Produktdetails
- Verlag: Faber & Faber, Leipzig
- Seitenzahl: 155
- Abmessung: 17mm x 134mm x 206mm
- Gewicht: 318g
- ISBN-13: 9783932545542
- ISBN-10: 3932545540
- Artikelnr.: 24043423
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.03.2001Schmierfettiges
Rainer Klis erzählt vom "Abend des Vertreters"
Rainer Klis erzählt die Geschichte eines ostdeutschen Jungen, der erst Maschinenschlosser, dann Schriftsteller und zuletzt Vertreter von Schmierfetten wird. Der Leser begleitet den Jungen mit seinem Vater ins Schwimmbad. Aus der Dusche strömt das heiße und dann, zur Abhärtung, das kalte Wasser. In der chlorhaltigen und lauten Halle muß der Sechsjährige den Anweisungen des Vaters folgen: "Noch mal jetzt. Wie ein Frosch es macht. Langsam und kräftig. Arme vor, Beine strecken - ausatmen. Ausatmen, hab' ich gesagt! Wie ein Frosch es macht! Langsam, hab' ich gesagt! Und strecken." Ein Junge muß schwimmen können, auch wenn er lieber die haarfeinen Risse der Hallenbadkacheln beobachtet.
Die besten Episoden dieses Buches bestehen aus klar konturierten Szenen, aus Momentaufnahmen des Helden und seiner Welt in knapper Syntax. Sie bieten Raum für Details, für den Chlorgeruch der Atmosphäre. Episoden dieser Art finden sich vornehmlich im ersten Teil des Buches, das nach den Szenen der Kindheit die Neugier der Adoleszenz und den unwilligen Einstieg des Heranwachsenden in das Bauschlosser-Berufsleben abbildet. Die Distanz des rückblickenden Ich-Erzählers hilft bei der Pointierung der Szenen und schafft einen Abstand, der auch der sprachlichen Gestaltung zugute kommt.
Diese Zeichen erzählerischer Souveränität schwinden mit dem Beginn einer Liebesgeschichte und der Dichterexistenz des Protagonisten. Handlungsstränge mit festem Personal lösen die Grenzen der Einzelszenen auf. Nicht mehr schlaglichtartig beleuchtet, erscheinen Kunst und Liebe merkwürdig fahl: "Im Sommer heirateten Tamara und ich, und im September wurde unser Sohn Leo geboren, um den sich in den nächsten Monaten alles drehen sollte. Wir waren glücklich. In der Zeit, als Leo laufen lernte, war ich öfter mit Tschaikowski unterwegs. Wir traten in Kulturhäusern, Jugendclubs und verräucherten Studentenkellern auf, in Weimar, Cottbus, Rostock und Berlin, Tschaikowski, der inzwischen eine Soloplatte bekommen hatte und auch schon in Warschau und Westberlin bei Free-Jazz-Festivals aufgetreten war, wechselte zwischen Gitarre und Querflöte. Ich las Gedichte." Die schwächsten Teile des Buches bestehen aus lieblos zusammengerafften Informationen. Beliebig erscheinende Handlungssprünge treten an die Stelle der kleinen Schritte, die dem behaupteten Glück mit Sohn Leo angemessener wären.
Mit dem sozialen Abstieg des Helden laufen die Episoden vollends auseinander. Die Dichtung ernährt keine Familie, nicht nach der Schließung der Kulturhäuser und der Wende. Die politischen Großereignisse scheinen hinter den zunehmenden Eheproblemen und den ökonomischen Zwängen auf, die den Protagonisten nun zum Handel mit Schmierfetten zwingen. Wollen die Episoden, die schon längst keine mehr sind, auf einen Zusammenhang von großer und kleiner Geschichte hindeuten? Schaut man genau, bleibt der Protagonist immer der gleiche Träumer. Kraft- und Orientierungslosigkeit gab es in der DDR und gibt es im vereinigten Deutschland, genau wie die in Rudi Gelders Familie verbreitete Schwermut, von der die Großmutter sagt, sie befalle Kommunisten und Christen: "Schwermut ist das Schlimmste, was es gibt."
