Märtyrer“ von 1923 zu gedenken. Der Putsch wiederum hätte nicht stattgefunden, wären nicht fünf Jahre nach der erfolgreichen Revolution von 1918 bayerische Demokratiefeinde und Nationalisten zu einem Monarchiegedenken im Bürgerbräu zusammengekommen. Dies nutzte Hitler, um gleich die „nationale Revolution“ auszurufen.
So war Hitler auch am 8. und 9. November 1938 in München gewesen, wo er Goebbels freie Hand für die Pogrome gegen die längst entrechteten deutschen Juden gab, vorgeblich als Vergeltung für den Mord an dem Diplomaten Ernst vom Rath durch einen jungen polnischen Juden. Im Jahr darauf, als Georg Elsers selbstgebaute Bombe im Bürgerbräukeller explodierte, hatte Hitler wenige Minuten zuvor das Lokal verlassen.
Wolfgang Niess widmet jedem dieser Novembertage sowie dem Mauerfall und dessen Vorgeschichte ein profundes Kapitel. Er blickt auf den unterschiedlichen Umgang der Bundesrepublik und der DDR mit dem schwierigen Datum, das in der DDR fast ausschließlich als das der Revolution von 1918 begangen wurde, als deren erfolgreiche Erbin sich die DDR stilisierte. Anders in der Bundesrepublik: Hier wurde die Bedeutung der Novemberrevolution lange ignoriert oder von konservativen Historikern kleingeredet, wiederentdeckt in ihrer Bedeutung für die deutsche Demokratie wurde sie erst im aufgeheizten Klima des Jahres 1968. Des Pogroms von 1938 hingegen gedachte man in Westdeutschland seit 1958 regelmäßig und mit wachsender Resonanz.
Wolfgang Niess’ kluges, lesenswertes Buch wäre unvollständig ohne die Frage, ob nicht der „Schicksalstag“ 9. November wegen seiner historischen Dimension, seiner demokratiegeschichtlichen Bedeutung der deutsche Nationalfeiertag schlechthin wäre – viel besser auch als das nichtssagende „Verwaltungsdatum“ (Joschka Fischer) 3. Oktober. Geplant ist das nicht, Niess plädiert daher für einen „Nationalen Gedenktag“. Es wäre das Mindeste.
CORD ASCHENBRENNER
Wolfgang Niess:
Der 9. November.
Die Deutschen und ihr Schicksalstag. Verlag
C.H. Beck, München 2021. 318 Seiten, 26 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Teils ist es schierer Zufall, dass bestimmte historische Tage der deutschen Geschichte sich am 9. November ereigneten, teils stehen die Daten in Bezug zueinander, schon weil Hitler am 8. November regelmäßig seines Putsches von 1923 gedachte, erläutert Rezensent Cord Aschenbrenner. Den Begriff "Schicksalstag" lehnt er natürlich genauso ab wie der Buchautor selbst - nur lässt er sich wohl kaum mehr vermeiden. Sehr kundig, so Aschenbrenner, stellt Wolfgang Niess jedes Datum in seinen Kontext. Und Aschenbrenner teilt seine Ansicht, dass man den 9. November in Deutschland zwar nicht zum Nationalfeiertag machen, wohl aber zum "Nationalen Gedenktag" erklären könne.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Deutschlandtag
Wolfgang Niess über die Geschichte des 9. November
Schicksalstag – das Wort lässt manche vielleicht an Sissi und die „Schicksalsjahre einer Kaiserin“ denken, für andere klingt es eher nach raunender Geschichtsbetrachtung, wenn nicht sogar -mystifizierung. Mittlerweile ist der Begriff jedoch kaum noch zu trennen vom 9. November, jenem Datum in der jüngeren deutschen Geschichte, auf das – scheinbar rational kaum zu erklären – immer wieder historische Ereignisse fallen: die Revolution 1918, die das brüchige Kaiserreich hinwegfegte; der „Hitlerputsch“ 1923 in München; die Pogromnacht 1938; schließlich der Fall der Berliner Mauer 1989.
Der Historiker und Journalist Wolfgang Niess macht gleich zu Beginn seines Buches deutlich, dass er dem Begriff „Schicksalstag“ skeptisch gegenübersteht – eben weil er geheimnisvoll wirkende „Mächte im Hintergrund“ suggeriere. Den Verlag hat das nicht gehindert, das Wort im Untertitel zu verwenden, und man wird dem Schicksalstag in diesem Zusammenhang ohnehin nicht mehr entkommen; die SZ etwa hat ihn bereits 1946 benutzt. Niess gibt sich in seinem Buch jedoch alle Mühe, dem 9. November das Schicksalhafte zu nehmen und zu erklären, warum so unterschiedliche historische Szenarien immer wieder am oder um den 9. November kulminierten.
Niess merkt an, dass das Gedenkdatum 9. November eine „gewisse Unschärfe“ aufweise. Natürlich: Eine Revolution ist nicht an einem Tag erledigt (wohl aber die Ausrufung der Republik am 9. November), und auch Hitlers Putschversuch, die Pogromnacht und die Öffnung der Mauer fanden nicht exakt nur jeweils an einem Tag statt, sondern setzten am 9. November ein oder endeten wie Hitlers Umsturzversuch an diesem Tag. Ein weiteres Datum kommt hinzu, das bis vor einiger Zeit nicht allzu geläufig war – das Attentat des schwäbischen Schreiners Georg Elser auf Hitler schlug am 8. November 1939 in München fehl.
An ihm lässt sich verdeutlichen, dass die ersten vier der fünf Novemberdaten einander bedingen. Denn die Abende des 8. November dienten dem „Führer und Reichskanzler“ dazu, im Münchner Bürgerbräukeller pompös der „Märtyrer“ von 1923 zu gedenken. Der Putsch wiederum hätte nicht stattgefunden, wären nicht fünf Jahre nach der erfolgreichen Revolution von 1918 bayerische Demokratiefeinde und Nationalisten zu einem Monarchiegedenken im Bürgerbräu zusammengekommen. Dies nutzte Hitler, um gleich die „nationale Revolution“ auszurufen.
So war Hitler auch am 8. und 9. November 1938 in München gewesen, wo er Goebbels freie Hand für die Pogrome gegen die längst entrechteten deutschen Juden gab, vorgeblich als Vergeltung für den Mord an dem Diplomaten Ernst vom Rath durch einen jungen polnischen Juden. Im Jahr darauf, als Georg Elsers selbstgebaute Bombe im Bürgerbräukeller explodierte, hatte Hitler wenige Minuten zuvor das Lokal verlassen.
Wolfgang Niess widmet jedem dieser Novembertage sowie dem Mauerfall und dessen Vorgeschichte ein profundes Kapitel. Er blickt auf den unterschiedlichen Umgang der Bundesrepublik und der DDR mit dem schwierigen Datum, das in der DDR fast ausschließlich als das der Revolution von 1918 begangen wurde, als deren erfolgreiche Erbin sich die DDR stilisierte. Anders in der Bundesrepublik: Hier wurde die Bedeutung der Novemberrevolution lange ignoriert oder von konservativen Historikern kleingeredet, wiederentdeckt in ihrer Bedeutung für die deutsche Demokratie wurde sie erst im aufgeheizten Klima des Jahres 1968. Des Pogroms von 1938 hingegen gedachte man in Westdeutschland seit 1958 regelmäßig und mit wachsender Resonanz.
Wolfgang Niess’ kluges, lesenswertes Buch wäre unvollständig ohne die Frage, ob nicht der „Schicksalstag“ 9. November wegen seiner historischen Dimension, seiner demokratiegeschichtlichen Bedeutung der deutsche Nationalfeiertag schlechthin wäre – viel besser auch als das nichtssagende „Verwaltungsdatum“ (Joschka Fischer) 3. Oktober. Geplant ist das nicht, Niess plädiert daher für einen „Nationalen Gedenktag“. Es wäre das Mindeste.
CORD ASCHENBRENNER
Wolfgang Niess:
Der 9. November.
Die Deutschen und ihr Schicksalstag. Verlag
C.H. Beck, München 2021. 318 Seiten, 26 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Wolfgang Niess über die Geschichte des 9. November
Schicksalstag – das Wort lässt manche vielleicht an Sissi und die „Schicksalsjahre einer Kaiserin“ denken, für andere klingt es eher nach raunender Geschichtsbetrachtung, wenn nicht sogar -mystifizierung. Mittlerweile ist der Begriff jedoch kaum noch zu trennen vom 9. November, jenem Datum in der jüngeren deutschen Geschichte, auf das – scheinbar rational kaum zu erklären – immer wieder historische Ereignisse fallen: die Revolution 1918, die das brüchige Kaiserreich hinwegfegte; der „Hitlerputsch“ 1923 in München; die Pogromnacht 1938; schließlich der Fall der Berliner Mauer 1989.