SANDRA KERSCHBAUMER
Rainer Klis: "Der Abend des Vertreters". Roman. Verlag Faber & Faber, Leipzig 2000. 156 S., geb., 32,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rainer Klis erzählt vom "Abend des Vertreters"
Rainer Klis erzählt die Geschichte eines ostdeutschen Jungen, der erst Maschinenschlosser, dann Schriftsteller und zuletzt Vertreter von Schmierfetten wird. Der Leser begleitet den Jungen mit seinem Vater ins Schwimmbad. Aus der Dusche strömt das heiße und dann, zur Abhärtung, das kalte Wasser. In der chlorhaltigen und lauten Halle muß der Sechsjährige den Anweisungen des Vaters folgen: "Noch mal jetzt. Wie ein Frosch es macht. Langsam und kräftig. Arme vor, Beine strecken - ausatmen. Ausatmen, hab' ich gesagt! Wie ein Frosch es macht! Langsam, hab' ich gesagt! Und strecken." Ein Junge muß schwimmen können, auch wenn er lieber die haarfeinen Risse der Hallenbadkacheln beobachtet.
Die besten Episoden dieses Buches bestehen aus klar konturierten Szenen, aus Momentaufnahmen des Helden und seiner Welt in knapper Syntax. Sie bieten Raum für Details, für den Chlorgeruch der Atmosphäre. Episoden dieser Art finden sich vornehmlich im ersten Teil des Buches, das nach den Szenen der Kindheit die Neugier der Adoleszenz und den unwilligen Einstieg des Heranwachsenden in das Bauschlosser-Berufsleben abbildet. Die Distanz des rückblickenden Ich-Erzählers hilft bei der Pointierung der Szenen und schafft einen Abstand, der auch der sprachlichen Gestaltung zugute kommt.
Diese Zeichen erzählerischer Souveränität schwinden mit dem Beginn einer Liebesgeschichte und der Dichterexistenz des Protagonisten. Handlungsstränge mit festem Personal lösen die Grenzen der Einzelszenen auf. Nicht mehr schlaglichtartig beleuchtet, erscheinen Kunst und Liebe merkwürdig fahl: "Im Sommer heirateten Tamara und ich, und im September wurde unser Sohn Leo geboren, um den sich in den nächsten Monaten alles drehen sollte. Wir waren glücklich. In der Zeit, als Leo laufen lernte, war ich öfter mit Tschaikowski unterwegs. Wir traten in Kulturhäusern, Jugendclubs und verräucherten Studentenkellern auf, in Weimar, Cottbus, Rostock und Berlin, Tschaikowski, der inzwischen eine Soloplatte bekommen hatte und auch schon in Warschau und Westberlin bei Free-Jazz-Festivals aufgetreten war, wechselte zwischen Gitarre und Querflöte. Ich las Gedichte." Die schwächsten Teile des Buches bestehen aus lieblos zusammengerafften Informationen. Beliebig erscheinende Handlungssprünge treten an die Stelle der kleinen Schritte, die dem behaupteten Glück mit Sohn Leo angemessener wären.
Mit dem sozialen Abstieg des Helden laufen die Episoden vollends auseinander. Die Dichtung ernährt keine Familie, nicht nach der Schließung der Kulturhäuser und der Wende. Die politischen Großereignisse scheinen hinter den zunehmenden Eheproblemen und den ökonomischen Zwängen auf, die den Protagonisten nun zum Handel mit Schmierfetten zwingen. Wollen die Episoden, die schon längst keine mehr sind, auf einen Zusammenhang von großer und kleiner Geschichte hindeuten? Schaut man genau, bleibt der Protagonist immer der gleiche Träumer. Kraft- und Orientierungslosigkeit gab es in der DDR und gibt es im vereinigten Deutschland, genau wie die in Rudi Gelders Familie verbreitete Schwermut, von der die Großmutter sagt, sie befalle Kommunisten und Christen: "Schwermut ist das Schlimmste, was es gibt."
SANDRA KERSCHBAUMER
Rainer Klis: "Der Abend des Vertreters". Roman. Verlag Faber & Faber, Leipzig 2000. 156 S., geb., 32,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Schwermut ist das Schlimmste, was es gibt.", konstatiert die Großmutter der Romanfigur. Genau in dieser Schwermut sieht auch Sandra Kerschbaumer die Geschichte des Rudi Gelder versinken. Während seiner Kindheit spricht der Ich-Erzähler fein und liebevoll detailgenau, mit seinem Erwachsenwerden verlieren aber sowohl das Buch als auch sein Protagonist an Ruhe und Unbefangenheit, meint die Rezensentin. Der soziale Abstieg, der mit dem Älterwerden und dem Ende des geteilten Deutschlands einhergehe, mache aus dem Poeten letztendlich einen Schmierfetthändler. Eventuell kann man im Verhältnis zwischen formalem und inhaltlichem Fortschreiten des Buches eine Aussage entdecken, so Kerschbaumer. Welche, sagt sie nicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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