Der Historiker und Journalist Wolfgang Niess macht gleich zu Beginn seines Buches deutlich, dass er dem Begriff „Schicksalstag“ skeptisch gegenübersteht – eben weil er geheimnisvoll wirkende „Mächte im Hintergrund“ suggeriere. Den Verlag hat das nicht gehindert, das Wort im Untertitel zu verwenden, und man wird dem Schicksalstag in diesem Zusammenhang ohnehin nicht mehr entkommen; die SZ etwa hat ihn bereits 1946 benutzt. Niess gibt sich in seinem Buch jedoch alle Mühe, dem 9. November das Schicksalhafte zu nehmen und zu erklären, warum so unterschiedliche historische Szenarien immer wieder am oder um den 9. November kulminierten.
Niess merkt an, dass das Gedenkdatum 9. November eine „gewisse Unschärfe“ aufweise. Natürlich: Eine Revolution ist nicht an einem Tag erledigt (wohl aber die Ausrufung der Republik am 9. November), und auch Hitlers Putschversuch, die Pogromnacht und die Öffnung der Mauer fanden nicht exakt nur jeweils an einem Tag statt, sondern setzten am 9. November ein oder endeten wie Hitlers Umsturzversuch an diesem Tag. Ein weiteres Datum kommt hinzu, das bis vor einiger Zeit nicht allzu geläufig war – das Attentat des schwäbischen Schreiners Georg Elser auf Hitler schlug am 8. November 1939 in München fehl.
An ihm lässt sich verdeutlichen, dass die ersten vier der fünf Novemberdaten einander bedingen. Denn die Abende des 8. November dienten dem „Führer und Reichskanzler“ dazu, im Münchner Bürgerbräukeller pompös der „Märtyrer“ von 1923 zu gedenken. Der Putsch wiederum hätte nicht stattgefunden, wären nicht fünf Jahre nach der erfolgreichen Revolution von 1918 bayerische Demokratiefeinde und Nationalisten zu einem Monarchiegedenken im Bürgerbräu zusammengekommen. Dies nutzte Hitler, um gleich die „nationale Revolution“ auszurufen.
So war Hitler auch am 8. und 9. November 1938 in München gewesen, wo er Goebbels freie Hand für die Pogrome gegen die längst entrechteten deutschen Juden gab, vorgeblich als Vergeltung für den Mord an dem Diplomaten Ernst vom Rath durch einen jungen polnischen Juden. Im Jahr darauf, als Georg Elsers selbstgebaute Bombe im Bürgerbräukeller explodierte, hatte Hitler wenige Minuten zuvor das Lokal verlassen.
Wolfgang Niess widmet jedem dieser Novembertage sowie dem Mauerfall und dessen Vorgeschichte ein profundes Kapitel. Er blickt auf den unterschiedlichen Umgang der Bundesrepublik und der DDR mit dem schwierigen Datum, das in der DDR fast ausschließlich als das der Revolution von 1918 begangen wurde, als deren erfolgreiche Erbin sich die DDR stilisierte. Anders in der Bundesrepublik: Hier wurde die Bedeutung der Novemberrevolution lange ignoriert oder von konservativen Historikern kleingeredet, wiederentdeckt in ihrer Bedeutung für die deutsche Demokratie wurde sie erst im aufgeheizten Klima des Jahres 1968. Des Pogroms von 1938 hingegen gedachte man in Westdeutschland seit 1958 regelmäßig und mit wachsender Resonanz.
Wolfgang Niess’ kluges, lesenswertes Buch wäre unvollständig ohne die Frage, ob nicht der „Schicksalstag“ 9. November wegen seiner historischen Dimension, seiner demokratiegeschichtlichen Bedeutung der deutsche Nationalfeiertag schlechthin wäre – viel besser auch als das nichtssagende „Verwaltungsdatum“ (Joschka Fischer) 3. Oktober. Geplant ist das nicht, Niess plädiert daher für einen „Nationalen Gedenktag“. Es wäre das Mindeste.
CORD ASCHENBRENNER
Wolfgang Niess:
Der 9. November.
Die Deutschen und ihr Schicksalstag. Verlag
C.H. Beck, München 2021. 318 Seiten, 26 Euro.
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